aus bma 1/12 – Klassiker

von Konstantin Winkler

Hecules W 2000 Lange hat es gedauert, bis ein neues (gebrauchtes) Objekt der Begierde gefunden war. Im Zustand 3, wie es so schön heißt: „Fahrbereit, mit deutlichen Gebrauchsspuren”. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht die quälende Frage: Restaurieren oder nicht? Jahrzehntelang war es selbstverständlich, solch ein Fahrzeug erst einmal zu restaurieren, bevor man sich damit auf einem Oldtimertreffen blicken lassen konnte. Doch ist das heute auch noch der einzige richtige Weg? Immer mehr Liebhaber historischer Motorräder (und natürlich auch Autos) sehen den wahren Wert des Old- oder Youngtimers in dessen Originalität. Schrammen, Kratzer, von Bläschen unterwanderter Chrom und stumpfer Lack kommt eine ganz neue Bedeutung zu. Patina heißt das Zauberwort, das das Fahrzeug in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Fahrbereit war meine neue Errungenschaft, eine Hercules W 2000, Baujahr 1975, nicht. Schließlich stand sie fast 20 Jahre lang in einer schlecht belüfteten Garage. Tachostand: 479 km (!) und aus erster Hand. Aber der Aufwand hielt sich in Grenzen: Tank (von innen) entrosten, neue Batterie, Reifen sowie Benzinschläuche.

Hercules W 2000 1904 ent­stand in Nürnberg das erste Hercules-Motorrad. Ein belgischer FN-Motor trieb die 4,5 PS starke Maschine an. Schon damals entschied sich Hercules, selbst keine Motoren zu bauen. Ein Prinzip, an das man sich immer hielt. In den 20er Jahren verbauten die Franken Motoren von Villiers, Columbus, Küchen, ILO und JAP. 1930 kamen dann Sachs-Motoren hinzu. Zwei Highlights der 70er Jahre mit den Motoren aus Schweinfurt: Das legendäre Kleinkraftrad „Hercules Ultra“, feuerrot und mit Lenkerverkleidung. Genauso legendär, nur weniger erfolgreich: Die von 1974 bis 1979 gebaute W 2000 mit gebläsegekühltem Einscheiben-Wankelmotor. In der Szene wurde die bis heute aufsehenerregende Maschine nur „Staubsauger” genannt.

Schon zu Beginn der 70er Jahre wurde das Motorrad entwickelt. Zunächst hatte man Getriebe und Kardan von der 250er BMW R 27 übernommen, entschied sich dann aber für ein Sechsganggetriebe und Kettenantrieb. Das Wankeltriebwerk hatte Sachs schon in Snowmobilen zur Serienreife gebracht. In der damaligen Zeit galt der Wankelmotor als geniale Idee des Triebwerkbaus schlechthin, ist er doch von bestechender Schlichtheit. In einem durch eine Epitrochoide begrenzten Hohlraum bewegt sich ein Dreieckskolben sowohl um einen Exzenter als auch um seine eigene Längsachse. Eine Kolbenrotation bedeutet drei Exzenter-Umdrehungen. Während einer 360 Grad- Kolben­drehung findet in jeder der drei Kammern, die der Dreieckskolben gegen die Trochoiden-Begrenzung bildet, ein volles Arbeitsspiel statt: Frischgas wird angesaugt, verdichtet und nach dem Arbeitstakt wieder ausgestoßen. Ein Einscheiben-Wankelmotor entspräche damit einem Dreizylinder-Zweitakter. Beim Wankel wird aus geringem Bauvolumen und nur wenig bewegten Teilen auf äußerst günstige Weise relativ viel Leistung produziert. 27 PS bei 6.000 Umdrehungen pro Minute resultieren aus nur 247 ccm Kammervolumen.

Hercules W 2000 Die Drehmomentkurve verläuft flach, der Massenausgleich ist vollständig und Vibrationen fehlen. Auch werden bei „powered by rotary“ etwa 40 % weniger Bauteile benötigt als beim Hubkolbenmotor. Genial, die Erfindung von Felix Wankel! Trotzdem blieben Wankelmotorräder exotische Außenseiter: Die Suzuki RE 5 und die holländische Van Veen OCR 1000 konnten sich ebenso wie die Hercules W 2000 nur wenige Jahre behaupten. Der größte Nachteil des Motors ist, dass der Brennraum sehr langgestreckt ist. Vergleichsweise lange dauert deshalb die Verbrennung. Hinzu kommt noch, dass sich der Gemischanteil oberhalb der Zündkerze schwer entzündet. Die Abgase sind extrem heiß, weshalb sich ein Wankelmotor stärker als ein Hubkolbenmotor aufheizt. Der Benzinanteil, der nicht in Bewegung (sondern nur in Hitze) umgewandelt wird, ist beim Wankelmotor größer, weshalb sein Verbrauch auch höher ist.

