aus Kradblatt 1/21 von Jörg & Bettina van Senden, penta-media.de
In 50-jähriger Tradition …
Es ist nicht schwer zu erraten, welche historische Honda für das Design und die technischen Merkmale der CB1100 EX als Vorlage diente. Erkannt? Genau. Es ist die legendäre Honda CB750 Four, die erstmals 1968 auf der Tokyo Motorshow präsentiert wurde.
Große Erwartungen bezüglich hoher Verkaufszahlen hatte man damals an die Four nicht, denn das Big Bike war eigentlich als hausinternes Prestigeprojekt gedacht. Angeblich hätten bereits 1.000 an den Kunden ausgelieferte Maschinen die jährlichen Verkaufserwartungen erfüllt. Tatsächlich war anfänglich die Produktion auch auf diese Stückzahl eingestellt, was die handwerkliche Fertigung der Motorenblöcke im Sandgussverfahren (K0) glaubwürdig belegt. Die Herstellung teurer Kokillen (metallische Dauergussformen) für die Herstellung von Motorengehäusen hätte sich bei der Stückzahl nicht gerechnet. Sōichirō Honda richtete seine Aufmerksamkeit Ende der 60er Jahre mehr auf die aufblühende Automobilproduktion.
1969 liefen die ersten Serien-CB750 (K0) in Hamamatsu vom Band und in Europa wurde die Serienausführung auf der Brighton Motor Show, dem Nürburgring sowie in Le Mans vorgeführt. 67 PS bei 8.500 U/min, nur 205 kg, vier Zylinder in Reihe und eine Höchstgeschwindigkeit von angegebenen 200 km/h waren eine Kampfansage an die Europäischen Motorradhersteller.
Die CB750 Four verkaufte sich wie von alleine und löste geradezu einen Boom aus. Honda hatte es, trotz aller Bemühungen, schwer mit der Produktion hinterher zu kommen. Anfänglich lag der Tagesausstoß bei nur 25 Maschinen. Ab Oktober 1970 lag der Ausstoß bereits bei 300 Maschinen (K1) pro Werktag.
Honda sollte die CB750 Four über neun Jahre bauen und es wurden in diesem Zeitraum rund 550.000 Einheiten hergestellt. Der erfolgreiche Verkauf schwächte sich erst ab, als 1972 die Kawasaki Z1 „Super Four“ vorstellt wurde.
Nach der letzten CB750 Four im Jahre 1978 wurde mit zahlreichen Honda Modellen versucht ihr Erbe anzutreten. Die wunderschöne 4 in 1 Auspuffanlage blieb dabei leider auf der Strecke. Ob die CB750 K oder F, die CB900 Bol d’Or oder CB Sevenfifty – keine war so erfolgreich wie die CB750 Four, die Urgroßmutter aller Reihenvierer.
Die Freude der Fans war groß, als 2013 die CB1100 nach Deutschland kam. Auf der Intermot 2014 in Köln habe ich es selber miterleben können, wie begeistert die Besucher auf sie reagierten. Von den Top 20 der Verkaufsstatistik ist sie trotzdem weit entfernt geblieben und entsprechend selten auf der Straße zu sehen. Mir ging sie jedoch nie ganz aus dem Kopf und bei jeder Motorradmesse sah man mich wieder mit glänzenden Augen vor dieser Honda stehen.
Seit ihrer Vorstellung wurden viele Kleinigkeiten verbessert und modernisiert, ohne dadurch den Reiz der vertrauten Stilelemente zu verlieren.
Die wichtigsten Änderungen waren die Umrüstung auf LED-Beleuchtung und korrosionsfreie Drahtspeichenräder mit Speichen aus Edelstahl. Die Lackierungen wechselten ohnehin jährlich.
Die CB1100 wurde in den Varianten EX und RS angeboten. Während die EX sehr authentisch die Linienführung der CB750 Four nachzeichnete, böse Zungen sagen bis zur Grenze der Langeweile, spiegelte die sportlicher orientierte RS eher den Zeitgeist der 1980er Jahre wider.
Beim 2019er Modell wurden die vorher bei der EX hübsch verchromten Fender gegen lackierte gewechselt. Auch die vorher gebürsteten Seitendeckel aus Aluminium waren nun in Fahrzeugfarbe lackiert, wie es auch bei dem RS Schwestermodell der Fall war.
