aus Kradblatt 6/18
von Marcus Lacroix

Unter Strom: Energica Ego

Energica Ego, Modell 2017

Ich weiß nicht, woran es liegt – aber elektrischer Strom hat mich schon immer begeistert. Als Kind spielte ich mit Fischertechnik-Elektrik, als Jugendlicher „durfte“ ich beim unachtsamen Basteln mal die Kraft von 220 Volt in den eigenen Fingern spüren, eine Radio-Fernseh-Techniker Ausbildung folgte und bei der NATO war’s dann die Nachrichtentechnik. Auch beim Schrauben am Motorrad war mir die Elektrik nie fremd oder unheimlich.

Vor einigen Jahren konnte ich dann einen C-evolution fahren, den elektrischen Großroller von BMW. Einfach nur geil, ich war angefixt!

Ein vorübergehend angeschaffter kleiner E-Roller für die Stadt ging nach einem Jahr wieder – der machte mich zu faul, weil einfach super-bequem. Für Kurzstrecken nehme ich dann doch lieber ein klassisches Pettmanselbst.

Energica Ego, Modell 2017Der eigene Umbau eines Motorrades auf E-Betrieb scheiterte vor allem am Geldbeutel. „Electric-Conversion-Kits“, die man in den USA schon länger fertig konfiguriert kaufen kann, kosten als Selbstimport richtig Schotter.

2016 fütterte ein Fahrbericht der Zero DSR fürs Kradblatt meinen E-Virus, 2017 ein Zero-Reisebericht und die Energica Eva Vorstellung (beides in KB 11/17). Das ging alles schon in die richtige Richtung.

Im Mai 2018 folgte jetzt der nächste Schritt, ich durfte eine Energica Ego aus privater Hand fahren. Davon wird es in Deutschland wohl nur sehr wenige geben (wenn überhaupt) und entsprechend aufgeregt war ich vor der Fahrt. Eine Ducati Panigale V4S spielt preislich in der gleichen Liga und so etwas Exklusives bewegt man nicht alle Tage. 

Energica ist übrigens eine italienische Firma, die zum Hightech Unternehmen CRP Group gehört und elektrisch angetriebene Motorräder baut. Energica stellt 2019 die Motorräder für den FIM Enel MotoE World Cup und die dort eingesetzte Ego Corsa ist der Serien-Ego sehr nahe (www.energicamotor.com).

Die wertig gemachte Ego gefällt direkt durch saubere Verarbeitung und ihr markantes Erscheinungsbild. Die erste Sitzprobe auf der Energica Ego bestätigte allerdings meine bisherige Einstellung zu Supersportlern: die sind nichts für mich. Bei gerade mal 174 cm spannt es mich zu sehr über den „Tank“, die Last auf den Händen und der Kopf im Nacken ist im Alltag nichts für meinen eh schon lädierten Rücken. Aber egal, darum geht es ja gar nicht. Die Ego gibt es aber als Eva und als EsseEsse9 (benannt nach der Strada Statale 9, der „Via Emilia“) auch als Naked Bikes mit angenehmer Sitzposition und fast gleicher Technik.

Auffällig ist das hohe Gewicht, bedingt durch den derzeitigen Stand der Akku-Technik. Laut MCN sind es 258 kg, Energica schreibt auf seiner Website nichts dazu. Für einen Supersportler eigentlich indiskutabel – der Eigentümer „meiner“ Ego hatte bei einem Sportfahrer-Training auf der Rundstrecke aber schon viel Spaß mit ihr, der nächste Einsatz in Assen steht bevor. Den Reifen sah man den Spaß deutlich an.

„Zündung“ auf ein, Bremse ziehen, Startknopf drücken – die grüne „Go“-Anzeige signalisiert: der Motor läuft. Also nicht wirklich, aber ein Dreh am „Gasgriff“ wird ab jetzt in Vortrieb umgesetzt. Ride by wire ist nichts Neues mehr, trifft es hier aber sehr korrekt.

Zunächst muss ich aber rückwärts aus der Garage raus und auf einem engen Hof wenden. Die Energica hat dafür einen Vor- und Zurück-Rangiermodus, der über den Gasgriff gesteuert wird. Sehr angenehm, könnte ich öfter brauchen!

Auf geht’s, ein Dreh am Gasgriff reicht. Kuppeln und schalten kann man sich sparen – DANKE! Diesen Anachronismus werde ich nie vermissen und verstehe auch nicht, was daran toll sein soll, die Unzulänglichkeiten eines Verbrennungsmotors durch ständiges Rühren in einem Getriebe wettmachen zu müssen. Am Rande hier ein Hoch auf Hondas DCT, für mich bei Motorrädern die beste Erfindung seit ABS!

Die Gas- bzw. Stromannahme der Ego gestaltet sich sehr benutzerfreundlich. Immerhin drückt der Motor 200 Nm – und das jederzeit. Die Elektronik steuert den Leistungseinsatz und die Traktion, bei 240 km/h riegelt sie allerdings ab.

Im gut zu bedienenden Menü, auf dem leuchtstarken und mit vielen Infos ausgestatteten TFT-Display, kann man aus vier Fahrmodi und vier Rekuperationsstufen, die für sich passende Konfiguration zusammenklicken. Auch während der Fahrt. Als Rekuperation bezeichnet man dabei die Energierückgewinnung des E-Motors im Schiebebetrieb. Da, wo beim Verbrenner der Motor beim Gaswegnehmen durch die Verdichtung das Motorrad bremst (aber leider kein Sprit in den Tank zurück fließt), arbeitet der E-Motor quasi wie ein Dynamo und liefert Strom für den Akku. Ein wichtiger Punkt, denn Strom hat ein E-Fahrer eigentlich nie genug und vorausschauendes Fahren mit maximalem Einsatz der „Motorbremse“ erhöht die Reichweite.

