Schieflast? Nie gehört!

aus Kradblatt 7/25 von Marcus Lacroix u.a.

In Kradblatt-Ausgabe 5/25 haben wir euch die elektrische Can-Am Origin 73 <hier nachzulesen> vorgestellt, die uns viel Spaß gemacht hat. Dabei fiel aber auf, dass sie an der eigentlich passenden Ladesäule nicht mit der maximal möglichen Ladeleistung lud. Zu dem Problem erreichten uns mehrere Zuschriften und auch Can-Am hat sich gemeldet. Stellvertretend hier der Leserbrief von Martin. 

Can-Am Origin 73 an einer 11 kW AC-Ladesäule
Can-Am Origin 73 an einer 11 kW AC-Ladesäule

Den Test der Can-Am Origin 73 in der Maiausgabe habe ich mit großem Interesse gelesen. Nach etwa 40 Jahren „Verbrennermobilität“ bin ich 2022 auf E-Auto und E-Motorrad umgestiegen. Mit meinem Smart For
Two habe ich seitdem ca. 15.000 km, mit der Zero SR/F etwa 20.000 km zurückgelegt. Was noch von Honda, Kawasaki und Volkswagen an Verbrennern in der Garage steht kommt seitdem kaum über 1.000 km im Jahr.

Im Test steht beschrieben, dass trotz versprochenen 6,6 kW Ladeleistung nur 4,7 kW mit dem Motorrad möglich waren. Dafür gibt es eine plausible Erklärung – und die heißt „Schieflastgrenze“.

Ich kenne zwar nicht die Ladetechnik der Can-Am im Detail, nehme aber mal an, dass das Motorrad über einen einphasigen Bordlader verfügt. 

Von den drei Phasen des hier in Deutschland und weiteren europäischen Staaten üblichen Drehstromnetzes wird somit nur eine einzige verwendet. Ein dreiphasiges Versorgungsnetz ist aber nicht unbedingt internationaler Standard. Das Motorrad wird sicherlich auch für den amerikanischen und internationalen Markt konstruiert worden sein, wo nur eine einphasige Versorgung üblich ist. Daher die Beschränkung auf ein einphasiges Ladegerät.

Damit ein dreiphasiges Netz stabil läuft, müssen möglichst alle drei Phasen gleichmäßig ausgelastet sein. Das spielt für uns Verbraucher eigentlich keine Rolle, fordert von den Netzbetreibern aber gewisse technische Anstrengungen, wenn es darum geht Leistungen im Mega- und Gigawattbereich zu regulieren. Um diese Aufgabe etwas leichter zu gestalten, haben die Verbände der Elektrotechniker (VDE in Deutschland, VDÖ in Österreich) die Stromaufnahme für einphasige Verbraucher auf 20 Ampere (A) begrenzt. Das ist die sogenannte „Schieflastgrenze“. 

20 Ampere mal 230 Volt = 4600 Watt oder 4,6 kW – das liegt nah an den 4,7 kW, die im Test festgestellt wurden. Mehr Leistungsaufnahme sollte mit einem einphasigen Verbraucher an unserem Stromnetz auch nicht möglich sein.

Der begrenzende Faktor wird hierbei entweder in der Konfiguration des Fahrzeuges oder der Steuerung der Ladesäule zu finden sein. Für 6,6 kW wären ca. 29 Ampere nötig. Auch das Ladekabel könnte die Stromaufnahme begrenzen. Im Stecker, der mit der Ladesäule verbunden wird, ist fest ein elektrischer Widerstand verbaut, mit dem das Ladekabel codiert ist. Der Widerstand wird von der Ladesäule erkannt und wenn nötig der Strom auf ein Maß begrenzt, für den das Kabel ausgelegt ist. Der Beschreibung und den Bildern nach zu urteilen, ist das benutzte Kabel aber sicher für 32 Ampere oder mehr geeignet.

Die Schieflastgrenze gilt wie erwähnt nur für einphasige Verbraucher. Zwei- oder dreiphasig dürfen durchaus höhere Leistungen abgegriffen werden. Bei PKW sind Ladeleistungen von 11 oder sogar 22 kW an Wechselstrom ja durchaus üblich.

