aus Kradblatt 11/15 von Marcus Lacroix

Fahrbericht: Honda NC 750 D Integra – Don’t call it a Roller!

Honda NC nacktHonda hat vor ein paar Jahren mit der NC-Baureihe ein Konzept präsentiert, das schon viele Freunde fand. Eine Basis, die durch verschiedene Anbauteile völlig andere Klientel anspricht, obwohl die Technik unter dem Kleid weitestgehend gleich ist. Die X kommt als kleine Reiseenduro, die S als Naked Bike, die D als Roller-Verschnitt, die CTX spricht Cruiser-Fans an und die Vultus ist für Batman und Robin.

Die X, damals noch als 700er und mit normalem Schaltgetriebe, hatten wir euch im Februar 2012 vorgestellt. Für Fahrberichte bekommen wir die Motorräder aber leider nur für ein paar Tage von den Händlern – wollen wir eine ganze Saison oder länger mit einem Bike verbringen, müssen wir es natürlich auch kaufen. Und so fiel vor allem aus Neugier die Entscheidung für die Honda NC 750 D Integra.

Front Honda NC 750 D IntegraDass die Maschine polarisiert, war klar. Sprüche wie: „Du machst doch eine Motorradzeitung, kannst du dir da kein richtiges Motorrad leisten?“ gehörten noch zu den harmloseren. Bisweilen kamen aber auch intelligentere Fragen wie: „Ist das ein Roller oder ein Motorrad?“ und da fängt die Krux an, denn was ist der oder die Integra denn nun? Motorrad oder Roller? Als Roller verkleidetes Motorrad? Oder alles?
Ehrlich gesagt kann ich die Frage bis heute nicht wirklich beantworten, letztendlich ist es mir aber auch egal, denn wenn es einen Motor hat, macht es auch Spaß!

Natürlich führten auch ein paar sachliche Überlegungen zum Kauf des Integras. Die Vollverkleidung verspricht Ganzjahresfahrern einen ordentlichen Wind- bzw. Wetterschutz. Insgesamt wirkt die Maschine dabei nicht so wuchtig wie ein vollverkleideter Tourer, trotz 237 kg fahrfertig. Geringer Spritverbrauch und die von Honda traditionell zu erwartende Zuverlässigkeit sowie 12.000 km Inspektionsintervalle sind weitere Argumente.

Honda Integra NC750D auf dem HarzringIch bestellte die Maschine gleich mit dem optionalen Touring-Paket, bestehend aus Koffersystem, Topcase und Heizgriffen. Durch die „Ready to go“ Aktion spart man 10 % beim Zubehör und der Honda Vertragshändler baut einem gleich alles an. Der Listenpreis (Stand 10/15) beträgt inkl. Überführung fürs Bike 8805 Euro, 1420,92 Euro für das Zubehör und 150 Euro für die Sonderlackierung „Tricolor“ – alles zusammen also 10375,92 Euro. Nicht ganz wenig, aber den tollen Mittelklasse-Tourer NT 700 V Deauville hat Honda ja leider nicht mehr im Programm. Für den Integra spricht außerdem ein Ausstattungsdetail, das KEIN Tourer in dieser Klasse bieten kann: das Honda DCT!
DCT? Ok, kurz erklärt: Double Clutch Transmission, auf deutsch Doppelkupplungsgetriebe, ist ein Schaltgetriebe, das wahlweise per Tastensteuerung oder automatisch die Schaltvorgänge übernimmt. Es ist also keine stufenlose Automatik, wie man sie vom Roller kennt, sondern ein echtes Getriebe. Honda verbaut das DCT in verschiedenen Modellen und zugegebenermaßen war ich schon ein wenig skeptisch. Schließlich schalte ich seit fast 30 Jahren manuell und es gehört doch irgendwie dazu, oder?

Tacho Honda NC 750 D IntegraEin paar Monate und über 7000 Kilometer später nehme ich das Fazit zum DCT schon mal vorweg: Für mich ist es nach dem Kurven-ABS die Erfindung, die mich im Motorrad-Bereich in den letzten Jahren am meisten beeindruckt hat und zukünftig definitiv ein sehr überlegenswertes Kriterium bei der Motorrad-Wahl!

