aus bma 8/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Honda CrossrunnerDie Behauptung, dass ich SUV nicht mögen würde, wäre mittelschwer untertrieben. Ich hasse diese Dinger! Sie wissen schon: „Sport Utility Vehicle“, diese überfettete und unförmige Mischung aus Geländewagen und Limousine, die Pest der Großstädte, die ständig im Weg steht und nichts richtig kann, dafür aber gern von überforderten Karriereweibchen oder alimentierten Be­rufs­müttern genutzt wird, um die Hannah-Marie, den Lukas-Alexander oder den Finn-Torben zur Kita zu bringen. „Zur Kita“, nicht etwa in den Kindergarten – man ist ja unglaublich hip und megamäßig zeitgeistig.

Mir geht dieser ganze Crossover-Hype, den diese ach so jungen, schönen und erfolgreichen Typen veranstalten, unglaublich auf den Senkel. Man erholt sich nach der Arbeit nicht, moderne Menschen „chillen“. Man schreibt sich nicht, das heißt „chatten“. Ich bin eigentlich nur gottfroh, in einem Umfeld zu arbeiten, das von dieser Seuche noch nicht wirklich erfasst wurde. Die Motorrad-Szene wird glücklicherweise von alten, dicken Männern mit wenig Haaren dominiert – und ich bin einer von ihnen.

Doch die Zeitgeist-Gefahr kommt näher und lauert mittlerweile auch unserer Branche auf. Und sie hat einen Namen: Honda Crossrunner. DER Crossrunner, nicht etwas DIE Crossrunner, wie man es bei Motorradnamen erwarten würde. Eine feine Unterscheidung der Honda-Marketingprofis, die sich auch sonst alle Mühe geben, ein eher unspektakuläres Motorrad, das man mit etwas bösem Willen auch den Kategorien „Resteverwertung“ oder „Baukasten-Bastelei“ zuordnen könnte, mit einer unglaublichen Bedeutungsschwere zu versehen. Dazu die einleitenden Worte der entsprechenden Presse-Information: „Der neue Crossrunner vereint die Eigenschaften von zwei unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten. Kombiniert werden praktische Vielseitigkeit und aufregende Dynamik eines Performance-Naked-Bikes mit bequem aufrechter Sitzposition und robustem Auftritt eines Adventure-Bikes.“ Der „Fahrspaß“ stand bei der Entwicklung laut Honda im Vordergrund, und „Performance“ war ebenfalls wichtig. Oha – das überrascht, wurden Motorräder doch bislang vornehmlich in Richtung Platzbedarf oder Abriebfestigkeit entwickelt. Fahrspaß und Leistung spielten eigentlich noch nie eine Rolle, oder?

Honda CrossrunnerVor lauter Marketing-Gewäsch kamen die Honda-Verantwortlichen dann aber wohl etwas durcheinander; denn wer den Crossrunner im Honda-Internetauftritt sucht, wird vermutlich nicht auf Anhieb fündig. In den Kategorien „Naked/Allrounder“ oder auch „Tourer/Sporttourer“ sucht man jedenfalls vergeblich. Der Crossrunner versteckt sich unter „Enduro“. Genauso gut hätten auch „Gartengeräte“ oder „Außenborder“ gepasst.

