aus bma 9/00 von Helmut Grigull

Prolog: November 1996. Helmut zieht um. Nicht zum ersten Mal. Im Freimachen von Wohnraum hat sich bereits Routine eingeschlichen. Eine Handvoll der letzten noch lebenden Kumpel packt mit an: Na, ist ja diesmal nicht so schlimm. Nach gut drei Stunden soll die Laderampe des LKW hochgefahren und verrammelt werden. „Äh – Moment mal, wart ihr schon auf dem Dachboden?” „Was, da steht noch mehr?” Der tapferste von allen pirscht auf der wackeligen Ausziehleiter aufwärts und linst über die Bretterkante. Eine Sekunde Schweigen, dann ein Aufschrei gefolgt von einer Art irrem Gekicher. Er turnt herunter, setzt sich kopfschüttelnd auf den Fußboden und ist nicht mehr ansprechbar. Fragende Blicke in der Runde. Der nächste steigt auf, und auch der kommt völlig verstört zurück. „Wie haste denn das Teil da hoch gekriegt?”
Nun, wer keinen Keller hat, der haut sich eben den Boden voll. What goes up, must come down, sagt der auswärtige Volksmund, und recht hat er. Mit vereinten Kräften wird der Klapperatismus durch die zu enge Luke abgeseilt. Immer schön aufpassen, damit sich niemand an den rostigen Kanten einen Wundstarrkrampf zuzieht. Ebenso wie die anderen gehorteten Schätze dieser Dachkammer wird auch dieses Gerät nicht etwa erlesener Sammelleidenschaft, sondern leichtfertig einem Vermüllungssyndrom zugeschrieben. „Schmeiß bloß weg, den Plunder!” – „Ignoranten!”

Noch mehr Vorgeschichte: Im Frühjahr 1961 weigert sich mein Daddy, den Weg zur Firma weiterhin per Pedes zu beschreiten. Die finanzielle Lage der Familienkasse erlaubt die Investition von 375 Märkern bei Zweirad-Lilie. Als Gegenwert dieses Aderlasses erscheint auf Hannovers Straßen eine Mobylette AV 33. Sie bot schon damals kei- nen futuristischen Anblick, versprach dagegen eine gewisse Alltagstauglichkeit. Bald erhielt auch ich, noch im zarten Grundschulalter, meine ersten Zweiraderfahrungen. Und zwar auf dem Gepäckträger eben dieses Geschosses. Noch heute spüre ich die blanke Angst, war doch bis dahin die höchste je erlebte Geschwindigkeit unterhalb 18 km/h. Mehr gab mein Roller halt nicht her. Wie das so ist im Leben: der Wert eines alten Spielzeuges sinkt gegen Null. Unzufriedenheit mit der Leistung und fortschreitendes Alter, letztendlich auch des Fahrers, ließen die Moby im Keller abtauchen. Man ging eben wieder zu Fuß, ist ja auch viel gesünder.

Wir spulen vor ins Jahr 1972. Dort finden wir wieder den Filius, jetzt vorgerückt vom Gepäckträger auf den Chefsessel. Er ist im mofafähigen Alter und hat Vaterns versunkenen Schatz gehoben. Die Vorfreude ist riesig. Vor dem geistigen Auge erscheinen brausende Fahrten durch den Landkreis, grenzenlose Freiheit, nicht zuletzt eine hämische Überlegenheit gegenüber der immer noch fahrradstrampelnden Truppe der Mit-Azubis.

Doch bevor der Pilot sich setzen darf, muss das Triebwerk gezündet werden. So sehen wir ihn erst mal wüst trampeln. Umgeben von blauen Rauchwölkchen, die lustlos dem Auspuff (flüsternde Banane genannt) entsteigen. Unter Ausschluss jeglicher Beobachtung orgelt er auf verschwiegenen Radwegen dahin und schwitzt sich die Seele aus dem Leib. Wenn die Krücke bloß mal anspringen wollte.

