aus Kradblatt 9/23 von Gregor Schütz
Fotos: KTM, G. Schütz, Francesc Montero, Marco Campelli

Mit der 1290 Super Adventure R live dabei …

Ein ganz besonderes Erlebnis – KTM Rally Norway 2023
Ein ganz besonderes Erlebnis – KTM Rally Norway 2023

Ein einsamer Fahrer auf einer KTM Super Adventure 1290 R inkl. nagelneuer Dunlop Trailmax Raid Bereifung (dazu später mehr). Mit rudimentärer Off-Road-Erfahrung und immer im Kampf mit den Elementen. Drei Tage purer Off-Road Spaß in den norwegischen Wäldern rund um Lillehammer, dem Austragungsort der olympischen Winterspiele 1994. 150 gnadenlose KTM-Piloten aller Nationen und Könnerstufen, beim Bier dein bester Freund, auf dem Track dein ärgster Feind …

Als ich den Anruf aus dem österreichischen Mieming und die Zusage für dieses Event bekam, konnte ich mein Glück kaum fassen. Einer von 150! 

Gregor mit seiner Super Adventure R
Gregor mit seiner Super Adventure R

Da ich nur den legendären Ruf dieser Veranstaltung kannte, musste ich erst mal YouTube bemühen und mir das Video der letztjährigen KTM Adventure Rally in Frankreich reinziehen. Obwohl ausdrücklich zugelassen und eingeladen, ist mein Dickschiff Super Adventure R („Ready for Offroad“) mit seinen 221 kg trocken wohl doch zu schwer für diese material- und knochenmordende Art der straßenlosen Fortbewegung, dachte ich. Schnell noch ein Schulungsvideo von Chris Birch, KTM Testfahrer und Off-Road-Gott hinterhergeschoben. Ein 20 Meter Sprung mit der 1290R schaut bei Chris total easy aus. Der Unterschied zur kleineren 890R liegt bei vernachlässigbaren 25 kg. Das sollte doch zu machen sein … 

Gesagt, getan. Moped & Jugendfreundin eingepackt und mit Zwischenstopp in Kopenhagen bei Freunden und am nächsten Tag irgendwo in Schweden per Airbnb, in 1400 km nach „Süd“-Norwegen angereist. 

Trotz starkem Regen war die Anreise aufgrund wettertauglicher Kleidung und entsprechendem Schutz durch das Motorrad nur halb so schlimm wie erwartet. Gemäß dem Motto, bei Regen Kilometer auf der Autobahn fressen und bei Sonne die Landstraße genießen, hangelten wir uns in 2,5 Tagen von Oldenburg in Niedersachsen nach Lillehammer. KTM und der durchführende Veranstalter Edelweiss Bike Travel hatten dort in dem Skigebiet Kvietfjell ein großes Hotel angemietet und ein Festzelt mit allem Komfort und diversen Technikstationen, Reifenwechselbasen und sogar einem Dampfstrahlcamp für alles gesorgt, was man für den reibungslosen Ablauf einer solchen Rallye erwarten kann.

Tolle Landschaften
Tolle Landschaften

Schon am Anreisetag wurde nach dem obligatorischen Technikcheck des Motorrads durch KTM-Techniker der erste Wettbewerb, ein „Slow-Race“ in einer schwierigen Geländesektion auf dem Veranstaltungsgelände durchgeführt. Dabei musste man so langsam wie möglich ohne Bodenkontakt (Fuß oder Maschine) einen Parcours durchfahren. Hier waren die leichteren Bikes natürlich klar im Vorteil, die Profis haben uns aber auch gezeigt, dass Gewicht nicht immer ein Hindernis ist. 

Meet the Pros - muss man ja nicht nachmachen
Meet the Pros – muss man ja nicht nachmachen

Ehrlicherweise ist echtes Adven­ture­reisen ja auch immer eine Kombination aus Off-Road und Anreise mit wechselnden Anteilen und sicherlich individuell stark unterschiedlich. Aus der Türkei wäre ich vielleicht auch lieber mit dem Pick-up als mit einer 690er auf Achse angereist. Den Spagat bei dieser Rallye zwischen Hardcore-Motocross-Spezialisten auf 250 EXC und 1290 S Super Adventure Reisebomber mit (nicht zulässiger) Straßenbereifung haben die Veranstalter KTM und Edelweiss meiner Meinung nach gut hinbekommen.

Der 1. Rallye-Tag startete morgens nach einem kräftigen Frühstück im Zelt mit für Norwegen typischem Sturzregen auf gut durchfeuchteten Waldwegen. Da ich lange geschlafen habe und als Nummer 149 ins Feld ging, brauchte ich zwar aufgrund der tiefen Spurrillen mein Navi kaum, aber dafür wünschte ich mir ausklappbare Schwimmer. Teilweise war der Weg kaum noch zu erkennen, es war eher eine Aneinanderreihung von kleinen Seen und Wasserfällen in den trollverseuchten Wäldern des Königreichs. Hätte ich doch eine der optionalen, durch KTM Ambassadors geführte Touren gebucht. Zur Wahl standen Rallye-Legenden wie Xavier de Soultrait, Johnny Aubert, Jodie Viladoms, Giovanni Sala, Greg Gordinne, Joey Evans und natürlich Chris Birch aus Neuseeland. Die hätten mich schon aus einem dieser Schlammlöcher rausgezogen. Aber nein, ich musste ja unbedingt selbst navigieren. Also Augen zu und durch und nicht auf den Sweeper (=Besenwagen) hoffen, der mit seinem 4×4 hier eh nicht durchkommt. 