Geschenkt, der Crossrunner ist definitiv keine Enduro, aber was ist er dann? Zuerst einmal eine gestrippte VFR. Als Basis dient also jener mit dem famosen 800er V4-Motor bestückte und nahezu unkaputtbare Sporttourer, der sich über viele Jahre eine treue Fangemeinde erarbeitet hat, der aber mittlerweile im Honda-Programm unter „ferner liefen“ geführt wird – sogar der Cruiser VT 750 verkauft sich besser. Von besagter VFR stammen beim Crossrunner alle lebenswichtigen Baugruppen, also die gesamte Antriebseinheit und auch fast das komplette Chassis. Bei den Federwegen legte der Crossrunner allerdings zu: Die nicht einstellbare Telegabel bringt es auf 165 mm Arbeitsweg (VFR: 108 mm); das mit einem neuen Hebelsystem bestückte Zentralfederbein lässt sich in Federbasis sowie Zugstufendämpfung variieren und bietet 145 mm (VFR: 120 mm). Das klingt komfortabel, und genau diesen Eindruck vermittelt auch die erste Sitzprobe. Oberhalb der Gürtellinie ist beim Crossrunner nämlich alles neu. Ob die im Honda-Designcenter in Rom erdachte Verpackung das Auge verwöhnt, ist reine Geschmackssache. Über die Verwöhn-Qualität der breiten und auch für Dauerhocker perfekt gepolsterten Sitzbank gibt es keine zwei Meinungen: Das mit moderaten 810 mm Sitzhöhe daher kommende Teil gefällt Fahrer und Sozius gleichermaßen gut. Damit die Sitzbank und Soziusrasten möglichst niedrig montiert werden konnten und gleichzeitig Platz für Koffer blieb, mussten die VFR-Underseat-Auspufftöpfe auf der Strecke bleiben. Ihren Job erledigt nun eine Vier-in-zwei-in-eins Anlage, die ziemlich tief rechts unten den grollenden und etwas rauen V4-Sound entlässt. Diese Platzierung versaut zwar den Blick auf das schicke, einseitig schwingenlose Hinterrad, aber immerhin lässt sich der Schalldämpfer zur Raddemontage abklappen.

Honda CrossrunnerBevor es losgeht, bleibt noch etwas Zeit, den Arbeitsplatz etwas genauer zu betrachten. Und dabei wähnt sich der Crossrunner-Neuling im falschen Film: „Oh mein Gott – ich habe versehentlich einen Großroller bestiegen. Schande über mich!“ Gemach, was da so sehr nach Scooter aussieht, ist nur die unglaublich hässliche Plastik-Verschalung des hohen, aber nicht übermäßig breiten Lenkers. Das ebenfalls sehr weit oben und hinterm Windschild montierte digitale Mäusekino verstärkt den Taiwanroller-Eindruck noch. Das spiegelnde Kombi-Instrument kennen wir zwar schon von der Hornet und der CBR 600 F, was die Sache aber nicht besser macht. Ärgerlich: Der kontrastarme Balkensegment-Drehzahlmesser ist bei hellem Tageslicht praktisch nicht abzulesen. Verstellbare Handhebel, die breiten Spiegelausleger, der sehr hell und breit ausleuchtende Scheinwerfer und die stabilen, goldrichtig geformten Sozius-Haltegriffe sind da deutlich praxisgerechter. Über die Praxistauglichkeit der von der VFR übernommenen Fahrerfußrasten wird es vermutlich sehr unterschiedliche Meinungen geben. Was auf der VFR dank sportlich-vornübergebeugter Grundhaltung nahezu jedem passt, ist auf dem Crossrunner eine etwas krude Kombination: Die untere Körperhälfte ist sportlich versammelt mit entsprechend engem Kniewinkel untergebracht; der Oberkörper thront dafür sehr aufrecht und tourenmäßig. Das mag für Menschen deutlich unter 1,80 m ganz gut passen, richtig lange Kerls könnten damit auf Dauer aber Probleme haben, weil sie ihre Gräten heftig anwinkeln müssen.

