aus Kradblatt 1/23, Text: Mathias Thomaschek, Fotos: Gregor Schinner & Archiv

Mathias Thomaschek, Herausgeber der Motorradzeitschrift „Zweirad“ (unsere Kollegen im Raum Franken), war in jungen Jahren Testfahrer bei Hercules in Nürnberg. Im „Fwab-Modus“ ergriff er die Chance, noch einmal den legendären „Staubsauger“ zu fahren …

Was sind schon 50 Jahre? Motorradfahren hält jung …
Was sind schon 50 Jahre? Motorradfahren hält jung …

Mit zunehmendem Alter neigen viele dazu, in den „Fwab“-Modus zu verfallen. Fwab kennst du nicht? Dann bist du zu jung dafür. Fwab steht für „Früher war alles besser“ und ermöglicht die problemlose Glorifizierung vergangener Dinge und Erlebnisse, bis sie im Lauf der Zeit eine strahlende Aura umhüllt.
Auch ich neige zu Fwab, bemühe mich dann aber, sobald ich es bemerke, um deeskalierende Sachlichkeit. Oder werde im Ernstfall von übergeordneter Stelle, auch Gattin genannt, ziemlich rigoros eingebremst.

Genug der gescheiten Worte zu meiner und bestimmt auch vieler anderer jenseits der 50 befindlichen Vergangenheitsglorifizierer. Harry Poellot, den ich vom Mofarennen („Schrau-Bär“, hach, was waren das noch Zeiten!) und dem monatlichen Hercules-Stammtisch her kenne, ist der Mann für meine Zeitreise fast fünfzig Jahre rückwärts. Denn er besitzt eine fahrbereite Hercules Wankel W 2000, im Volksmund auch despektierlich „Staubsauger“ genannt. 

Genau dieses Motorrad war die Krönung meiner zwar kurzen, aber dafür intensiven Laufbahn als Versuchsfahrer bei Hercules in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. 

Hercules W2000 Wankel Montageband
Hercules W2000 Wankel Montageband

Mit dem Motorrad hatte ich schon deswegen viel Spaß, weil ich sonst mit Mofas und anderen Fünfzigern täglich mindestens 110, mit dem Mokick 180 und der K50 in verschiedenen Ausführungen 250 Kilometer auf die Uhr fahren musste. Oft wochenlang. Und ganz unter uns: Das war der einsamste Job, den ich in meinem Leben je gemacht habe. 

Dann begann eines Tages die Wankel-Erprobung – oder besser, die Dauererprobung eines für die Serie geplanten neuen Fünfgang-Getriebes. Das serienmäßige besaß sechs Schaltstufen, die für das vorhandene satte Drehmoment des Kreiskolbens völlig überkandidelt waren. Vier Gänge hätten locker gereicht.

Aber man verwendete es, weil zum Wankel-Serienstart bei Rotax gerade nichts besseres günstig im Regal lag, als ein Sechsgang-Moto-Cross-Getriebe. Und bei Hercules durfte es immer alles sein. Außer teuer. Weil scheinbar selbst in der Firmenleitung niemand so richtig an die Zukunft des Kreiskolbens glaubte.Ich war damals 22 Jahre alt und hatte – auch privat – bis dorthin nur kleinvolumige Fahrzeuge bewegt. Da war – und nun kommen wir wieder zum Fwab – ein richtiges Motorrad mit 27 PS und 140 km/h Spitze schon ganz was anderes. 

Wochenlang kreisten wir im Zweischichtbetrieb zum Autobahndreieck Altdorf, dann auf der A3 bis zur Ausfahrt Neumarkt. Weiter gings auf der B 299 über Kastl und Ursensollen zur Ausfahrt Amberg West der A6. Vom und zum Werk in der Nopitschstraße mussten wir noch den Zacken über das Nürnberger Kreuz fahren, weil der Lückenschluss der A6 zwischen der A9 und der A3 noch nicht existierte.

Also raus aus dem Werk, bis zum AD Altdorf, dann viermal rum, nach zwei Runden in Ursensollen nachtanken, weil der Motor kein Kostverächter war – und wieder rein ins Werk. Die Spätschicht dauerte von 14 bis 22 Uhr, den Nachtpförtner interessierte nicht, wann wir wieder zurückkamen. Und stempeln war auch nicht, weil das Lohnbüro sonst durcheinander kam. 

Ich fuhr diese Spätschicht gern. Dann wurde am Seil gezogen, was der Wankelmotor hergab. Meistens war ich schon gegen 20 Uhr zurück, so blieb noch was vom Abend. Es war eine herrliche Fahrerei! Gut, die Autobahnpassagen eher langweilig, dafür aber das Zwischenstück traumhaft. Nach ein paar Runden kannte ich jede Kurve, wusste, was ging – und wo man aufpassen musste. Du merkst, ich komme ins Schwärmen? Typisch Fwab.