Doch zunächst zurück zum Integra – einigen wir uns darauf, dass es irgendwie ein Roller ist, zumindest was die Optik angeht. Rollertypische Details wie eine Triebsatzschwinge oder kleine Räder fehlen zwar, aber da achten die meisten Motorradfahrer eh nicht drauf. Hier gilt: kein Tank zwischen den Beinen = Roller. Wobei der Tank auch bei den anderen NC-Modellen unter der Sitzbank versteckt liegt, aber das nur am Rande.

Bauartbedingt fehlt dem Integra ein rollertypischer Durchstieg. Man kann sein Bein aber vorne herüberschwingen oder halt herkömmlich aufsteigen. Die Sitzposition ist subjektiv zwar niedrig, durch die breite Sitzbank kommen kurzbeinige Menschen aber nicht wirklich gut auf den Boden. Bei meinen nicht gerade riesigen 176 cm reicht es aber gut, um sicheren Stand zu haben.

Integra Zusatzfussrasten SitzpositionenDie Sitzhaltung ist wie bei Großrollern oder Crusiern üblich: Beine und Arme vorne, wobei man durch die Trittbretter die Haltung auch mal ändern kann – gerade auf längeren Strecken eine feine Sache. Durch den Anbau zusätzlicher Fußrasten, die ich über ebay.com aus Korea bestellt habe, kann man die Sitzhaltung noch weiter variieren. Klasse um den Rücken mal zu entlasten und um bei sportlicher Fahrweise besseren Beinschluss zu bekommen. Nachteil: kein Gutachten, also muss man sich ggf. selbst um eine Eintragung kümmern. Honda sollte die Teile echt in die Serie einfließen lassen, denn die sind genial!

Etwas klein fällt beim Integra das Staufach unter der Sitzbank aus, in dem man auch eine Ladesteckdose findet. Da haben die X und die S mit ihrem Helmfach (dort wo man den Tank vermutet) deutlich mehr zu bieten und eine Steckdose im Cockpit wäre fürs Navi praktischer.

Apropos Sitzbank: Wie fast alle originalen Sitzmöbel ist sie ein Kompromiss. Einen verbesserten Sitzkomfort bringt die Austauschsitzbank von SHAD für knapp 300 Euro. Generell gilt aber: Wer sein Motorrad länger als einen oder zwei Sommer fahren möchte, sollte sich unbedingt mit dem Sattler seines Vertrauens beraten. Eine individuell angepasste Sitzbank kostet nicht viel und erhöht den Fahrspaß ungemein! Überlegt mal, wie viele Stunden euer Po da drauf sitzt.

Ein Kompromiss ist auch das Fahrwerk des Integras, allerdings einer, mit dem man recht gut leben kann. Die Gabel könnte etwas feinfühliger ansprechen und beim Federbein fehlt eine Federbasis-Verstellung, die man ohne Ausbau des Federbeins oder gebrochene Finger erreicht. Aber auch mit zwei (schlanken) Erwachsenen kommt das Federbein in Werkseinstellung klar. Wer häufiger zu zweit unterwegs ist, sollte ruhig in ein Federbein mit Fernverstellung investieren.

Koffersystem Honda NC 750 D IntegraDie Bremsanlage arbeitet zuverlässig und überfordert den Fahrer nicht – eine nette Umschreibung dafür, dass ein geübter Fahrer sich mehr Biss wünscht. Da der Integra aber eigentlich nicht zum Heizen gedacht ist sondern eher die Tourer- oder Cruiserfraktion anspricht, passt die softe Auslegung schon. Notfalls helfen schärfere Bremsbeläge. Langt man ordentlich in die Bremse, regelt das serienmäßige ABS zuverlässig. Reingelangt wird übrigens mit beiden Händen, denn während die anderen DCT-Modelle herkömmlich über Hand- und Fußbremshebel verfügen, bremst der Integra beidhändig wie ein Roller. Als Umsteiger gilt es da etwas aufzupassen, denn sonst zieht man beim zackigen Durchladen mal voll die Hinterradbremse und der Fuß zuckt ins Leere, weil man wie gewohnt kuppeln und hochschalten will. Das passiert einem aber auch nur einmal, ehrlich …

