aus bma 07/05

von Klaus Herder

Harley-Davidson Street-Rod Mal angenommen, an diesem Motorrad wären keine Marken-Schriftzüge zu finden und Ihnen wäre die 2001 präsentierte Harley V-Rod auch völlig unbekannt. Woran würden Sie wohl merken, daß Sie es mit einem uramerikanischen Flacheisen zu tun haben? Am barock-schwülstigen Auspuff oder dem Kirmesbuden-Kühler vielleicht? Nein, das können unsere japanischen Freunde ähnlich tuntig. Sie würden es am Zündschloß merken, denn dermaßen dämlich und unpraktisch können nur Amis. Und sie sind in ihrem Bestreben um Schwachmaten-Lösungen sogar noch steigerungsfähig, wie ein Vergleich zwischen V-Rod- und Street-Rod-Zündschloß beweist. Während bei der V-Rod noch rechts unterm Fahrersitz gefummelt werden durfte, der Schlüssel aber immerhin während der Fahrt dort verbleiben konnte und sich erst beim Abziehen in die Tiefen zwischen Auspuff und Rahmen verflüchtigte, gibts bei der Street Rod einen gänzlich anderen Ärger-Ansatz: Das Zündschloss ist weiterhin rechts und seitlich, jetzt aber weiter vorn und in der Nähe der Kühlerblende montiert. Das An- und Ausstellen der Zündung übernimmt nicht mehr der Schlüssel, sondern ein fetter Knebel. Der wird wiederum mit dem „Zündschlüssel” ent- und verriegelt. Damit nicht jede unerzogene Teppichratte am Knebel herumfummeln kann, muß das Teil also immer schön abgeschlossen werden. Und jetzt kommts: Hat man aufgeschlossen, darf man den Schlüssel wieder abziehen und verstauen, denn tut man es nicht, verabschiedet sich das gute Stück dank fehlender Arretierung in der ersten etwas flotter gefahrenen Rechtskurve. Das passiert einem zwar nur genau ein Mal, aber weil es zufällig auch der Schlüssel fürs (natürlich) separate Lenkschloß ist, macht einen diese Aktion schon mächtig sauer. Aber vielleicht sehe ich das auch zu eng und die cleveren Amis möchten ihren Händlern nur beim Teileverkauf etwas auf die Sprünge helfen. Paßt ja auch ganz gut, denn man tritt ja sowieso alsbald an den Teiletresen und ordert einen abschließbaren Tankverschluß. Daß so ein edles Teil bei einem Motorrad für schlappe 16155 Euro (plus Nebenkosten) nicht serienmäßig sein kann, versteht sich doch wohl von selbst. Und wo wir gerade beim Einkaufen sind: Bitte zwei neue Rückspiegel, die ihren Namen auch verdienen. Haben Sie vielleicht auch verstellbare Handhebel in XL? Die serienmäßigen, natürlich nicht verstellbaren XXXL-Teile sind mir dann doch etwas zu heftig.

 

So, lieber Leser. Jetzt müssen Sie ganz tapfer sein. Ihr bma-Schreiberling hat Sie nämlich in eine völlig falsche Richtung gelotst. Was Sie eben gerade gelesen haben, ist nicht der rund 2000 Zeichen umfassende Einstieg in eine bitterböse Generalabrechnung mit der Harley Street Rod. Nein, hier ist kein Harley-Hasser am Werk. Im Gegenteil, die genannten Punkte sind im Grunde genommen die einzigen, die mich etwas stören, und sie hätten normalerweise irgendwo in einen Nebensatz am Ende dieses Fahrberichts gehört. Was jetzt kommt, ist eine einzige Lobhudelei, und ich habe Sie dort, wo ich Sie haben wollte: mitten in einer gnadenlosen Harley-PR-Geschichte.
Harley-Davidson Street-RodDoch der Reihe nach: Durch glückliche Umstände durfte ich im Sommer 2001 an der Präsentation der Harley V-Rod teilnehmen. Mit 117 PS und ungeahnter V-Twin-Dynamik ging’s durch die Berge nördlich von Los Angeles, und ich war angefixt. Bereits auf dem Rückflug war mir klar, daß ich so ein wunderschön gemachtes und brillant aussehendes Eisen haben mußte. So kam es dann auch, Erstzulassung 2001, eine der ersten nach Deutschland gelieferten V-Rods war meine. Das Teil machte mächtig Spaß, auch und gerade dann, wenn man nur mal kurz in der Garage um sie herumschleichen konnte. Für norddeutsche Streckenführungen war die Harley absolut tauglich, doch je weiter südlich ich mit ihr kam, desto härter mußte im Winkelwerk gearbeitet werden. Die V-Rod mochte einen europäischen Motor haben, das Drumherum inklusive Schräglagenfreiheit und Sitzposition war aber nun mal uramerikanisch und mir auf Dauer etwas anstrengend. Das Ende vom Lied: Meine V-Rod wurde immer mehr vom Fahrzeug zum Stehzeug und machte vor einem Jahr einer BMW Rockster (mit Heizgriffen!) Platz (siehe bma 4/2005).
