aus Kradblatt 3/24, Text: D. Dürrfeld, Fotos: Oleguer Serra und Suzuki (Werk)

Suzukis neue Speerspitze

Reisen mit der GX, gerne auch mal etwas sportlicher …
Reisen mit der GX, gerne auch mal etwas sportlicher …

Auch wenn man Crossover-Motorräder in die Rubrik „Nichts Halbes und nichts Ganzes“ einordnen könnte – die Bikes machen nicht nur Spaß, das Konzept ist für viele Motorradfahrer auch mehr als sinnvoll. 

Markante Front
Markante Front

Dank der aufrechten Sitzposition tourt man hier fast so entspannt wie auf einer Reise-Enduro, 17-Zoll-Räder mit der entsprechenden Bereifung sorgen auch auf ausgedehnten Landstraßenrunden für den nötigen Fahrkomfort. Echte Abenteurer mögen für Schotterpassagen vielleicht ein großes Vorderrad und gröberes Profil vermissen. Für die große Mehrheit der Normalsterblichen spielt das aber keine Rolle. Da ist ein potenter und vor allem laufruhiger Motor viel wichtiger. Gesellen sich noch ein gutes Fahrwerk, Wetterschutz und sogar ein paar Koffer dazu, ergibt sich ein Gesamtkonzept, das vor allem für Vielfahrer dem optimalen Zweirad nahekommt. 

Nach Jahren der Flaute scheint auch Suzuki all die hierfür nötigen Puzzleteile zusammen zu haben und startet 2024 mit der neuen GSX-S 1000 GX die Aufholjagd auf S 1000 XR, Multistrada und Co.

Schon auf dem Papier deutet die neue Suzuki GSX-S 1000 GX an, dass sie mehr ist als noch ein weiteres GSX-S-Modell. Der Motor ist zwar ein alter Bekannter, die Peripherie strotzt aber vor Neuerungen. 

So ist die GSX-S 1000 GX die erste Suzuki mit einem Elektronikpaket, dessen Assistenzsysteme von Daten aus einer IMU profitieren. Dank der Sensoreinheit von Bosch verfügt die GX über eine schräglagenabhängige Traktionskontrolle, ein Kurven-ABS sowie eine Wheelie- und eine Stoppie-Control. Doch damit nicht genug. Auch beim Fahrwerk feiert man eine Premiere. Setzte man bis dato bei allen anderen Bikes der GSX-S-Reihe auf konventionelle Fahrwerkskomponenten, gehen die Japaner nun neue Wege und spendierten der GSX-S 1000 GX ein semiaktives Fahrwerk von Showa.

Koffersystem ab Werk lieferbar
Koffersystem ab Werk lieferbar

Crossover mit eigener Kategorie

Crossover Motorräder sind von Natur aus Hybride, die das Potential eines sportlichen Antriebs mit den Vorzügen touring-orientierter Eigenschaften verbinden sollen. Dabei stellt sich immer die Frage, welche der Seiten den Charakter des Motorrads mehr prägt. Bei Suzuki beantwortet man diese einfach mit einer eigenen Kategorie und tituliert die GSX-S 1000 GX sogar als „Supreme Crossover“. Wäre das nicht schon Superlative genug, soll sich das Motorrad auch noch durch Superbike-Performance auszeichnen. 

Doch nicht nur durch die Nomenklatur, auch optisch geht Suzuki zu anderen Crossover-Motorrädern auf Distanz. Die völlig neu gestaltete Frontverkleidung gibt der GX ein eigenständiges Gesicht, auch wenn die Lampenmaske mit den vertikal angeordneten Scheinwerfern an die Standardversion der GSX-S erinnert. Das Individualität stiftende Plastikkleid erfüllt neben Wetterschutz für den Fahrer aber noch eine weitere Funktion. Die kantige Gestaltung der Verkleidung mit den verschiedenen Öffnungen verbessert laut Aussagen der Suzuki-Ingenieure die Aerodynamik und soll bei hohen Geschwindigkeiten die Stabilität verbessern. Auch wenn sich diese Angabe nur schwer verifizieren lässt, ein Effekt ist schon im Stand unstrittig: denn trotz des hohen Lenkers und der langen Gabel versprüht die GSX-S dank der Verkleidung so viel Dynamik, dass selbst das optional erhältliche Kofferset den sportlichen Ersteindruck nicht trüben kann. 

