aus Kradblatt 12/13
von Klaus Herder

Yamaha MT-09 WheelieEs war einmal ein Motorradhersteller, der war so erfolgreich, dass er sich mit der langjährigen Nummer eins der Motorradwelt zeitweise einen erbitterten Kampf um die Marktführerschaft lieferte. Das wurde auf Dauer zwar nichts, aber auch als souveräne Nummer zwei schuf dieser Motorradhersteller echte Meilensteine: Man baute die heißesten Zweitakter, belebte die als eigentlich ausgestorben geltende Klasse der hubraumstarken Straßen-Singles wieder neu und setzte Maßstäbe bei den Reise-Enduros. Die leistungsstärksten Muscle-Bikes, die ersten echten Japan-Chopper und die sportlichsten der Sportmaschinen hatte das Unternehmen natürlich ebenfalls im Programm.
Ein Märchen? Nein, aber eine schon sehr, sehr alte Geschichte. Wer eine aktuelle Bestandsaufnahme macht, hat eine ziemlich bittere Realität vor Augen: Von Anfang Januar bis Ende September 2013 brachte es besagter Hersteller Yamaha hierzulande auf insgesamt 5005 Motorrad-Neuzulassungen, Das sind 11,9 Prozent weniger als im auch nicht gerade berauschenden Vorjahr, und mit dieser Zahl belegt Yamaha den achten (!) Platz der Zulassungs-Hitparade – hinter Triumph und allen anderen Japanern. Zum Vergleich: Allein der BMW-Bestseller R 1200 GS brachte es im gleichen Zeitraum auf 7348 Neuzulassungen. Schiere Masse allein ist ganz sicher kein Qualitätsmerkmal und sagt nicht zwangsläufig etwas über den Erfolg eines Unternehmens aus, aber auch wer etwas genauer ins Thema einstieg, musste in den letzten Jahren den Eindruck gewinnen, dass das Thema Motorrad für Yamaha – wenn überhaupt – nur noch eine ziemlich untergeordnete Rolle spielte. Innovation, Emotion, womöglich Faszination? Völlige Fehlanzeige, da wurde bestenfalls mittelprächtige Standardware präsentiert, und wenn es ganz dicke kam, mussten die fast schon bemitleidenswerten Deutschland-Statthalter der Marke ein paar neue Farben und die Option „ABS-Verzicht“ als Mega-Neuheiten des nächsten Yamaha-Jahrgangs verkaufen.
Yamaha MT-09 MotorschnittmodellEinige in der Motorradszene hatten die Marke mit den drei gekreuzten Stimmgabeln im Logo insgeheim schon abgeschrieben. Wer als Motorradhändler einzig und allein auf Yamaha setzte, gehörte in letzter Zeit zu den bemitleidenswertesten Vertretern der Branche. Die anhaltenden (und unverständlicherweise kaum ausgeschlachteten) Erfolge im Grand Prix-Straßenrennsport wirkten da fast schon wie bittere Ironie. Doch irgendjemand muss in Japan jüngst die Reset-Taste der Yamaha-Motorradsparte gefunden und vor allem auch gedrückt haben. Die ersten Auswirkungen des Neustarts haben nun die außerjapanische Motorradwelt erreicht. Mit dem überaus erfreulichen (und besonders im wichtigen US-Markt hervorragend ankommenden) Chopper/Bopper XV 950 fing es an, mit dem phantastischen Deizylinder-Nakedbike MT-09 geht es nun im wahrsten Sinne des Wortes kräftig weiter. Junge und kreative Projektverantwortliche wie Shun Miyazawa haben dafür gesorgt, dass es mit der Schlafmützigkeit bei Yamaha hoffentlich ein Ende hat. Um es vorwegzunehmen: Wenn es Yamaha mit der MT-09 – und der hoffentlich in absehbarer Zeit folgenden Dreizylinder-Verwandtschaft – nicht gelingt, im kommenden Jahr die hinteren Tabellenränge zu verlassen, gelingt es mit gar keinem Modell mehr. Die MT-09 ist genau das, was das angeschlagene Unternehmen endlich mal wieder gut gebrauchen kann: einen echter Reißer.
