aus bma 02/02, von Klaus Herder
Fotos Nachtrag aus Archiv Marcus Lacroix, gebrauchte Scarver 2008

BMW F 650 Scarver - rechte Seite Ich will nicht lange drum herum reden: Ich mag dieses Motorrad nicht. Ich mag auch keine Pickelgesichter mit lustigen Wollmützen und weiten Hosen, deren Hintern auf Kniehöhe hängt. Hiphop und ähnliches Zeug ödet mich an. Und dass aus jedem Mist, bei dem mehr als zwei penetrant gutgelaunte Zeitgeistler anwesend sind, gleich ein „Event” gemacht wird, finde ich ebenfalls ziemlich dämlich.

Vielleicht hängt meine Abneigung damit zusammen, dass ich ein alter Sack, ein zynisches Arschloch und ein ewiggestriger Besserwisser bin. Eben ein stinknormaler Motorradfahrer, der ganz hart auf die 40 zusteuert und dem sogenannte Trendsportarten am Arsch vorbeigehen. Damit bin ich guter Motorradfahrer-Durchschnitt. Und damit sind wir beim Problem: Von Kunden wie mir kann kein Motorradhersteller auf Dauer leben, denn ich kaufe praktisch nie eine Neumaschine, nur äußerst selten Sturzteile und lasse mich eigentlich nur anlässlich von Rückrufaktionen in irgendeiner Werkstatt blicken. Wer also auch noch in 20 Jahren Motorräder verkaufen und seine Vertragshändler beschäftigen möchte, darf sich heute nicht nur um Kunden wie mich kümmern, sondern muss verstärkt den Nachwuchs gewinnen.

Das ist nun wahrlich keine übermäßig neue Erkenntnis, doch danach handeln tut bislang kaum ein Motorradhersteller. Die japanischen und italienischen Anbieter gehen offen- sichtlich davon aus, dass sich Unter-25-Jährige – wenn überhaupt – nur für Roller interessieren und bedienen bei den Motorrädern ausschließlich den Mainstream-Geschmack der Ü30-Generation. Harley und Triumph treiben das Retro-Design auf die Spitze und freuen sich einen Ast, wenn Alt-Biker wie ich die XL 883 R oder die Bonneville richtig klasse finden.

BMW F 650 Scarver - Front Da wirkt es fast schon wie Hohn, dass sich ausgerechnet BMW und damit der Erfinder von Klapphelm, Systemkoffer und Heizgriff als einziger Anbieter ernsthaft dem Thema Nachwuchsförderung widmet. Die cleveren Bayern vermuteten wohl völlig zu Recht, dass die anvisierte Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen dem Motorradfahren an sich ziemlich gleichgültig gegenüber steht. Die klassische Sozialisation findet schon seit über 15 Jahren kaum noch statt. Mit Heldengeschichten von Windgesichtern und Eisenärschen lässt sich heutzutage kein Twen hinterm Ofen hervorlocken. Damit der Nachwuchs den Hintern hoch und am besten aufs Motorrad bekommt, muss eine Sache hip sein und sollte möglichst nicht urdeutsch „Motorradfahren” oder peinlichdeutsch „Biken” heißen. Und so erfanden die BMW-Marketingprofis das „Scarving”, eine brillante Wortschöpfung aus Street (Straße) und Carving (die moderne Kantenfahr-Kurventechnik bei der Skiabfahrt). Das klingt nach Trendsportart und macht neugierig. Wer es nicht ausprobiert, könnte etwas verpassen. Also rauf auf das passende Gerät, den „Scarver”.

Mit gerade mal 78 Zentimetern Sitzhöhe passt der Scarver Menschen ab 165 Zentimetern Gesamtlänge. Kürzere Ein- und Aufsteiger bekommen wahlweise und aufpreisfrei einen Arbeitsplatz mit 75 Zentimetern Sitzhöhe. Einen Choke braucht und hat der Scarver nicht. Der flüssigkeitsgekühlte Einzylinder wird über eine Einspritzanlage befeuert und die wird wiederum von einem elektronischen Motormanagement gesteuert. Zündung an, ein kurzer Druck aufs Knöpfchen – der 652-Kubik-Eintopf läuft sofort rund und nimmt sauber Gas an. Der 50 PS starke, vom österreichischen Zulieferer Rotax stammende Einzylinder ist ein guter Bekannter und verrichtet bereits seit Anfang 2000 im Schwestermodell F 650 GS zuverlässig seinen Dienst. Mit zwei obenliegenden Nockenwellen, vier Ventilen, und einem geregelten Katalysator ist der Kurzhuber (Bohrung/Hub: 100/83 mm) so ziemlich das modernste, was momentan an Eintopfgerichten angeboten wird. Für die F 650 CS bekam der Motor eine neue Airbox und eine neue, komplett aus poliertem Edelstahl gefertigte Auspuffanlage spendiert. Das war eine weise Entscheidung, denn so kernig wie die F 650 CS klang noch keine F 650.
Während der Motor dezent im Leerlauf bollert, hat sich der Scarver auf dem Scarver sehr schnell häuslich eingerichtet. An den Handhebeln kann nichts verstellt werden, die Spiegel bieten auch bei Grobeinstellung ordentliche Rücksicht, und an die berühmt-berüchtigten Zwei-Schalter-Blinker muss sich beim Scarver niemand gewöhnen, denn hier wird konventionell und BMW-untypisch zentral über nur einen Schalter geblinkt.

