aus bma 07/04

von Michael Schories

Na das war ja jetzt wieder klar, ich stehe an einer dieser chaotischen Kreuzungen mitten in Katmandu, ich frage drei anwesende Verkehrspolizisten nach dem Weg Richtung Pokhara und bekomme drei verschiedene Antworten… Hinweisschilder gibt’s sowieso in ganz Nepal fast keine, also muss ich mich mal wieder auf meinen Instinkt verlassen. Nach 20 Kilometern komme ich an einem Kilometerstein vorbei und… atme auf. Pokhara 180 km steht in verwitterten Buchstaben auf dem weißen Stein. Also habe ich zum wiederholten Male Glück gehabt und bin auf der richtigen Strecke.
Autor und Enfield Seit zwei Tagen bin ich jetzt in Nepal, diesem merkwürdigen, faszinierenden Land mit den höchsten Bergen und der größten Armut weltweit. Und seit 24 Stunden steht meine „Royal Enfield” vor meinem Hotel, ein aktueller Oldtimer indischer Produktion, der sich wie kein anderes Motorrad für eine Reise durch diesen Teil der Welt eignet. Unerwartet problemlos war es, diese Maschine zu organisieren: Eine Anfrage beim Chef meines ersten Hotels, zwei Telefonate und fertig. Dann ein Besuch bei den „Himalayan Enfielders”, einer Hinterhofwerkstatt mitten in Katmandu, ein wenig Feilschen um den Preis und letztendlich bekam ich das Urvieh samt riesigem Ersatzteilvorrat für ca. acht Euro pro Tag in die Hände gedrückt. Dass mein Führerschein zu Hause in Kiel liegt, ist auch nicht weiter von Interesse. Ankicken geht leichter als befürchtet, Schaltung auf der „falschen” Seite ist auch kein Problem, kenne ich von meiner alten Laverda zu Hause, und dass die Vorderbremse quasi wirkungslos ist macht angesichts der Straßenzustände, die keine dreistelligen Höchstgeschwindigkeiten zulassen, auch nichts. Mit den Verkehrsregeln bin ich nach kurzer Zeit auch vertraut: gefahren wird, wo eine Lücke ist, Hupen bedeutet ein Überholmanöver anzukündigen, die größeren Fahrzeuge sind generell im Recht, die Straße ist für alle da, also auch für Kühe, Schweine, Hühner und Affen und, last but not least, Verkehrspolizisten. Diese haben eher repräsentative Funktionen und kaum Einfluss auf den Verkehr.

 

