aus Kradblatt 9/24 von Hermann Folke
Die liebste Stute im Stall
Sommer 1986: Stau auf der Autobahn. Ein Pulk Motorradfahrer schließt auf. Wir, also meine Freundin und ich, mit unserem Auto unter einer Brücke plötzlich mitten drin. Auf den Tankflanken lese ich: Ducati, Moto Guzzi, Laverda. Urgewaltiges Bollern rundherum, laut, aber nicht nervend. Ich trage plötzlich Noppendress (Gänsehaut). Bei jedem Gasstoß stellen sich meine Körperhaare auf. Welch ein Sound!
1987, Mai: Ich kratze alle Ersparnisse zusammen, leihe mir 2.000 DM und gebe meinen 180er Motorroller Yamaha Cygnus in Zahlung. Vom Moto Guzzi Händler erhalte ich im Gegenzug eine fabrikneue Moto Guzzi California II im Wert von 13.660 DM. Die California III ist bereits auf dem Markt. Aber die will ich nicht. Ich erwische gerade noch eines der letzten California II Exemplare.
Schon auf der Heimfahrt nach Oldenburg fällt die Blinkanlage aus. Beim Bremsen rückt mir meine Sozia dicht auf die Pelle. Die Originalsitzbank wird gegen eine komfortable Giuliari King & Queen gewechselt. So passt’s.
1988: Tausch der knallharten italienischen Originalstoßdämpfer gegen Koni Stoßdämpfer.
Meine California bleibt gelegentlich einfach stehen, wenn sie mal heftiger rangenommen wird. Minuten später läuft sie wieder. Im Tank entstehender Unterdruck arbeitet gegen die Schwerkraft. Tankverschlüsse mit besserer Belüftung sind derzeit nicht lieferbar. Also bohre ich ein zwei Millimeter kleines Loch in den Tankdeckel. Den habe ich heute noch, 37 Jahre danach. Aus ihm müffelts manchmal leicht nach Benzin.
Mit zwei Bosch Zusatzscheinwerfern aus VA-Stahl und einem längeren Gepäckträger von Moto Spezial wird die California aufgewertet.
Sie frisst Gaszüge. Leichte Grate in den Seilführungen des Gasgriffs scheuern die zwei Züge nach geraumer Zeit durch. Glätten der Grate macht dem ein Ende.
1989 bin ich nach Verschleiß eines Vorder- und zweier Hinterreifen endlich die grauenhaften, serienmäßigen Pirelli Phantom los. Sie laufen Fahrbahnmarkierungen nach und bringen den Fahrer damit in Bedrängnis. Mit Reifen von Metzeler ist das Problem behoben. Nach mehreren Generationen Metzeler fahre ich auch Bridgestone, Avon, Dunlop, Michelin; Maxxis und aktuell Continental. Alle mehr oder weniger gut, auf jeden Fall besser als die damaligen Pirelli. Der Maxxi Vorderreifen schlurrte bei über 100 km/h am Kotflügel und versengte im hinteren Bereich die Lackierung des Schutzbleches.
Beim Einstellen des Zündzeitpunktes der Kontaktzündung ziehe ich mir am linken Unterarm Verbrennungen vom heißen Krümmer zu. Eine wartungsarme, kontaktlose Zündung muss her. Zwei Piranha Zündanlagen geben nacheinander ihren Geist auf. Also zurück zur bewährten Kontaktzündung.
1990 ersetze ich die Gummibremsschläuche durch Stahlflexschläuche von Spiegler. Der Zündverteiler ist defekt und muss erneuert werden. Bisweilen fallen Schalt- oder Bremsgestänge auseinander. Sichern der Muttern und Nachfeilen der Nuten für Sprengringe schafft Abhilfe. Für weiteren, gelegentlichen Verlust habe ich immer Vorrat an Schrauben, Muttern, Sicherungsringen und sonstige schwindende Teile dabei.
1993 müssen bei ca. 55.500 km die Kupplungsscheiben erneuert werden.
1997 übernehmen Ergal-Stirnräder im Motor die Funktion der Steuerkette. Wegen Wegfalls des verbleiten Benzins erfolgt Umbau der Zylinderköpfe auf bleifreien Sprit. Im Laufe der folgenden Jahre werden beide Auslassventile undicht und erneuert.
1998 erleidet eine neu installierte, kontaktlose Dyna III Zündanlage Kabelbrand am Eingang zur Steuerungsbox. Auf Garantie erhalte ich eine komplett neue.
1999 verpasse ich meiner California Akront Speichenfelgen. Die serienmäßigen Gussfelgen bleiben für alle Fälle auf dem Dachboden.
