aus Kradblatt 9/14
von Klaus Herder

 

Honda CB 650 F – Eine für alles

Honda CB 650 FKleiderschränke und Garagen haben viel gemeinsam: Sie beherbergen oft Dinge, die wir nicht mehr wirklich brauchen, von denen wir uns aber nicht trennen können. Dinge, die wir mal ganz toll fanden und unbedingt haben mussten, die in unserem wirklichen Leben aber keine Rolle mehr spielen. Oder noch nie gespielt haben, weil wir uns irgendwann einmal schlicht und einfach verkauft haben. Worauf ich hinaus will: Wir lügen uns oft selbst in die Tasche, was die Wichtigkeit von Produkten angeht. Wann haben wir das letzte Mal diesen todschicken, aber vielleicht etwas zu ausgefallenen Anzug angehabt? Warum hängt diese sündhaft teure, aber irgendwie doch etwas zu schrille Lederjacke immer noch ungetragen im Schrank? Und um endlich auf das Thema Garage zu kommen: Wieso nutzen wir eigentlich dieses rattenscharfe, nur leider etwas zu unbequeme Superbike so gut wie gar nicht mehr? Warum verstaubt der immer noch sehr eindrucksvolle, nur leider dann doch etwas zu schwere Cruiser in der hintersten Ecke? Wenn aus Fahrzeugen auf Dauer Stehzeuge werden, sollte man etwas ändern, falls man vorhat, weiterhin Motorradfahrer und nicht nur Motorradbesitzer zu sein. Zum Beispiel einen Schritt zurück zu wagen.

Honda CB 650 FUnd dieser Schritt könnte schnurstracks zur neuen Honda CB 650 F führen. Obwohl – oder gerade weil – sie „nur“ ein nacktes Mittelklassemotorrad ist. Mittelklasse: Das klingt so furchtbar nach Mittelmäßigkeit und Langweiligkeit. Andererseits: Was soll daran langweilig sein, endlich wieder (oder vielleicht erstmalig) den Spaß am völlig problemlosen Motorradfahren zu entdecken? Sich nicht mehr über eine unbequeme Sitzposition zu ärgern. Sich nie mehr von nerviger Gasannahme und einem viel zu kleinen nutzbaren Drehzahlband den Strich versauen zu lassen. Pures Motorradfahren kann so einfach sein, diese komplette Neukonstruktion zeigt das auf sehr sympathische Art und Weise. Das fängt schon mit der Sitzposition an. Typisch Honda: Lenkerhöhe? Passt perfekt. Kniewinkel? Nicht zu spitz. Sitzbank? Nicht zu straff, aber auch nicht zu plüschig. Obendrein noch für sehr viel mehr als nur eine Häuserblockrunde absolut sozius­tauglich.

Wann hat man eigentlich das letzte Mal auf einem Motorrad gesessen, auf dem man gleichermaßen bequem sowohl sportlich-vorderradorientiert, aufrecht-locker und auch cruisermäßig-lässig sitzen kann? Die Arbeitsplatz-Ergonomie der CB 650 F ist hervorragend. Und der Honda ist es völlig egal, ob ihr Fahrer nun 1,70 Meter kurz oder 1,85 Meter lang ist – sie macht es ihm oder ihr immer saubequem. Der Handbremshebel lässt sich sechsfach verstellen, der Kupplungshebel leider nicht, doch die linke Hand muss auch nur wenig Kraft aufbringen, um zwischen Vierzylindermotor und Sechsganggetriebe zu vermitteln. Spiegel? Erledigen genau das, wofür sie gedacht sind. Über Form und Übersichtlichkeit des LCD-Cockpits kann man dagegen durchaus geteilter Meinung sein, aber immerhin haben die Honda-Gestalter den Doppeluhren-Look der späten 70er- und frühen 80er-Jahre-CB-Modelle sehr konsequent als Design-Element aufgenommen.

Honda CB 650 F CockpitNoch etwas weiter zurück marschierte Honda beim Zitieren der eigenen Geschichte, als es um die Gestaltung der Auspuffkrümmer ging: Die fein verchromten und im Laufe der Zeit leicht goldgelb anlaufenden Rohre sind ähnlich elegant geschwungen wie bei der CB 400 Four von 1974, der ersten Honda mit einer Vier-in-eins-Auspuffanlage. Überhaupt haben sich die Designer eine Menge Mühe gegeben, um das vermeintlich langweilige Thema Mittelklasse-Naked lecker in Form zu bringen. Aluminium-Schwinge, Wave-Bremsscheiben, LED-Rücklicht und vordere LED-Begrenzungslichter sind in dieser Klasse keine Selbstverständlichkeit. Ein fetter 180er-Hinterradschlappen auf einem mit filigranen Speichen toll gemachten Guss­rad ebenfalls nicht. Und dass sich die Motorenkon­struk­teure beim wassergekühlten Motor intensiv darum kümmerten, dass möglichst keine Kühlschläuche das Auge des Betrachters beleidigen, verdient ebenfalls großes Lob. Die CB 650 F und ihre verkleidete Schwester CBR 650 F werden als erste ausgewachsene Hondas komplett in Thailand produziert, und man merkt dem Produkt durchaus an, dass sich die Macher sehr viel Mühe gegeben haben, um die Assoziation „Billiglohnland gleich Billigqualität“ erst gar nicht aufkommen zu lassen. Von den nicht überlackierten Aufklebern auf der Seitenverkleidung einmal abgesehen wirkt an der Maschine nichts billig. Ganz im Gegenteil: Zum Beispiel der Stahlrohr-Brückenrahmen ist piekfein mit elegant gesetzten Schweißnähten gemacht, und es gab schon in Europa produzierte Hondas, die in Sachen Finish im direkten Vergleich mit der CB 650 F sehr, sehr alt ausgesehen hätten.

