aus Kradblatt 2/20 von Marcus Lacroix

Die wilde Mischung

Honda X-ADV 750, Modell 2018 auf Großwildjagd

Der aufmerksame Kradblatt-Leser wird sich evtl. daran erinnern, in den Jahren 2015 und 2016 fuhr ich als „Dienstfahrzeug“ einen 750er Honda Integra. Das war diese Mischung aus Motorrad (Technik) und Großroller (Optik), basierend auf der Plattform der NC-Modelle (NC S, X, CTX + Vultus). Ein toller Allrounder, den ich wirklich gerne gefahren habe – auch wenn ich mir von „echten“ Motorradfahrern eine Menge Spott dafür anhören durfte, ob ich mir kein „richtiges“ Motorrad leisten könne. Den Bericht zum Integra findet ihr im Online-Archiv unter www.kradblatt.de.

Honda X-ADV 750, Modell 2018 mit GIVI Trecker und MRA Vario Für das Modelljahr 2017 präsentierte Honda dann den X-ADV, quasi eine Mischung aus Africa Twin und Integra, optisch eine Art Offroad-Großroller, befeuert wieder vom 750er NC-Aggregat mit DCT. Und der X-ADV sah soooooo viel cooler aus als mein barocker Integra, den man immer noch im Honda-Programm findet. Ich war Feuer und Flamme! Da die Fahrzeuge sich technisch aber doch recht ähnlich sind und Ducati mit der Desert Sled 2017 ebenfalls ein Bike zum Verlieben auf den Markt brachte, scrambelte ich in den Jahren 2017 und 2018 italienisch durch die Gegend (Kradblatt 3/17 + 8/19).

Das verhaltene Interesse deutscher Motorradfahrer am X-ADV mag geschichtlich begründet sein, die Kabbelei zwischen Roller- und Motorradfahrern ist ja nicht neu. An der Technik kann es nicht liegen, denn abgesehen vom recht kleinen 15 Zoll Hinterrad – der Integra rollt vorne und hinten auf 17-Zöllern – ist der X-ADV ein Motorrad. Oder es fehlt uns Deutschen die passende Schublade. Honda selbst nennt den X-ADV eine „Crossover-Maschine, eine völlig neue Fahrzeugklasse“. Na denn …

Auf nassen Boden hat der Bridgestone TW101 keine Chance - Honda X-ADV 750, Modell 2018Ende 2018 schlug ich zu. Da Konzept und Optik des X-ADV bei deutschen Motorradfahrern – im Gegensatz zu den mediterranen Kollegen – schwieriger an den Mann oder (noch seltener) an die Frau zu bringen sind, zeigen sich Honda-Händler doch recht erfreut, wenn man den Platz im Showroom frei macht. 2017er Modelle gab es mit ordentlichem Preisnachlass und/oder Extras, ich wählte aber bewusst das 2018er Modell. Die Änderungen sind überschaubar, wobei mich persönlich vor allem der G-Modus für das DCT-Getriebe ansprach. Die zweistufige Traktionskontrolle ist zeitgemäß, wenn auch, ebenso wie die um 900 U/min erhöhte Maximaldrehzahl für mehr Spritzigkeit, bei meinem Fahrstil kein Killer-Argument.

Kurzer Einschub für alle, die mit DCT und G-Modus nichts anzufangen wissen: DCT ist das geniale Doppelkupplungsgetriebe (= Double Clutch Transmission)  von Honda, das sich wahlweise per Tastendruck über den linken Daumen (-) und Zeigefinger (+) oder über eine Automatik mit verschiedenen Programmen (D/S1/S2/S3, verschoben werden dabei die Schaltpunkte für mehr Sportlichkeit) schalten lässt. Das DCT bietet Honda aktuell in den NC-Modellen, dem X-ADV, bei Integra, Africa Twin, GoldWing und Crosstourer an und ich bin seit der ersten Präsentation ein großer Fan davon. Die automatischen Schaltprogramme wurden immer weiter verbessert und arbeiten in den meisten Lebenslagen sehr zufriedenstellend. Man kann trotzdem jederzeit über die Schalttasten eingreifen, z. B. um die Motorbremse effektiv zu nutzen. Alternativ gibts den manuellen Modus. Der macht speziell beim Angasen in sehr kurvigem/bergigem Geläuf oder bei Kurventrainings Sinn, da die Automatik den Streckenverlauf nicht vorhersehen kann. Schon nach kurzer DCT-Eingewöhnung fragt man sich, warum nicht mehr Hersteller Ähnliches anbieten. Schaltassis mit Blipper sind für mich pers. da übrigens keine Alternative. 

