Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 9/21 von Marcus Lacroix

Motorradfahren & Katastrophen …

Nürburg im Rückspiegel
Die Nürburg im Rückspiegel

Die Bilder aus dem Juli von den Überflutungen im Sauerland und der Eifel werden wir alle wohl nicht so schnell vergessen. Innerhalb kürzester Zeit wurden Leben und Existenzen ausgelöscht in einem Ausmaß, wie wir es eigentlich eher aus dem TV in anderen Enden der Welt kennen. Da ist das Ganze dann weit weg, zwar tragisch, aber das Leben hier geht seinen gewohnten Gang. Doch jetzt hat es „uns“ getroffen – die wenigsten zwar persönlich, sei es als Opfer oder als Helfer, durch die mediale Präsenz aber jeden einzelnen. 

Gerade Motorradfahrende kennen die Regionen. Sie sind nicht nur beliebte Touristenziele, sie sind Motorradland. Tolle Strecken, pittoreske Ortschaften, Bikertreffs, zum Teil für immer zerstört. 

Wir spenden Geld, wir spenden Material und manche von uns auch Arbeitszeit doch bei einer Sache gehen die Meinungen und Empfindungen stark auseinander: wir können Urlaubszeit spenden!

Anfang Februar fragte mich Pastor Holger Janke (www.bikershelpline.de), ob ich nicht an einem Gespanntraining auf der Nordschleife als „Schmiermaxe“ in seinem Beiwagen mitfahren wolle. Termin Anfang August. Coole Sache, hatte ich noch nie gemacht. Außer Corona konnte eigentlich nichts dazwischen kommen, also direkt das Hotel gebucht, vorgefreut, ja und dann, dann kam die Flut. Das Training war plötzlich (zu recht) gaaaaanz weit weg. 

Doch wenige Tage vorher kam die Bestätigung durch den ADAC und Doc Scholl Fahrertraining: „Nach intensiven Beratungen mit der Nürburgring GmbH und den Hilfskräften fiel soeben die Entscheidung: Unsere Veranstaltung am 2.-3.8.2021 findet statt. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Nordschleife können getroffen werden und, was uns besonders wichtig war, es werden KEINE Hilfskräfte aus dem Katastrophengebiet gebunden. Dies bestätigte uns die Einsatzleitung vor Ort.“ u.s.w. 

Auch das Hotel in Wiesemscheid bestätigte die Reservierung.

Ein Teilnehmer unserer Gespanngruppe sagte aufgrund moralischer Bedenken ab, wie ich später erfuhr und ich machte mich mit Bauchweh auf den Weg. Darf man sich freuen, wo andere Menschen leiden? Wo liegt die räumliche und geistige Trennlinie zum Leid anderer? 

Eine Angestellte im Hotel eröffnete mir dann einen anderen Blickwinkel: Die Frau war sehr froh, dass wir da waren. Nach all dem Mist und den Sorgen mit Corona, den Umsatzeinbrüchen, wirtschaftlicher Existenzangst, dann die Schrecken der Flut in der direkten Nachbarschaft, die Wandlung des Rings und der Umgebung zum Bereitstellungsraum für THW, Polizei, Bundeswehr, San-Dienste usw. brachten wir als Trainingsteilnehmer und Urlauber etwas, das fehlte: das Gefühl und die Hoffnung, dass es neben all dem ein „normales“ Leben gibt, das zurückkehren wird. Die Menschen vor Ort sehnen sich nach Normalität – und die können wir ihnen geben, indem wir als Urlauber kommen. NICHT als Schaulustige, NICHT als Sensationstouristen oder todtraurige Mitleidbringer sondern als ganz normale Urlauber. Sauerland und Eifel leben vielfach vom Tourismus und der Großteil der Regionen ist eben nicht zerstört, nicht mal angekratzt. Spendet also nicht nur für die Flutopfer, gebt den Menschen Normalität. Macht Urlaub – auch in Sauerland und Eifel!

Wie ist eure Meinung dazu?
Sind meine Zweifel berechtigt? Wo zieht man die Grenze zum Leid anderer?