aus Kradblatt 1/15
Text: Jens Riedel
Fotos: Riedel/Yamaha

 

Auf die sportliche Tour: Yamaha MT-09 Tracer

 

Mitten im Advent wurde der Fachpresse die neue Yamaha MT-09 Tracer im spanischen Malaga präsentiert. Für das Kradblatt war Jens Riedel dabei und so können wir euch jetzt schon einen Eindruck des dreizylindrigen Multitools vermitteln…

Yamaha-MT09-Tracer-linksYamaha hat sich mit eigener Kraft wieder aus dem Abstiegskampf bei den Marktanteilen befreit. 80 Prozent Absatzsteigerung in Deutschland gegenüber dem Vorjahr können nur noch Exoten wie Indian oder Zero übertrumpfen. Säulen des Erfolges sind die MT-07 und die MT-09. Letztere ist das viertbestverkaufte Motorrad hierzulande und unter Einbeziehung der Roller und Leichtkrafträder reicht es immer noch zu Platz 6. Und da Erfolg bekanntlich nun einmal hungrig macht, satteln die Japaner jetzt noch eine drauf: die MT-09 Tracer.

Die Modellbezeichnung klingt erst einmal schwer nach Track und Racing, doch das T steht eher für die touristische Ader der Maschine. So outet sich die neue Yamaha als Touring-Racer oder besser gesagt als sehr sportlicher Tourer. Und im Gegensatz zur Sport Tracker und Street Rally fällt bei ihr zumindest auf den allerersten flüchtigen Blick nicht sofort der Stammbaum auf. Doch dann erkennt das geschulte Auge rasch Motor, Auspuff und Schwinge der MT-09. Der Oberbau aber ist komplett neu und anders. Da fallen vor allem der große und breite Tank mit den seitlichen Lufteinlässen, die gesplittete Front mit ihren beiden LED-Scheinwerfern inklusive Tagfahrlicht und die Windschutzscheibe sowie die sportiven Handprotektoren am breiteren Lenker auf, die die Linienführung der Verkleidung fortführen. Gleitet der Blick weiter nach hinten stößt er auf ein größeres Sitzpolster, das zudem deutlich höher liegt, und ein separates Soziuskissen. Dazu gesellen sich mächtige Haltegriffe und darunter serienmäßige Aufnahmepunkte für Gepäckbehälter. Das geht einher mit einem gestreckteren Heck.

Yamaha-MT09-Tracer-ArmaturenTatsächlich haben die Ingenieure den Grundrahmen, das Fahrwerk und den Antrieb der nackten MT-09 unangetastet gelassen – schließlich macht der quirlige Dreizylinder den Hauptreiz bei der Maschine aus. Lediglich der Heckrahmen wurde dem Reiseanspruch entsprechend ein spürbares Stück verlängert und für den Zwei-Personen-plus-Gepäck-Betrieb verstärkt. Die Leistungsdaten – 85 kW/115 PS bei 10 000 Umdrehungen in der Minute und 87,5 Nm bei 8500 Touren – sind bei der Tracer identisch, und selbst die Federwege wurden eins zu eins übernommen. Es bleibt bei 137 mm vorn und 130 mm hinten. Dennoch machen ein größerer Tank und eine Windschutzscheibe aus einem sportlichen Naked Bike natürlich noch keine Reisemaschine. So wurde motorseitig doch etwas eingegriffen, zumindest indirekt: Das Mapping wurde dem neuen Einsatzzweck des Derivats angepasst. Alles läuft hier nach der Neukalibrierung ein wenig weicher und ruhiger ab, wobei Yamaha die drei Fahrmodi „Standard“, „A“ und „B“ vom grundsätzlichen Charakter her aber beibehalten hat. So gibt es auch hier bei 6500 Zählern noch einmal einen kleinen Leistungsschub extra. Mit dem Klassenbestwert beim Leistungsgewicht setzt die Tracer den dynamischen Anspruch der MT-09 auch im Reisedress fort und lässt beispielsweise Hyperstrada, Tiger Sport und Crossrunner hinter sich.

Yamaha-MT09-Tracer-Front

Für die erste Kontaktaufnahme empfiehlt sich zunächst der B-Modus mit seiner sanften Gasannahme und der absolut berechenbaren Leistungsentfaltung. In dieser Betriebsart können sich Tourenfahrer beruhigt auch auf die Landschaftseindrücke einlassen, da der Motor unaufgeregt und verlässlich seiner Arbeit nachgeht. Im Standardmodus gibt sich die Tracer dann etwas spritziger. Gleichwohl bleibt es bei der typischen linearen Kraftentfaltung. Die Einstellung entpuppt sich tatsächlich als die goldene Mitte. Bissiger gibt sich dann auch die Tourenvariante in Stufe „A“ mit ruppigerer Befehlsannahme. Da rappelt beim Beschleunigen aus dem Drehzahlkeller für einen kurzen Moment die Mechanik durchaus schon einmal kräftig im Gebälk, wie man es auch von der nackten Schwester kennt. Gleichwohl gibt sich die Tracer durch die Neuabstimmung nicht mehr ganz so bissig, aber immer noch ausreichend scharfzähnig. Sie beschleunigt schneller als du denkst und subjektiv fühlst – eben weil sie ihre Leistung nicht ganz so giftig abgibt wie die erstgeborene Schwester.