Sportlich, aufrecht reisen …
Sportlich, aufrecht reisen …

Aussen sportlich, innen komfortabel

Aber keine Panik – wer gerade schon kurz seine Knie und Handgelenke spürte, sei beruhigt. Nimmt man auf der GSX-S 1000 GX Platz, fällt direkt auf, dass der Crossover einen entspannter positioniert, als der sportliche Auftritt vermuten lässt. Der Rahmen und die Position der Fußrasten der GSX-S 1000 GX wurden zwar eins zu eins von der Sporttouring-Variante GSX-S 1000 GT übernommen, im Gegensatz zum vollverkleideten Modell ist der Sitz mit 845 Millimeter aber höher, was die Knie spürbar entlastet. Die Positionierung der Arme fällt ebenfalls deutlich entspannter aus, da der Lenker bei der GX 38 Millimeter höher und 43 Millimeter näher am Fahrer ist. Grundsätzlich stellt sich im Sattel der  neuen Suzuki umgehend ein Willkommen-Zuhause-Gefühl ein, das neben Urlaubsträumen auch sofort Lust auf die flotte Spritztour auf der Hausstrecke weckt.

Reisetauglich …
Reisetauglich …

Einer für alles

Glücklicherweise steckt mit dem Motor aus der letzten GSX-R ein echter Alleskönner im von der GSX-S übernommenen Alu-Rahmen. Wie im Naked Bike und im Sporttourer liefert der Reihenvierzylinder auch im Crossover maximal 152 PS. Mehr Spitzenleistung braucht man auf der Landstraße sicher nicht, schon gar nicht in einem Motorrad mit langer Gabel und hohem Lenker. Wichtiger ist in diesem Revier der Drehmomentverlauf und auch der ist seit jeher eine Paradedisziplin des GSX-Antriebs. Von den maximal verfügbaren 106 Newtonmeter können auf Wunsch schon ab 3.000 Umdrehungen 70 Prozent über den elektronischen Gasgriff abgerufen werden. Wer will, kann also jederzeit schwarze Striche am Kurvenausgang malen. Aber selbst bei noch weniger Drehzahl kann der Reihenvierzylinder begeistern. Dank der superben Gasannahme und der tollen Leistungsentfaltung rollt man vor allem innerorts oft unbemerkt bei 2.000 Touren und darunter dahin. Nichts schüttelt oder rüttelt und öffnet man das Gas, legt sich der Motor bereitwillig ins Zeug und stürmt auf Wunsch erst ordentlich, dann mit Nachdruck und schließlich wie die sprichwörtliche Feuerwehr Richtung Begrenzer.

Ein Abheben des Vorderrades verhindert hier die bei Suzuki „Lift Limiter“ genannte Wheelie-Control oder ein leichter Zug am Schalthebel. Ein Griff zur Kupplung ist hier weder beim Hoch- noch beim Runterschalten nötig, denn der serienmäßige Blipper macht in allen Gangstufen und bei jeder Drehzahl einen piekfeinen Job. Sollte man am Kurvenausgang in Schräglage doch mal Leistung vermissen, so liegt das höchstwahrscheinlich nicht am Aggregat, sondern an der Traktionskontrolle. In sieben Stufen einstellbar sollte man für die zügige Gangart bei guten Bedingungen maximal Stufe drei wählen, da die IMU andernfalls auch bei geringen Schräglagen zu wenig Leistung freigibt.  

Einfache Bedienung
Einfache Bedienung

Elektronik leicht gemacht

Die GSX-S 1000 GX macht einem das Motorradleben in Sachen Bedienung einfach. Auch ohne Studium der Betriebsanleitung lässt sich über das linke Lenkerende bei Bedarf intuitiv das Regelverhalten der Traktionskontrolle anpassen, durchs Menü navigieren und die gewünschte Einstellung wählen. Die großen Schalter sind Suzuki-typisch sehr gut bedienbar und durch die reduzierte Menüführung behält man jederzeit den Überblick. Dafür sorgt auch das sehr gut ablesbare und kontrastreiche, 6,5 Zoll große TFT-Farbdisplay. Wer das möchte, kann über die Suzuki mySPIN App auch das Smartphone mit der Schaltzentrale koppeln und auf Anrufe, Navigation, Musik, Kontakte und Kalender zugreifen. Für die große Abenteuerreise kann alternativ auch ein externes Navigationsgerät genutzt werden, für die Stromversorgung gibt es einen spritzwassergeschützten USB-Anschluss im Cockpit. Eine clevere Lösung für Alltag und Langstrecke ist der serienmäßige Tempomat, der über den Blipper auch im aktivierten Zustand Schaltvorgänge in beide Richtungen zulässt.  