Doch die Hoffnung, daß es Harley-Davidson nicht bei der V-Rod bewenden lassen würde, blieb. Der flüssigkeitsgekühlte 1130-Kubik-Vierventiler war einfach zu fein, um nur in einem Cruiser-Fahrwerk Dienst zu tun. So kam es dann auch Anfang 2005, doch erst einmal war ich etwas enttäuscht. Der Street Rod getaufte Frischling sah nicht sehr viel anders als eine vom Händler aufgebrezelte V-Rod aus. Erst als die Geräte direkt nebeneinander standen, wurde deutlich, daß die Street Rod ein anderes Motorrad ist: Kürzer, höher, kompakter – einfach europäischer. Die erste Sitzprobe verstärkte die Vermutung, daß V-Rod und Street Rod außer dem Revolution-Motor wirklich nicht viel gemein haben. Die Sitzhöhe legte von ultraniedrigen 690 auf normale 803 Millimeter zu. Der Radstand schrumpfte um 10 auf immer noch beachtliche 1700 Millimeter. Der Lenkkopfwinkel beträgt nun 60 statt 56 Grad, und der Nachlauf wuchs von 99 auf 110 Millimeter. Ein geändertes Rahmenheck mit längeren und anders angelenkten Federbeinen, sowie eine neue Upside-down-Gabel sind für die Geometrie-Änderungen mitverantwortlich. Der V-Rod-Lenker war schon kein Hirschgeweih, doch die Street Rod-Stange ist noch schmaler und auf flacheren Risern montiert. Wichtigste und spürbarste Änderung: Die Fußrasten sitzen nun nicht mehr drei Breitengrade nach vorn verlegt, sondern lotrecht unterm Fahrerhintern. Anstelle der Scheibenräder drehen sich nun Zehnspeichen-Leichtmetallräder im gleichen Format, die Reifengrößen lauten unverändert 120/70 ZR 19 und 180/55 ZR 18. Das Tragen gängiger 17-Zoll-Besohlung überläßt Harley-Davidson der Sport-Tochter Buell.
Trennten sich zu Shovelhead-Kickerzeiten beim Anlassen noch die Männer von Jungs, ist das Starten einer Street Rod kinderleicht: Den besagten Knebel umlegen, das Sirren der Benzinpumpe wahrnehmen, Druck aufs Knöpfchen: Krawumm – Motor läuft. Um so profane Dinge wie Drehzahlanhebung beim Kaltstart und das Regeln eines stabilen Leerlaufs kümmert sich zuverlässig die Motorelektronik. Die Spritversorgung übernimmt eine Einspritzanlage, um die Abgase schert sich in typischer Ami-Ignoranz nur ein ungeregelter Kat.
Harley-Davidson Street-Rod Der Griff zum Kupplungshebel sollte beherzt und eindeutig erfolgen, denn spätestens hier ist (endlich) der ganze Kerl gefragt. Falls Sie zufällig einen Schraubstock als Schlüsselanhänger nutzen, sollten Sie ihn jetzt aus der Tasche holen. Der erste von fünf Gängen rastet mit einem kernigen „Klock” ein, was danach kommt, flutscht erstaunlich leichtgängig und geräuscharm von Welle zu Welle. Ist der Kraftschluß erst einmal hergestellt, läßt der 60-Grad-Twin muntere 120 Pferdestärken galoppieren. Das sind drei mehr als bei der V-Rod. Die neue (nicht unbedingt schönere) Auspuffanlage und etwas Feinarbeit auf der Einlaßseite machen es möglich. Wer jemals das Vergnügen hatte, einer Revolution-Engine die Sporen geben zu dürfen, wird nie wieder über Harley-Davidson lästern. Die wunderbare Kombination aus Gummiband, Schmiedehammer und Turbine läßt dem Schreiberling nicht den Hauch einer Chance, Kritik los zu werden. Doch: Der Motor klingt serienmäßig etwas zu harmlos, aber wofür gibt es beim Harley-Dealer schließlich das Screamin‘ Eagle-Programm? Eben. So zwischen 2000 und 4000 U/min ist der praktisch ohne spürbare Vibrationen laufende Kurzhuber ein geschmeidiges Kerlchen, das sauber am Gas hängt und seinen Herrn und Meister entspannt cruisen läßt. Der wartungsarme Zahnriemen zum Hinterrad sorgt dafür, daß böse Lastwechselreaktionen erst gar nicht aufkommen können. In der zweiten Stufe zwischen 4000 und 6000 