Trockene Feldwege sind kein Problem für den Honda X-ADV 750, Modell 2018 Der G-Modus (G für Gravel = Schotter) ist ein für den Offroad-Bereich bestimmtes DCT-Programm, über das auch die Africa Twin verfügt. Der Kraftschluss ist direkter, der Kupplungsschlupf zwischen den Schaltvorgängen reduziert. Bergab verhindert er das unbeabsichtigte Hochschalten. Ehrlich gesagt habe ich den G-Modus bisher kaum gebraucht, obwohl ich mit dem X-ADV trotz seiner 238 kg gerne mal durch Feldwege stochere. Im norddeutschen Mutterboden ist die X-ADV Originalbereifung, der Bridgestone TrailWing 101, aber einfach zu schnell an seiner Grenze. Hier werde ich bei Gelegenheit auf den Pirelli Scorpion STR wechseln, der sich auch auf der Desert Sled On- wie Offroad erfreulich gut geschlagen hat. Echten Matsch kann der aber natürlich auch nicht …

Und wo wir gerade im Gelände sind, gleich noch zwei Punkte: Mit seinen Trittbrettern ist der X-ADV Offroad eine Katastrophe, man hat beim Fahren im Stehen quasi Null Feedback. Das weiß auch Honda, denn auf allen offiziellen Action-Fotos steht der Fahrer auf Zusatzfußrasten. Im Honda-Online-Konfigurator findet man die zwar nicht, Honda-Dealer bieten aber offiziell Rizoma-Rasten als Extra. Günstigere Alternativen gibts im Zubehör schon für unter 100 €. Ein „must have“ übrigens auch für Straßenfahrer.

3 Sitzpositionen dank Zusatzrasten am Honda X-ADV 750, Modell 2018

Eher allgemein ist der zweite Punkt, den ich in der Praxis lernen durfte: Wenn man in einem Baggerloch den Hang hochfahren will, sollte man tunlichst VORHER die Traktionskontrolle abschalten – und das JEDES MAL, nachdem man die Zündung ausgeschaltet hatte, denn die „TC“ aktiviert sich bei jedem Einschalten automatisch wieder! Zum Glück hat mich keiner gesehen, als ich kurz vor oben dank der TC mangels Vortrieb die Grätsche machte. Ich habe „die Karre“ laut verfluchend ohne Kollateralschaden retten können – Bedienungsanleitung vorher lesen könnte helfen …
Wer den X-ADV zünftig Offroad bewegt sehen möchte, der schaut am besten auf YouTube.com mal nach Renato Zocchi. Der Italiener gewann 2019 das Gibraltar Race in der Klasse 2 und belegte den siebten Platz in der Gesamtwertung – über 7.000 Rallye-Kilometer von der Ostsee bis zum Atlantik. Sein X-ADV war dabei nur überschaubar modifiziert.

Profibild von Honda: Honda X-ADV 750, Modell 2018 Nun werden die meisten unserer Leser eher keine Rallye fahren und sich von daher wohl mehr für den Alltagswert des X-ADV interessieren. 

Nach der 2019er Saison bin ich mit der Kaufentscheidung weiterhin sehr zufrieden. Der X-ADV ist ein gutmütiges Alltagsfahrzeug für alle Wege, mit dem man auch herrlich verreisen kann. Trotz des recht bequemen Soziusplatzes ist man auf längeren Strecken aber besser als Solist unterwegs. Die Motorleistung von heutzutage eher bescheidenen 54,8 PS bei 6250 U/min lässt sich dank des DCT zwar recht erstaunlich in Szene setzen – gerade beim Ampelstart – zu zweit wünscht man sich beim Überholen und an Steigungen aber doch bisweilen etwas mehr Druck. Klasse wäre es, wenn Honda den NC-Motor auf 800–900 ccm und 70–80 PS aufbohren würde. Wer generell eher gemütlich unterwegs ist, der wird auch zu zweit mit den knapp 55 PS gut auskommen. Umgekehrt kann man als Solist manch Fahrer einer stärkeren Maschine verblüffen, denn der X-ADV wird, wie auch der Integra, gerne unterschätzt. 

