Fahrspaß der etwas anderen Art

aus Kradblatt 5/25 von Marcus Lacroix

Die Can-Am Origin 73 erscheint recht hoch, bei 174 cm Körperhöhe und mäßig langen Beinen kommt aber gut an den Boden.
Die Can-Am Origin 73 erscheint recht hoch, bei 174 cm Körperhöhe und mäßig langen Beinen kommt aber gut an den Boden.

Elektromobilität ist im Motorrad-Bereich nach wie vor eine sehr kleine Nische – also „richtige“ Motorräder, nicht Roller & Mopeds für die Stadt. Das Interesse steigt mit der Verbreitung von E-Autos und der kontinuierlich wachsenden Infrastruktur aber auch hierzulande und ich persönliche habe bereits seit über 47.000 km großen Spaß daran. Entsprechend neugierig war ich, als Can-Am 2024 zwei Elektromotorräder ankündigte. „Bitte, bitte was Touren-taugliches“, so meine Hoffnung. 

Schmale Taille, riesiges Display
Schmale Taille, riesiges Display

Die Marke Can-Am – vor allem durch die Dreiräder Ryker und Spyder bekannt – gehört der kanadischen Firma BRP (Bombardier Recreational Products Inc.) und zählt zu den weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Powersportsprodukte zu Land & Wasser, On- & Offroad, in Eis & Schnee. Know-how und Kapital sollten also ausreichend vorhanden sein.

Präsentiert wurden für 2025 dann die Modelle Can-Am Pulse (Straße) und Can-Am Origin (Enduro). Beides Motorräder, die optisch eher im Bereich der 250–500 ccm Klasse angesiedelt sind, leider also nicht das, was ich für mich pers. erwartet habe. Nichtsdestotrotz habe ich mich sehr gefreut, als die Firma Scholly’s aus Kirchlinteln (www.scholly.de) mir die Origin 73 – eine aufgewertete Version der Origin – für vier Tage zur Verfügung stellte. 

Was bei der ersten Begegnung mit dem Motorrad auffällt: man hat auf pseudomoderne Designspielereien verzichtet. Das Ding ist eine schlanke und schicke Enduro! Hochbeinig, schmal und grob bereift mit viel Bewegungsfreiheit zum Offroad-Fahren. Lediglich das riesige 10,25 Zoll Farb-TFT-Display fällt ins Auge – ein echtes Breitbandformat. Das Display samt umfangreichen Connectivity-
Möglichkeiten und dazugehöriger, leicht klobiger, Schaltereinheit am linken Lenkerende, kennt man von den Dreirädern. Ich pers. hätte darauf verzichten können, die Ablesbarkeit ist aber schon außerordentlich gut. Und die Anbindung an mein iPhone über Apple CarPlay ist auch ganz cool. Navigation & Co. werden super dargestellt. Von BRP wird außerdem die „BRP GO!“ App zur Verfügung gestellt die u.a. eine eigene Navi-Lösung enthält. Die (beleuchtete) Bedieneinheit ist übrigens notwendig, da der Fahrer während der Fahrt die Finger am Lenker behalten kann – aus Sicherheitsgründen ist die Touchscreen-Funktion des TFT dann deaktiviert.

Perfekt ablesbares Display, verschiedene Darstellungen sind wählbar (hier Statistik (oben) und CarPlay (unten)
Perfekt ablesbares Display, verschiedene Darstellungen sind wählbar (hier Statistik (oben) und CarPlay (unten)

Das CarPlay benötigt leider eine USB-Verbindung („Hallo Can-Am, das gibt’s auch schon drahtlos“), immerhin ist das Handyfach aber auch für ein iPhone Max groß genug. Eine Polsterung hat man sich aber gespart.

Ein weiteres auffälliges technisches Highlight ist die Einarmschwinge, die die Kraft des tief liegenden Rotax-E-Motors über eine feste Übersetzung und eine in der Schwinge laufende Antriebskette ans Hinterrad leitet. Die ungefederten Massen fallen im Vergleich zu einem Radnabenmotor damit geringer aus, was wiederum der Traktion zugute kommen dürfte. Durch den automatischen Kettenspanner liegen die Wartungsintervalle bei 16.000 km.

Geladen wird an 220 Volt (mit Adapter) oder an Typ2 Ladesäulen / Wallboxen
Geladen wird an 220 Volt (mit Adapter) oder an Typ2 Ladesäulen / Wallboxen

Weniger auffällig ist die Flüssigkühlung des mittragenden Akkus, des Motors und des Laderichters. Wer schon mal einen luftgekühlten E-Motor ordentlich gefordert hat, kennt die Vorteile der Flüssigkühlung. Und auch ein gut temperierter Akku bringt Vorteile, z.B. bei der Lebensdauer. Can-Am gibt 5 Jahre Garantie auf den Akku, 2 Jahre auf das Motorrad. 

