aus Kradblatt 10/23 von Torsten Thimm
Fotos: Thimm, Zornmüller, Suzuki

Neue Tugenden auch ohne V2

Suzuki V-Strom 800 DE mit Sozia
Reisen, alleine oder auch zu zweit – das gefällt der V-Strom


Suzuki greift mit der brandneuen V-Strom 800 DE in der mehr oder weniger neuen 800er-Enduro-Klasse an und muss sich dort mit einer Yamaha Ténéré 700, einer CF-Moto 800MT, einer KTM 790 Adventure oder auch der neuen Honda Transalp messen, BMW und Triumph liegen im Hubraum etwas drüber. In dieser, nennen wir sie mal neuen Mittelklasse, sollte man sich also keine groben Schnitzer erlauben, denn die meisten Mitbewerber sind ebenso bekannt wie berüchtigt. Ähnlich wie die Yamaha Ténéré soll die V-Strom laut Suzuki auch abseits befestigter Wege überzeugen, bringt mit 230 kg allerdings fahrfertig 25 kg mehr auf die Waage. Die KTM liegt gewichtsmäßig zwischen den beiden.

Angenehm leiser Auspuff
Angenehm leiser Auspuff

Eckige Formen statt runder Harmonie. Die V-Strom 800 wurde, ähnlich wie die neue Suzuki GSX-8S, von Grund auf neu entwickelt. Der Motor spielt dabei eine ganz besondere Rolle, denn Suzuki hat mit der Einführung dieser Mittelklassemodelle nicht nur den runden Verkleidungsformen, sondern auch dem V-Motor in dieser Klasse endgültig entsagt. So schwimmt man nun, wie fast alle anderen Hersteller auch, auf der Welle des günstiger zu fertigenden Reihen-/Parallel-Twin Motors mit, wobei der Antrieb Kraft und Laufruhe sehr gut miteinander verbindet. Dass das mit dem V in der eigentlichen Modellbezeichnung V-Strom am Ende nicht mehr so ganz harmoniert, dürfte für viele Interessierte wohl eher zweitrangig sein und tut dem eigentlichen Fahrspaß auch wirklich keinen Abbruch. Bei eingefleischten V-Twin-Liebhabern und preisbewussten Kunden könnte die neue Konstellation allerdings dazu führen, dass man zu den älteren Modellen greift, die zumindest 2023 immer noch im Programm sind. Denn auch wenn sie optisch nie ein designtechnisches Highlight waren, so waren die V2-V-Strom trotzdem über Jahrzehnte hinweg zuverlässige und langlebige Reisebegleiter. Da muss sich die Neue erst noch beweisen. 

Federbasiseinstellung über Handrad
Federbasiseinstellung über Handrad

Der Einstiegspreis der neuen V-Strom 800 DE von 11.500 Euro liegt etwas über den eingangs genannten Mitbewerbern, wobei sich die Maschinen in der Grundausstattung leicht unterscheiden. Allerdings bekommt der Käufer dafür 776 ccm Hubraum, 62 kW / 84 PS Leistung, 78 Nm Drehmoment bei 6800 Umdrehungen und nur 84 dB Standgeräusch. Letzteres schmeichelt den Ohren des Fahrers und der Umwelt, denn im Fahrbetrieb sind es nur noch säuselnde 74 dB, was Tourenfahrer sicher zu schätzen wissen. 

Suzuki nutzt, wie andere Hersteller beim Motor auch, den alten Trick mit dem 270 Grad Hubzapfenversatz für das V-Gefühl, zudem verfügt dieser über den neuen „Cross-Balancer“. Diese Ausgleichsvorrichtung, die im 90-Grad-Winkel zur Kurbelwelle steht, bringt Ruhe in den Motorlauf und erhöht dadurch das angenehme Fahrgefühl. Das gelingt hervorragend und macht den Motor im Gegensatz zu anderen Twins dieser Bauart zu einem echten Charmeur und Sparstrumpf. Mit dem 20 Liter fassenden Tank und einem Verbrauch von rund 4,4 Litern ist somit eine ordentliche Reichweite möglich, ohne dabei in Langeweile zu verfallen. Außerdem ist an der V-Strom, wie auch an allen anderen neuen Suzukis, meiner Meinung nach einer der besten Quickshifter auf dem Markt verbaut, der schnelle bidirektionale Gangwechsel ohne Kupplung ermöglicht. Braucht man die Kupplung tatsächlich doch einmal stellt man fest, dass sie wirklich extrem leichtgängig arbeitet. Nur ein verstellbarer Handhebel fehlt leider in der Serienausstattung. 

