aus Kradblatt-Ausgabe 5/24, von Volker Schütte

Leidenschaft, die keine Leiden schafft

Seit Vorstellung der R nineT verdreht mir diese immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf. Zum einen finde ich sie unglaublich sexy und wertig, zum anderen höre ich den Sound aus dem Serien-Doppelakra aus allen anderen Mopeds heraus: was für ein herrlich dumpfes Grollen, Spratzeln und Blubbern! Ein traumhafter Klang, der Gehör verschafft, ohne zu nerven.

Eines der schönsten BMW-Modelle, die R nineT mit Alutank
Eines der schönsten BMW-Modelle, die R nineT mit Alutank

2014 kam sie zu den Händlern in die Ausstellungsräume. BMW hat sich diese Schönheit zum 90sten Geburtstag geschenkt und war selbst überrascht, wie sehr das neue Konzept den Nerv der Kundschaft getroffen und bei der Konkurrenz eine wahre Retro-Welle ausgelöst hat. Aber ich war damals noch nicht so weit. Eine Probefahrt hatte mich mit der BMW S 1000 R gefixt, die mir jedoch auf Dauer mit ihrem Gekreische so auf die Nerven ging, dass ich meinen Ausflug in die Welt der 4-Zylinder Anfang 2018 beendete (Volkers Erfahrungsbericht findet ihr <hier>).

BMW Lifestyle-Werbung 2014
BMW Lifestyle-Werbung 2014

Eine Probefahrt mit der BMW R nineT im Rahmen einer Inspektion war ernüchternd: so sehr mich dieses Moped anmachte, so wenig wollte es mir zum Touren taugen. Das vor allem hinten zu harte Fahrwerk ließ einen auf schlechten Straßen mehr Hüpfen als reisen, mangels Antihopping stempelte das Hinterrad beim Runterschalten mal gerne und vor allem bei Wechselkurven agierte sie recht störrisch. Auch das Cockpit der E3 (Euro3 Modell) gefiel mir gar nicht. Die „Vernunft“ siegte und ich wechselte von der Brülltüte S 1000 R zur „perfekten“ BMW R 1200 R LC.

Das war eine gute Zeit mit dem Wasserboxer, aber die schicke Zicke röchelte weiterhin durch mein Hirn. Immer wieder ging ich gedanklich fremd, studierte Berichte aus den einschlägigen Foren und informierte mich über Maßnahmen, die der R nineT manierliche Fahreigenschaften bescheren sollten.

Im Corona-Herbst 2020 traf es mich dann wie ein Blitz ins Mark: bei meinem Händler stand taufrisch eine gebrauchte E4 (das nachfolgende Euro4 Modell) Classic (mit schönem Cockpit und einstellbarer Gabel), Baujahr 2018, mit knapp 8.000 km und dem geliebten gebürsteten Alutank. E4s wurden keine mehr produziert, und die neue Euro5-Norm drohte mit kastrierenden Maßnahmen. So tauschte ich in einem emotionalen Rausch die Mopeds, noch ehe der Händler das Objekt meiner Begierde auszeichnen konnte.

Mit Bürzel als Café-Racer
Mit Bürzel als Café-Racer

Nach dem Rausch folgt bekanntlich die Ernüchterung auf dem Fuß – oh Gott, was hatte ich getan? Einen nahezu perfekten Tourensportler gegen eine Skulptur in der Garage getauscht? Die jährlichen 10.000 Kilometer zusammen mit meiner selbstfahrenden Frau gipfelten in meinen Gedanken und Träumen in einem masochistischen Fiasko.