Die Zweiradtechnik ist dem potenziellen Light-Rocker relativ bekannt, die Theorie des Verbrennungsmotors auch. Die Praxis hingegen birgt noch einige Geheimnisse. So wurde im Physikunterricht z.B. nie erwähnt, dass ein leerer Tank nach ein paar Jahren rostet, und dieser Rost den Vergaser zusetzt. Ebenso wurde die Möglichkeit einer von Ölplocken verquasten Zünkerze völlig verschwiegen. Und was, zum Teufel, mag unter der verchromten Käseglocke stecken, die an Steuerbord rotiert?

Wenn man mit unzureichendem Werkzeug und ohne Ahnung vor sich hin bastelt, sinkt die Freizeit in dem Maße, in dem der Frust steigt. So vergehen also diverse Nachmittage mit fruchtlosen, aber dessen ungeachtet hartnäckigen Schrauberversuchen.

Dann irgendwann musste der Krad-Novize das richtige Teil erwischt haben. Plötzlich und schon gar nicht mehr erwartet setzte tatsächlich Vortrieb ein. Innerhalb von Sekunden mutierte der Radfahrer zum Kraftfahrer. Beethovens Freudensymphonie übertönte das asthmatische Husten des Zweitakters. Die Glasscherben auf dem Radweg erschienen als funkelnde Sterne vor Augen. Die Beschleunigung presste das verzückte Hirn in die Schale. (Von Helmpflicht war noch nicht die Rede) Euphorie, Jubel! Nach einer halben Minute sehen wir den frischgebackenen Jungrocker wieder auf dem Boden der Tatsachen beim Aufschrauben des mal wieder mit Rost verstopften Benzinfilters.

Ein Jahr später waren diese Querelen vergessen; der Rost war fortgespült, man konnte sich voll auf neuen Ärger konzentrieren. Diesmal sollten es die Kalkmützen sein, die den Spaß versauten.

Den zweiten Mann auf dem Gepäckträger hatte ich schon dutzendmal durch die Gegend gegurkt, aber dann hatte ich einen Sheriff im Nacken, der bis zwei zählen konnte. Und das war einer zuviel. Zerknirscht wurde die Betriebserlaubnis und der Versicherungswisch ausgehändigt. Soll er sich nicht so wichtig machen. „Aha!” sprach jener. Kam da ein Frohlocken auf das Antlitz des Ordnungshüters? „Ja, wo haben wir sie denn, die Fahrerlaubnis?” Was ist los? „Brauch’ ich nicht, ist ‘ne Mofa.” Irrtum. In der ABE gibt der Hersteller 40km/h an, somit war Führerschein Fünf angesagt. Wer befasst sich schon mit Papiermüll! „Führerschein ham wa nicht.” Sprach’s und schob das Teil nach Hause.

Nach den technischen sammelte ich nun behördliche Erfahrungen. Auch Vater war sprachlos. Groß rum-meckern konnte er nicht, weil er’s selbst nicht besser wusste. Nun hatte er seine Fahrerlaubnis zu Adolfs Zeiten erlangt. Damals war man wohl mehr mit Zwischengas und Vorglühen als mit Paragraphen beschäftigt. Also richterliche Belehrung für beide, voll peinlich!

Steigen wir wieder in den Time-Tunnel und besuchen den November 1998. Zwei weitere Jahre hat die Moby seit dem vorerst letzten Umzug vor sich hin gegammelt. Der Zustand ist elend. Rissige Reifen, der Antriebsriemen brüchig wie Schiffszwieback, alle Chromteile vom Rost angeknuspert. Auch den Rahmen hat die braune Pest nicht verschmäht. Hat die Moby das verdient? Kann ich nicht wenigstens meinem Moped treu bleiben, wenn es schon bei Wohnungen, Frauen und Biermarken nicht gelingt?

Bereits länger ging ich mit dem Beschluss schwanger, neues Leben in das Wrack zu hauchen. Popelige Fahrradmechanik, wäre ja wohl gelacht. Sandstrahlen wäre ideal. Aber wer gibt sich mit solchem Kleinkram ab, und in welchem Zustand bekomme ich mein ohnehin dünnes Material zurück?