Womit wir beim nächsten Thema sind: die Akku-Kapazität und damit indirekt die Reichweite. Speziell bei deutschen Verbrenner-Fahrern in Gesprächen immer wieder ein KO-Kriterium. Klar, man muss als EV-Fahrer sein Nutzerverhalten ändern. Wer das partout nicht will, wird aktuell mit Stromern nicht glücklich. 

Can-Am gibt für den Lithium-Ionen Akku eine Kapazität von 8,9 kWh an. Kenner fragen direkt: brutto oder netto. EV-Neulinge lernen: du kriegst nicht alles raus, was drin steckt. Der Akku wird je nach Hersteller mehr oder weniger restriktiv vor Tiefentladung im Betrieb geschützt. Der Akku meiner Energica Experia hat z.B. 22,5 kWh brutto, 19,6 kWh nominal. Das reicht für 180–220 km spaßigen Landstraßeneinsatz. Can-Am macht keine weiteren Angaben und Hersteller werben leider bevorzugt mit dem Brutto-Wert. Zeigt das
Origin-Display 0% an, bekomme ich gemessene 7,9 kWh in den Akku. In der Messung enthalten ist aber auch die Lade-Verlustleistung, die u.a. durch den fahrzeuginternen Gleichrichter entsteht. Wie weit kommt man in der Praxis also mit geschätzten nominalen 7,5 kWh? 

Erfahrungsgemäß liege ich mit meiner deutlich schwereren Energica (die Can-Am wiegt vollgeladen 187 kg – leer natürlich auch) bei 9,5 kWh/100  km. Von Kirchlinteln ins heimische Oldenburg sind es 100 km. Da ist eine sanfte Gashand und die Ausnutzung tempobegrenzter Strecken zu empfehlen, wenn man unterwegs nicht nachladen möchte. Spoiler: ich habe sowohl den Hin- wie auch den Rückweg ohne Ladestopp geschafft und war – dank vieler Tempolimits – auch kein Verkehrshindernis.

Im Mischbetrieb Stadt/Land/Feldweg und 10 km Stadtautobahn mit 90 km/h war nach 80 km Ebbe im Akku. V-Max riegelt die Maschine bei 130 km/h ab. Im rein städtischen Verkehr dürften die von Can-Am angegebenen 145 km recht realistisch sein. 

Offroad macht die Origin besonders viel Spaß!
Offroad macht die Origin besonders viel Spaß!

Nun könnte man unterwegs ja einfach mal etwas nachladen. Laut Can-Am soll das bordeigene Ladegerät 6,6 kW an einer Typ2-Ladesäule schaffen. Das ist ein ordentlicher Wert und man kann zwischendurch in Ruhe einen Kaffee oder zwei schlürfen. Bei zwei Testladungen an unterschiedlichen Säulen erreichten wir mit dem mitgelieferten Typ2-Ladekabel leider nur jeweils 4,7 kW. Woran das gelegen hat, muss noch evaluiert werden.

Etwas überladene aber beleuchtete Schaltereinheit
Etwas überladene aber beleuchtete Schaltereinheit

Das von Can-Am bei der Origin und der Pulse mitgelieferte Typ2-Ladekabel ist für unterwegs die denkbar schlechteste Wahl: Sauschwer, zu lang und unflexibel ist es zur Mitnahme auf einem Motorrad völlig ungeeignet. Wahlweise bekommt man ein Schuko-auf-Typ2-Kabel als Serienausstattung. Praxistipp: bei www.Steckerbiker.de gibt es ein schönes flexibles Typ2-Kabel. Das passt dann auch locker in die optionalen Can-Am-Packtaschen, die über das hauseigene LynQ-System einfach montiert werden können.

Nach dem ganzen technischen Zeug – das ich noch weiter ausführen könnte – stellt sich EV-Interessierten aber eine andere Frage: Wie fährt sich die Origin denn nun. Tja, liebe Leserinnen und Leser: Leider geil!

Ohne Witz, das Ding machte mir richtig viel Spaß – in der Stadt, auf der Landstraße und ganz besonders auf Feldwegen. Die 35 kW Spitzen- und 20 kW Dauerleistung (FS-Klasse A2) ziehen überall sauber durch, das Handling, der tiefe Schwerpunkt und die Balance gefallen ebenso wie die Federelemente, die auch fiese Schlaglöcher ohne durchzuschlagen wegstecken. Das schmale, endurotypische 21-Zoll Vorderrad spielt zudem Offroad seine Vorteile aus. 

