aus Kradblatt 7/19, von Sebastian Lipp
Auch heute noch: Der Dampfhammer!
Nur ungewöhnliche Kraft darf nach Ungewöhnlichem streben – oder aber: Wie ich die Honda X-eleven aka X11 lieben lernte.
Das Zitat von Theodor Körner: „Nur ungewöhnliche Kraft darf nach Ungewöhnlichem streben“, schien Hondas Leitspruch zu sein als man das Design der X11 entwarf.
Zunächst fand ich wenig Gefallen am Auftreten des Dinosauriers. Anders kann ich sie nicht bezeichnen. Weit ausladende Kühlerverkleidung, fette Tacho-Armaturen, breites Motorgehäuse und ein undefinierter Haufen recycelten Plastiks als Kennzeichenhalter. Was bitte hat sich Honda dabei gedacht?
Meine Geschichte beginnt mit dem Verkauf einer Honda SC59 Fireblade. Durch den Verkauf wollte ich die Distanz zwischen mir und meinem Grabstein vergrößern. Ich war jung und wild und fuhr am Limit.
Von einem auf den anderen Tag änderte sich das. Nicht, dass mich Beschleunigung und Kurvenlage plötzlich kalt ließen, nein, es war viel mehr die Überlegung, dass man auch zügig auf einer guten Linie unterwegs sein kann ohne immer nach dem absoluten Limit zu suchen.
Mein Vater sagte einst, dass man selbst Herr des Motorrades ist und schnell zu fahren habe nichts mit dem jeweiligen Motorrad zu tun. Nachdem er selbst meine SC59 mal von einem Inspektionstermin abgeholt hatte, hörte ich diesen Kommentar nie wieder. Ich hörte nur so etwas wie: „Verblüffend, da schaut man mal gerade nicht auf den Tacho und ist bei 250 km/h.“
Unabhängig von der Leistung und dem grandiosen Fahrwerk, trägt auch die Sitzposition dazu bei, dass man sich ständig in geduckter Angriffshaltung befindet. Dies alles führte bei mir dazu, dass ich glaubte, ich müsste ein anderes Motorrad fahren um die nötige Gelassenheit auf dem Bike zu finden. Ich befand, ich bräuchte wieder ein Naked-Bike, um aufrechter zu sitzen.
Durch die Fireblade war ich Drehmoment verwöhnt, also sollten es mehr als 1000 cm³ im nächsten Bike sein. Ich liebäugelte lange mit der Honda CB 1300, diese hatte Drehmoment, sollte sehr robust sein und eine hervorragende Fahrmaschine. Die moderne Naked-Bike Palette von Honda lies damals aber sehr zu wünschen übrig, folglich musste ich mich auf dem Gebrauchtmarkt umschauen.
Schnell wurde auf diversen Online-Plattformen die Fireblade inseriert und schon bald hagelte es dubiose Angebote. Eines davon war ein Tauschangebot. „Ich bieten krasses Gerät Hunda X11 pauer ohne Ände.“ War dort der Wortlaut. Allein die Preisdifferenz der beiden Bikes ließen mich das Angebot ausschlagen und verdrängen. Jedoch schürte das Angebot meine Neugier auf das benannte Motorrad.
Honda X11 war mir bis dato kein gängiger Begriff also recherchierte ich. Eine unverkleidete Super Blackbird, ein martialisches Naked-Bike mit fragwürdigem Design kam zum Vorschein.
Nach einigem hin und her entschied ich mich zu einer Probefahrt und war sofort angefixt.
Die Probefahrten bei zwei Privatpersonen erwiesen sich als Zwiespalt, beide Bikes hatten uralte Reifen drauf, sodass sich das Kurvenfahren als absolut unmöglich herausstellte. Ich war mir unsicher ob es an dem veralteten Fahrwerk oder den alten Reifen lag, womöglich fuhr sich die X11 einfach so.
