aus Kradblatt 12/22 von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen
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Lieber mal zurückstecken …

Jeder von uns hat schon mal in einem Verkehrsstau gesteckt, bei dem es scheinbar überhaupt nicht vorangeht und dann erwogen, die ganze Reihe von Fahrzeugen vor sich zu überholen. In solchen Situationen kommt es aber leider nicht selten zu einem Unfall mit einem Vorausfahrenden, der gerade während des Überholvorgangs des Motorradfahrers auf die gleiche Idee gekommen ist oder abbiegen will. Das Oberlandesgericht Dresden hatte unlängst mal wieder über einen solchen Fall zu entscheiden.

Ein Biker überholte eine Kolonne von Fahrzeugen und beabsichtigte, nach links abzubiegen. Noch während seines Abbiegevorgangs nach links, kollidierte er mit einem Pkw, dessen Fahrer das Gleiche vorgehabt hatte. Der Kradfahrer wurde durch die Kollision schwer verletzt, zudem entstand ihm erheblicher Sachschaden. Neben der Beschädigung seiner Maschine, den Abschlepp- und Sachverständigenkosten, machte er auch Ersatz für seine beschädigte Motorradkleidung nebst Helm geltend. 

Das Landgericht Leipzig hatte dem Motorradfahrer ein Mitverschulden in Höhe von 80 Prozent auferlegt. Der Biker hätte damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge vor ihm nach links abbiegen könnten und dementsprechend in der Schlange warten müssen. Zudem sei er zu schnell gefahren und der betreffende Pkw hätte zwecks Abbiegens bereits schräg gestanden. Dem Pkw-Fahrer wurde allein die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs in Höhe von 20 Prozent angelastet. Bezüglich der Bekleidung wurden zudem lediglich 50 Prozent der Anschaffungskosten als Zeitwert angenommen. 

Das Oberlandesgericht Dresden wies die Berufung des Kradfahrers mit Beschluss vom 27.04.2021 (Aktenzeichen: 14 U 519/21) zurück, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hatte. Der Motorradfahrer hatte zur Haftungsverteilung lediglich angegeben, dass eine Haftungsquote von 50 Prozent sach- und interessengerecht wäre, ohne dies näher zu begründen. Auch zum Schmerzensgeld machte er keine weiterführenden Ausführungen. Die Zumessung von Abschlepp- und Sachverständigenkosten nach der Haftungsverteilung wurde für korrekt befunden. Ebenso wurde die Quotelung des Kleidungsschadens nicht beanstandet.

In Fällen des Kolonnenüberholens und der Kollision mit einem Linksabbieger, kommt es stets auf den jeweils zu beurteilenden Sachverhalt an. Zu berücksichtigen sind immer die besonderen Umstände des Einzelfalls. Dabei kann einem Linksabbiegenden durchaus auch die alleinige Haftung auferlegt werden, weil er den nachfolgenden Verkehr nicht genügend beachtet hatte. Es kann aber auch ein hohes Maß der Mithaftung des ungeduldig Überholenden vorliegen. 

Nach den Gegebenheiten im vorliegenden Fall, ist die Haftungsverteilung durchaus gut zu begründen. Der Motorradfahrer hatte es hier schlicht zu eilig und dabei den Abbiegewillen des Pkw-Fahrers übersehen. Es ist daher verständlich, dass ihn der ganz überwiegende Teil des Verschuldens trifft. Zudem war es recht unnütz, trotz der Haftungsverteilung 100 Prozent der Abschlepp- und Sachverständigenkosten zu fordern, weil dies spätestens seit 2012 vom Bundesgerichtshof durchgehend anders entschieden worden ist. Die Frage, ob Motorradbekleidung und -helm in voller Höhe der Anschaffungskosten zu ersetzen sind oder Alter, Gebrauch und Verschleiß zu berücksichtigen sind – so genannter Abzug „neu für alt“ – ist allerdings bislang in der Rechtsprechung im Streit. Meistens wird der Abzug bejaht. Da bei Motorradklamotten und Schutzhelm aber der Sicherheitsaspekt im Vordergrund steht, kann dem nicht zugestimmt werden. Das OLG München entschied hier auch schon anders (siehe Archiv auf Kradblatt.de, Abzug „neu für alt“).

Bei einer Kollision mit einem vierrädrigen Fahrzeug haben wir zumeist den größeren Schaden, besonders wegen nicht seltener schwerer Verletzungen. Man sollte daher genau überlegen, ob und wie man eine Fahrzeugkolonne überholt. In vielen Fällen dürfte die Gefahr eines Unfalls zu groß sein, jedenfalls größer als der bloße Zeitverlust durch den Stau. 

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