aus Kradblatt 10/21, von Konstantin Winkler
Der Zweitaktboxer
Heutzutage haben uns die Euro-Normen im Griff. Man bewegt ressourcenschonende Vehikel. Vernunft über alles und Langeweile statt Spaß bestimmen oft die individuelle Mobilität. Aus dem grauen Alltag auszubrechen ist aber auch heute kein Problem. Wie wäre es mit einem sowohl seltenen als auch originellen Zweizylinder-Zweitakter aus einem Land, das es nicht mehr gibt?
Im Jahre 1950 begann in der DDR die Motorradproduktion. Unter dem neu gegründeten Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) wurde im sächsischen Zschopau zuerst die Vorkriegs-DKW RT 125 leicht modifiziert weitergebaut. Nachdem sich die Lage der Rohstoffknappheit entspannte, erschien 1952 die erste Neukonstruktion im ehemaligen DKW-Werk, die BK 350 (BK = Boxer-Kardan und 350 für den Hubraum). Schon vor dem 2. Weltkrieg arbeitete man an einem 250 ccm großen Zweitaktboxer, der nun als 350er produziert wurde.
Abzüglich neuzeitlicher technischer Innovationen ist eine BK im Kern ihres Seins einem neuen Motorrad doch recht ähnlich. Hinter dem Boxermotor sitzt das Vierganggetriebe, welches die 15 bzw. 17 PS (je nach Baujahr) via freiliegender Kardanwelle nach hinten durchgereicht.
Der luftgekühlte Motor hat zwei Vergaser, die gekapselt über dem Kurbelgehäuse liegen und vor dem Kaltstart ordentlich geflutet werden müssen. Einen Choke gibt es nicht. Meist nach dem ersten Kick knistert und knattert es, untermalt vom bläulichen Benzin-Öl-Gemisch-Nebel (Mischungsverhältnis fette 1:25!)
Nun heißt es Platz nehmen auf dem gut gefederten und sogar einstellbaren Fahrersattel in nur 74 cm Höhe und sich dem Verbrennungstakt des Motors unterwerfen.
Die Einscheiben-Trockenkupplung arbeitet einwandfrei und das Getriebe wünscht gefühlvoll geschaltet zu werden, sofern man keine akustische Rückmeldung wünscht.
Die bekommt man vom langhubigen Motor (Bohrung x Hub 58 x 65 mm). Ein herrlich dumpfer Sound entweicht aus den beiden Fischschwanz-Auspufftöpfen bei maximal 5.000 Umdrehungen pro Minute.
Einzige Kritik am Motor sind der recht hohe Verbrauch und dass er noch nicht völlig ausgereift war. Der Füllungsgrad des linken Zylinders – hervorgerufen durch die Strömungsverhältnisse im Kurbelgehäuse – bereitete immer wieder Probleme beim Einstellen der Vergaser.
115 km/h Höchstgeschwindigkeit sind mit dem nur 142 Kilogramm schweren Motorrad möglich. Geschwungen und massiv metallisch: Schutzbleche im Wortsinn! Zusammen mit dem 17 Liter fassenden Tank wirkt die BK so viel schwerer und wuchtiger, als sie es in Wirklichkeit ist.
Der Federungskomfort ist vorne, dank Telegabel mit 130 mm Federweg, gut und hinten bescheiden. Die Geradewegfederung erlaubt nur 50 mm Federweg.
Auch mit Beiwagen macht die 350er eine gute Figur. Das stabile Fahrgestell und der robuste Motor sorgten für problemlosen Gespannbetrieb. Das betrifft auch die Bremsen. Zwei Vollnaben-Trommelbremsen sorgen für ordentliche Verzögerungswerte.
Die Käufer konnten sogar zwischen drei Farben wählen: Neben Schwarz war sie auch in Maron und Türkisgrün zu bekommen.
Von 1952 bis 1958 entstanden 42.983 Exemplare dieser einzigen Zweizylinder-Konstruktion der DDR. Zwei Gründe gab es, dass das Konzept wieder fallengelassen wurde: Zum einen war die Herstellung der BK teurer als die der bereits parallel gebauten Einzylinder-Zweitakter der IFA MZ ES-Baureihe und zum anderen war der sozialistische Staat der Meinung, dass die Produktion von nur einem „großen“ Motorradmodell für ein Land ausreiche.
Nicht nur hegen und pflegen: Der wahre Genuss entsteht beim Fahren. Deshalb sieht man meine MZ BK 350 auch heute noch regelmäßig auf der Straße. Im Westen unserer Republik war sie immer ein Exot, im Osten eines der gefragtesten Modelle aus DDR-Produktion. Überlebt haben offenbar nicht besonders viele, die Preise für den Zweitaktboxer haben mittlerweile angezogen.
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Kommentare
2 Kommentare zu “IFA / MZ BK 350 – DDR Zweitaktboxer”
Da irrt der Autor , die BK hat einen Choke !
Dazu zieht man einfach ein Blechstück vor beide Vergaser ansaugtrichter und fettet somit das Gemisch an
Ich fahre meine BK seit 7000 km
LG Eckhard
Richtig, ich hab mein erst ab 1958 ca 10 Jahre lang sogar im Trailsport gefahren.Besonders im Winter sollte man vor dem Start die beiden Metallstangen in der Vergaserabdeckung neben den Tupfern ( pro Vergaser eine)hochziehen , um mehr Benzin in den Ansaugkanal zu fördern , wenn der Motor startet sinken sie von allein wieder ab ( wenn alles funktioniert) um dem Motor Luft zuzuführen . Gruß, Uwe