Und wie fährt sich das Elektromobil nun? Einfach nur GEIL! Wie eine Straßenbahn auf Dope. Ohne Witz, ich würde am liebsten sofort wechseln. Ich brauche keinen Benzingeruch, kein Vibrieren, kein Abgas, keine Schaltung, keinen Auspuff­sound. Meinen Fahrspaß ziehe ich aus der dynamischen Bewegung – und Fahrspaß bietet die Energica reichlich. 

Energica Ego an DC-SchnellladerWirklich lautlos ist die Energica Ego dabei aber leider nicht. Unterhalb von 100 km/h hört man den E-Motor bzw. das Übersetzungsgetriebe auf die Kette. Es klingt „elektromechanisch“ und wird beim Gasaufreißen kurz zu einem hohem Pfeifen. Und dabei beamt es einen so überraschend schnell vorwärts, dass ich mich beim ersten Mal glatt erschrocken habe – zack, werden die Arme lang. Insgesamt passt der Sound aber gut zur Technik und beschert einem manchen Hingucker.

Überhaupt sollte man nicht schüchtern sein, als Ego-Fahrer kommt man schnell ins Gespräch. Selbst an der Ampel … „Du bist doch gerade an uns vorbei gefahren, ist die elektrisch? Wie geht die so?“ So viel direktes und positives Feedback bekam ich bei einer Probefahrt bisher nur mit einer Royal Enfield, quasi dem anderen Ende der Hightech-Skala. Und es sind auch hier oft eher jüngere Menschen, die sich begeistern. Das lässt hoffen …

Die Energica Ego arbeitet ansonsten so, wie man es erwartet. Das ist kein Wunder, Komponenten von Marzocchi, Brembo, Bosch usw. kennt man auch aus anderen Bikes. Das Bosch-ABS ist bei der Ego abschaltbar, dafür muss man aber wohl ein wirklich hohes Fahrniveau auf dem Racetrack haben. Überall sonst macht das für mich keinen Sinn.

Energica Ego - Ladezeit an herkömmlicher 220 Volt Steckdose Größtes Manko bei Elektromotorrädern ist immer noch die Reichweite. Bei meinem normalen Fahrstil ist der Tank nach ca. 130 Kilometern trocken. Zieht man auf der Autobahn richtig am Kabel, hört man fast, wie die Elektronen aus dem Akku flitzen. Ein Pluspunkt für Energica ist hier (neben einem integrierten 3 kW Wechselspannungslader (AC) der 20 kW Schnelllade-Anschluss für Gleichstrom (DC). 85 % Ladung in 30 Minuten sind so möglich. Gegenüber den vier Stunden an einer 220 Volt-Steckdose ein echter Vorteil. Die Ego lässt sich via Bluetooth mit dem Smartphone koppeln und blendet a.W. beim Erreichen der Reserve die fünf nächstgelegenen Ladestationen ein.

Längere Touren bedürfen allerdings etwas Vorplanung, was dank diverser Apps kein echtes Problem ist – ohne Schnelllader sind die Pausen sonst zu lang. Bei Ausfahrten mit einer Benziner-Gruppe freut man sich so über jeden Raucher oder Kaffee-Junkie. Da ich bevorzugt alleine unterwegs bin, stört es mich nicht so sehr.

Energica Ego - Hausstrecke ohne zu tankenWas mich persönlich hingegen eher stört, sind die öffentlichen Ladestationen. Warum kann ich nicht wie beim Tanken mit einer EC-Karte bezahlen? Oder zumindest mit einem bundeseinheitlichen Bezahldienst? Warum haben die Ladesäulen nicht mehr Plätze? Warum gibt es nicht für alle Steckertypen eingebaute Ladekabel (oder ein Kabel mit Adaptern)? An der Tanke bringe ich meinen Benzinschlauch schließlich auch nicht mit! Und warum werden nicht einfach alle herkömmlichen Tankstellen mit Schnellladestationen ergänzt? Sorry liebe Bundesregierung, aber statt einer bescheuerten E-Prämie für Besserverdienende wünsche ich mir hier mehr Engagement und staatliche Regelung. Dass jeder Energieversorger sein eigenes Süppchen kocht, ist nicht zeitgemäß. Für Pendler, die nur zuhause bzw. in der Firma laden, ist das natürlich kein Problem.

Umwelt-Diskussionen zur E-Mobilität kann man sich gerade als Motorradfahrer übrigens schenken, verballern wir doch literweise fossile Brennstoffe größtenteils eh nur just for fun. Beim Strom gibt es immerhin die regenerative Option. Was für mich zählt, ist der pure Fahrspaß. 

Ich freue mich schon auf weitere E-Motorräder und wer weiß, demnächst evtl. mit Brennstoffzelle und mehr Reichweite. Benziner haben immerhin über 100 Jahre Entwicklungsvorsprung. Eine Energica würde ich aber heute schon fahren wollen – Zeit, mein Sparschwein zu füttern …

Die von mir gefahrene Energica wurde von Zweirad Coors aus 33803 Steinhagen ausgeliefert. Telefon 05204-8899988, www.coors-zweirad.de.