Ok, das waren Horrorszenarien auf Steven King-Niveau, aber die R 1200 R hatte die Messlatte auch wirklich hoch gelegt. Nachfolgende Maßnahmen wurden deshalb im Winter 2020 sukzessive umgesetzt:

1. Als erstes wurde das „Kerzenlicht“ gegen ein ordentliches Leuchtmittel von Philips (X-tremeVision) getauscht.

2. Dann kam das kritikwürdige hintere Federbein dran: Öhlins, Wilbers & Co. bieten hier Abhilfe. Ich entschied mich für den Dämpfer von Bilstein, der zusammen mit der Firma Classicbike Raisch speziell für die R nineT entwickelt worden ist. Den kann man sich nach Angaben einiger Rahmenwerte (Gewicht, Fahrweise etc.) personifiziert zusenden, oder gegen ein kleines Entgelt bei Classic-Bike (Nähe Bielefeld) einbauen lassen. Vor Ort wird dann auch die Gabel perfekt eingestellt.

3. Sorge bereiteten mir die originalen Speichenräder. Was tun, wenn man sich am Wochenende irgendwo in der Pampa einen Nagel einfährt? Mal kurz am Straßenrand den Schlauch wechseln? Pustekuchen, Tour ex! Die für mich perfekte Alternative von BMW erschien mit Vorstellung der neuen E5 auf dem Schirm: die als Extra angebotenen schlauchlosen Speichenräder „Option 719 Classic“, die 1:1 auf die E4 passen und keiner TÜV-Eintragung bedürfen, wurden bestellt und, mit frischen Roadsmarts von Dunlop bereift, montiert.

4. Durch das Bilstein-Federbein kommt das Moped hinten 3 cm höher. Das konnte ich nahezu ausgleichen durch die Lenkererhöhung der Scrambler (2 cm), die ohne Verlängerung von Leitungen entspanntes Fahren verspricht.

5. Das kleine Alu-Windschild von BMW wurde verbaut, um kurze BAB-Transfers etwas komfortabler zu gestalten.

6. Schließlich kam noch der Weihnachtsmann vorbei und bescherte mir den wunderschönen Höcker aus gebürstetem Edelstahl.

Und? Was haben die Maßnahmen gebracht?

Die Begeisterung für Neues ist natürlich immer groß und die 9T kokettiert lasziv mit Emotionen. Aber was für ein Unterschied! Ich sags nach über 3 Jahren, diversen Hausrunden, vielen Touren von 2–18 Tagen und „Dank“ Corona mehr als 20.000 km später mal so: ohne die Eingriffe hätte ich die Schönheit spätestens nach den 3.500 km der Südfrankreich-Tour wieder verkauft. So bleibt auch heute noch ein ganz, ganz fettes Grinsen im Helm – Alpträume ex! 

Top-Anschaffung: das neue Federbein
Top-Anschaffung: das neue Federbein

Den größten haben erstens der Tausch des hinteren Federbeins und zweitens der Felgen bewirkt. Die 9T ist jetzt keine Sänfte geworden, aber der über 2 kg leichtere Bilstein-Dämpfer hat ein ausgesprochen feines Ansprechverhalten und sorgt für verlässlichen Fahrbahnkontakt. Ich empfinde es komfortabler als bei der S 1000 R im Normalmodus. Stempeln und Hüpfen ex! Die damit verbundene Anhebung des Hecks sorgt zudem für einen steileren Lenkkopfwinkel und damit für mehr Kurvengierigkeit. 

Letztere wurde deutlich spürbar optimiert durch die etwa 4,5 kg leichteren Felgen (1,4 kg vorne + 1,5 kg hinten + 1,3 kg Schläuche + Dichtband etc.), immerhin mehr Gewichtsersparnis als durch die schmiedeeisernen Felgen bei der Doppel-R!

Zusammen sorgen die Eingriffe für knapp 7 kg weniger federnde und rotierende Massen, das ist schon ein Wort. Das alles – in Verbindung mit der kleinen Lenkererhöhung, die eine sportlich-komfortable Sitzposition irgendwo zwischen S 1000 R und R 1200 R ermöglicht – hat sich massiv positiv auf das Fahrverhalten ausgewirkt. Die Gute dämpft und kurvt jetzt wie eine „Große“, wobei die Rückmeldung vom Vorderrad weiterhin herrlich direkt erfolgt. Den Roadsmart III, der toll zum Boxer passt, hatte ich nach der ersten Tour rund. Zudem hatten die „Angstnippel“, die vorher auf der Hausstrecke immer mal im Weg waren, nach Erhöhung des Hecks keinen Bodenkontakt mehr.

