aus Kradblatt-Ausgabe 5/24, von Gregor Schütz
Von Sanremo nach Sestriere
Als ich den Anmeldeknopf für die Hardalpitour Discovery 2023 drückte, durchzuckte mich kurz die Sorge: „Ist meine Kati nicht eigentlich zu schwer für die HAT?“ Doch die Aufregung überwog und ich meldete mich an, den Gedanken diese Herausforderung zu meistern bereits fest im Blick.
Um die Rallye nicht allein zu bestreiten, denn Teams waren für diese anspruchsvolle Tour dringend empfohlen und ab der Classic-Klasse sogar verpflichtend, überredete ich rasch Hinne, sich ebenfalls anzumelden. Ungleicher konnten unsere Motorräder nicht sein, Hinne mit seiner wieselflinken Fantic Caballero Rallye 500 mit knapp über den geforderten 150 kg Kampfgewicht, 40 PS und 40,2 Nm und ich mit meiner nagelneuen KTM Superadventure 1290 R, 243 kg, sackschwer, dafür als echtes Beast mit 160 PS und 143 Nm gesegnet.
Gemeinsam machten wir uns nach diversen gemeinsamen TET- und Test-Ausritten im Vorfeld Anfang September auf den Weg. Wir sattelten unsere Motorräder und reisten von Oldenburg über Luxemburg und Genf, entlang der legendären Grand Alps Route vom Genfer See nach Sanremo an.
Angekommen trafen wir auf 530 andere rallyebegeisterte Gleichgesinnte und unseren Freund Schrödi mit seiner BMW R 1250 GS und fanden uns freitags in diesem exklusiven Urlaubsort ein. Wir registrierten uns und ich konnte noch meinen mitgebrachten Reifen wechseln lassen, ehe es direkt zum Fahrer-Briefing ins Casino von Sanremo ging. Unglaublich für deutsche Verhältnisse: Hier erschienen Motorradfahrer teilweise in Offroad-Kleidung in einer so ehrwürdigen Institution. Doch in Italien werden Motorradfahrer noch als Helden verehrt. Inmitten von 21 Nationen, Werksteams und den „Dickschiffen“ in der Extreme-1000-Klasse, die sich bereit machten, die 985 km in nur 2,5 Tagen – Tag und Nacht – zu bewältigen, fühlte man sich selbst als Laie wie ein Rallye-Star.
Am nächsten Tag wird es ernst: Hektisch wird im Rallye-Zirkus versucht eine Ordnung herzustellen, damit jeder rechtzeitig das Starttor passieren kann. Mit dem Gefühl des Stolzes fahren wir auf die Rampe und werden dort erst mal ausführlich vom Rallye-Gründer auf Italienisch interviewt, obwohl wir kein Wort verstehen – ein unfreiwillig komischer Moment mit Blitzlichtgewitter.
Dann setzt sich alles plötzlich in Bewegung. Über malerische, meist einspurige Gässchen verlässt man Sanremo, immer wieder das Meer im Blick. Es geht hinauf in die Berge, bis plötzlich und unerwartet eine scharfe Linksabzweigung auf einen steinigen Singletrail führt, der es in sich hat. Ich hoffe, dass die nächsten 500 km nicht ebenso anspruchsvoll sind, durchzuckt es mich. Nach einigen Kilometern kehren wir jedoch zurück auf Asphalt, was meinen Handgelenken und Beinen eine willkommene Entspannung bietet, bevor wir erneut in unwegsames Gelände eintauchen.
Als erste Station erreichen wir den Frühstücks-/Mittagsstopp, wo der Veranstalter für niveauvolle Live-Musik und ein überwältigendes Buffet gesorgt hat. Von dort aus geht es weiter über unzählige Waldwege, Schotterstraßen und Geröllfelder.
Müde, aber glücklich erreichen wir rechtzeitig vor der Dunkelheit das inkludierte Gemeinschaftsabendessen in der Kleinstadt Boves. Dort werden die ankommenden Adventure-Biker auf dem Marktplatz wie Gladiatoren gefeiert.