USB-Steckdose am Cockpit
USB-Steckdose am Cockpit

Die Höchstgeschwindigkeit der Maschine wird von Suzuki mit über 180 km/h angegeben, was aufgrund des angedachten Einsatzgebietes aber eher zweitrangig ist. 

Was mir bei längerer Betrachtung gut gefällt, sind die blauen, unlackierten Kunststoffteile. Denn auch wenn sie auf den ersten Blick unpassend wirken, bieten sie an den sturzgefährdeten Stellen Schutz – ähnlich wie die Bumper moderner Citroën Fahrzeuge – und damit die Möglichkeit des günstigen Austauschs.

Doch damit ist die Grundausstattung der Maschine noch nicht beendet. Denn ebenfalls im Paket gibt es eine LED-Vollausstattung und ein 5 Zoll TFT-Farbdisplay leider ohne Connectivity-Möglichkeit. Dafür ist es aber selbst bei starker Sonneneinstrahlung gut ablesbar. Bedient wird es intuitiv und einfach über die Schaltwippe am linken Lenkerende. Eine USB-Steckdose im Cockpit ermöglicht den schnellen Anschluss von Smartphone oder Navi. 

Sehr gut ablesbares TFT-Display
Sehr gut ablesbares TFT-Display

Neben den bereits genannten Details verfügt die neue V-Strom – wie die meisten neuen Suzukis – über das Easy Start System, die bereits bekannte Drehzahlanhebung für das Anfahren und über drei gut abgestufte Fahrmodi, mit der Möglichkeit im Gelände (G)-Mode das ABS am Hinterrad zu deaktivieren. Die dreistufige Traktionskontrolle rundet die fahrtechnische Ausstattung ab. 

Möchte man die Suzuki V-Strom 800 DE reisetauglich machen, kann man direkt beim Händler ins Regal greifen. Suzuki bietet dazu unter anderem einen Hauptständer, Sitzbänke in unterschiedlichen Höhen, eine Griffheizung, Sturzbügel, Motorschutz, Koffersysteme sowohl aus Aluminium wie auch aus Kunststoff, ein Topcase, LED-Zusatzscheinwerfer, Navigationshalter und eine hohe Tourenscheibe an. Zubehör-Alternativen kommen wie üblich von diversen Ausstattern wie SW-Motech, Touratech, Hepco & Becker usw. 

Angenehme Sitzposition
Angenehme Sitzposition

Unterwegs auf der V-Strom 800 DE. Schon beim ersten Anblick der DE werden bei mir Erinnerungen in den Synapsen geweckt. Suzuki, der Erfinder des „Entenschnabels“, nutzt wie alle anderen Hersteller auch seine eigene Vergangenheit für die Zukunft und erinnert mit der 800er nicht nur bei der Hubraumgröße an die legendäre DR 800 BIG. Eines der ersten Motorräder die ich, nachdem ich den großen Führerschein bestanden hatte, seinerzeit Probe gefahren habe. Leider war sie mir (172 cm), wie auch die DE einfach etwas zu viel Motorrad und zudem zu hoch. 

Das ist es auch, was mich beim ersten Kontakt mit der neuen Maschine zurückschrecken ließ, denn ein fester Stand mit beiden Füßen auf dem Boden ist, gerade in dem Terrain, in dem die V-Strom gefahren werden soll, aus meiner Sicht zumindest für Offroad-Anfänger immens wichtig. Lange Federwege und eine gut gepolsterte Sitzbank ergeben eine Sitzhöhe von 855 mm. Das ist schon eine Ansage, die man aber natürlich mit den bereits erwähnten niedrigeren und höheren Sitzbänken alternativ in beide Richtungen noch etwas anpassen kann. 