2001: Schon länger schwankt das Voltmeter trotz guter Batterie. Der Anlasser dreht unwillig. Ich lasse die Elektrik beim Bosch Service überprüfen. Ergebnis: Nichts Besonderes festzustellen. Aussage: „Ist eben alles etwas altersschwach…“ Und ich bin 106,72 DM ärmer.
2002 gibt’s einen Valeo- statt des serienmäßigen Bosch-Anlassers. Er benötigt weniger Energie und dreht williger. Nur der Magnetschalter hakt gelegentlich. Die Austauschmagnetschalter ebenfalls recht bald. Man gewöhnt sich daran.
In der Werkstatt hatte man irgendwann früh die serienmäßige Bedüsung der Vergaser auf fettere Düsen geändert. „Muss sein“ hieß es. Die California säuft seither bis zu 7 Liter auf 100 km. Außerdem stelle ich fest, dass für einen Ölfilterwechsel die Ölwanne mit einem breiten Schraubendreher abgehebelt wurde. Die Hebelmarken sind heute noch sichtbar. Spätestens ab jetzt verliere ich das Vertrauen in Fachbetriebe und mache seither alle Wartungs- und Reparaturarbeiten selbst, soweit ich dazu fähig bin. Eigens dafür angeschaffte Spezialwerkzeuge, Messgeräte und eine Hebebühne erleichtern mir die Arbeit.
2003 erneuere ich bei 95.000 km Zylinder, Kolben, Kolbenbolzen, Kolbenringe, Pleuellager und Dichtungen. Vorsorglich auch das Kreuzgelenk mit Lager, Kardanwelle und Schiebestück.
Mit geliehenen Düsensätzen, reichlich Zeit und zahlreichen Testfahrten finde ich die ideale Bedüsung der Vergaser heraus. Dank an die Nachbarn für ihre Leidensfähigkeit. Seither springt die California auf Schlag an, hat ruhigen Leerlauf, läuft im Betrieb gut und genehmigt sich lediglich 5 bis 5,5 Liter auf 100 km. Das gute Zündkerzenbild wäre ein Musterbeispiel für ein Lehrbuch.
2007 ist bei 109.300 km ein zweites Kupplungs-Kit fällig.
Die serienmäßigen Endschalldämpfer Lafranconi S29 klötern. Rostfraß hat das Innenleben zerstört. Sito Schalldämpfer mit ABE nehmen ihren Platz ein.
2010: Die Sito klingen sehr leise und leider auch sehr farblos, daher schraube ich Lafranconi Competitione dran. Der TÜV nimmt sie im 2. Anlauf ab. Der Sound ist im wörtlichen Sinne ohrenbetäubend.
Zwei Bosch Lichtmaschinenrotoren haben bisher aufgegeben. Diagnose: Hitzetod. Der nachgerüstete Alu-Limadeckel soll angeblich deren Kühlung beeinträchtigen. Seitdem fahre ich mit einem speziell gewickelten, angeblich unkaputtbaren Rotor. Mal schauen. Der Alu-Deckel ist ein Muss und bleibt.
2010/2011, Winter: Der Begriff Moto Guzzi ist (bzw. war) ja bekanntermaßen das Synonym für Elektrikprobleme. Die müssen weg! Ich belege einen VHS-Grundkurs in Motorradelektrik. Der Aufbaukurs fällt mangels Beteiligung aus. Zum Glück gibt es ja das Internet. So motiviert, rupfe ich sämtliche Kabel aus der California heraus und baue die gesamte Elektrik mit Schaltrelais neu auf. Ich krieche förmlich in die California hinein. Über das Zündschloss und die Lenkerschalter soll nur noch Strom für die Steuerung der Relais laufen. Künftig darf es keine Masseprobleme mehr geben. Statt der vormals dünnen Strippen werden größere Querschnitte verwendet. Neben den zahlreichen Relais sind jetzt über 60 Meter Kabel drin. Aber Gewicht ist mir egal. Die California liegt sowieso am besten auf der Straße mit Sozia und vollem Gepäck. Gleichzeitig erfolgt der Umbau auf eine Silent Hektik Zündung. Der Verteiler mit seiner Mechanik entfällt, Elektronik regelt den Zündfunken. Am Ende funktioniert alles tadellos – bis auf die vier neuen Blinkleuchten. Fehlerhafte Planung oder Ausführung? Tagelang beschäftigt mich das. Am Ende sind es die Blinkerbirnen. Die nagelneuen Blinker wurden mit 6 Volt Birnen ausgeliefert, die natürlich sofort durchbrannten. Nach Auswechseln funktioniert alles einwandfrei. Bis heute.
2014: Nachdem die Nachbarn mich ständig ansprechen, ob ich mal wieder auf Tour war und Kinder sich am Straßenrand die Ohren zuhalten, bekomme ich ein schlechtes Gewissen und besorge mir ein sehr gutes, gebrauchtes Paar originale S29 Schalldämpfer. Das ist heute noch dran.