Schutzblechverlängerung aus China - Honda X-ADV 750, Modell 2018 Der Wind- und Wetterschutz des X-ADV ist ganz ordentlich, wenn auch nicht so gut wie auf manch echtem Großroller. Im Winterbetrieb und bei Regen fällt die eher mäßige Schutzwirkung der originalen Handprotektoren auf. Klar, Offroad haben sie einen anderen Sinn, trotzdem dürften sie nach oben und unten ausladender sein. 

Was auf den ersten Blick wie ein Kettenkasten aussieht täuscht. Der Kettenschutz ist zur Radseite offen und erschwert meiner Ansicht nach Pflege und Wartung mehr, als dass er einen echten Vorteil bringt. Ich überlege, ihn zu demontieren.

Ebenfalls suboptimal ist die mäßige Hinterradabdeckung, aber das kritisiere ich ja bei quasi jedem aktuellen Motorrad. Schützende Schutzbleche gibts fast nicht mehr, Bikes von heute schmeißen, dank sportlich inspirierter Designer, fast alle mit Dreck. Zumindest am Vorderrad hilft eine Schutzblechverlängerung – bestellt für kleines Geld direkt in China, da der hiesige Markt nichts hergab. Optional sollten die Hersteller (alle) zu diesem Thema etwas anbieten, es gibt schließlich nicht nur Schönwetterfahrer!

 Originale Koffersysteme hat Honda für den X-ADV unverständlicher Weise nicht im Konfigurator, lediglich zwei Topcases. Das mag daran liegen, dass Italiener, Spanier und Franzosen eher durch Staus in Städten zirkeln und weniger auf große Reisen gehen, trotzdem ist es schade, zumal für die Africa Twin coole Kisten verfügbar sind. Hier hilft der Zubehörmarkt und die von mir verbauten GIVI Dolomiti Trekker (siehe Kradblatt 9/19) geben dem X-ADV nicht nur eine massige SUV-Optik sondern funktionieren auch ausgezeichnet. Langen Urlauben steht damit nichts im Weg.

Schlüssellos dank "Smart Key" - Honda X-ADV 750, Modell 2018 Das Staufach unter der Sitzbank ist praktisch, es passt aber nicht jeder Helm. Der Tankeinfüllstutzen befindet sich unter einer Klappe vor der Sitzbank. beide werden elektrisch über einen Taster entriegelt. Ein (Zünd-)Schlüssel wird dank „Smart Key“ – also einem kleinen Sender, den man einfach in die Tasche steckt – nicht mehr benötigt. Ob sinnvoll oder nicht sei, wie beim Auto auch, dahingestellt. Anfangs fand ich es ziemlich überflüssig, man gewöhnt sich aber doch recht schnell an die Bequemlichkeit.

Bei Bremsen und Fahrwerk gibts nichts zu bemäkeln. Wer häufig mit wechselnder Zuladung (Sozius) fährt, sollte sich von seinem Händler evtl. gleich ein Federbein mit Fernverstellung einbauen lassen. Die Federbasis-Einstellung ist mit dem Hakenschlüssel etwas unbequem zu erreichen. Als Solist habe ich den Negativfederweg ein Mal korrekt ausgemessen und bin seitdem mit dem Komfort zufrieden. Das ABS ist da, wenn man es braucht, die Traktionskontrolle habe ich auf der Straße bisher nur mutwillig zum Einsatz bringen können. 