Zurück zur Gegenwart! Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, in diesem Leben noch einmal mit einer Wankel zu fahren. Nicht, dass ich inzwischen genug verschiedene Testmotorräder bewegt hätte. Grob überschlagen dürften es wohl so um die 300 gewesen sein.

Vielleicht war das mit der Wankel aber auch so, als wünscht man sich, seine erste große Liebe nach langer Zeit noch einmal wiederzusehen. Da ist er wieder, der Fwab!

Hercules W2000
Harry und Mathias auf Erinnerungsreise

Harry gab mir auf meine vorsichtig vorgetragene Frage nach einer Realisierung nur die für ihn typische Antwort: „Du wirst schon nix kaputt machen. Wann willst du denn?“ Ab da gingen die Wochen ins Land, der Sommer raste vorbei und entweder passten unsere Termine nicht zusammen oder das Wetter war nicht oldtimerwürdig.

Dann endlich, Anfang September, klappte es. Als Joker kam für mich gleich noch der nächste Flashback dazu. Seine Garage liegt in Erlangen nur 200 Meter von meinem früheren Zuhause weg. Wie viele Jahre war ich hier nicht mehr gewesen? Zurück in meinem alten Kiez. Und weil ich mir Dinge ganz gut merken kann, fielen mir schon auf der Anfahrt tausend Geschichten ein. Solche – und solche. Fwab und Fwamnsg. Früher war auch manches nicht so gut. Gregor begleitete uns mit seiner GS und schoss tollkühn in voller Fahrt Fotos. Harry fuhr eine in Ehren ergraute Moto Guzzi. Sie ist eines von über 70 Fahrzeugen aus seinem Privatmuseum.

Hercules W2000
Tipps für die Tour

Und ich saß nach den vielen Jahren real wieder auf einer Original Hercules W 2000. Stimmt – abbocken ließ sie sich schon früher immer so schwer, und die ellenlangen Schaltwege hatte ich inzwischen auch verdrängt. Statt eines Schiebe/Druckschalters gibt’s zum Blinken einen Drehhebel à la Bundeswehrmodell. Und der rechte Außenspiegel fehlt serienmäßig, weil er (noch) nicht vorgeschrieben war. 

Mit jedem Kilometer kommen mehr Erinnerungen an die frühere Testfahrerei zurück. Wir waren mit dem Wankel ja nicht nur auf der oben beschriebenen Route unterwegs, ich bin mit ihr und den Kleinfahrzeugen auch oft durch die Fränkische Alb gedüst. Immer nach dem Motto: Je geringer die Motorleistung, umso mehr musst du im Tal bleiben. Bergaufstiege verdarben den Schnitt, kosteten Zeit und verhinderten damit Dinge, die man in den, einschließlich Pausen, achtdreiviertel Stunden sonst noch anstellen konnte. Ich sag nur: Fwab! 

Die Hercules W 2000 unter mir überrascht auf schlechten Straßen durch ihren Fahrwerkskomfort. Den Technikern gelang mit ihr bereits in den 70ern, dank einer Ceriani-Gabel und selbst ohne Zentralfederbein und Hebel an der Schwinge, ein gelungener Kompromiss zwischen Straßenlage und Komfort. Die Fahrwerkseckdaten des „weltweit ersten Serienmotorrades mit Kreiskolbenmotor“ sind übrigens mit denen der Yamaha RD 250 identisch. Woher ich das weiß? Weil die Yamse bei der Konstruktion des Rahmens für die erste Serie zufällig bei Hercules als Konkurrenzvergleich auf dem Versuchshof stand. Lineal, Maßband, Winkelmesser – fertig.

Hercules W2000
Besuch im alten Kiez

Die ersten Meter durch Erlangen hinaus auf die A 73 bin ich hauptsächlich mit Aufpassen beschäftigt. Die Scheibenbremse lässt zwar eine gewisse Verzögerung spüren, ist aber mit heutigen Stoppern nicht mehr vergleichbar. Und ich soll ja nix kaputt machen. Also vorausschauend fahren!

Endlich sind wir auf der Autobahn Richtung Norden und so ganz langsam kriecht die Vergangenheit in mein Gedächtnis. Der Klang des Motors, der dem Fahrer alles andere als der eines „Staubsaugers“ vorkommt – jetzt ist er wieder zurück. Vorsichtshalber hatte ich den Gehörschutz in der Jackentasche gelassen, es soll ja das pure Vergnügen werden.

Ausgemacht war der Ritt zum Bikertreff „Kathi-Bräu“. Die 50 Kilometer erscheinen mir und der W 2000 als altersgerechte Entfernung. Deswegen geht es auf der hundertfach heruntergespulten Route von Forchheim-Süd über Gosberg, Kirchehrenbach und Pretzfeld nach Ebermannstadt. Danach ab Gasseldorf das Leinleitertal hinauf, hinter Heiligenstadt rechts weg über die Hochfläche der Fränkischen, dann runter und rein nach Aufseß. Dort immer schön unter 50 km/h bleiben; die Jungs mit den Adidas-Streifen an ihren Uniformhosen hantieren hier gern aus der Deckung des Bushäuschens heraus mit ihrem elektronischen Spaßverderber. 