Gewolltes Design-Cockpit, kein Unfall!Dafür sorgt in erster Linie der famose Motor. Reihendreizylinder sind für Yamaha kein absolutes Neuland, immerhin hatte man mit der XS 750 (1976-1980) und deren Nachfolgerin XS 850 (1980-1982) schon mal Triples im Programm. Doch das waren luftgekühlte Kardan-Dickschiffe für Tourer – die MT-09 war dagegen von Beginn an als Sportmotorrad ausgelegt. Eine Katagorie, bei der möglichst wenig Masse ein ganz entscheidender Faktor ist. Mit einer kompletten Motor-Neukon­struktion haben die Yamaha-Verantwortlichen ganze Arbeit geleistet, die sich in einem Wert zusammenfassen lässt: 60 Kilogramm. So wenig wiegt der MT-09-Antrieb, der Vierzylindermotor der hauseigenen Konkurrenz FZ8 bringt satte zehn Kilo mehr auf die Waage. Dabei hat der MT-09-Dreierpack eigentlich gar keine revolutionären Konstruktionsmerkmale zu bieten, alles ist klassischer japanischer Motorenbau: Zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen kümmern sich um jeweils vier Ventile pro Zylinder; 120 Grad Hubzapfenversatz und eine gleichmäßige Zündfolge sind bewährte Triple-Machart (die auch in den Dreizylindern von Triumph und MV Agusta zu finden ist); eine zahnradgetriebene Ausgleichswelle sorgt dafür, dass nur Good Vibrations durchkommen; und Ride-by-Wire mit drei Fahrprogrammen ist mittlerweile bei jeder halbwegs modernen Maschine Stand der Technik. 78 mm Bohrung hat auch die YFZ-R1 zu bieten, die MT-09-Bohrung fällt mit 59,1 mm aber 6,9 mm länger aus – an der Eingruppierung „drehfreudiger Kurzhuber“ ändert das aber nichts.
Doch mit der Motorenkonstruktion verhält es sich ja wie mit dem Kochen: Die Zutaten müssen von guter Qualität, aber nicht unbedingt exotisch sein; denn über den Geschmack entscheiden letztlich das Rezept und vor allem das Geschick des Koches. Die Yamaha-Motorenköche haben jedenfalls ganze Arbeit geleistet und aus 847 ccm muntere 115 PS bei 10000/min und maximal 88 Nm bei 8500/min geholt.
Yamaha MT-09 SchwingeViele clevere Details machen den Unterschied, so kommen zum Beispiel drei unterschiedlich lange Ansaugtrichter zur Optimierung der Drehmoment-Charakteristik zum Einsatz. Dass es den Technikern aber nicht nur um die inneren Werte ging, beweist das gefällige Äußere des äußerst kompakten Dreizylinders: Störendes Kühlschlauch-Gewirr sucht man vergebens, und die drei Edelstahlkrümmer führen die Abgase auf ziemlich elegantem Wege in den gut versteckten Sammler der Drei-in-eins-Anlage.
Der Motor steckt als mittragendes Element in einem Rahmen aus Aluminium-Druckguss, der längs in zwei Hälften geteilt ist, die am Lenkkopf und an der Schwingenaufnahme miteinander verschraubt sind. Ebenfalls eine kompakte und leichte Konstruktion, zu der sich filigrane Zehn-Speichen-Aluräder und eine Aluschwinge gesellen. Das macht weitere zehn Kilo Gewichtsersparnis, und so kommt unterm Strich ein fahrfertiges Gewicht von gerade mal 190 Kilo heraus. Zum Vergleich: Eine R6 und auch eine (hubraum- und leistungsmäßig schwächere) Triumph Street Triple wiegen praktisch genauso viel; besagte FZ 8 bringt es auf 217 Kilo; und eine Kawasaki Z 800 hat sogar satte 231 Kilo Kampfgewicht.
Yamaha MT-09 Version Street-RallyWenig Masse, kompakte Maße, viel Leistung und Drehmoment – dass lässt auf sehr viel Fahrspaß schließen. Völlig zu Recht, und als Spaß-Beschleuniger gesellt sich noch eine fürs muntere Landstraßenjagen perfekte Sitzposition dazu. Die extrem schlanke (Sitzbank)-Taille und moderate 815 mm Sitzhöhe bescheren auch Kurzbeinern einen sicheren Stand. Die recht tief montierten, die üppige Schräglagenfreiheit aber nicht einschränkenden Fahrerasten sorgen dafür, dass auch größere Fahrer bis 1,85 Meter Länge dauerhaft bequem sitzen, und die flache, ohne größere Stufe auskommende Sitzbank bietet ausreichend „Rutschraum“ nach hinten. Der konifizierte Alulenker ist relativ hoch montiert, liegt goldrichtrig zur Hand und ist nicht zu breit. Der Fahrer sitzt aufrecht und entspannt, freut sich über perfekte Handhebel sowie praxisgerechte Spiegel und ärgert sich nicht weiter über die zu kleinen und nur mäßig abzulesenden Instrumente. Nur ein fipsiger Balken-Drehzahlmesser? Geschenkt, das stört auf der MT-09 niemanden, denn die Drehzahl passt immer. Wirklich immer: Im sechsten Gang mit Tempo 50 am Ortsausgang das Gas aufreißen? Kein Problem, ab 2000/min nimmt der Motor immer und überall sauber Gas an und marschiert mächtig voran. Erst bei 11000 Touren gebietet der Drehzahlbegrenzer ziemlich abrupt Einhalt, dazwischen macht der Dreizylinder jederzeit herrlich Druck, überzeugt mit unglaublicher Elastizität und mit seidigem Motorlauf. Aus der Airbox röchelt es dabei heiser, dem Stummel­auspuff entweicht sonores Sägen – nicht zu laut, aber typisch kerniger Dreizylinder-Sound.