Beim Thema Wankelmotor denken viele an die Probleme mit den Dichtleisten. Unvergessen ist der hohe Dichleistenverschleiß des Automotors im NSU RO 80. Bei besagtem Teil handelt es sich um Metallstreifen aus Kolbenringmaterial. Sie sitzen in den Nuten des Rotors und dichten ihn sowohl an den Stirnseiten zu den Seitenteilen als auch seitlich zur Laufbahn ab. Die Laufbahn des Mantels ist nikasil-beschichtet und entsprechend langlebig. Ist sie jedoch be­schädigt oder verschlissen, sieht es düster aus. Es gibt derzeit keine Reparaturmöglichkeit und Ersatz ist auch nicht zu bekommen. Überhaupt ist die Ersatzteilsituation schlecht, schließlich wurden nur 1800 Hercules W 2000 gebaut.

Hercules W 2000 MotorGenug der Technik, auch dieser Youngtimer gehört auf die Straße und nicht ins Museum! Der Kaltstart wirft keine Probleme auf: Benzinhahn öffnen, Choke ziehen, und schon auf den ersten Knopfdruck oder Kick springt der Motor an. Selbst mit schwacher oder leerer Batterie lässt sich die Maschine ankicken, die Magnetzündung macht’s möglich. Obwohl die hier verbaute Schwunglicht-Magnetzündanlage leistungsmäßig zu knapp bemessen war, denn bei untertouriger Fahrweise lässt eine schwache Zündspannung die Kerzen verölen. Und das führt dann unweigerlich zu Startproblemen.

Was die Benzinaufbereitung betrifft: Ein BMW-Fahrern bestens bekannter 32er BING-Vergaser führt dem Brennraum das mit reichlich Öl (1:25) angereicherte Benzin zu. Die Abgasbilanz sieht düster aus. Wegen seines ungünstigen Verhältnisses von Brennraum zu Oberfläche geizt der Wankelmotor nicht mit Kohlenmonoxid-, Kohlendioxid- und Stick­- oxid-Emissionen. Aber das sind bei einem Youngtimer, der nicht ständig bewegt wird, Probleme von untergeordneter Bedeutung.

Auf der Autobahn fühlt sich die Hercules (148 km/h Höchstgeschwindigkeit) schon lange nicht mehr wohl. Dafür lebt sie auf allen anderen Straßen lustvoll auf. Die leicht vorgebeugte Sitzposition und der breite Lenker vermitteln einen guten Kontakt zum Motorrad. Die 18-Zoll-Räder mit der recht schmalen Bereifung (vorne 3.00-18 und hinten 3.50-18) folgen spurtreu des Fahrers Lenkbefehlen. Unruhe in der Lenkung bringen lediglich kurvige Holperstrecken. Doch niedrige Sitzposition und guter Knieschluss lassen den Fahrer die Reaktionen des Motorrades gut erfühlen. Komfortabel ist dieses Wankelmotorrad auch – breite Sitzbank und gute Federung (vorne Telegabel und hinten Schwinge). Ein Fall für sich sind die Bremsen. Vorne (eine Ein-Scheibenbremse) trifft hohe Handkraft auf gute Wirkung aber mäßige Dosierbarkeit. Von hinten (Trommelbremse) gibt es gute Unterstützung, allerdings auch recht hohe Blockier­neigung.

Anders als die damaligen Hauptkonkurrenten Kreidler und Zündapp, die Anfang der 80er Jahre ihre Werkstore für immer schließen mussten, existiert Hercules im Prinzip heute noch. Und zwar als „Sachs Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH“. Das Zweirad-Programm kann sich sehen lassen, nicht zuletzt durch extravagantes Design und interessante Technik. So wie damals 1974, als die W 2000 das Licht der Motorradwelt erblickte. Immerhin war sie das erste Serienmotorrad mit Wankelmotor.