Honda CB 650 F Schwinge + Wave-ScheibeDie mit 17,3 Litern vollgetankt 215 Kilogramm wiegende CB 650 F ersetzt zwei Modelle aus dem bisherigen Honda Programm: Neben der sehr flotten, für manchen ob ihrer Drehzahlgierigkeit fast schon etwas zu nervösen Hornet 600 mit ihren 102 PS blieb auch die 78 PS leistende, grundehrliche, aber auch etwas blutleere CBF 600 auf der Strecke. Die CB 650 F ist zwischen beiden Modellen angesiedelt. Ihr um 30 Grad nach vorn geneigt eingebauter Reihenvierzylinder leistet 87 PS bei 11000/min und stemmt maximal 63 Nm bei 8000/min. Die Papierform lässt vermuten, dass auch hier kräftig gedreht werden darf, damit es flotter vorangeht. Doch die Papierform täuscht. Glücklicherweise, denn bereits ab 2500 Touren lässt der Viererpack schon mal locker und ohne Ruckeln und Zuckeln die Muskeln spielen, und ab 5000/min geht der Tanz dann richtig los. Im Honda-Lastenheft stand eine ganze Menge über flotten Vortrieb bei eher niedrigen und natürlich mittleren Drehzahlen, und die herrlich homogene Leistungsabgabe beweist, dass sich die Ingenieure die Vorgaben mächtig zu Herzen genommen haben. Die mit zahmen Steuerzeiten über Tassenstößel betätigten Ventile haben es offensichtlich gut im Griff, die Brennräume auch in der unteren Hälfte des Leistungsbandes üppig zu füllen. In der oberen Hälfte geht es dann aber auch noch recht munter zu. Nicht vergessen: Wir haben es ja immerhin mit einem Honda-Vierzylindermotor zu tun. Und der legt auch dann noch zu, wenn der Drehzahlmesser fünfstellige Werte anzeigt und hat auch nichts dagegen, es kräftig in den Begrenzer krachen zu lassen.

Honda CB 650 FWer vom Vierzylinder allerdings turbinengleiche Vibrationsarmut erwartet, wird enttäuscht sein: Ab 5000 Touren ist Kribbeln angesagt. Und das wird auch nicht weniger, wenn die Drehzahl weiter ansteigt. Ob man die in Händen, Füßen und Gesäß spürbaren Impulse als völlig normale, womöglich gar nicht so unsympathische Lebensäußerungen wertet oder als nervige, dem Stand der Technik widersprechende Schüttelei, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ähnliches gilt für das, was gemeinhin unter „Lastwechselverhalten“ abgehandelt wird. Um es klar zu sagen: Die CB 650 F hat es in etwas ausgeprägterer Form. Der eine findet es anstrengend, wenn etwas Feingefühl am Gasgriff gefragt ist, andere halten es für eine Selbstverständlichkeit. Klare Ansage: Selbst ausprobieren!

Honda CB 650 F SoziusplatzBeim Fahrwerk dürfte es dagegen keine zwei Meinungen geben. Die Federelemente sind – von der Vorspannung des direkt angelenkten Federbeins einmal abgesehen – nicht verstellbar. Und müssen es auch nicht sein, denn für alles, was der CB 650 F im Normalfall unter die Räder kommen kann, ist das Fahrwerk goldrichtig abgestimmt. Vom Vorderrad gibt’s prima Rückmeldung, die Hinterhand verkraftet auch stärkere Fahrbahnverwerfungen und/oder Soziusbetrieb locker, ohne ins Schaukeln zu kommen, und die Schräglagenfreiheit ist richtig üppig. Kurz gesagt: Mit der eher straff als soft abgestimmten Honda kann man es prächtig krachen lassen. Die Fuhre bleibt sauber auf Kurs, verzeiht auch kleine Flüchtigkeitsfehler und ist wunderbar handlich. Handlich, nicht nervös, was ein gewaltiger Unterschied ist. Wer es dann doch einmal übertreibt und sich noch nicht jenseits der Grenzen der Physik befindet, kann sich auf die Stopper voll und ganz verlassen. Die Dosierung der Bremsen ist tadellos. Damit die Doppelkolben-Schwimmsättel die Bewegungsenergie zügig in Wärme umwandeln, darf allerdings etwas kräftiger zugelangt werden – die Beurteilung „solider Durchschnitt“ trifft die Sache wohl am besten. Das ABS zum Bremsenglück ist serienmäßig an Bord, was in Zeiten, in denen sogar BMW keine Extra-Kohle mehr dafür sehen möchte, jetzt nicht mehr so überraschend sein dürfte.

Krümmerführung der Honda CB 400 fourDie in Schwarz, Silber, Gelb und in einer sehr schmucken Tricolor-Lackierung lieferbare Honda CB 650 F kostet 7690 Euro plus 265 Euro Nebenkosten. Knapp acht Mille sind kein Sonderangebot, aber immer noch überschaubar wenig Geld für sehr viel Motorrad. Für womöglich genau so viel Motorrad, wie man fürs richtige Motorradfahrerleben braucht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Eine Probefahrt beim freundlichen Honda-Dealer kann der erste Schritt dazu sein, die heimische Garage zu entrümpeln und sich nur das hinzustellen, was man wirklich braucht. Das Ausmisten des Kleiderschranks kann man dann ja später immer noch erledigen…