Der Keller im Hause ist geräumig, dient aber in erster Linie der Vorratshaltung. Um nicht zu viel Dreck zu verbreiten, baute ich aus Holzleisten und Kunststoffplanen ein Zelt, in dem die Sauerei der Schleifarbeiten stattfand. Als Ausrüstung kann ich Schutzbrille, Mundschutz und Ohrenstöpsel empfehlen. Handschuhe sowieso. Als weniger empfehlenswert entpuppte sich die Anschaffung eines Deltaschleifers. Mit dem Ding ließ sich nicht viel anfangen. Die Hauptarbeit erledigten sogenannte Negerkekse und rotierende Drahtbürsten auf biegsamer Welle. Sämtliche Vorlackierungen, die ich als Halbstarker aufgekleistert hatte, sowie alle Rostkrümel ließen sich vom Metall abzwirbeln und bewölkten den improvisierten Tipi. Für die Feinarbeiten gibt’s bei Conrad Mini-Bohrmaschinen, die winzige Schleifeinsätze aufnehmen können. Damit erreicht man alle Winkel. Der Rest ist viel Zeit und noch mehr Rostlöser. Grundierung und schwarzer Lack kam aus der Sprühpulle.

Den Keilriemen konnte ich bei einer Firma auftun, die in Sachen Antriebstechnik eher auf Förderbänder spezialisiert ist. Griffe, Pedale, Spiegel usw. gibt’s beim Fahrraddealer. Nur die Reifen sollten zum Problem werden. Motobecane ist nun mal französisch und man kann es der Firma nicht übelnehmen, dass dort folglich französische Reifen und Felgen verbaut wurden. Es gibt auch Vergleichstabellen, um französische Maße deutschen Millimetern und irgendwelchen Zollangaben zuzuordnen. Aber für alles gibt es Grenzen. Die Reifendimension 600x50B entspricht etwa 24×2 – aber eben doch nicht so ganz, ist also jenseits dieser Grenze. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zwei Wochen lang habe ich Fahrradhändler, Reifenhersteller und Oldtimerclubs ausgehorcht. Null Ergebnis. Die Fa. Motobecane ist in der Versenkung verschwunden, keine Lösung in Sicht. Es blieb nur bei den gutgemeinten Tipps: Umspeichen auf eine andere Felgengröße, oder verschmeissen, den Plunder. Das hatte ich irgendwo schon mal gehört.

Dann folgten Tage, in denen ich mit meiner Felge in der Hand umherirrte, immer in der Hoffnung, ein Fachmann könnte sich dieser Tat annehmen. Aber die sogenannten Fachhändler verhökern lieber Neuma- terial. Mit Serviceleistungen lässt sich kein Blumenpott gewinnen; vielleicht liegt’s auch am Markt. Zählen doch die Mofatreiber meist zu jener Klientel, der man aufgrund übler Leberwerte keinen echten Lappen aushändigen mag, und die daher mit rotgeädertem Erdbeerzinken unterm rissigen Jethelm sowie Gummimatten auf den arthritischen Knien Wind und Wetter trotzen und außer einem Fünfer für das Gemisch keine Extramark springen lassen. Als Retter in der Not erwies sich Fahrrad-Reschke an der Vahrenwalder Straße. Dort machte man sich die Mühe, eine Felge und Speichen in unterschiedlicher Länge dazu mit ausgefallenem Durchmesser aufzutreiben und das Ganze obendrein zusammenzubauen. Das Antriebsritzel und die Rücktrittnabe stecken jetzt in einer etwas größeren Felge, können sich dafür aber verstärkter Speichen erfreuen.

Das Vorderrad stammt mit Ausnahme des Straßenreifens vom Mountainbike. Die Klötze der Felgenbremse erwarteten allerdings die Felge an einer anderen Stelle. Auch das vordere Schutzblech zeigte sich störrisch und musste durch gezielte Metallbearbeitung erst überzeugt werden.

Bleibt noch zu erwähnen, dass sich endlich ein Werkzeug zum Entfernen der Chromglocke in der Werkzeugkiste fand. Darunter verborgen fristet der Unterbrecher sein Dasein, gleich daneben der Zünkondensator. Letzterer erwies sich als absolut lustlos – sprich kapazitätsarm. Mit der Bohrmaschine habe ich die taube Nuss aus dem Metallgehäuse gezwirbelt und darein einen neuen Kosacken geklebt. Die Schwindsucht im Kondensator erklärt auch die dramatischen Tretorgien beim Starten.