Das harte Losbrechmoment der Telegabel war stets ein Ärgernis. Daher bekommt sie ein neues Innenleben: Progressive Wirth Federn und FAC Dämpfer. Ein völlig neues Fahrgefühl.
2015 nimmt sich ein Sattler der betagten, inzwischen verschlissenen Giuliari Sitzbank an. Sie ist danach besser als vorher.
2017 erhält der Motor bei 154.200 km neue Pleuellager, Kurbelwellenlager und eine verbesserte Ölpumpe. Kurbel- und Nockenwelle sind noch maßhaltig. Ventilkipphebel und Stößeltassen werden überarbeitet, alle Dichtringe und Dichtungen erneuert und die Kupplung auf feinverzahnte Kupplungsscheiben umgebaut. Das Getriebe wird an die neuen Kupplungsscheiben angepasst und neu abgedichtet. Das Fahrgestell bekommt neue Lenkkopf- und Schwingenlager, die Räder neue Radlager.
2022: Durch häufigen Gebrauch und einen unverschuldeten Unfall sind die serienmäßigen Schuh Koffer lädiert. Schon lange nicht mehr erhältlich. Vorausschauend hatte ich zwei gut erhaltene, gebrauchte Paare auftreiben können, die über ein Jahrzehnt auf meinem Dachboden dahinvegetierten. Zusammengesetzt ergeben sie ein nahezu neuwertiges Paar.
2023: Auf einer Wochenendtour rüttelt meine California eine Halterung samt Tieftonfanfare weg. Das verchromte Fiamm Fanfarenpaar (Hoch- und Tieftöner) ist nicht mehr erhältlich. Wohl so etwas ahnend, hatte ich vor Jahren ein gebrauchtes Paar von Privat erworben. Die VA-Halterung fertige ich selbst an und poliere sie auf Chromglanz.
2024, August: Reifenwechsel. Anfang des Jahres hatte ich Glück und über eine Onlineanzeige einen vorderen Kotflügel in 1A-Zustand ergattern können. An meinem eigenen waren die Zierstreifen teilweise weg. Anfängerfehler: Hatte in den Anfangsjahren mal versucht, das Moped mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. Dazu die Brandstelle vom schleifenden Maxxi Vorderreifen. Neben neuen Reifen besitzt meine California nun nach weit über 30 Jahren wieder intakten Lack und vollständige Zierstreifen an der Vorderradabdeckung.
Nicht jeden Reifenwechsel, Gas-/Kupplungszugtausch, An- und Umbau sowie Zurückbau erwähne ich in diesem Erfahrungsbericht. Auch nicht jedes ausgenüdelte und erneuerte Gewinde sowie andere Kleinigkeiten. Das würde den Rahmen sprengen, eigentlich ist immer irgendwas.
In all den Jahren erkunden meine Freundin (ab 1992 meine Ehefrau) und ich mit der California Deutschland sowie zahlreiche Länder Europas, aktuell knapp 180.000 km zeugen davon. Skandinavien lasse ich aus, da zieht es mich nicht so hin. Und dort ist das Bier auch sehr teuer.
Neben der California II lege ich mir zwei weitere Motorräder zu: 2004 eine gebrauchte Moto Guzzi 1000 S (Bj. 1990) und 2018 eine gebrauchte BMW R 1150 RT (Bj. 2003). Forderung meiner Frau bei Anschaffung der BMW: Eine Guzzi muss weg! Die California II steht nicht zur Debatte. Aber selbst die 1000 S kann ich nicht mehr hergeben. Stattdessen biete ich sie wegen ihrer Seltenheit (nur 1.248 Stück produziert) dem PS-Speicher in Einbeck als Ausstellungsstück an. Meine einzige Bedingung: Ich bleibe Eigentümer. Von dort erhalte ich die freundliche Nachricht, dass das leider nicht klappt, weil sie nur Kfz ausstellen, deren Eigentümer sie selbst sind. Mit meiner Frau sitze ich die Situation einfach aus, bis sie aufgibt. Unser Auto steht sowieso immer draußen vor der Garage. Regnet ja nicht rein in so ein Auto. Wo also ist das Problem?
Von meinen drei Motorrädern ist die California II immer noch meine liebste Stute im Stall. Es ist einfach ein erhabenes Gefühl, mit ihr durch die Landschaft zu cruisen. Aktuell genießen beide Moto Guzzis ein ruhigeres Leben, weil ich längere Touren mit der BMW bewältige. Die Guzzis sehen fast nur noch schönes Wetter auf diversen Tages- und/oder Wochenendtouren.
Mein spannendes Urlaubserlebnis 1998 mit der defekten Dyna III Zündung könnt ihr übrigens im Kradblatt 6/2015 bzw. <hier> nachlesen.
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