Energica Ego an einem CCS DC-Schnelllader
Energica Ego an einem CCS DC-Schnelllader

Bei meinem Smart ForTwo sieht es ähnlich aus wie bei der Can-Am. Das einphasige Ladegerät kann max. mit 7,4 kW laden – allerdings nur in Ländern, wo es keine Schief­lastgrenze gibt. Hier in Deutschland ist bei max. 4,6 kW Schluss. Dafür braucht es allerdings eine 22 kW Ladesäule, die auch 20 Ampere (max. 32 A) pro Phase bringt. 11 kW Ladesäulen bringen max. 16 Ampere pro Phase, womit die Leistung auf 3,7 kW begrenzt ist – das wird bei der Can-Am ähnlich sein.

Energica verbaut neben dem CCS-Gleichstromanschluss auch ein einphasiges Wechselstromladegerät mit rund 3,4 kW. Dafür werden ca. 15 Ampere aus dem Netz gezogen. Hier spielt die Schieflastgrenze keine Rolle. Ob man eine 11 kW (16 A-Absicherung) oder 22 kW (32 A-Absicherung) Ladestation benutzt, ist ebenso unerheblich – 3,4 kW werden immer sicher erreicht. Nur an der Haushaltssteckdose (Schuko) sollte man vorsichtig sein. Diese Steckdosen sind nicht für stundenlange Dauerströme über 10 Ampere geeignet. Also besser einen regelbaren Ladeadapter verwenden, mit dem man den Strom auf 10 Ampere oder weniger einstellen kann bzw. die Leistung am Fahrzeug runterregeln

Meine Zero SR/F zieht den Ladestrom aus zwei Phasen, mit je 3 kW max. je Phase – also 6 kW. An der einphasigen Haushaltssteckdose geht nur die Hälfte, wobei hinsichtlich der Dauerbelastung das gleiche gilt wie bei Energica.

Ich freue mich schon auf weitere Tests von E-Motorrädern im Kradblatt. An meinem Stammlokal „Die Kurve“ in Extertal-Kükenbruch werde ich immer wieder von meinen Bekannten und auch bisher unbekannten Bikern angesprochen und muss zur E-Mobilität Infos geben. Da gibt’s noch eine Menge Erklärungsbedarf und ich gebe gerne Auskunft.

Viele Grüße aus Porta Westfalica, Martin Mohme

Die Ausführungen von Martin bestätigte uns auch Patrick von #Steckerbiker. Ergänzend kam von ihm diese Info:

Die gute Nachricht ist, dass die Mehrzahl der 22 kW-Säulen sich von einer Schieflast überhaupt nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber es gibt halt ein paar, die das beachten und dann herunterregeln. Leider kann man das in keiner App vorher erkennen. Und dass 11 kW-Säulen sowieso nur mit 3,7 kW genutzt werden können, wird meiner Ansicht nach auch zu wenig kommuniziert. Immerhin habe ich demnächst ein einphasiges 32-Ampere-Stecker
Biker-Ladekabel im Shop. Extra für Can-Am und LiveWire S2.

Patrick Rielo

Unser Tipp für alle, die am Thema Elektromotorrad interessiert sind, egal ob ihr schon ein Stecker-Bike fahrt oder nicht: Besucht die Seite www.steckerbiker.de und abonniert den Newsletter. Patrick „@paddylectric“ hat immer interessante Themen am Start. Auch in den sozialen Medien könnt ihr Steckerbiker folgen.

Die Problematik mit der Schieflastgrenze bestätigte auf Nachfrage auch Can-Am über ihren Vertragshändler Scholly’s in Kirchlinteln, der uns die Origin zur Verfügung gestellt hatte (www.scholly.de). Hier sollte Can-Am seinen Händlern definitiv mehr Infos zur Verfügung stellen und die Website diesbezüglich aktualisieren. 

Wir bedanken uns bei allen, die Licht in dieses für viele doch recht neue Thema Elektromobilität gebracht haben und weiter bringen.