Honda Crossrunner CockpitKeinerlei Probleme beschert einem der wunderbare Vierzylinder-90-Grad-V-Mo­tor. Der ziemlich kurzhubige 800er bringt es in der VFR auf moderate 109 PS bei 10500/min und maximal 80 Nm bei 8750/min. Im Crossrunner bleiben davon 102 PS bei 10000/min und 74 Nm bei 9250/min übrig. Wesentliches Merkmal des Viererpacks ist die variable VTEC-Ventilsteuerung. Ein bei Honda seit vielen Jahren bewährtes System, dass die Vorteile von Zwei- und Vierventiler vereint. Konkret: Bis etwa 7000/min läuft der Motor als Zweiventiler, das heißt, der relativ geringe Einlassquerschnitt sorgt für hohe Strömungsgeschwindigkeit, der Ansaugdruck, bei unteren und mittleren Drehzahlen, fällt entsprechend groß aus, was ungemein gut fürs Drehmoment ist. Oberhalb besagter Drehzahl werden mittels Öldruck und über Sperrklinken die restlichen Ventile zugeschaltet. Der gewünschte Effekt: zwei kleinere Einlassventile bieten zusammen mehr Einlassfläche als ein großes, der bessere Füllungsgrad ermöglicht eine höhere Spitzenleistung, der Motor bekommt praktisch die zweite Luft und zündet den „Nachbrenner“. Kleiner, manchen aber störender Nachteil des VTEC-Systems: Der Übergang vom Zwei- zum Vierventilbetrieb geschieht recht abrupt. Zumindest war und ist das bei der VFR der Fall. Wer die besagten 7000/min schnell überspringt und sich nicht längere Zeit knapp über oder unterhalb besagter Drehzahl aufhält, wird zwar kaum Probleme haben. Wer allerdings die Drehzahlleiter ausgerechnet in diesem Bereich ständig auf- und abklettert, kann durch die harten Übergänge ziemlich genervt werden. Besagte Übergänge konnten die Honda-Techniker beim Crossrunner-Motor deutlich glätten.

Honda CrossrunnerNeben der VTEC-Abstimmung widmeten sich die Weißkittel auch der elektronischen Benzineinspritzung und dem Zündungsmapping. Im Vergleich zur VFR arbeit der V4 nun deutlich harmonischer, der Wechsel vom Zwei- zum Vierventilbetrieb erfolgt nun schon bei rund 6500/min und viel sanfter als bisher. Beim bewusst langsamen Gasaufziehen fühlt sich die Sache wie ein leichtes Verschlucken des Motors an; wer normal bis zügig am Quirl dreht, wird kaum etwas spüren. Außer natürlich den zusätzlichen Druck, aber um eben den geht es ja auch schließlich. Der Crossrunner kann aber auch deutlich unterhalb besagter Umschalt-Drehzahl sehr ordentlich aus dem Quark kommen. Direkt, aber nicht zu hart reagiert er schon ab 2000/min auf Befehle der Gashand, um dann herrlich gleichmäßig durchzuziehen. Einzig die ellenlange Übersetzung verhindert bessere Durchzugswerte.

Wer die mit 21,5 Litern vollgetankt immerhin 239 kg schwere Fuhre plus Besatzung richtig in Wallung bringen möchte, muss schon etwas öfter im Honda-typisch perfekt zu schaltenden Sechsganggetriebe steppen. Schalten ist auch dann angesagt, wenn absolute Höchstgeschwindigkeit gefragt ist. Im fünften und sechsten Gang ist elektronisch geregelt nämlich bereits bei 200 km/h Feierabend. Nur im vierten Gang dreht der V4 sehr munter bis zur Begrenzerdrehzahl von 11900/min, was dann über 210 km/h entspricht. Natürlich hängt das Crossrunner-Glück nicht unbedingt davon ab, ob das Gerät auch noch deutlich über 200 km/h unterwegs sein kann, aber etwas unverständlich ist es schon, warum bei einem Tempo Schluss sein soll, dass mittlerweile die meisten 600er locker überschreiten. Höheres Autobahntempo ist durchaus ein Ding für den Crossrunner. Die Plastikverschalung schützt die mit sattem Knieschluss eng anliegen Beine vor heranstürmenden Luftmassen. Der nicht übermäßig hoch gezogene Windschild entlastet zumindest den Oberkörper wirksam. Schulter und Kopf bleiben dem Fahrtwind zwar weitgehend ausgesetzt, aber dafür gibt’s wenigstens keine fiesen Verwirbelungen.

