aus Kradblatt-Ausgabe 6/24, von Jürgen Becker
Musik – Macht – Motorrad
Im Oktober 1968 erhitzten 19 unbekleidete Frauen auf einem Plattencover altbackene Gemüter. Aus anderen Gründen gäbe es auch heute Anlass zur Kritik, doch der Inhalt ist über jeden Zweifel erhaben, speichert doch das Vinyl darin den Höhepunkt der Schaffenskraft eines unerreichten Virtuosen. Jimi Hendrix schuf damit eines der bedeutendsten Alben der Rockgeschichte.
Ein kleines, altes Motorrad so zu nennen, wäre der nackte Wahnsinn. Aber in Verbindung bringen lässt sich das schon. Denn ohne die revolutionäre Erfindung der E-Gitarre wäre die Geschichte anders verlaufen. So hatten die 68er Hendrix Experience, die Hippies Janis Joplin und Woodstock, die Hausbesetzer Ton Steine Scherben, die Friedensbewegung, die Bots und BAP und die Punker Patti Smith. Auch „Easy Rider“ hätte in den Kinos ohne den revolutionären Sound der E-Gitarren nicht nach „Born To Be Wild“, sondern brav nach „Born To Be Vernünftig“ geklungen – und nicht im Entferntesten einen solch beispiellosen Motorradboom entfachen können. Doch wie kam der Strom in die Popkultur?
Was Henry Ford für die Massenmotorisierung, war Leo Fender für die Elektrifizierung der Musik. Er produzierte in seiner eigens dafür errichteten Fabrik die E-Gitarre für alle erschwinglich.
So ziert den ehemaligen Tank dieses Custombikes das unverwechselbare „Buchsenblech“ mit dem damals erstmals schräg eingeführten Stromkabel der legendären „Fender Stratocaster“, die auch Hendrix spielte. Und gelegentlich zerstörte.
Heute huldigen nicht wenige Motorradfans Althergebrachtem, elektrifizierte Bikes empören die Gemüter der Petrolheads und werden oft kategorisch abgelehnt. Dabei zeigt gerade die Geschichte der Rockmusik, welch unsterbliche Kraft die Wucht des Watts entwickeln kann. AC/DC will never die.
Dieses ehemalige Bauern-Brot-und-Buttermotorrad ist ein Derivat der DKW RT 125, in Moskau kopiert, 1955 in Minsk produziert und nach dem Ende der DDR von der roten Armee achtlos zurückgelassen. Die Rostige von der Resterampe der Geschichte will nun durch diesen gewagten Umbau Appetit machen auf das betörende Drehmoment der Elektrizität. Damit ist keineswegs Lenin gemeint: „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung.“ Aber Konservative Zeitgenossen seien daran erinnert, dass der Elektromotor älter ist als der Verbrenner! Elektromotorräder müssen also nicht modern und steril aussehen. Sie können den gleichen technischen Sex entwickeln wie Zweiräder mit dem altbewährten Ottomotor, sind dabei aber potent wie ein Stier!
In tonnenschweren Güterzügen haben E-Motoren kraftvoll das Wirtschaftswunder gewuppt. Wo Verbrenner ihre spärliche Effizienz auch noch im Drehmoment-Wandler der Lok versenken, greift der Magnetmotor mit über 90% Wirkungsgrad direkt an. Mit einem Motorrad hat der kompakte Powerprotz besonders leichtes Spiel, zumal die Akkus dank intensiver Forschung immer besser werden und mit immer weniger seltenen Ressourcen auskommen. Obendrein sind nach vielen Jahren Fahrbetrieb noch sämtliche Rohstoffe vorhanden. Sie können (und müssen) recycelt werden. Wenn wir also den Kopf frei kriegen, kann das enorme kreative Potenzial der Custombike-Szene gehörig dazu beitragen, dass der Strom nach der Musik- auch die Motorradkultur so fulminant flasht wie einst Jimi Hendrix die amerikanische Nationalhymne in seiner Version von „The Star-Spangled Banner“. So müssen gutbürgerliche Mahner befürchten, dass Motorradfahren zeitgemäß bleibt, die Freiheit auf zwei Rädern eine große Zukunft hat und gleichzeitig noch mehr Spaß macht!
Und der Sound? Wenn die Electric Lady durch die Serpentine pfeift, erinnert ihr Timbre entfernt an einen Düsenjäger weit oben in der Stratosphäre. Zugegeben, nicht der nackte, doch der feine Wahnsinn – verbindet das Bike doch das Beste aus zwei Welten: Vergangenheit & Zukunft. Und die Pilotin kann anschließend ohne Tinnitus den Tonabnehmer in die Rille legen und „All Along The Watchtower“ hören. Laut Bob Dylan findet man die beste Version seines berühmten Songs auf einer LP, die gar nicht von ihm ist. Sie heißt „Electric Ladyland“.
Auf Jürgens Youtube-Kanal „Achtsam-Rasen“ gibt es noch viele andere interessante Videos zu sehen!
O-Ton Frank Krull: „Wer hätte das gedacht, dass die Karre vom Sperrmüll nochmal so viele Karrieren hinlegen würde. Erst aus einem Schuppen in Dammgarten als Beifang mitgenommen, dann fahrfertig gemacht und auf dem Eis im Winter auf dem Bodden gefahren. Dann vergessen, fast verschrottet, als Aussteller vorm Biker-Bistro gestellt, eigentlich Endstation.
Aber dann der Umbau zum Custombike, mit Presse und so. Als wenn das nicht schon heavy wäre für so ein einfaches Bauernmotorrad aus der Sowjetunion. Und nun noch die Verwandlung in ein Elektromotorrad!
Gibt es eine 125er, die mehr erlebt hat? Wahrscheinlich nicht.
Ich denke, sie sollte bei der geplanten Mondlandung mit dabei sein. Wäre doch schön zu sehen, wie sie sich durch den Mondstaub wühlt. Am besten bleibt sie dann da stehen. Dann hätte sie endlich ihre Ruhe.“
Den Minsk-Bobber von Frank Krull findet man hier beim Oldtimerservice Krull & Söhne.
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