Unter dem Markthallendach von Boves verbringen wir eine unruhige Nacht, da es in Boves leider keinen Campingplatz gibt. Da die verschiedenen Rallye-Klassen unterschiedliche Streckenführung und -längen haben, herrscht die ganze Nacht ein Kommen und Gehen. Leicht gerädert machen wir uns am nächsten Morgen in Richtung der Cottischen Alpen auf. Erster Schreckmoment beim Frühstückstopp, Hinnes Taschenhalter ist gebrochen, der Seitenständer neigt sich gen Mekka und das Auspuffblech hat die einzige Schraube verloren, hängt aber noch am Moped. Irgendwie geht es trotz der leichten italienischen Materialschwächen weiter Richtung Nord-Piemont.
Der Weg dorthin ist gespickt mit Herausforderungen, vor allem durch steile Anstiege und Geröllbrocken in der Größe von Volleybällen, die manch einen Reiter zum unfreiwilligen Abstieg zwingen. Im Skigebiet Prato Nevoso, ist ein besonders anspruchsvoller Abschnitt. „Meine KTM Superduke 1290 R ist wirklich nicht für diese Art der Fortbewegung gemacht“, schießt es mir durch den Kopf, und ich male mir in Gedanken schon aus, wie ich neben meinen Mitstreitern im Staub liege. Doch die Kati klettert unermüdlich über jeden Felsbrocken, ohne Anstalten zu machen, mich abzuwerfen – eine Lektion in Respekt vor der Offroad-Traktionskontrolle, sprich dem Rallye-Modus, und dem beeindruckenden 21-Zoll-Vorderrad mit der exzellenten Dunlop Trailmax Raid-Bereifung. Die hat sich auch schon auf dem ACT-Pyrenees und bei der KTM Rally Norway (siehe Archiv www.Kradblatt.de, Ausgabe 9/23) bestens geschlagen!
Bei Regen wäre es sicherlich nicht so „einfach“ gewesen, doch dieser Gedanke verschwendet keine Zeit in meinem Kopf. Denn ich wurde mehrmals von Kove-Gründer und chinesischem Offroad-Meister Zhang Xue in seiner brandneuen Kove 450 Rally überholt, die für Promotion-Zwecke an dieser Rallye teilnimmt. Kettenrauchend und ausschließlich chinesisch sprechend springt dieses Entrepreneur- und Motocrossgenie auf die hochbeinige Kove wie ein Catweazle. Respekt, ein Name, den wir uns noch merken müssen.
Weiter geht es in Richtung Assietta-Kammstraße, einem der vielen Highlights dieser Rallye. Diese viel befahrene Schotter- und Geröllstrecke geht über mehrere Gipfel der Cottischen Alpen und belohnt mit grandiosen Ausblicken. Bei den vorherrschenden trockenen Bedingungen sind die rund 50 km mit 8 Pässen zwischen 2000 und 2500 Metern nicht allzu anspruchsvoll.
Dies spiegelt sich auch in der Fahrzeug-Auswahl der anderen Verkehrsteilnehmer wider und nicht selten wird diese Hochalpenstrecke auch von Vespas bezwungen.
Einzig die steilen Abgründe links und rechts der Kammstraße sind respekteinflößend und ich möchte mir nicht ausmalen, wie man bei Nacht und gleichzeitiger Staubfahne des Vordermanns diese Strecke sicher bewältigen kann.
Da wirkt der nächste Zwischenfall schon fast wie ein Fällchen: Hinne hat sein Kennzeichen verloren. Mit Hilfe der vielen Foto- und Drohnenaufnahmen können wir den Suchradius eingrenzen und finden das Kennzeichen – mehrfach überfahren, aber vollständig und lesbar – nach kurzer Zeit wieder.
Die restliche Strecke vergeht wie im Flug, da der Ausblick auf das mächtige Skigebiet rund um Sestriere fesselt und ich fast schon ein bisschen traurig bin, dass dieses Abenteuer sich dem Ende neigt.
Die obligatorische Tordurchfahrt beim Ziel lässt einen wieder wie einen Dakar-Gewinner fühlen und dann gibt es das ebenso obligatorische Ziel-Bier, das so gut wie nichts auf der Welt in diesem Moment schmeckt.
Leider bleibt es bei einem Bier, da wir hier den Heimweg antreten und das nächste Ziel, einen Campingplatz in Frankreich schon im Visier haben. Nebenbei nehmen wir noch einen der höchsten Alpenpässe auf dem Weg mit, den Col du Galibier (2642 m).