Trockener Schotter geht auch mit der Serienbereifung
Trockener Schotter geht auch mit der Serienbereifung

Ist die Hürde erst einmal genommen, sitzt mal sprichwörtlich wie in Abrahams Schoß und ist umgeben von übersichtlichen Bedienelementen, einem breiten Lenker und einem für mich sehr entspannten Kniewinkel. 

Superhandlich wieselt die Suzuki mit ihren schmalen Schlauchreifen, 90/90 – 21 vorne und 150/70 – 17 hinten, am breiten Lenker gepackt durch jedwedes Kurvenlabyrinth, wobei mir dabei die hintere Federung trotz komplett zugedrehter Dämpfung zu weich vorkam. Überhaupt sind die Federelemente sehr stark auf Komfort getrimmt, was im Gelände wahrscheinlich ausgezeichnet funktioniert. Auf der Straße hingegen irritiert es anfangs, da es gerade bei flotteren Geschwindigkeiten ein gewisses Maß an Gewohnheit braucht, bis man sich auf das Fahrverhalten der Maschine eingestellt und Vertrauen gefunden hat. Wie das Federbein – die Federbasis ist bequem über ein Handrad justierbar – ist auch die von Showa gelieferte USD-Gabel in Vorspannung und Druckstufe einstellbar und passt in ihrer goldenen Farbe zu den ebenfalls goldenen Speichenfelgen und dem strahlend gelben Lackkleid der Maschine. Weiter unten kümmern sich vorne zwei 310er Wave-Scheiben mit Zweikolbensätteln und hinten ein Einkolbensattel mit einer 260er Scheibe um die Verzögerung der Maschine. Das funktioniert sehr gut, obschon Suzuki bei den Bremsleitungen nicht auf Stahlflex, sondern auf gewöhnliche Standardleitungen aus Gummigewebe setzt. 

Alles zusammen ist auf, oder an den brandneuen Stahlbrückenrahmen geschraubt, der als Neukonstruktion gemeinsam mit dem Motor als mittragendes Element und dem angeschraubten Heckrahmen eine Einheit bildet. Insgesamt kann die Suzi so 430 kg zulässiges Gesamtgewicht auf Reisen transportieren. 

2023er Farbauswahl für die Suzuki V-Strom 800 DE
2023er Farbauswahl für die Suzuki V-Strom 800 DE

Fazit: In gewissem Sinn wird mit der V-Strom 800 DE die Vergangenheit zur Gegenwart, denn die Gene der alten 800 BIG sind, wenn auch viel moderner interpretiert, spürbar. Damit wird die Suzuki für mich durch ihre Handlichkeit zu einem soliden Reisemotorrad, dessen Stärke trotz der 230 kg Fahrgewicht eher auf leichtem bis mittlerem Schotter als im schweren Gelände zu finden ist. Für den reinen Straßenbetrieb wäre sie mir aufgrund der komfortablen Federung zu weich abgestimmt. Das sollte man aber bei einer Probefahrt für sich selbst testen, die Ansprüche gehen hier auseinander – zumal ich auch sonst auf der Straße zuhause bin. Punkten kann die 800er V-Strom bei mir vor allem mit ihrem wirklich superb arbeitenden Quickshifter und einem Motor, der perfekt zum Konzept V-Strom passt, auch wenn er kein echter V-Twin mehr ist. 

Die Suzuki V-Strom 800 DE hat übrigens bei der Zeitschrift MOTORRAD die diesjährige „Alpen Masters“ für sich entscheiden können und wurde zum Sieger unter 17 Motorrädern gekürt (Ausgabe 17/2023). Zitat aus der Urteilsbegründung: „Der neue 800er-Reihentwin ist ein toll abgestimmter Antrieb, der in einem ebenso toll abgestimmten Fahrwerk steckt.“

Probefahrtmöglichkeiten und mehr Infos gibt es bei den Suzuki-Vertragshändlern.