Einarm-Schwinge und Kettenkasten sind eine Einheit
Einarm-Schwinge und Kettenkasten sind eine Einheit

Man muss nicht schalten oder kuppeln und der Vortrieb ist ganz fein dosierbar. Enge Trialpassagen machen dadurch ebenso viel Spaß wie schnell gefahrener tiefer Sand. Die Dunlop D605 sind ein guter Kompromiss für Straße und Feldweg. Und das Allerbeste dabei: man stört niemanden. Die Can-Am ist wunderbar leise – genau so stelle ich mir E-Motorradfahren vor. Menschen und Tiere reagieren viel entspannter, wenn man an ihnen vorbei surrt statt zu bollern.

Eigentlich wäre die Maschine von Ausstattung und Motorleistung her für meine Ansprüche die ideale Partnerin zum Endurowandern. 80–100 km Offroad reichen für ein paar Stunden Fahrspaß bis zur Ladepause. Leider liegen zwischen mir und meinem Revier aber mehrere Kilometer Straße und die Anfahrt frisst zu viel Reichweite – „Enduro interruptus“ quasi. 

Das Can-Am LynQ-System ermöglicht die schnelle Montage von Zubehör
Das Can-Am LynQ-System ermöglicht die schnelle Montage von Zubehör

Sein Nutzerprofil zu kennen ist für EV-Fahrer noch wichtiger, als für Verbrenner-Fans. Man sollte schon wissen, was man mit einem Fahrzeug hauptsächlich machen möchte. Man kauft natürlich keinen Chopper für die Renne – elektrisch kommen aber weitere Faktoren wie die Ladetechnik und die Akkugröße dazu.

Was mir sonst noch bei der Origin auf- bzw. gefiel? Der „Gasgriff“ ist nach kurzer Eingewöhnung super, er ermöglicht eine aktive Rekuperation. EINE WAS?! Also: Im Schiebebetrieb (Motorbremse) kann ein E-Motor als Dynamo arbeiten und aus der kinetischen wird damit wieder elektrische Energie, statt sie über die Bremsanlage in Wärmeenergie umzuwandeln, wie sonst üblich. Die Stärke dieser „passiven Motorbremse“ kann in drei Stufen justiert werden (Aus/Min/Max). Bei der ebenfalls einstellbaren aktiven Rekuperation wird diese Bremswirkung erhöht, indem man den Gasgriff über Null hinweg nach vorne dreht – das gibt dann noch mehr Strom zurück und die Betriebsbremsen von J.Juan, die einen tadellosen Job machen, sind weitestgehend arbeitslos. 

Mit dem „Rückwärtsgang“ lässt sich die Maschine locker aus jeder verfahrenen Situation herausrangieren, was gerade bei der hochbeinigeren Origin den Alltag erleichtert. Dank schmaler Taille (der Maschine) komme ich (174 cm) aber trotz der Sitzhöhe von 86,5 cm mit beiden Füßen auf den Boden. 

Das ABS regelt eher grob aber zuverlässig, die Traktionskontrolle ist abschaltbar, die Offroad-Modi funktionieren super, beim Bummeln passt die Gasannahme im Modus „Normal“, wer es direkter mag wählt „Sport“. „Rain“ und „Eco“ sind für die Zaghaften und eher irrelevant.

Ein optional zu montierender Soziusplatz ist dabei, das KYB-Federbein muss zum Justieren der Federbasis ausgebaut werden (uncool), Druck- und Zugstufendämpfung sind einstellbar, die KYB-Gabel hat hingegen keine Einstellmöglichkeiten – die habe ich aber auch nicht vermisst. 

Produziert wird das Motorrad übrigens in Mexiko, der Motor kommt aus Österreich. Vom aktuellen Zollkrieg bleibt sie hierzulande also verschont.

Fazit: Der erste Aufschlag im Bereich der E-Motorräder ist Can-Am gut gelungen. Die Akkugröße passt zwar leider nicht zu meinem Nutzerprofil, wer aber z.B. mit einem Wohnmobil auf Tour ist, wird am Urlaubsort andere Ansprüche haben als ich in der norddeutschen Tiefebene. Auch der fehlende Benzingeruch macht E-Motorräder für WoMo-Heckgaragen interessant. Zudem ist eine 11 kW-Version für die Führerscheine A1/B196 lieferbar. 

Was für mich persönlich leider auch nicht passt, ist der Preis. Die hier gefahrene Can-Am Origin 73 kostet im Grundpreis 18.599 €, die Origin 16.499 € und die Pulse 15.899 €. Mit Extras lassen sich die 20 k€ knacken und dadurch wird man wohl nur selten eine elektrische Can-Am auf deutschen Straßen sehen.
Eine Probefahrt überzeugt euch aber ja evtl. trotzdem – Scholly’s freut sich auf Interessenten, die über den Teller­rand hinausblicken möchten …

Hier noch ein Sound-Check der Can-Am Origin 73 bei der Vorbeifahrt:

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