Cockpit Honda X-ADV 750, Modell 2018 Zum Komfort trägt an meinem X-ADV ein Windschild von MRA bei (Kradblatt 6/19). Die Originalscheibe ist zwar über eine Mechanik, im Stand ohne Werkzeug, fünffach höhenverstellbar, was sehr praktisch ist, der Aufsatzspoiler der MRA-Scheibe sorgt aber für eine noch bessere Feineinstellung bei Windgeräuschen.

Die Sitzposition ist bequem. Um bei meinen 176 cm mit beiden Füßen einen sicheren Stand zu bekommen, muss ich auf der breiten Sitzbank, bedingt durch die Trittbretter, aber etwas nach vorne rutschen. Beim Aufsteigen schwinge ich das rechte Bein meistens vor der Sitzbank über den angedeuteten Tunnel. „Ich bin Ü50, helfen sie mir bitte aufs Motorrad“ denke ich dann bisweilen und muss über mich selbst lachen.

Die eingangs erwähnten Zusatzfußrasten ermöglichen eine dritte Beinstellung, was nicht nur auf längeren Strecken angenehm ist, sondern beim flotten Fahren mehr Feedback bietet – Beinschluss zum Tank gibts ja bauartbedingt keinen. Zu tun haben die Füße eh nichts, gebremst wird über zwei Handhebel. Prinzipiell schränken die klappbaren Zusatzrasten die Schräglagenfreiheit etwas ein, wirklich behindert haben sie mich bisher aber nicht. Haupt- und Seitenständer sind serienmäßig, eine Feststellbremse ermöglicht das Parken auch hangabwärts.

Abschaltbare Traktionskontrolle und gut integrierte Heizgriffe, Honda X-ADV 750 Modell 2018 Mein Durchschnittsverbrauch liegt bisher bei 3,79 Ltr./100 km, minimal 3,06 und maximal 4,72 Ltr., fast immer mit Koffern. Dabei fahre ich den X-ADV (wie auch damals den Integra) eigentlich ausschließlich im spritsparenden D-Modus und greife nur bei Bedarf manuell ein. Spreche ich mit anderen DCT-Fahrern, sind die oft in einem der S-Modi unterwegs, deren Sinn sich mir aber bis heute nicht wirklich erschlossen hat. Mich stört das unnötig hohe Drehzahlniveau und beim Gasaufreißen gibts eh einen (minimal verzögerten) „Kickdown“. Falls nötig, reicht vor einem spontanen Überholmanöver auch ein Tipp auf die Minus-Taste für mehr Bumms.

13,1 Liter Tankinhalt ermöglichen eine ganz ordentliche Reichweite. Als V-Max werden rund 170 km/h erreicht, das sorgt schon mal für verwunderte Blicke, wenn man auf der Überholspur „vorbeirollert“. Im Alltag schwimmt man auf der Autobahn aber eher darunter kommod mit. 

Honda X-ADV 750, Modell 2018 Wünsche? Neben etwas mehr Leistung wäre das Cockpit der neuen 1100er Africa Twin natürlich echt Sahne. Das X-ADV Display bietet zwar so schon mehr Infos als nötig, ich stehe aber auf diese digitalen Multifunktions-TFTs mit Smartphone-Integration. So richtig vermisse ich beim X-ADV aber nichts.

Wer sich nicht partout über sein Fahrzeug profilieren muss und auch anderen Konzepten offen gegenüber steht, der sollte den X-ADV ruhig mal zur Probe fahren. Wer beim Kauf nur auf das Verhältnis PS zu Preis schaut, wird etwas schlucken: 12.190 € ruft Honda als Listenpreis für die Crossover-Maschine auf. Die NC 750 X DCT gibts für 9.090 €, die NC 750 S DCT für 8.390 €. Schwinge, Gabel, Räder, Bremsen (310er-Doppelscheiben mit radialen Vierkolbenzangen an der Front!), LED-Beleuchtung und diverse andere Details rechtfertigen aber den Aufpreis des X-ADV zu den NC-Schwestern und über Motorleistung hat sich das NC-Konzept noch nie definiert. A2-taugliche 48 PS Versionen sind übrigens auch verfügbar. Vom Auto- zum A2-Motorradführerschein ist es nur ein kleiner Sprung. 

Mehr Infos (auch zum A2) gibts bei allen Honda-Vertragshändlern.