aus Kradblatt 9/21 von Marcus Lacroix

Mit dem Pastor durch die Grüne Hölle …

Nordschleife Pro Sidecar Gespanntraining (Foto: pixelrace.de)
Nordschleife Pro Sidecar Gespanntraining (Foto: pixelrace.de)

Von der Einladung zum Gespanntraining und den Begleitumständen habe ich euch ja im Editorial dieser Ausgabe schon erzählt. Hier geht es nun um die Erfahrung selbst.

Der Nürburgring bzw. die Nordschleife, vielen auch als Grüne Hölle oder als längste und schnellste Einbahnstraße der Welt bekannt, übt nicht nur auf Motorradfahrer seit vielen Jahrzehnten eine große Anziehungskraft aus. Legendäre Rekordrunden, wie die von Helmut Dähne und spektakuläre Videozusammenschnitte auf YouTube tun ihr übriges. Die Nordschleife ist Kult!

Das Arbeitsgerät: BMW S1000RR mit Sauer Race Wing
Das Arbeitsgerät: BMW S1000RR mit Sauer Race Wing

Persönlich bin ich erst zweimal kurz dort gefahren. Als Rennstrecke ist mir der moderne Nürburgring lieber (und sicherer), die Nordschleife braucht enorm viel Erfahrung.

Als Holger Janke – seines Zeichens Pastor in Hamburg und Vorsitzender in der Telefonseelsorge Bikers Helpline (und ein motorradverrückter Mensch) – mich fragte, ob ich nicht mal als Schmiermaxe, sprich mitturnender Ballast im Beiwagen, bei einem Fahrtraining mitmachen wolle, war ich noch guter Dinge. Die Frage, welches Gespann wir nehmen: die BMW S 1000 RR oder die Buell XB12, beantwortete ich natürlich mit S 1000 RR – wenn schon, denn schon. Als Beiwagen hat Holger an beiden den Sauer Race-Wing verbaut.

Bremsanlage des BMW S1000RR Sauer-Gespanns
Bremsanlage des BMW S1000RR Sauer-Gespanns

Erst später stellte ich fest, dass Holger am Ring als Instruktor für PRO SIDE-CAR aktiv ist. Ok, dann weiß er zumindest, was er dort tut.

PRO SIDE-CAR bietet Kurse, Sicherheitstrainings, Gruppen-Touren und -Reisen für Motorrad-Gespannfahrer an. Seit über 25 Jahren ist man in der Szene aktiv.

Unser Kurs nennt sich „Für Könner – Nürburgring-Nordschleife Intensivtraining“ und kostet immerhin 1175 € (Begleitperson nur 145 €). WOW – das ist schon eine Hausnummer. Als Termin stand der 2. und 3. August fest. 

Ich reiste mit meiner Energica gemütlich über Landstraßen einen Tag vorher an und gönnte mir auch eine Nacht länger, um entspannt über Westerwald und Sauerland nach Hause fahren zu können. Im Hotel Rieder (schönes Haus, gute Lage, gutes Essen) in Wiesemscheid waren Zimmer für uns reserviert.

Der erste Kontakt mit der Sauer/BMW S 1000 RR war schon recht spannend. Ich kann Gespann fahren, habe auch schon welche besessen. Ein Gespann dieser Leistungsklasse habe ich aber bisher weder selbst gefahren, noch bin ich mitgefahren. Der Beiwagen hat zwar eine spartanische Bank, lässt einem ansonsten aber viel Platz zum Bewegen. Es gibt im Fußraum eine Stange, um den linken Fuß darunter zu klemmen (gegen Rausfallen) und um sich mit dem rechten Fuß abstützen zu können. Griffe an Maschine und Beiwagen erleichtern die Gewichtsverlagerung: in Linkskurven das Hinterrad belasten, in Rechtskurven das Beiwagenrad. OK, das Prinzip kenne ich, beides beugt Überschlägen vor.