Schleifspuren Honda NC 750 D IntegraEine sportliche Gangart macht mit dem Integra übrigens richtig Spaß. Die 55 PS reißen natürlich keine großen Bäume aus, ermöglichen gerade in Verbindung mit dem DCT aber ordentliche Fahrleistungen. Bei der Kradblatt-Leserreise im Harz ging mir der Kommentar eines Teilnehmers nach der inoffiziellen flotten Feierabendrunde runter wie Öl: „Ich hätte nicht gedacht, dass du mit dem Ding dranbleiben kannst“ – geht doch!
Beim Kurventraining auf dem Harzring kam der Integra indes an seine Grenzen – bzw. die der Schräglagenfreiheit, die durch den Hauptständer und die Unterverkleidung begrenzt ist. Wenn’s schleift ist man aber schon recht schräg und voll im Spaßbereich unterwegs.

Reifenempfehlung Metzeler M7RR Honda NC 750 D IntegraDie serienmäßigen Bridgestone BT23 haben sich im Harz recht gut geschlagen und haften bis zur Schräglagenbegrenzung. Sie sind aber doch eher für Kilometerfresser gedacht, brauchen etwas um auf Temperatur zu kommen, halten dafür hinten laut Berichten aus dem NC-Forum aber auch 10.000 bis 16.000 Kilometer. Zu Testzwecken montierten wir den Metzeler M7RR. Nun ist es sicher unfair, einen Touren- mit einem Sportreifen zu vergleichen, der Unterschied, vor allem beim Handling, ist aber wirklich erstaunlich. Daran wird neben dem Profil und der Mischung vor allem das Gewicht verantwortlich sein, denn der Metzeler wiegt gemessen hinten 400 Gramm und vorne fette 1100 Gramm weniger als der Bridgestone! Aktuell hat unser M7RR rund 4000 Kilometer runter und ich denke, auf mindestens 6000 wird er hinten kommen. Das ist der Spaß mehr als Wert. Auch auf den anderen NC-Modellen dürfte der Metzeler ähnlich überzeugen, sind die Fahrwerke doch nahezu gleich – probiert es mal aus und kommentiert diesen Artikel online.

Rechte Armamatur Honda NC 750 D IntegraKommen wir zu meinem persönlichen Highlight: dem DCT. Ich vermute mal, dass die meisten, die darüber lästern, es noch nie gefahren haben – oder nur eine kleine Runde beim Händler. Mir ging es ja ähnlich. Die Stunde des DCT schlägt hingegen im Alltag. Während einem bei einer Variomatik oder einem vollautomatischen Getriebe jede Eingriffsmöglichkeit fehlt, kann man das Honda DCT wahlweise in zwei Automatikmodi (sparsam „D“ oder sportlich „S“) oder manuell fahren. Geschaltet wird dabei links über zwei Tasten – Daumen runter, Zeigefinger hoch. Die Modi und die Schaltungsart werden rechts über Tasten gesteuert.

Ich bin praktisch nur im D-Modus unterwegs. Während ein Kollege in seinem Integra-Fahrbericht den D-Modus als überflüssig empfand, geht es mir mit dem S-Modus so. In D schaltet das DCT früh und verbrauchsschonend hoch. Der Motor fühlt sich dabei etwas „knurrig“ an – Smart-Diesel-Fahrer kennen das – zieht aber immer sauber durch. Dabei wird nicht stur nach Drehzahl geschaltet sondern auch die Gasgriffstellung einberechnet. Bei zügigen Beschleunigungsmanövern dreht die Elektronik die Gänge weiter aus.