Das Moped ist mit den Veränderungen kein Reisebomber geworden, lange BAB-Etappen zählen auch weiterhin definitiv nicht zur Kernkompetenz. 150 km/h geht mit dem kleinen Windschild mal 50 Kilometer geduckt, aber dann ist es auch gut. Das ist schon deutlich windiger als z.B. auf der R 1200 R mit Sportschild. Bei den 360 km Anfahrt nach Nancy letzten Sommer auf dem Weg in die Cevennen habe ich die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den französischen Autobahnen sehr zu schätzen gelernt.

Wahre Freude bereiten kurvige Landstraßen. Boxerfahrern muss ich das nicht erzählen, allen anderen sei versichert: das macht richtig Laune. Selbst bei untertouriger Fahrweise zwinge ich meine Frau, die meistens mit ihrer BMW S 1000 R hinter mir herfährt, zum Schalten. Aus den Kurven raus ist so viel Druck da, dass ich – einfach weil es so viel Spaß macht – hinten einen höheren Reifenverschleiß (halten knapp 9.000 km) habe als sie.

Reduziertes Gepäck reicht auch
Reduziertes Gepäck reicht auch

Für das Touren ist gutes Gepäck Voraussetzung. BMW bietet ganz hervorragende, wasserdichte Lösungen. So u.a. den großen Tankrucksack, der auf einer breiten Aufnahme sitzend über den Tank gespannt wird (die Fixierung der Aufnahme ist ein rechtes Gefummel). Schick ist auch die Soziustasche, die mit 40 Litern Volumen und vielen Außentaschen gut für die große Tour reicht (nach einer Woche gibts im Hotel einen Kessel Buntes) und sich flott und durch eine Aussparung in der Bodenplatte sicher auf dem Soziussitz verzurren lässt. Alternativ, für ein bis zwei Übernachtungen, nutze ich ein kleines 21-Liter Ortlieb Rackpack. Beide Hecktaschen haben noch einen zusätzlichen Vorteil: bei Regen wird die Dusche von hinten deutlich reduziert: noch nie bin ich auf einem Moped derart eingesaut worden wie auf der 9T, was auch Fender aus dem Zubehör nicht verhindern können.

Den Alutank gibts optional mit sichtbarer Schweißnaht
Den Alutank gibts optional mit sichtbarer Schweißnaht

Für die Hausrunde taugt der wertige, gebürstete Edelstahl-Höcker. Der gefällt mir nicht nur sehr gut, sondern fasst hinter dem abklappbaren Lehnkissen die nötigen Utensilien wie Kippen, Kohle etc.

Für einen echten Konstruktionsfehler halte ich die Unterbringung der Batterie. Um daran zu kommen, muss der Tank demontiert werden. Obacht: wer das nicht in der Werkstatt machen lässt, sollte unbedingt einen zweiten Mann einplanen, weil man sich beim Anheben sonst im Nu die Standrohre der Gabel verkratzt. Dafür lässt sich ein Ladegerät zumindest bei der E4 ganz einfach über den „Zigarettenanzünder“ (Bordsteckdose) an der linken Seite unterhalb des Tanks anschließen.

Und wo wir gerade am Meckern sind: das Licht ist die Bezeichnung nicht wert. Der Austausch des Leuchtmittels hat zumindest dafür gesorgt, dass man besser gesehen wird. Aber selber sehen? 20 km Dunkelheit auf schmalen und kurvigen Straßen in den Ardennen haben mir gereicht. Bei nasser Straße möchte ich das erst gar nicht ausprobieren. Etwas sehen konnte ich eigentlich nur, weil der auf einer Scrambler hinter mir herfahrende Freund Peter ein LED-Kurvenlicht nachgerüstet hatte und mir quasi den Weg leuchtete. Wer häufig im Dunkeln fährt, kommt nicht umhin, den sehr schönen originalen Scheinwerfer mit dem BMW-Emblem und dem kreisrunden Lichtbild gegen einen LED-Scheinwerfer aus dem Zubehör zu tauschen.