Nordschleife Pro Sidecar Gespanntraining
Unsere Gespann-Gruppe kurz vor dem nächsten Turn

Unsere Gruppe wurde vervollständigt durch Benny aus der Schweiz, der mit seiner Kawasaki ZZR1400 bereits das dritte Mal dabei war. Mit 34 Jahren war er außerdem mit Abstand der Jüngste von uns. Uwe aus Bremen trat mit einer Honda CBR 1100 XX an, Christoph aus Münster mit einer BMW R 1200 S und Moni aus Oelde mit ihrer Suzuki GSX 1100 G – als einzige mit geschobener Schwinge statt Achsschenkellenkung. 

Wir waren eine von über 30 (!) Gruppen, die in den nächsten beiden Tagen an den Start gingen. 200 Teilnehmer, gemanagt und versorgt von Doc Scholl Fahrertraining/ADAC Rennstreckentraining. Die gesamte Organisation empfand ich als ausgesprochen gut, die Stimmung war angenehm entspannt. 

Sportgerät - kein Komfort im Sauer-Beiwagen
Sportgerät – kein Komfort im Sauer-Beiwagen

Wir fuhren zwei Turns je Stunde, schnelle Gruppen auch mehr. Die Gruppen waren von der Grundgeschwindigkeit her einigermaßen aufeinander abgestimmt und nahmen gut Rücksicht, wenn mal eine Gruppe auf eine andere auflief und passieren musste. Wir hatten jederzeit die Möglichkeit auch Turns auszulassen oder nach einer Runde rauszufahren. Der Ring fordert einen körperlich und mental nämlich ganz ordentlich. Getränke und Verpflegung standen immer ausreichend bereit. 

Holger drehte seine Instruktorenrunden perfekt und passte das Tempo den jeweiligen Teilnehmern an. Er legte großen Wert auf die richtige Linienwahl, was auf der Nordschleife wahrlich nicht einfach ist. Kein Renntempo, es ging um sauberes, zügiges Gespannfahren. 

Nordschleife Pro Sidecar Gespanntraining
Pastor Holger Janke und ich (da habe ich noch gut Lachen …)

Die Nordschleife ist dabei ein echter Genuss – knapp 21 km, 73 Kurven, 290 Meter Höhenunterschied. Lediglich das Karussell mit seinen Betonplatten ist eine Zumutung für Fahrzeug, Fahrer und Beifahrer. Da haut es einem fast die Plomben raus. Und ganz ehrlich: ohne Instruktor würde ich die Nordschleife nicht zügig oder gar schnell befahren wollen. Nach dem ersten Tag hatten wir 15 Runden und somit rund 300 km abgespult – an manchen Stellen wusste ich inzwischen, was als nächstes kam. Zumindest so einigermaßen. An anderen Stellen hatte ich nach wie vor keine Orientierung obwohl die Namen der Streckenabschnitte sowie die Kilometerzahlen gut lesbar am Streckenrand stehen. 

Das Turnen im Beiwagen machte richtig Spaß, ernsthaft notwendig war es bei dem Tempo aber wohl noch nicht. Ein Sandsack (ww. Gehwegplatten, Hantelscheiben o.ä.) hätte es sicher auch getan. Leere Boote kommen sonst in Rechtskurven zu schnell hoch. 

Zu schaffen machte uns das Eifelwetter. Während am ersten Tag die trockenen Abschnitte überwogen, startete Tag zwei im Regen. Der wurde so stark, dass das Training vormittags unterbrochen werden musste. Doc Scholl organisierte flugs Busse für Ring-Besichtigungstouren bevor es Nachmittags weiter ging. Mein Respekt an die Streckenposten, von denen uns zwei auch jede Runde zuwinkten (natürlich ohne Flagge).

Nordschleife "Track Closed" - starker Regen sorgte für eine Unterbrechung
Nordschleife „Track Closed“ – starker Regen sorgte für eine Unterbrechung

Geschichten über unterschiedliche Witterungsbedingungen in verschiedenen Streckenabschnitten hat man ja schon öfter gehört, live erlebt ist das aber noch mal ein anderer Schnack. Da starten wir bei strahlendem Sonnenschein auf der Döttinger Höhe und die Einfahrtkontrolle warnt „Am Adenauer Forst (also ca. 7 km weiter) steht eine Wasserwand“. Dort angekommen ist die bereits weitergezogen, die Strecke nur nass und Dampf steigt auf. Die Bedingungen ändern sich quasi bei jeder Runde auf jedem Kilometer.