Schön war sie ja nicht gerade und fuhr sich zudem komisch. Der Motor hingegen war eine absolute Wucht, schnorchelnd atmet er ein, wenn sich die vollen 1137 cm³ füllen mit einer leichten Verzögerung, ja gar einer leichten Anspannung vor dem großen Knall setzt das Biest den Gas-Befehl um, verkeilt das Hinterrad in den Asphalt und hebt aus dem Drehzahlkeller bis in den 4. Gang das Vorderrad beim offensiven Gasgeben. Die Beschleunigung erfolgt nicht schlagartig oder abrupt, das Drehmoment ist einfach allgegenwärtig. Beinahe gelangweilt schüttelt der Motor das Drehmoment aus dem Ärmel. Man neigt dazu komplett zu vergessen wie schnell die Maschine schneller wird und wird erst durch einen Blick auf den Tacho wieder in die Realität zurückgeholt.
Tatsächlich kann die Maschine ihren Fahrer verwöhnen, ihn sanft auf der Drehmoment-Welle wiegen und ohne zu schalten dahingleiten lassen. Genau das war für mich der entscheidende Grund: die Maschine kann sportlich bewegt werden aber auch entspannt dahingleiten.
Nach einiger Recherche fand ich ein geeignetes Fahrzeug, erster Hand, komplett Original und wenig Laufleistung. Trotz eines technischen Defektes, welchen der Vorbesitzer noch bei einer Honda-Werkstatt reparieren ließ, war ich begeistert.
Ich sah über das verkorkste Design hinweg, die alten Reifen, das merkwürdige Kurven-Verhalten und kaufte eine X11.
Nachdem ich dann neue Reifen für das Biest besorgt hatte und die ersten Touren unternommen hatte war klar, der einzige Grund, weshalb die Maschine sich so behäbig in Kurven anfühlte, waren die alten Reifen gewesen. Einmal in Fahrt lässt sich die 240 kg Maschine locker handhaben und räubert gut durch die Kurven. Erstaunlich gut.
Aus großer Kraft, folgt große Verantwortung“. Schien das Motto der Ingenieure zu sein, die für Fahrwerk, Bremse und Technik der X11 verantwortlich waren. Denn trotz ihres Alters verfügt sie über ein CBS-Bremssystem, ein Bremssystem welches die Hinterrad-Bremse beim Betätigen der Vorderrad-Bremse ebenfalls betätigt. Das Fahrwerk ist komfortabel, aber auch sportlich, für die damalige Zeit absolut „State of the art“. Somit lässt sich die Maschine erstaunlich leicht handhaben und gibt einem ein sicheres Gefühl während einem der Motor Respekt einflößen möchte.
Nach kurzer Zeit optimierte ich die Maschine optisch und technisch und passte sie an meine Bedürfnisse an. Ich nahm mich dem Design an, lies den Recycling-Müll, der ein Kennzeichenhalter sein wollte, verschwinden, baute das Heck um, versteckte die riesigen Tachoarmaturen unter einem Windschild und tauschte die Kamin-großen Schalldämpfer gegen schlankere Genossen. Danach sorgten ein voll einstellbares Federbein von Hyperpro, progressive Gabelfedern, Brembo Bremsen, ein neuer Kettensatz und diverse andere Arbeiten dafür, dass die Honda X11 für mich ein unersetzlich gutes Motorrad geworden ist. Ihr Design ist so für mich mittlerweile gefällig geworden ja sogar eigentlich ganz schick.