Der 18-Liter-Tank – ein Zuwachs von vier Litern – bietet einen guten Knieschluss und soll Reichweiten von über 300 Kilometern ermöglichen. Wir benötigten laut Bordcomputer um die fünfeinhalb Liter pro 100 Kilometer, wobei wir meist im Standardmodus unterwegs waren. Apropos Bordcomputer. Er zeigt stets drei Daten an, die sich ganz nach persönlichem Belieben konfigurieren lassen. Das reicht vom Tripmaster über die Außentemperatur bis hin zum Durchschnittsverbrauch. Ihre Instrumente hat die Tracer übrigens von der Super Ténéré spendiert bekommen.

Yamaha-MT09-Tracer-SoziussitzDie gegenüber der normalen MT-09 viereinhalb Zentimeter höhere Sitzposition geht nicht zu Lasten des Handlings. Die Tracer ist nahezu perfekt ausbalanciert. Yamaha nennt eine Gewichtsverteilung von 51 Prozent auf dem Vorder- und 49 Prozent auf dem Hinterrad. Das ist in jeder Kurve spürbar, wo die fahrfertig 210 Kilogramm schwerere Tracer stets gutmütig und wie von selbst über die Mitte in die Schräglage kippt und einen sauberen Strich zieht. Auf weniger griffigem Belag stoßen allerdings die Pneus hin und wieder leicht an ihre Grenzen. Die speziellen Dunlop Sportmax D 222 konnten uns nicht hundertprozentig überzeugen. Sie mögen auf die Langstreckentauglichkeit und Kilometerfressen ausgelegt sein, der sportiven Seele der Tracer werden sie zumindest auf engen andalusischen Straßen aber nicht ganz gerecht. Ein paar Mal rutschte uns auf der ersten Ausfahrt das Hinterrad leicht weg. Da durften die Traktionskontrolle und das ABS zeigen, wie sanft und unauffällig sie beruhigend eingreifen. Für den echten Multitool-Einsatz langen die Serienreifen jedenfalls nicht. Problemlos und absolut ruhig jagt die Reiseausgabe der MT wiederum auch bei über 170 km/h über die Autobahn. Da zerrt nichts am Fahrer und wackelt es nirgendwo an der Maschine. Hier spielen die Dunlops deutlich besser ihre Stärken aus.

Die gute Lastverteilung kommt auch dem Rangieren entgegen. Sowohl im Sitzen als auch beim Hin- und Herschieben im Stehen neben der Maschine ist die Tracer ohne Anstrengung und sicher dirigierbar. Entsprechend leicht geht auch das Aufbocken von der Hand. Der Hauptständer ist ebenso Serie wie die Halter für eigens entwickelte Hard-Softcases aus dem Zubehörprogramm, die jedoch eher für die Wochenendspritztour denn für die Reise taugen. Hier überlässt Yamaha ganz bewusst den üblichen Verdächtigen die Offerte größerer und stabilerer Koffer.

Yamaha-MT09-Tracer-rot-und-schwarzEinige Mühe haben sich die Entwickler bei der Erhöhung des Komforts und der Langstreckentauglichkeit gegeben. Die Sitzhöhe ist ohne Werkzeug in zweifach justierbar (860 mm und 845 mm) – wem das nicht reicht, dem kommt Yamaha auch noch mit einem werksseitigen Tieferlegungssatz im wahrsten Sinne des Wortes entgegen, der die Tracer mit 81,5 Zentimetern auf das Niveau der nackten MT-09 absenkt. Die Scheibe lässt sich ebenfalls per Hand in drei Schritten um jeweils anderthalb Zentimeter nach oben bzw. unten verschieben. Auch der Abstand des Lenkers zum Fahrer kann ein Stück verändert werden. Die Handprotektoren tragen kleine Windabweiser, die die Form der Verkleidung fortführen. Für guten Wind- und Wetterschutz ist gesorgt, beheizbare Griffe sind als Originalzubehör bestellbar. Ebenso beispielsweise in drei Dutzend (!) Mini-Schritten verrückbare Handhebel. Im Auslieferungszustand ist nur der Handbremshebel vierfach verstellbar. Die Federung ist von Hause aus ebenfalls in Zug- und Druckstufe einstellbar, was zu begrüßen ist, denn die Dämpfung des Zentralfederbeins empfanden wir in der werksseitigen Einstellung als etwas zu grob.

Yamaha-MT09-Tracer-rechtsDie Sitzposition ist wunderbar aufrecht und der Kniewinkel entspannt. Auch der Sozius findet eine angenehme Haltung mit gutem Überblick, muss allerdings mit recht eng anliegenden Halte­griffen leben. Durchaus eine Empfehlung wert sein dürfte dennoch die optional erhältliche Komfortsitz für den Fahrer – womit die Tracer ja nicht alleine steht.

Keine Frage, die Tracer erhöht den Nutzwert der MT-09 enorm, ohne die dynamischen Tugenden des Basismodells allzu sehr zu vernachlässigen. Alles ist auf einen recht unkomplizierten Umgang ausgelegt. So dürfte der Freundeskreis der MT-09 rasch weitere Follower gewinnen. Ab Februar/März 2015 ist die Tracer für 9595 Euro + NK zu haben.