Die Straße von Katmandu nach Mugling und weiter nach Pokhara im Westen ist relativ gut ausgebaut und führt über hunderte Serpentinen durch die bergige Landschaft. Hin und wieder fehlen unvermittelt mal 50 Meter Straße, meist direkt hinter einer Kurve. Aber das ist völlig normal in Nepal. Zwischendurch begegnen mir massenhaft Schulkinder, die mit ihren Schuluniformen aus den verstreuten Bergdörfern in die wenigen Schulen wandern. Wie ich später erfahre sind sie zum Teil allmorgendlich drei Stunden unterwegs, um an Bildung zu gelangen, vielleicht der einzige Weg aus der Armut.
8000er im Hintergrund? Leider fällt schon wenige Kilometer hinter Katmandu mein Tachometer aus, später wirft die Enfield einige Schrauben ab, der Tankdeckel ist undicht und im Benzinfilter sammelt sich das Wasser… aber sie läuft und läuft.
Am späten Nachmittag erreiche ich Mugling und beziehe für 1,50 Euro mein Hotelzimmer. Es ist spartanisch eingerichtet, Licht geht nach dem Zufallsprinzip und die Toilette ist ein Plumpsklo, das in den Erdboden eingelassen ist… ist aber okay so. Für umgerechnet 50 Cent lasse ich mir später mein Reisgericht mit Hühnerfleisch schmecken und beobachte von meinem Tisch aus das rege Treiben auf der Straße. Ständig kommen völlig überfüllte Busse an und werden sofort von dutzenden fliegenden Händlern belagert, in der Hoffnung, an die Fahrgäste Obst, Reis, Wasser oder Süßigkeiten zu verkaufen. Leider geht es so auch die ganze Nacht weiter und in meinem Zimmer mit Fenster zur Hauptstraße bekomme ich zu wenig Schlaf.
Ziemlich gerädert mache ich mich am nächsten Vormittag auf den Weg. Heute will ich Pokhara erreichen und meine ersten 8000er Gipfel sehen. Und das gelingt schon weit vor meinem Tagesziel: Etwa eine halbe Stunde lang fahre ich direkt auf die beeindruckende Kulisse dreier schneebedeckter Riesen zu. Keine Ahnung wie hoch die Berge wirklich sind, auf jeden Fall zeigt der Schnee an, dass sie locker über 5000 Meter (Schneegrenze im Himalaja) messen und damit weit jenseits der höchsten Alpengipfel liegen.
In Pokhara leiste ich mir für die nächsten fünf Tage eine Luxusherberge, für 10 US-Dollar pro Nacht ist das auch mit meinem Budget bezahlbar. Der Ort ist auf Touristen eingestellt und dient den meisten als Basis für mehrtägige Trekkingtouren ins Annapurna-Gebiet, einem der schönsten Teile des Himalaja. Aber schon vom Hotelzimmer kann man besonders frühmorgens einen Blick auf den „Fischschwanz” und andere spektakuläre Berge genießen.
Waschplatz Ich beschließe den Riesen näher auf die Pelle zu rücken und gehe mit leichtem Gepäck auf Tagestour, Sarangkot ganz in der Nähe ist das Ziel. Obwohl der Ort nur 20 Kilometer entfernt ist kann mir mal wieder kein Polizist oder Tankwart den richtigen Weg zeigen. Erst ein paar Kinder, die erstaunlich gut Englisch sprechen, wissen wo es langgeht und führen mich auf die richtige Strecke. Die Enfield meistert die 15-prozentigen Steigungen im zweiten Gang und schluckt die Knüppelpiste mit ihrem robusten Fahrwerk meisterlich, besser könnte es eine vollwertige Enduro auch nicht. Und immer wieder entschädigen traumhafte Aussichten auf die wunderschöne Landschaft für die strapaziöse Anfahrt. An einem Platz mit besonders schönem Rundumblick lasse ich die Enfield ausrollen, schalte den Einzylinder ab und genieße die Ruhe und die Bergsicht. Einen schöneren Rastplatz kann ich mir nicht vorstellen, also packe ich meine Wasserflasche und ein Käsecroissant aus, so groß wie in Deutschland ein ganzes Brot und bei der „German Bakery” in Pokhara gerade mal 30 Cent „teuer”. Als es auf den Abend zugeht ziehen zwischen den Bergen schwarze Wolken auf, ich spute mich, um rechtzeitig und trocken in mein Hotel zu gelangen. Es gelingt mir auch nur um Haaresbreite, ich habe die Enfield gerade auf dem Innenhof des Hotels abgestellt, als ein Gewitter losbricht, wie ich es in Deutschland noch nie erlebt habe. Die Straßen stehen innerhalb kürzester Zeit 20 Zentimeter unter Wasser und die Blitzeinschläge folgen im Sekundentakt. Genauso plötzlich wie begonnen, ist die gruselige Szenerie auch wieder vorbei, keine 20 Minuten später leuchtet die Sonne rot kurz überm Horizont und nur ein paar Pfützen erinnern an das Unwetter. Ich setze mich mit einer 650 ml Flasche Tuborg (das sind hier die üblichen Flaschengrößen für Bier) auf die hoteleigene Dachterrasse. Hier treffe ich Kenneth aus England der im gleichen Hotel wohnt. Im Gespräch erfahre ich, dass er als Ingenieur bei „Triumph” arbeitet… und jetzt haben wir ein Gesprächsthema für die nächsten Stunden! Aber nebenbei unterhalten wir uns natürlich auch über Gott und die Welt. Kenneth besucht Nepal zum wiederholten Mal und ist inzwischen durch seine Erfahrungen und den Umgang mit den Einheimischen zum Buddhismus übergetreten. Wir diskutieren gutgelaunt bis spät in die Nacht…
Hindus Am nächsten Tag soll die Enfield wieder etwas mehr Bewegung bekommen, Baglung heißt das Ziel und es scheint, wenn man der Karte glauben darf, wiederum eine kurvenreiche und steile Anfahrt zu werden. Meine Vorstellungen werden erfüllt, Kurve reiht sich an Kurve, Steigung an Steigung. Hin und wieder halte ich zum Fotostopp oder einfach nur um diese Traumlandschaft auf mich wirken zu lassen an. Dazu ist die Straße fast unbefahren und ich muss nicht, wie sonst so oft, stinkenden Bussen und LKWs Platz machen. Hinter einer Kurve glaube ich meinen Augen nicht trauen zu können: Zehn Enfields (normale Motorräder haben hier maximal 180 ccm, eine Enfield ist hier also etwa mit einer Gold-Wing in Deutschland vergleichbar) samt Fahrern/Fahrerinnen stehen am Straßenrand. Natürlich halte ich an und frage nach dem Woher und Wohin. Es ist eine geführte Reisegruppe aus Deutschland, die 17 Tage in Nepal unterwegs ist. Wir kommen ins Gespräch, ich erfahre, dass die Teilnehmer weit mehr als das Doppelte für die Reise bezahlen, als ich für meinen Urlaub eingeplant habe. Dafür haben sie u.a. einen „Scout” mit vielen Nepalerfahrungen und einen Werkstattwagen dabei. Ich nutze das Angebot, diesen Tag mit der Gruppe zu fahren, und bekomme nebenbei von den Technikern sogar noch meine arg schleifende Kupplung repariert. Abends zurück in Pokhara, wo auch die Gruppe übernachtet, trenne ich mich wieder von ihnen, ich bin doch lieber alleine unterwegs und plane meine Route, Stopps und Übernachtungen selbst. Aber sie waren alle nett.

Wie es weitergeht verrät uns Michael <hier>.