Interessante Aufgaben fordern die Teilnehmenden
Interessante Aufgaben fordern die Teilnehmenden

Beim Mittagessen in einem Ausflugslokal waren die schlimmsten Sektionen schon wieder vergessen. Beim leckeren Elch-Gulasch konnte man wieder herrlich in Benzingesprächen schwelgen. Apropos Elch, beinahe hätte ich auf der Anfahrt zum Lokal auf einer der wenigen geteerten Straßen einen überfahren oder besser er mich. KTM-Fahrer-Gulasch wäre in diesem Fall wohl wahrscheinlicher gewesen. 

KTM bot Service vor Ort
KTM bot Service vor Ort

Nachmittags stand noch eine Motocross-Strecke mit kombiniertem Supermotokurs auf dem Programm. Aufgrund der Wetterverhältnisse war auch diese Strecke eher zum Baden als zum Motorradfahren geeignet. Aber nach 280 km spürt man den Schmerz einfach nicht mehr. Wacken war ein Kindergeburtstag dagegen.

Abends gab es viel Bier und tolle Gespräche, Chris Birch gab auf der Bühne wertvolle Styling- und Fahrtipps und beantwortete geduldig jede Frage. Als „Belohnung“ gab es noch ein quasi „live“-Video von Fotografin Sophie aus Belgien mit den Ereignissen des Tages als Zusammenschnitt aus Fail-Szenen und Drohnenaufnahmen.

Der 2. Tag startete mit blauem Himmel und Sonnenschein. Echt jetzt? Hab ich so nicht gebucht. Heute hatten wir unter anderem HighSpeed Schotter-Etappen auf dem Programm. Schon erstaunlich zu was Traction Control, ABS und Hightech 50/50 Offroad Reifen einen versierten Piloten alles befähigen. 70 km-Schotteretappen, komplett stehend mit Geschwindigkeiten zwischen 80 und 160 km/h lassen sich so nur in Norwegen mit seinen perfekt geglätteten mautpflichtigen Privatstraßen ohne Abflugangst abreiten. Fordernd waren einzige sporadische frische zentimetertiefe Schotterbeläge oder eher -haufen, vorzugsweise an Steigungen oder hinter Kurven. 

Auch dieser Tag wies eine Special Stage in Form einer sehr weitläufigen Kiesgrube mit diversen Auf- und Abfahrten sowie anderen technischen Highlights auf. Auch hier wurde wieder viel Material für die Fail Videos von Sophie gesammelt. Auch an diesem Tag kamen wieder rund 290 km an Schotter-, Wald-, Singletrail und sonstigen Offroad-Etappen zusammen.

Ausfälle gab es lediglich durch gelegentliche Platten und 1–2 glimpflichen Abflügen in Kurven. Der begleitende Arzt im offroadtauglichen Krankenwagen und der Flying Doctor auf der 890R kamen so nur sehr selten und meistens nur mit Pflastern zum Einsatz.

Top: der Dunlop Trailmax Raid
Top: der Dunlop Trailmax Raid

Nun, wie versprochen nach dem ersten Eindruck in Kradblatt 8/23, noch ein paar Worte zum Reifentest mit dem neuen Dunlop Trailmax Raid, der auf vielfältige Art und Weise gequält wurde. Das Spektrum der Torturen reichten von Autobahn­etappen mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h bei der Anreise in Deutschland, natürlich zu zweit und mit Norwegen tauglichem Gepäck unter Ausnutzung der maximale Zuladung der Kati von 205 kg bis hin zu Vollgasorgien auf Schotter mit minimaler Traktionskontrolle, steinigen Passagen und natürlich ganz viel Matsch. Obwohl sogenannte 50/50 Reifen immer einen Kompromiss darstellen, konnte ich keine wirklich Schwäche des Trailmax Raid feststellen. Auf der Straße grippig wie ein reinrassiger Straßenreifen und im Gelände immer ein sicheres Gefühl, egal ob im tiefsten Schlammloch oder auf Schotter. Auch die Laufleistung nach diesem 4000 km Ritt ist mehr als zufriedenstellend. Ca. 50% Restprofiltiefe lassen auf eine offroadtaugliche Lebensdauer von 5-6000 km hoffen. Bis zum legalen Straßenlimit ist sicher noch mehr drin. Und das auf einer sehr sportlichen Reisendenduro mit einem der höchsten Drehmomente am Markt!

Trolle säumten unseren Weg (die meisten nicht sichtbar)
Trolle säumten unseren Weg (die meisten nicht sichtbar)

Fazit: Diese KTM Veranstaltung hat Suchtpotential. Die Kombination aus harter Offroad-Action, Lagerfeuerromantik und gemeinsamen Erlebnissen mit gleichgesinnten, gaskranken KTM-Fanboys ist in dieser Form selten. Dazu beigetragen haben sicherlich auch die professionelle Vorbereitung und Durchführung durch KTM und Edelweiss Bike Travel. Für Norwegen aber unbedingt Gore-Tex und Heizgriffe einpacken. Ich freue mich schon auf die nächste KTM Adventure Rally 2024, bei der ich hoffentlich auch wieder dabei sein darf. Alle Infos zur Adventure Rally gibt es übrigens online auf www.ktm.com.