Tolles TFT-Display
Tolles TFT-Display

Crossover und Allroundtalent

Damit aus einem guten Motorrad ein echtes Allroundtalent wird, bedarf es neben einem tollen Motor und umfangreicher Ausstattung auch einer ausgewogenen Ergonomie. Glücklicherweise hat man in der Entwicklungsabteilung in Hamamatsu dafür in der Regel ein sehr gutes Gespür, welches man auch bei der Entwicklung der GSX-S wieder unter Beweis stellte. Egal, ob die Positionierung der Arme, der Knieschluss am 19-Liter-Tank oder die allgemeine Bewegungsfreiheit, für Fahrerinnen und Fahrer zwischen 1,70 Meter und 1,90 Meter bleiben kaum Wünsche offen. Von Bummelfahrt bis Attackemodus mit Hang-off geht alles leicht von der Hand. Selbst der Windschutz ist für Hochgewachsene absolut in Ordnung, störende Verwirbelungen sind nicht zu vermerken. Einzig der Schrittbogen könnte für Personen unter 1,75 Meter für einen besseren Stand etwas schmaler ausfallen. 

Abhilfe schafft der Zubehörkatalog der Japaner. Hier finden sich neben Zusatzoptionen wie Hauptständer, Griffheizung und diversen Sturzpads auch eine Komfortsitzbank für die Langstrecke und eine um 15 mm niedrigere Variante für kleinere Suzuki-Fans.

Egal, ob groß oder klein – sobald man rollt, begeistert die GSX-S 1000 GX mit ihrer Ausgewogenheit. Trotz der beachtlichen Sitzhöhe und einem Gesamtgewicht von 232 Kilogramm zählen Handling und Neutralität zu den weiteren, großen Stärken der neuesten Suzuki-Generation. Dabei sind diese in Anbetracht des außergewöhnlichen Mixes aus GSX-S-Rahmen und den langen Federelementen nicht unbedingt so zu erwarten.

Elektronisch gesteuerte Showa-Gabel
Elektronisch gesteuerte Showa-Gabel

Ausgewogenheit durch Hightech-Dämpfer

Die Erklärung ist laut Suzuki im semiaktiven Fahrwerk von Showa zu suchen. Das Fahrverhalten der GSX-S 1000 GX profitiert hier von den Anpassungen an der Dämpfung, die die Elektronik in Abhängigkeit von Geschwindigkeit und Fahrbahnbeschaffenheit fortwährend vornimmt. Auch in der Bremsphase ist das System aktiv und reduziert das Abtauchen der Gabel beim Lasttransfer auf die Vorderachse. Dabei taucht die Gabel aber immer noch so weit ein, dass sich die GX auf der Bremse wie ein Motorrad mit einer konventionellen Gabel anfühlt und verhält.

Der große Mehrwert des Showa-Systems liegt aber in seiner Vielseitigkeit. Sitzposition, Bewegungsfreiheit und der potente Motor sind für Urlaubsreisen genauso geeignet wie für den Weg zur Arbeit sowie die zügige Feierabendrunde und das semiaktive Fahrwerk leistet hier seinen Beitrag. Dank der Showa-Dämpfer meistert die GSX-S 1000 GX kleine und schlechte Nebenstraßen genauso souverän wie Abschnitte mit Traumasphalt in Rennstreckenqualität.

 Für diejenigen, die in den Standardfahrmodi A, B und C nicht das optimale Setup finden, bietet das System die Möglichkeit zur Anpassung der Fahrwerkseinstellung. Die Menüführung ist einfach gehalten und die übersichtliche Schaltereinheit ermöglicht eine intuitive Bedienung. Neben den voreingestellten Fahrwerkssettings in den Modi A, B und C, die das Regelverhalten von Traktionskontrolle, Gasannahme und Leistungsentfaltung beeinflussen, können auch individuelle Anpassungen für die Dämpfung vorgenommen und die Federvorspannung entsprechend des Beladungszustandes adaptiert werden. Wer gar keine Unterstützung durch die Fahrwerks­elektronik möchte, kann diese auch komplett deaktivieren. 

Willkommen zurück, Suzuki!

Was für ein gelungenes Motorrad! Suzuki vereint in der GSX-S 1000 GX alte Tugenden, ausgereifte Technik und State of the Art Elektronik und hebt damit das Thema Cross­over-Motorrad auf ein neues Niveau. Den Japanern gelingt mit der GX nicht nur der Spagat zwischen den Motorradwelten, das erste Cross­over-Bike aus Hamamatsu wird dank neuester Elektronik auch direkt zur neuen Speerspitze von Suzuki und muss sich nicht hinter BMW, Ducati und Co. verstecken – im Gegenteil. Für 17.400 Euro bietet die GX alles, was man sich von einem Motorrad wünschen kann. Bis auf die schicken Koffer. Die sind leider nur gegen Aufpreis erhältlich. 

Mehr Infos und Probefahrten gibt es bei den Suzuki-Vertragshändlern.