Solche Verschlankungen im Baukasten der Anbauteile deuteten bereits darauf hin, dass es mit der CB1100 wohl bald vorbei sein könnte und es war zu befürchten, dass die dieses Jahr umgesetzte Euro 5 Norm der letzten von Luft und Öl gekühlten Reihenvierer das endgültige Ende bereiten würde. Tatsächlich ist es sogar etwas früher als erwartet so gekommen. Schon im Frühjahr 2020 wurden die 2019er Restbestände der beiden Modellvarianten von den Händlern verkauft. Auch wenn die CB1100 noch auf Hondas Homepage zu finden ist, so ist sie als Neufahrzeug praktisch nicht mehr zu bestellen.
„Jetzt oder nie!“ Das waren meine Gedanken, als ich den Kontostand überprüfte und den Händler meines Vertrauens eine der Letzten ihrer Art ordern ließ, natürlich als EX und in Candy rot, fast wie eine der ersten CB750 Four aus der K0 Serie. Einige Monate später konnte ich sie abholen.
Herzklopfen vor dem Anlassen. Der Motor erwacht sofort und es summt voluminös, in tiefer Frequenz, aus den beiden verchromten Endrohren.
Mit deutlich vernehmbarem Klacken lege ich den ersten Gang ein. Gas zu geben ist gar nicht nötig. Da der Motor noch kalt ist, regelt das schon die Drehzahlanhebung bis zum Erreichen der vollen Betriebstemperatur. Einfach nur die Kupplung kommen lassen und die Maschine rollt. Man braucht die Gänge nur hochschalten. Das geht bis zum vierten Gang so weiter. Die Honda fährt, ohne dass ich Gas geben muss, mit tiefem Summen wie von Geisterhand. Lucky Luke würde sich währenddessen sicher noch cool eine Zigarette drehen.
Man darf dabei jedoch nicht außer Acht lassen, dass man, wenn man kein Gas gegeben hat, auch kein Gas wegnehmen kann, um die Geschwindigkeit zu verringern. Deshalb muss bei Bedarf nicht nur gebremst, sondern auch ausgekuppelt werden. Das Auskuppeln ist wichtig, denn sonst bremste man gegen den Motor, der die Drehzahl im Warmlaufmodus gerne bei 1.500 U/min halten würde und sofort mit Nachlassen des Bremsdruckes das Motorrad wieder Fahrt aufnehmen ließe. Wenn man nicht darauf gefasst ist, birgt diese Eigenart eine gewisse Unfallgefahr. Mein Händler machte mich fürsorglich vor der ersten Fahrt darauf aufmerksam. Erst einmal auf Betriebstemperatur ist der Spuk vorbei und nun muss auch ein wenig am Griff gedreht werden.
Bis 3.000 Touren läuft der Reihenmotor völlig frei von Vibrationen und summt mit wechselnder Drehzahl mal ein wenig höher, mal ein wenig tiefer. Bei relaxter Gangart, das mag die CB1100 am liebsten, sind selten mehr als die 3.000 U/min notwendig. Das entspricht im sechsten Gang exakt 110 km/h auf dem Tacho. Den Klang des Motors würde ich drehzahlabhängig mit Hornisse, Hummel oder Biene vergleichen.
Obwohl die Honda nicht dazu animiert, kann man sie natürlich auch sportlicher bewegen. Das geht. Es stellt sich plötzlich ein sanftes Kribbeln ein, welches sich bis zur leichten Vibration steigert. Dazu ändert sich zeitgleich das Klangbild des Motors vom Zustand Hummel, hin zur immer wütenderen und angriffslustiger trompetenden Biene. Bei 7.500 U/min ist das Ende des angegebenen Drehzahlbandes erreicht und der Motor sollte dabei seine Höchstleistung von 90 PS erreicht haben. Sein größtes Drehmoment von 91 Nm lag bereits bei 5.500 Touren an. Der rote Bereich des Drehzahlmessers beginnt erst bei 8.500 U/min Ich habe es nie so weit getrieben, da es völlig überflüssig ist.