Achsschenkellenkung der Sauer BMW S1000RR
Achsschenkellenkung der Sauer BMW S1000RR

Einen ersten Eindruck vom sportlichen Gespannfahren bekam ich, als Moni ihr Tourengespann stehen ließ und bei Holger Platz nahm. Ich wechselte in den Sport-Wing von Christoph. Wir fuhren einen 98er Schnitt bei teils nasser Piste, was bei mir dann doch für das eine oder andere Stoßgebet sorgte. 21 km können echt lang werden.

Bei unserem vorletzten Turn verstand ich dann, warum ein paar Instruktoren Witze à la „Du kommst auch jedes Jahr mit einem anderen Schmiermaxe“ rissen und mich dabei etwas mitleidig anschauten. 

Konditionell bedingt war nur noch Benny mit seiner ZZR dabei und Holger zog das Tempo deutlich an. Letztendlich fuhren wir, trotz teils feuchter Strecke und einer Gruppe, an der wir in Breitscheid nicht so leicht vorbeifliegen konnten, einen 111er Schnitt laut GPS. Ich turnte, was die Arme hergaben und vertraute darauf, dass auch ein Pastor – noch dazu verheiratet – nicht vorschnell in den Himmel möchte. Unterwegs dachte ich darüber nach, ob die letzte Ölung vor der Fahrt sinnvoll gewesen wäre – z. B. als der Tacho in der Fuchsröhre 223 km/h anzeigte und das Gespann wild tanzte. Dabei rotierte das Hinterrad 25 cm neben meinem Kopf und der Auspuff sang bzw. schrie mit gleichem Abstand eine Arie heraus. In Rechtskurven schaute ich, die Nase knapp über Nabenhöhe, von außen aufs Seitenwagenrad, das bisweilen doch den Bodenkontakt verlor. Zum Asphalt-Streicheln, wie in den Runden zuvor, hatte ich keine Muße mehr. Wenn ihr euch an eure erste Fahrt auf der Kirmes mit der „Wilden Maus“ erinnert, an das Gefühl in jeder Kurve „jetzt stürzen wir ab“, dann könnt ihr in etwa nachempfinden, wie ein Gespann-Beifahrer die Nordschleife erlebt, wenn ein erfahrener Fahrer Gas gibt – die ganzen 21 km lang! Mit anderen Worten: es war einfach Klasse! Eine zweite Runde haben wir aber zum Glück nicht gedreht, mein Adrena­linpegel war auf Anschlag. Von den 223 km/h sollte ich lt. Holger 20 % abziehen, der Tacho eilt vor. Na denn, das beruhigt mich ja nachträglich ungemein … 

Streckenplan der Nordschleife
Streckenplan der Nordschleife

Den letzten Turn fuhren wir alle zusammen, flott-gesittet für einen gelungenen und gesunden Abschied von der Nordschleife.

Alle Teilnehmer unserer Gespannrunde bestätigten mir auf Nachfrage, dass das Training sein Geld wert gewesen ist. Ein spannender und lehrreicher Eintrag (wie bei Moni) für die „Bucket List“. Man erweitert seinen Horizont, egal ob als Gespanntreiber oder Beifahrer und wo sonst ist man mal mit einem Pastor in der Grünen Hölle unterwegs?!

Infos zu PRO SIDE-CAR, den Kursen und Aktivitäten findet ihr unter www.prosidecar.de, Doc Scholl und seine Trainings unter www.doc-scholl.de und das Hotel Rieder unter www.hotel-rieder.de. Jona­than Sauer von PIXELrace hat auch bei dieser Veranstaltung viele Fotos geschossen, die man auf www.PIXELrace.de findet.

Ich komme gerne wieder, auch als Schmiermaxe …