BMW F 650 Scarver - linke SeiteEine guten Knieschluss gibt’s auch. Allerdings nicht am Tank, sondern am „StuffBay”. Wo andere Maschine das Spritfass haben, trägt der Scarver ein Gepäckfach, eine Mulde mit Wasserablauf, in der serienmäßig eine kleine Tasche – falsch – ein „Softbag” steckt. Wer lieber eine Tasche im Tankrucksack-Format haben möchte, bekommt für 68 Euro den „Frontbag”. Als 159 Euro teures Plastik-Köfferchen heißt die Sache „Hardcase” und mit wasserdichten Lautsprechern samt Verstärker wird daraus ein 349 Euro teures „Audio System”. Um die Musikquelle (CD-Spieler, Walkman etc.) darf sich der Fahrer gesondert kümmern. Mit einer 79 Euro teuren, abschließbaren „Helmspinne” lassen sich steife Mützen und andere sperrige Gegenstände sichern.

Nun mag diese ganze StuffBay-Geschichte auf gestandene Motorradfahrer anfangs unglaublich albern wirken, doch bereits nach der ersten Tankpause sieht man das Ding möglicherweise etwas anders. Handschuhe, Schlüsselbund, Helm und all die anderen Dinge, die sonst so gern von der Sitzbank fallen, sind in dem pfiffigen Staufach nämlich bestens aufgehoben. Und auch die beiden, von BMW so wunderbar wichtig als „transluzente Reling” bezeichneten Griffe auf dem Tank haben nur Vorteile, denn sie bieten ungeübten oder den direkten Körperkontakt scheuenden Beifahrern besten Halt beim Beschleunigen und Bremsen. Die Windschild-Halterung und die kleine Kofferbrücke sind übrigens auch „transluzent”. Kling ja auch wirklich besser, als „lichtdurchlässiges Polycarbonat”.

BMW F 650 Scarver - Tanktasche und Cockpit Wo waren wir? Knieschluss, Tankbereich, Tank – ja wo steckt er denn nun? Unterm Fahrersitz. 15 Liter passen rein, und wer es locker rollen lässt, kommt damit rund 400 Kilometer weit. Unter vier Liter Verbrauch sind problemlos machbar, wer kräftiger an der Kordel zieht, fackelt selten mehr als fünf Liter Normal auf 100 Kilometern ab. Die F 650 CS ist ungemein sparsam. Wenn das denn Zeitgeist ist – bitteschön. Das Tanken an sich klappt auch problemlos, denn der Tankverschluss sitzt an der rechten Seite unterm Beifahrerplatz. Da muss beim Spritfassen nichts ab- und aufgerödelt werden, einfach nur rein mit dem Rüssel. Das Öl ist übrigens auch an einer eher ungewohnten Stelle untergebracht. Die 2,5 Liter Schmierstoff der Trockensumpfschmierung fließen unter anderem durch die beiden miteinander verbundenen Oberzüge des Brückenrahmens. Blechblenden am Rahmen sorgen dafür, dass es an den Fahrerbeinen nicht zu heiß wird.