Für den entspannten Genussfahrer sind die Höchstleistungen ohnehin unwichtig, auch dass der Motor bereits bei Tempo 180 elektronisch abgeriegelt wird. Warum das so ist erschließt sich nicht wirklich, denn rein rechnerisch könnte man die Höchstgeschwindigkeit schon im dritten Gang erreichen und außerdem durfte schon die schwächere Uroma CB750 Four bis an die 200er Marke frei kurbeln. Egal – wer will schon wirklich mit einem nackten Motorrad über 180 Sachen fahren?
Entscheidender ist eigentlich der Fahrkomfort. Dazu trägt der Motor durch seine enorme Elastizität bei. Er lässt sich unglaublich schaltfaul fahren. Praktisch kann man den Motor in jedem Gang bei Leerlaufdrehzahl summen lassen – das sind 1.000 U/min – und gefühlvoll wieder hochziehen um langsam wieder Fahrt aufzunehmen. Das funktioniert mit ein wenig Feingefühl sogar noch im sechsten Gang aus 40 km/h völlig rund und ohne Knurren, obwohl die beiden höchsten Gänge als Overdrive ausgelegt sind. Soviel sei zur Veranschaulichung der Elastizität erwähnt. Praktisch liegt die Mindestdrehzahl eher bei 1.300 U/min, was im sechsten Gang ca. 55 km/h auf dem Tacho bedeutet. Für Überholvorgänge, wenn man flotter beschleunigen möchte, sollte mindestens in den vierten Gang heruntergeschaltet werden.
Die langen Übersetzungen des fünften und sechsten Ganges ermöglichen einen sparsamen Umgang mit Treibstoff. Trotz des angegebenen Durchschnittsverbrauches von 5,3 Litern gemäß WMTC, fahre ich die CB1100 EX regelmäßig mit 4,2 Litern Premiumsprit auf 100 km bei flüssigem Fahrstil. Für ein vollgetankt 255 kg schweres Big Bike plus das Gewicht diverser Anbauteile geht das in Ordnung. Mit dem 16,8 Liter fassenden Spritfass ergibt sich so eine reisetaugliche Range von entspannten 340 km plus rund 50 km Reserve. Die letzten 50 km erscheint im mittigen Fenster, der sonst durch zwei klassische Rundinstrumente dominierten Tachoeinheit, ein Countdown der verbleibenden Restreichweite. Außer der nicht zwingend notwendigen Ganganzeige ist die Instrumentierung zweckmäßig und vollständig. Ich schalte trotzdem ab und zu in den nicht vorhandenen siebten Gang.
Auf der flach gestalteten Sitzbank mit hübscher Paspel findet jeder schnell eine bequeme Sitzposition in 790 mm Höhe. Bei durchschnittlicher Körpergröße kommt man prima mit beiden Füßen auf den Boden. Das vermittelt Sicherheit beim Auf- und Absteigen sowie beim Rangieren. Der niedrige Schwerpunkt der Honda trägt sein Übriges dazu bei.
Der relativ hohe Lenker ermöglicht eine fast aufrechte Körperhaltung und schont die Handgelenke. So hält man auch längere Etappen gut aus.
Federung und Dämpfung sind ebenfalls sehr komfortabel ausgelegt. Sogar Kopfsteinpflaster werden noch relativ gut ausgebügelt. Sportlich ambitionierten Fahrern könnte es eventuell nicht straff genug sein, mir gefällt es. Mit der 41 mm-Dual-Bending-Valve-Teleskopgabel von Showa, die durch die Dämpfung der Druck- und Zugstufe über jeweils zwei Ventile für eine besonders lineare Dämpfercharakteristik sorgt, hat man ein exzellentes Vorderradfeeling. Durch die Bauweise mit freien Ventilen erhöht sich der Dämpfungsgrad je nach Straßenbedingungen progressiv. Diese einfache und innovative Technologie, weltweit erstmals eingesetzt, erreicht eine Performance, die jener von Federungssystemen mit Kartuschen entspricht. So steht es im Prospekt und ich habe dem nichts weiter hinzuzufügen.
Der Geradeauslauf ist bedingt durch die großen 18 Zoll Räder angenehm stabil. Gerade auf längeren Touren ist es sehr entspannend ein nicht allzu nervöses Motorrad zu fahren. Im Gegenzug muss in Kurven ein wenig mehr Nachdruck gegeben werden, aber es artet nicht in schwere Arbeit aus. Die schmalen Dimensionen der montierten Dunlop Sportmax Radialreifen D205F, 110er vorne und 140er hinten, machen es nicht allzu schwer die Honda ums Eck zu werfen. Bedingt durch die klassisch montierten Speichen benötigen die Reifen Schläuche und somit auch ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Im Verhältnis zu schlauchlosen Reifen verlieren sie geringfügig mehr Luft.