Wenn ich das Thema nun Revue passieren lassen, kann ich sagen ich liebe die Honda X11 für das was sie ist, nicht für das was sie war. Sie war einst, frisch aus dem Laden, ein total überteuertes Naked-Bike mit einem tollen Motor, fragwürdigem Design aber ohne besondere Ausstattung oder ähnliches. In einer Zeit von Motorrädern, die ohne elektrische Helfer nicht mehr fahren können, elektronische Helfer, mit denen ich persönlich nichts anfangen kann, erfreue ich mich an der Perfektion der Schlichtheit. Denn diese Maschine vereint eine robuste Konstruktion mit höchster Verarbeitungsqualität, mit einem grandiosen Geradeauslauf und einem genialen Handling im kurvigen Geläuf. Dazu ist sie Hondas schnellstes Naked-Bike (251 km/h laut Papieren) und Hondas Bike mit der schnellsten 0–100 Zeit von 2,8 Sekunden. Das alles leistet diese Maschine, trotz der (für heutige Verhältnisse) übersichtlichen Leistungsdaten von 136 PS und 116 Nm, ohne komplexe elektronische Helfer und Sensorik.
Die Schlichtheit der X11 lässt mich frei sein. Wofür soll ich ein 200 PS-Motorrad fahren, wenn ich da wieder Elektronik brauche, um die Leistung auf die Straße zu bringen? So habe ich ganz alleine die Kontrolle. Klar, es ist gefährlicher, es ist fordernder, man hat weniger Reserven, ein Quäntchen zu weit gedreht am Gasgriff und das Hinterrad geht weg, aber das ist Motorrad-Fahren in seiner reinsten, natürlichsten Form. Das „Einswerden“ von Mensch und Maschine, keine Bevormundung durch Sensoren und Aktoren.
So kann ich nun genießerisch dahinrollen auf der Drehmomentwelle und verschmitzt darauf warten, dass eines dieser High-Tech Bikes versucht mit uns mitzuhalten.
Ich bin viele moderne Naked-Bikes gefahren, aber glaubt mir, an die Lässigkeit mit der das Urgestein das Drehmoment bereitstellt, kommen die modernen Bikes nicht mehr ran.
Zwei weitere Berichte zur X-eleven findet ihr hier aus den Jahren 2000 und 2003.
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Kommentare
11 Kommentare zu “Honda X-eleven bzw. X11”
Hallo, was ist das für eine Sexy Auspuffanlage?
die sieht bei der Dicken mega aus.
Barracuda Urban Brawler Dual, wird allerdings nicht mehr hergestellt. Vielleicht auf Anfrage.
Hab den Angel Gt von Pirelli drauf. Ist nix für Bestzeit auf der Rennstrecke, aber gut im alltäglichen Bereich.
Ich habe mittlerweile auf dieser Maschine (von mir ist der Artikel) Den Bridgestone S22 drauf.
Allerdings ist sie mittlerweile auch auf Upside-Down Gabel und Bremsanlage der Fireblade umgebaut.
Hallo Sebastian .
Komme aus Düren und brauche ne Reifenempfehlung.
Gruß Udo
Hey. Ich bin aus Heinsberg. Vielleicht können wir mal zusammen fahren. Kenne sonst keinen anderen mit ner x 11 hier aus den Raum HS Dn AC
@Sven
Ich wohne mittlerweile in Nideggen, wenn du noch deine X11 hast, können wir gerne mal ne Runde fahren.
Moin der S22 ist Top. Ich bin mittlerweile nach Nideggen gezogen, aber die X11 aus dem Artikel habe ich immernoch.
Bin heute schon eine X11 probegefahren. Macht richtig Laune, das Teil! Meine CB1000F ist dagegen behäbig und konservativ – kein Punch und weniger wendig. Ich bin echt angefixt. Wie einfach ich durch Serpentinen wedeln konnte. Mal schauen, wann eine X11 bei mir steht.
Sehr unterhaltsamer Bericht. Macht Lust auf eine 11er. Gruß von einem BIG ONE Fahrer.
Hallo Sebastian,
die Schilderung Deiner Fahreindrücke kommen mir sehr bekannt vor 😃
Wenn man mal auf der Landstrasse so ein Drehmomentmonster gefahren hat, welches sich dann auch noch als Kurvenräuber herausstellt, dann will man nichts anderes mehr fahren.
Meine CB1300 fahre ich nun seit 90000Km und noch immer geniesse ich jeden Km mit Ihr.
Gruß
Micha