Touren zerrt der Rodweiler dann schon recht heftig an der Leine und betrachtet das umherrollende Cruiser-Volk als natürliche Fressfeinde. Wer den Hebel noch weiter umlegt und den nett anzusehenden, aber kaum abzulesenden Drehzahlmesser über die 6000er-Marke schnellen läßt, kann sich dauerhaft im Rückspiegel zügig bewegter Sportler festsetzen – und mit etwas Übung am Kurvenausgang vollstrecken, denn in dieser Region beißt das Tier gnadenlos zu. Die vollen 120 PS liegen übrigens erst bei 8250 U/min an, das maximale Drehmoment von 108 Nm stemmt die 5,6 Kilogramm schwere und – wie auch die Kolben – aus deutschen Landen stammende Kurbelwelle bei 7000 U/min. In den Drehzahlbegrenzer rennt der Motor erst knapp über 9000 Touren – jawoll, beim beschrieben Motorrad handelt es sich immer noch um eine Harley-Davidson. Wer bei dieser Gelegenheit versehentlich noch im dritten Gang unterwegs ist, hat bereits 170 km/h erreicht, im vierten Gang wäre es Tempo 200. Der etwas breitbeinig und leicht nach vorn gebeugt sitzende Pilot ist in der fünften Fahrstufe mit maximal 220 km/h unterwegs. Okay, das können handelsübliche 600er auch schon seit über zehn Jahren, aber die bieten nun mal nicht das unbeschreibliche Gefühl, den Dino fliegen zu lassen.
Harley-Davidson Street-Rod Stichwort Masse: Fahrfertig und vollgetankt wiegt die Street Rod 292 Kilogramm und damit etwas mehr als die V-Rod. Die Erklärung: Die Street-Rod kann 19 Liter Sprit unterm Sitz bunkern, bei der V-Rod waren es nur knapp 15. Logisch, daß sich knapp sechs Zentner Kampfgewicht nicht unbedingt Supermoto-mäßig ums Eck schwenken lassen. Die Street Rod macht da eher auf Truck Racing, was ja auch mächtig Spaß machen kann. Ihr im Unterschied zur V-Rod um Welten aktiver untergebrachter Fahrer merkt natürlich jederzeit, welche Masse da in Wallung ist. Doch gerade der zum flotten Umlegen erforderliche Körpereinsatz macht doch erst den Reiz der Dino-Dressur aus. Mit unter 200 Kilo praktisch von selbst in die Kurve fallen kann fast jeder. Die unglaublich direkt am Gas hängende Street Rod sauber umzulegen ist dagegen etwas für Fortgeschrittene. Natürlich kann man mit dem Gerät theoretisch auch herrlich trödeln, doch in der Praxis wird das kaum jemand machen. Dafür verlocken die sehr großzügige Schräglagenfreiheit (laut Harley beidseitig 40 Grad), die klebrigen Dunlops und die angriffslustige Sitzposition viel zu sehr zum Heizen. Und was noch viel schöner ist: Die recht straff abgestimmten und nur hinten in der Federbasis verstellbaren Federelemente, das stabile Fahrwerk und erst recht die erstmalig bei Harley verbauten Brembo-Vierkolben-Festsattelbremsen machen jeden Blödsinn gut berechenbar mit. Die Stopper sind wirklich genial. Waren die V-Rod-Bremsen schon sehr ordentlich, so spielen die Street Rod-Verzögerer nochmals in einer höheren Liga und würden auch in einem reinrassigen Supersportler eine sehr gute Figur machen.
Die Street Rod ist eine völlig neue, gänzlich andere Harley. Etwas schade ist es da, daß ihr Äußeres das kaum vermittelt. Die besagte Ähnlichkeit zur V-Rod läßt ihre Möglichkeiten nur ansatzweise erahnen. Doch Rettung naht: Einige engagierte Harley-Händler haben der Street Rod schon ein viel dynamischeres Kleid verpaßt. Harley-Davidson Hannover griff zum Beispiel ins Regal und fand dort viele tolle Buell-Teile, die der Street Rod hervorragend stehen. Eine dermaßen verfeinerte Street Rod muß nicht mehr kosten als eine serienmäßige V-Rod, bietet dafür aber viel mehr Fahrspaß. Und natürlich das dämlichere Zündschloß. Bleibt nur noch eine Frage: Behalte ich die Rockster?