Kurioserweise ist die Rechnung von 1961 erhalten geblieben. Die Betriebserlaubnis hingegen ist den ewigen Umzügen zum Opfer gefallen, kurzum verschollen. Gegen Vorlage einer Unbedenklichkeitsbescheinigung (Zulassungsstelle – 20 Öcken) und weiteren 117 Deutschmark durfte ich dann einem zweistündigen Schauspiel beim TÜV beiwohnen. Der Herr „Inschinör” ist vom Fach und mäkelte auch nicht lange rum. Etwas Ruckeln am Lenkkopf, kritische Blicke, Probefahrt – einverstanden. Unterlagen über dieses Modell gibt auch sein Archiv nicht her, dafür konnte er am Gerät eine Vergasernummer entdecken. Diese wurde gewissenhaft notiert. Ich bin noch heute beeindruckt.

Das eigentliche Trauerspiel fand dann im Büro statt, wo sein Kumpel aus der Verwaltung einen schwarzen Tag auslebte. „Betriebserlaubnis” kommt wohl in seinem Formblattrepertoire nicht oft vor. Demzufolge musste der Drucker in mehreren Anläufen gequält werden, bis endlich die Zahlen in jenen Kästchen erschienen, die dafür vorgesehen sind. Dauerte kaum ein 3/4 Stündchen. Als Hit bezifferte er die Höchstgeschwindigkeit mit 25km/h und das Gewicht mit 40 kg. Vielleicht hatte er die Werte vertauscht. Mein Protest verhallte ungehört, ich durfte nochmal zum „Inschinör”, schließlich macht der die Vorgaben. Nach den schmerzlichen Erfahrungen vor 26 Jahren bestand ich selbstverständlich auf den Eintrag von 40 km/h. Das geht in Ordnung, meinte er, bloß am Gewicht lässt sich nichts verhandeln. Die Waage ist nicht nur getüvt, sie ist auch geeicht; zumindest im Tonnen-Bereich. Meine Badezimmerwaage ist nicht geeicht, zeigt aber glaubwürdigere 34 kg an. Was soll’s, mit einer amtlichen Waage ist nicht zu diskutieren und soll man denn so kleinlich sein? Immerhin bekam ich Satisfaction, weil der Bürokumpel nochmal drucken musste, bezahlte dafür allerdings bitter mit weiteren 20 Minuten Wartezeit.

Epilog: Wartezeit ist überhaupt das Stichwort. Begibt man sich mit einem lächerlichen Kilowatt auf Reisen, sollte man ein wenig Geduld mitbringen. Die 40 km/h werden zwar erreicht, aber nur wenn die Piste topfeben ist und keine Brise anliegt. Sobald das Barometer zuckt, gurkt man in den 30ern rum. Kommt dann noch ein Hügel dazu, erkennt man, dass die Pedalen nicht nur zum Starten gut sind.

Reifen, Felgen, Gebühren und anderer Krimskrams steigerten den Finanzbedarf dieser Reanimation auf das Doppelte des 61er Einstandspreises. Der Zeitbedarf um- fasste die Wintermonate 1998 auf 1999. Obwohl keine High-Tech-Features verbaut wurden, kam ich doch erschreckend schnell an meine Grenzen als Heimwerker. Allein beim Richten der verbogenen Tretkurbeln habe ich den halben Keller demoliert. Auch das Innenleben einer simplen Rücktrittnabe kann durch eine enorme Zahl an Scheiben und Kugeln verblüffen. Wer also seine Fähigkeiten als Schrauber rühmt, sollte mal seine Talente an einem schlichten Moped unter Beweis stellen.

Sobald ich jetzt auf mein Zweitmoped mit der 72-fachen kW-Zahl krabbel, beschleicht mich der Gedanke, dass bei dem Hocker in vier Jahrzehnten eine Generalüberholung geringfügig komplexer wäre. Aber das soll dann wohl nicht mein Problem sein, auch die Nachwelt soll was zum Basteln vorfinden.