Urlaub im Vercors
Urlaub im Vercors

Apropos schön: so schön, wie der „alte“ Motor röchelt, hat er auch deutlich mehr Eigenleben, da musste ich wieder üben. Wie mit elektronischem Gas in der Kurve stechen und mal kurz den Hahn schließen ist doof, da kommt sofort eine leichte Bewegung in die Fuhre durch den kurzen, unausgeglichenen Kardan. Das war erst gewöhnungsbedürftig – man muss halt immer ein wenig Gas anlegen – aber auch genauso schnell verinnerlicht. Die mit dem E-Gas verbundenen sonstigen Fea­tures der E5 wie unterschiedliche Modi, Tempomat und sogar den Blipper (da hatte ich ein wenig Sorge) vermisse ich gar nicht. Man fährt einfach wieder mit Zwischengas wie früher, mit der leichtgängigen Kupplung kein Problem. Im Gegenzug erntet man einen weiteren Genuss, denn das rotzt herrlich! Und die E3/E4s machen das nicht wie bei den neueren Wasserboxern und 4-Zylindern durch gesteuertes Einspritzen von Treibstoff beim Gaswegnehmen, sondern einfach, wann immer sie wollen! Das ist vor allem im unteren Drehzahlbereich, in dem der Luftboxer drückt wie kaum ein anderer, ein wahrer Ohrenschmaus! Die dadurch provozierte untertourige Fahrweise entschleunigt zusätzlich massiv.

Das harte Sitzkissen hat mir grundsätzlich getaugt, jedoch unangenehm auf den Steiß gedrückt. Ein Sattler hat mir für 80 € an der Druckstelle etwas von dem Schaumkern entfernt und das ganze minimal aufgepolstert. Der Eingriff ermöglicht jetzt schmerzfrei auch längere Etappen, eine Radlerhose sorgt bei Bedarf für mehr Komfort. Die besten Mittel für den Arsch sind und bleiben aber schlicht und ergreifend Kurven, Kurven, Kurven!

Die BMW R nineT liebt Kurven
Die BMW R nineT liebt Kurven

In der Summe aller Dinge sind für mich die Emotionen, die ich gewonnen habe, die wenigen Einschränkungen allemal wert. Die Fahrbarkeit kommt dank der Verbesserungen – Zicke ex, es geht alles ein wenig einfacher, man ist lässiger flott unterwegs – der meiner BMW R 1200 R gleich, die Rückmeldung empfinde ich sogar als besser. Die Nachteile auf der einen Seite mangels elektronischen Gases gewähren auf der anderen die gesuchte, ungekünstelte Ursprünglichkeit, untermalt vom permanenten Unterhaltungswert des Luftboxers – noch nie habe ich die Zeit zwischen den Kurven schöner erlebt. Alles ist direkter, spürbarer. Man bekommt einfach früher das Grinsen ins Gesicht. 

Zudem hat sich meine E4 zwischenzeitlich ganz nebenbei als Wertanlage entpuppt. Das ist sicher auch den kastrierenden Maßnahmen geschuldet, mit der die E5 aufwartete. Aber selbst die ist ja wenigstens noch ein Augenschmaus (und warm gehts auch mit den Ohren) im Vergleich zu dem, was BMW kürzlich als Nachfolger präsentierte …

Im direkten Vergleich hat mich meine „perfekte“, 8.000 km alte R nineT inkl. aller Maßnahmen etwa 2.500 € weniger gekostet als eine vergleichbare neue E5. Für mich ist das die bessere Alternative unter Beibehaltung der Archaik, die dieses Moped für mich so leidenschaftlich macht, nun aber ohne Leiden zu schaffen.