Inzwischen meldet sich nicht nur mein Magen, sondern auch der Hintern. War die Bank schon früher so hart, oder ich noch nicht so verwöhnt? Der Berg nach Aufseß zieht sich heute etwas, das hatte ich anders in Erinnerung. Habe ich etwa seit den Siebzigern zugenommen? Dann rollen wir schon in Formation auf den heute recht übersichtlichen Parkplatz in Heckenhof ein.

Ich habe den Helm noch nicht abgenommen, da stehen bereits die ersten Interessierten um den Exoten, der selbst auf diesem Welttreffpunkt der Bikes aus Franken und Umgebung nicht allzu oft zu sehen ist. Die älteren erinnern sich noch an das Motorrad, die anderen staunen einfach; und wollen dann den Motor erklärt haben. Harry kennt das, er zieht professionell ein eingeschweißtes Infoblatt unter der aufklappbaren Sitzbank raus. „Ich muss sonst ständig erklären, wie ein Kreiskolbenmotor funktioniert.“ Hängt es an den Lenker und hat ab sofort seine Ruhe.

Die Hercules W2000 zieht beim Kathi-Bräu die Blicke auf sich
Die W2000 zieht beim Kathi-Bräu die Blicke auf sich

Obwohl es heute ein schaschlikloser Mittwoch ist und die Sonne frei hat, herrscht beim Kathi-Wirt wie immer ziemlich Betrieb. Vor allem Ruheständler, die dem Treiben am Wochenende entgehen wollen, sitzen heute im Biergarten, die GS ist auf dem Parkplatz in der Überzahl.

Wir bleiben länger sitzen als geplant, erzählen uns noch diverse Fwab-Geschichten und ich verdränge völlig problemlos den Gedanken an die heute liegenbleibende Verlagsarbeit. Erst am späten Nachmittag machen wir uns wieder auf den Heimweg. Die Wankel schnurrt und die Bilder vor meinem geistigen Auge werden wieder dichter. Ich beschließe deshalb irgendwo zwischen Kirchehrenbach und Gosberg: Was war das damals für eine geile Zeit!

Natürlich zieht das Motorrad bei jedem Ampelstopp die Blicke der Experten (Daumen hoch) und anderer Menschen (Hä?) auf sich und treibt den neben mir haltenden voll aufmunitionierten GS-Rallye-Fahrer zumindest virtuell in die seelische Verzweiflung. Da nützen ihm heute auch seine drei Scheinwerfer nichts.

Ohne weitere Vorkommnisse erreichen wir Harrys Garage. Der Onkel seiner Gattin, einer der beiden ehemaligen Bäckereibrüder und weltbester Brasselkuchenhersteller (Fwab!) in unserer Siedlung begrüßt uns. Beim Absteigen muss ich dann fairerweise feststellen, dass das Motorrad die vergangenen gut 45 Jahre besser als mein Kreuz weggesteckt hat. Da wird das Fwab zur Realität.

Ob ich mir als alter Herculaner heute eine W 2000 kaufen würde, falls mir eine angeboten werden würde, die keine Mondpreise kostet? Ganz ehrlich? Nein! Aus Fwab wird in diesem Fall Fwaa.
Was soll das nun schon wieder sein?
Na: Früher war alles anders. Jede Zeit hat ihre Zeit, und nur noch heulend in der Vergangenheit zu schwelgen – das kann’s ja auch nicht immer sein.

Andererseits: Beim Verabschieden vom Harry, der mir einen tollen Tag mit viel Fahrspaß, aber auch Nachdenkarbeit ermöglicht hat, lasse ich eher beiläufig einfließen: Nächstes Jahr sind es genau 50 Jahre her, als ich mit meiner damals brandneuen eigenen Hercules K 50 SE von einer Garage nur einen Steinwurf weit entfernt zu meiner ersten KKR-Tour aufgebrochen bin. 

Mit drei weiteren „Fuchdzger“-Kumpels ging es genau zu jenem Parkplatz im Ailsbachtal, der es später in fränkischen Hartbiker-Kreisen durch das dort jährlich stattfindende Nikolaustreffen zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat. War damals reiner Zufall, ist aber durch ein Farbfoto belegt.

Harry schaut mich mit gespielter Fassungslosigkeit an: „Wo ist das Problem? Eine SE im Originalzu­stand habe ich ja. Wann fahr‘ mern?“ Ratet mal, was ihr in einem Jahr – so die Welt noch existiert und ich fit bin – hier für eine Geschichte lesen werdet?

Um die letzten W 2000 kümmert sich u.  a. auch die Hercules Wankel IG. Im Internet unter www.hercules-wankel-ig.de zu finden.