Die Bremsen der Honda CB1100 EX stammen aus dem Hause Nissin. Sie verrichten ihre Arbeit unspektakulär, sind nicht übermäßig bissig, haben aber absolut kein Problem die Maschine bis zur Regelung des ABS zu verzögern. Vorne wirken je zwei Kolben auf die beiden 296 mm Scheiben, hinten ist es nur einer, der auf eine 256er Scheibe drückt. Alles in allem besitzt die Honda eine sehr gutmütige Bremsanlage, die ihren Piloten auch bei einer Reflexbremsung nicht gleich über den Lenker wirft. Erfreulich ist, dass der Bremshebel, wie auch der Kupplungshebel, auf die individuelle Handweite sechsstufig einstellbar ist.
Die Maschine ist mit einer angenehm weich verbindenden Mehrscheiben-Ölbad-Kupplung mit Anti-Hopping-Funktion versehen. Sollte man aus Versehen zu weit heruntergeschaltet haben, verhindert sie das Stempeln des Hinterrades.
Das von Honda für die CB1100 EX und RS angebotene Zubehör ist relativ übersichtlich. Im Touring Paket für 976 Euro ist praktisch alles Wichtige enthalten: Eine stilsichere, verchromte Gepäckbrücke fürs Heck, Sturzbügel um den wunderschönen Motor zu schützen, eine Bordsteckdose und Griffheizung für den Ganzjahresfahrer. Die Bestandteile des Paketes können natürlich auch einzeln geordert werden, sind dann
aber geringfügig teurer. Der Hauptständer gehört zu Serienausstattung.
Koffersysteme machen sich wegen der beidseitig hoch verlaufenden Endrohre nicht besonders gut. Kleine Koffer oder Seitentaschen wären zwar möglich und sie sind auch im Zubehörhandel erhältlich, aber ich finde die klassische Gepäcknudel auf der Gepäckbrücke einfach authentischer. Für die kleine Tour lässt sich außerdem prima ein Day-Pack auf ihr befestigen.
Für die aktuell zeitloseste aller Hondas mussten am Ende der Baujahre 13.290 Euro inkl. Nebenkosten berappt werden. Man bekam dafür ein tadellos verarbeitetes Motorrad „Made in Japan“ mit einem stimmigen Gesamtkonzept.
Nach der Tour laufe ich in der Regel noch eine halbe Stunde zufriedenen grinsend um meine Honda herum und entferne hier und da ein paar Mücken von Chrom und Lack. Ich höre wie sie sich leise tickernd und knisternd wieder abkühlt, so wie es nur von Luft und Öl gekühlte Maschinen können. Danach schaue ich sie schmunzelnd noch einige weitere Minuten an, erfreue mich an einem kühlen Tour-Abschluss-Bier und bin einfach glücklich. Motorradfahrer verstehen dieses Gefühl …
Wer heute eine Honda CB 1100 EX sucht, muss sich bei den Händlern nach Gebrauchten umsehen.
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Kommentare
4 Kommentare zu “Honda CB 1100 EX – Modell 2019”
Mein erste Honda in 40 Jahren Motorradfahren – nach einer Dax zu Teeniezeiten –
ein feines, schön verarbeitetes und tadellos laufendes Gerät. Gefällt mir nach der ersten Saison wie am ersten Tag.
Hallo! Schon bei meiner ersten Fahrt trat bei meiner Honda ex bei ca. 65km – ca.90km Lenkerflattern auf.Eine Kulanz durch Honda/Deutschland wurde nicht gewährt!! Erst nach mehrmaliger Rücksprache beim Händler, wurden die Reifen zum Einkaufspreis und das kostenlose aufziehen dieser,Abhilfe geschaffen.
Der Bericht spiegelt genau meine Erfahrungen wieder. Habe meine 1100 Ex letztes Jahr gekauft und das Bike ist einfach nur geil!
Ich kann das alles genauso bestätigen. Gleiche Eindrücke und Gefühle. Mein Modell kam neu im Mai 2019 zu mir.