Und wann wird nun endlich gescarvt? Bereits auf den ersten Metern im Stadtgewühl, denn die Leichtigkeit, mit der sich die vollgetankt immerhin 193 Kilogramm schwere BMW durch den dichtesten Verkehr dirigieren lässt, ist schon schwer beeindruckend und mit dem Begriff „handlich” nur unzureichend beschrieben. Steiler Lenkkopf, kurzer Nachlauf, tiefer Schwerpunkt – diese Mischung macht die F 650 CS zum äußerst munteren Asphaltwedel. Der Motor spielt dabei prächtig mit: Die Gasannahme ist hervorragend, über 2000 U/min geht alles ruckfrei. Vibrationen sind praktisch nicht zu spüren, und der wartungsarme Zahnriemenantrieb zum Hinterrad gibt Lastwechselreaktionen keine Chance. Zwischen 3500 und 7000 U/min liegen ständig über 50 Nm an, das maximale Drehmoment beträgt 62 Nm bei 5500 U/min – das sind für eine 650er sehr gute Werte. Die vollen 50 Pferdestärken galoppieren bei 6800 Touren, 700 Umdrehungen weiter setzt der Begrenzer dem sehr munteren Treiben ein materialschonendes Ende.

BMW F 650 Scarver - Zahnriemen Der CS-Einzylinder ist der bislang beste F 650-Motor. Er klingt am besten, er nimmt am besten Gas an, und er hat am meisten Feuer. Echte 180 km/h sind damit machbar, den Sprint von 0 auf 100 erledigt der Scarver in flotten 4,2 Sekunden. Gibt’s motormäßig denn überhaupt nichts zu meckern? Doch, eine Kleinigkeit: Zwischen 4500 und knapp 6000 U/min können sehr sensible Naturen möglicherweise ein leichtes Konstantfahrruckeln feststellen. Die schlaue Einspitzanlage versucht halt ständig optimal zu regeln. Und das bleibt nun mal nicht ohne spürbare Reaktionen. Allzu dramatisch ist die Angelegenheit allerdings nicht, denn mit dem Scarver wird niemand über längere Zeit konstant fahren. Das Teil verführt nun mal viel zu sehr zu munteren Spielen am Gasgriff. Das Fünfganggetriebe spielt dabei sauber schaltbar mit – nicht ganz japanischer Standard, für BMW-Verhältnisse aber doch sehr gut.

BMW F 650 Scarver - Salzfraß nach Wintereinsatz
Salzfraß nach Wintereinsatz

Für das optimal Scarver-Gefühl sollte der Streckenverlauf so kurvig wie möglich und der Fahrbahnbelag so potteben wie nur denkbar sein. Dann wird alles gut. Gegen lange Geraden ist auch nichts einzuwenden, denn der Geradeauslauf ist tadellos und der Windschutz hinter der Mini-Verkleidung gar nicht mal so schlecht. Welligen Belag hasst der Scarver allerdings. Womit wir beim größten Schwachpunkt der BMW F 650 CS sind: Das über ein Hebelsystem angelenkte Zentralfederbein bietet praktisch null Dämpfung, ist viel zu soft abgestimmt und kann noch nicht mal in der Federbasis verstellt werden. Das rächt sich auf unebenem Geläuf. Das Heck schaukelt und pumpt, und wenn es dicke kommt, geht die ganze Angelegenheit krachend auf Block. Der Zubehörmarkt ist gefragt. Oder die erste Scarver-Modellpflege.

Die ebenfalls unverstellbare Telegabel erledigt ihren Job etwas besser. Die Abstimmung ist gar nicht mal so übel, nur leider verwindet sich die mit 41-Millimeter-Standrohren bestückte Gabel beim scharfen Bremsen spürbar. Den an der GS montierte Gabelstabilisator sparte sich BMW bei der teureren CS – eine nicht ganz nachzuvollziehende Entscheidung. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass der Brembo-Doppelkolbensattel die 300-Millimeter-Scheibe auf Wunsch auch wirklich sehr, sehr heftig und dabei doch gut dosierbar packt. Die hintere Scheibenbremse hat nicht nur Alibifunktion, sie unterstützt den vorderen Kollegen prächtig. Und wo wir nun schon wieder beim Loben sind: Ein ABS ist für den Scarver natürlich auch lieferbar – das macht dann 510 Euro extra.

Stichwort Preis: Ohne Extras und Überführung kostet die F 650 CS stramme 7390 Euro. Dafür gibt’s dann keinen Hauptständer, eher mäßiges Licht und überforderte Federelemente. Aber es gibt dafür auch einen wunderbar agilen Motor, eine bestechende Handlichkeit, eine völlig unkomplizierte Bedienung und ein mutiges und polarisierendes Design. Ich mag den Scarver nicht. Und gerade deshalb wünsche ich BMW mit der F 650 CS viel Erfolg.

Nachtrag: Aufgrund des Artikels hatte ich mir vor einigen Jahren mal eine Scarver gekauft und es nicht bereut. Verbrauchsdaten meiner Maschine findet man bei Spritmonitor.
Marcus Lacroix