Kaum zuhause angekommen, wird schon die Planung für die nächste HardAlpiTour in Angriff genommen und so führt der HAT-Virus zu einer erneuten Buchung, diesmal ganz mutig in der Classic Variante, da wir uns jetzt ja schon irgendwie zu den HAT-Veteranen zählen dürfen. Wir sind gespannt …
Was ist die HardAlpiTour? / Infos:
Die HAT ist mittlerweile Teil der sogenannten HATSeries, einer Reihe von Rallye-Veranstaltungen im Piemont und Ligurien. Sie findet 2024 vom 6. bis 8. September schon zum 16. Mal statt und ist in verschiedene Klassen/Schwierigkeitsstufen aufgeteilt. Es geht dabei nicht um Schnelligkeit sondern ums Ankommen. Dieses Jahr kommt zu den bekannten Kategorien noch die HAT Challenge dazu:
VINTAGE HAT: reserviert für Motorräder, die vor 1994 zugelassen sind, Dauer 1 Tag, ca. 300 km
HAT DISCOVERY: Einstiegsklasse, Dauer 2 Tage, ca. 500 km
HAT CLASSIC: das traditionelle 2-Tages Abenteuer, ca. 600 km
HAT EXTREME: für die härtesten Herausforderer vorbehaltene Rallye, 36 Stunden mit 2 Nächten, ca. 900 km, limitiere Teilnehmerzahl
HAT CHALLENGE: reserviert für Motorradfahrer, die bereits mindestens einmal an der HAT teilgenommen haben, ca. 40 Stunden Fahrdauer und ebenfalls 2 Nächten, ca. 900 km, limitiert auf 40 Teilnehmer, neue, herausfordernde Tracks mit neuer Streckenführung
Der Off-Road-Anteil variiert zwischen 30% bei der Vintage und 70% bei der Extreme und findet ausschließlich auf öffentlichen Straßen statt. Ab der Classic-Variante sind Teamgrößen von 3 Fahrern Vorschrift und es wird nach bereitgestellten GPX-Tracks navigiert. Die Motorräder müssen mindestens 150 kg wiegen, straßenzugelassen und lärmgetestet sein.
Man bekommt einen GPS-Tracker gegen Kaution und muss bestimmte unmarkierte Wegpunkte passieren um am Ende die beliebte Urkunde für die Marathon-Wertung zu bekommen. Diese wird ein paar Tage nach der Rallye nach Auswertung aller Daten verschickt.
Vom Veranstalter wird auch ein medizinischer Dienst und logistische Unterstützung gewährleistet, falls man doch mal abfliegt. Des Weiteren gibt es unterwegs insgesamt 6 Verpflegungsstationen und einen Gepäcktransport von Sanremo nach Sestriere.
Infos & Anmeldung: www.hatseries.com
Empfehlenswerte Karten zur Vorbereitung: Piemont-Aostatal (Michelin 351), 1:200 000, ISBN 9782067127135, 9.90 CHF; Ligurien (Michelin 352), 1:200 000, ISBN 9782067126510, 10.05 CHF, Aostatal, Piemont u. Ligurien (Michelin 561), 1:400 000, ISBN 9782067228450, 13.60 CHF
Von uns für die Tour gebuchte Unterkünfte:
Hotel Avancher***, Avenue du Prariond, 73150 Val d’Isère (FR), Tel. (+33) 4 79 06 02 00, www.avancher.com, Übernachtung mit Frühstück im Doppelzimmer 60 €/Pers.; Gutes Preis-/Leistungsverhältnis, Motorradgarage.
Hotel Casa Cesana**, Viale sen. Bouvier, 10054 Cesana Torinese (IT), Tel. (+39) 0 12 28 94 62, www.hotelcasacesana.com/en, Übernachtung mit Frühstück im Dreibett- Zimmer 52 €/Pers.
Hotel Marinella***, Via G. Ruffini, 21 – C.so Raimondo, 143, 18038 Sanremo (IT), Tel. (+39) 0184 50 59 00, www.hotelmarinella.it, Übernachtung mit Frühstück im Dreibett-Zimmer 44 €/Pers.; Keine 300 m vom Start der Hardalpitour entfernt.
Hotel Le Malgovert***, 33 Rue Celestin Freppaz, 73700 Séez (FR) Tel. (+33) 04 79 41 00 41, www.lemalgovert.fr; Übernachtung mit Frühstück im Einzelzimmer 85 €, sogar mit Motorradgarage.
—
Kommentare