Die Vmax-Begrenzung ist umso unverständlicher, weil sich das Crossrunner-Fahrwerk keinerlei Schwächen erlaubt. Trotz angenehm komfortabler Grundabstimmung wackelt nichts, kein Pendeln, kein Rühren – einfach nichts, der Crossrunner bügelt sauber über kleine wie große Unebenheiten und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Die Federwege sind lang genug, um auch übelsten Buckelpisten den Schrecken zu nehmen. Und sie sind trotzdem kurz genug, um enduromäßige Schaukeleien zu verhindern. Auch die Handlichkeit des Crossrunners überrascht: Das Moppelchen lässt sich leicht von einer Schräglage in die andere werfen, lenkt sehr präzise ein und bleibt stets absolut neutral. Die Pirelli Scorpion Trail verbeißen sich auch bei heftigen Schräglagen sauber in den Asphalt, die Sache bleibt stets wunderbar berechenbar und frei von jeder Kippeligkeit. Die VFR-Basis und die damit recht hoch montierten Fahrerfußrasten sind in solchen Situationen von Vorteil; denn zusammen mit der leicht erhöhten Bodenfreiheit ist schräglagenmäßig erst dann die Grenze erreicht, wenn es längst zu spät ist: in der Waagerechten.

Honda Crossrunner in VollausstattungDoch vor den unwürdigen Sturzflug haben die Crossrunner-Macher sehr ordentliche Bremsen gesetzt. Fein dosierbar und mit kräftigem Biss nehmen die Dreikolbensättel der Kombibremse die 296-mm-Scheiben in die Zange. „Combined ABS“ ist serienmäßig an Bord, der Blockierverhinderer regelt eher defensiv. Kombibremse bedeutet in diesem Fall, dass beim Betätigen des Pedals auch vorn etwas mitgebremst wird. Wer nur am Handbremshebel zieht, betätigt auch ausschließlich die vorderen Stopper.

Vom Serien-ABS abgesehen fällt die Crossrunner-Ausstattung etwas mager aus. Den Hauptständer lässt sich Honda mit 279 Euro extra bezahlen, und auch die Gepäckbrücke kostet 248 Euro Aufpreis. Dass Koffer gesondert berechnet werden, überrascht nicht wirklich, doch mit 899 Euro für zwei Kunststoffkisten rufen die Japaner einen ziemlich heftigen Preis auf. Wohlgemerkt: Besagte Gepäckbrücke und die Kofferträger (159 Euro) kommen noch dazu. Der Crossrunner-Grundpreis beträgt faire 10790 Euro und liegt damit satte 2500 Euro unterm VFR-Einstiegstarif. Das in Rot, Schwarz und Weiß lieferbare Motorrad ist ein Kompromiss – ein gelungener, denn ernsthafte Schwächen erlaubt sich der ordentlich verarbeitete Crossrunner nicht. Von der Bein-Thematik abgesehen ist man auf der gestrippten VFR bequem untergebracht, der Motor hat Faszinations-Potenzial, Fahrwerk und Bremsen machen einen guten Job.

Und trotzdem fällt es mir schwer, mich mit dem Crossrunner-Crossover-Konzept anzufreunden. Vielleicht ist es aber auch nur die Angst davor, dass eine ganz bestimmte Art von Typen dieses Designerstück als Spielzeug entdeckt.

Doch meine Sorge ist vermutlich unbegründet; denn das Thema Motorrad ist bei den jungen, hübschen und erfolgreichen Zeitgeist-Spackos glücklicherweise überhaupt nicht angesagt. So bleiben wohl wieder nur die dicken, alten Männer mit wenig Haaren als Kunden übrig. Glauben Sie nicht? Fragen Sie mal einen BMW-Verkäufer, wer den mittlerweile und völlig zu Recht vom Markt verschwundenen Scarver gekauft hat…

 

Da möchte ich den Herrn Kollegen Herder kurz an den Februar 2002 erinnern (hier nachzulesen). Damals hast du den Scarver – obwohl bzw. gerade weil du ihn nicht mochtest, viel Glück gewünscht. Und ICH habe einen Scarver aufgrund deines Artikels gekauft – war ein tolles, leider missverstandenes Motorrad!

Mittlerweile werden aber auch meine Haare grau, wobei ich den Bauch noch unter Kontrolle habe. Hoffen wir also lieber darauf, dass der/die Crossrunner den Brückenschlag schafft und jüngeres Blut in die Szene spült. Letztendlich geht’s doch nur um den Fahrspaß…

Marcus Lacroix