Yamaha MT-09 Digital-TachoÜber die rechte Lenkerarmatur lassen sich auch während der Fahrt drei Fahrmodi wählen: Standard sowie A- und B-Modus. In Sachen Spitzenleistung gibt’s keine Unterschiede, beim Ansprechverhalten dafür um so mehr. A steht für „aggressiv“. Und zwar so aggressiv, dass selbst erfahrene Angaser abseits der Rennstrecke sehr schnell auf das auch noch ziemlich heftige Standard-Programm oder sogar auf den vermeintlich soften, im Normalbetrieb aber fast immer goldrichtigen und weniger Lastwechselreaktionen verursachenden B-Modus wechseln. Zum fast schon italienisch-bissigen Motor gesellt sich ein eher japanisch-softes Fahrwerk. Eine durchaus gelungene Kombination, denn das Renntraining dürfte bei aller motortechnischen Begabung für eine Nackte wie die MT-09 eher die Ausnahme bleiben. Gefragt ist Landstraßen-Kompetenz, und die hat die agile Yamaha noch und nöcher zu bieten. Die Upside-down-Gabel und das sehr weit vorn liegend montierte Zentralfederbein lassen sich in Federvorspannung und Zugstufendämpfung variieren und bieten für den engagierten Betrieb auf öffentlichen Straßen ausreichend Reserven. Die MT-09 wetzt dank des famosen Motors und der goldrichtigen Abstufung des perfekt zu schaltenden Sechsganggetriebes äußerst munter ums Eck, ist allerdings alles andere als ein hypersensibler In-die-Kurve-Kipper. Im Gegenteil: Die MT (was übrigens für „Maximum Torque“, also maximales Drehmoment steht) fühlt sich dann am wohlsten, wenn ihr der Fahrer am Kurveneingang recht deutlich zu verstehen gibt, wohin die Reise gehen soll. Mit etwas Nachdruck auf Kurs gebracht macht das Leichtgewicht dann aber auch immer gut berechenbar genau das, was der Fahrer will.
Yamaha MT-09Oder um es anders zu sagen: Die MT-09 ist kein Gerät für eher passive Durch-die-Gegend-Schlurfer. Die sind mit einem geschmacksneutralen Vierzylinder vom Schlage der XJ6 besser bedient. Die MT-09 ist etwas für aktive Fahrer, die den überaus munteren Motor zu schätzen wissen und bewusst keinen Vierzylinder wollen. Alles andere wäre „Perlen vor die Säue werfen“, das eher komfortable Fahrwerk, die bequeme Sitzposition und die auch ohne ABS prima dosierbaren und kräftig zupackenden Bremsen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die MT-09 in erster Linie Sportler ist. Ein erfreulich günstiger sogar, denn mit 7495 Euro (ABS + 500 Euro) geht die in Blau, Dunkelviolett, Orange und Mattgrau lieferbare und auch im Detail sehr gut verarbeitete Yamaha als echtes Schnäppchen durch. Als sparsames Schnäppchen, denn mehr als gut viereinhalb Liter auf 100 Kilometern zieht der Triple nie aus dem 14-Liter-Tank.
Man muss schon sehr genau überlegen, um sich an eine Yamaha zu erinnern, die in den letzten Jahren so viel Spaß gemacht hat und über die es praktisch nichts zu meckern gibt. Yamaha und richtig viel Spaß – das gab’s bei einer Yamaha-Präsentation schon lange nicht mehr, aber wenn die Japaner mit neuen Modellen so weitermachen, wie sie mit der MT-09 begonnen haben, muss uns um diese tolle Marke nicht bange sein. Bitte mehr davon!x