Linke Armatur Honda NC 750 D IntegraWill man aus der Konstantfahrt heraus zügig beschleunigen, greift man entweder über die Minus-Schalttaste kontrolliert ein oder man dreht das Gas schnell auf (quasi ein Kickdown). Je nach Gasgriffstellung schaltet das DCT dann einen oder zwei Gänge runter. Das Getriebe kehrt danach von selbst in sein Programm zurück. Will man die Motorbremse nutzen, z. B. wenn man in eine Ortschaft rollt oder vor einer Kurve, funkt man der Automatik auch einfach durch Antippen der Runterschalten-Taste dazwischen. Falsch machen kann man weder im Automatik- noch im Schaltmodus etwas, denn Blödsinn, wie das mutwillige Überdrehen oder Abwürgen, verhindert die Schaltelektronik.
Die Prozedur liest sich evtl. etwas sperrig, funktioniert in der Praxis aber ausgesprochen gut. Wie wenig man das Schalten vermisst wird einem spätestens dann klar, wenn man auf ein Schaltmotorrad zurückkehrt. Schnell wünscht man sich ein DCT, nicht nur Innerorts oder im Stau. Auch Fahranfänger oder Wiedereinsteiger dürften ihre helle Freude dran haben. Probiert es bei eurem Honda-Vertragshändler unbedingt mal aus, egal ob im Integra oder den anderen DCT-Modellen!

Original vs Ixil Honda NC 750 D IntegraDie Automatik hat natürlich auch Grenzen und an die gelangt man beim fröhlichen Ballern in kurvigem Geläuf. Eine Sache kann sie nämlich nicht und das ist das Vorausdenken. Schaltet die Automatik z. B. in engen Wechselkurven zwischendurch hoch, verhagelt es einem die Linie. Da bleibt man einfach im manuellen Modus und schaltet bequem, ohne kuppeln zu müssen, über die Tasten.

Erfreulich ist bei den NC-Modellen immer wieder der Spritverbrauch. Ich trage meine Daten bei www.Spritmonitor.de ein: Der Schnitt im Alltag liegt aktuell bei 3,75 Liter je 100 Kilometer und das ohne herumzuschleichen! Maximal habe ich 5,36 Liter abgefackelt, wobei ich da 70 % Autobahn mit Tempo 160 gefahren bin, minimal waren es bisher 3,16 Liter/100 km bei gemütlicher Fahrt. Wir reden wohlgemerkt von einem 237 kg-Tourer. Meine 200er Duke brachte es im Schnitt auf 3,16 Liter, die 390er auf 3,84 Liter/100 km – beide Naked und jeweils 100 kg leichter!

Rechts am Kanal Honda NC 750 D IntegraAls sehr empfehlenswertes Zubehör erwies sich die Scheibenverstellung von ­Bruudt, die wir in Ausgabe 5/15 vorgestellt haben. Zwischen Krachhut und angenehmem Fahren liegen oft nur wenige Zentimeter. Eine Dauerreisegeschwindigkeit von 140–150 km/h lässt sich problemlos fahren. Ein sportlich kurzes Windschild von Malossi sah klasse aus, nervte aber bei jedem Helm und in jeder Stellung durch zu viele Verwirbelungen.
Wer partout etwas zwischen den Beinen braucht, kauft sich einen Tunnelbag. Quasi ein Tankrucksack. Einen von SHAD haben wir im Kradblatt 8/15 vorgestellt.

Mein Fazit: Leider sind Motorradfahrer – speziell in Deutschland – ja trotz aller zur Schau gestellten Coolness oft ein selten spießiges Volk. Da ziehen Biker sogar die Grußhand zurück, wenn sie potentiell einen Roller ausgemacht haben. Pfui! Wer hingegen einen Scheiß auf die Meinung anderer gibt und keinen auf dicke Hose machen muss, der erwirbt mit dem Honda NC 750 D Integra ein tolles und vielseitiges Tourenmotorrad, auch wenn es wie ein Roller aussieht. Ich freue mich schon auf die Saison 01/12-2016 und werde weiterhin grüßen …

PS: Einen Soundcheck vom Ixil Hyperlow gibt es auf unserem Youtube-Kanal 🙂