Vorwort der Kradblatt-Ausgabe 7/22 von Marcus Lacroix

Indien goes Europa …

Honda CB 350 RS
Honda CB 350 RS

Eigentlich grinst euch an dieser Stelle ja das Konterfei des jeweiligen Editorial-Verfassers an, diesmal ist es ein kleines Motorrad. Dabei handelt es sich um die „neue“ Honda CB 350 RS, die laut ersten Meldungen auch nach Europa kommen soll. Ein kleiner Einzylinder aus Indien, gerade mal 21 PS „stark“ und dort als optisch etwas weniger sportliche Honda H’ness CB 350 (sprich Highness = Hoheit) bereits seit 2020 auf dem Markt.

Warum das ein Thema fürs Editorial ist, werdet ihr euch evtl. jetzt fragen, die Meldung passt doch eher ins Magazin – was ja auch nicht falsch ist.

Als die ersten Honda-Vertragshändler direkt von ihrer diesjährigen Händler-Tagung am 16. Juni die Meldung und Bilder über ihre Facebook- und Insta-Kanäle posteten, habe ich das Thema aufgegriffen und die Maschine auch auf der Facebook-Seite vom Kradblatt geteilt, verbunden mit den Fragen: „Findet ein Umdenken statt, weg von immer mehr und mehr? Wäre es nur ein Zweit- oder Drittmotorrad oder würdet ihr generell auch auf was Kleines wechseln?“. Die Resonanz war erstaunlich groß und erstaunlich positiv. 

Natürlich ist für uns leistungsverwöhnte Wohlstands-Motorradfahrer so ein kleiner Motor erst mal ein echter Anachronismus. Selbst diejenigen von uns, die mit 27 PS gestartet sind (ich z. B. 1986 mit einer CB 400 T) sind leistungsmäßig im Vergleich zu den 21 PS etwas anderes gewohnt. Und über die Jahre hat man ja doch weiter aufgerüstet und sich an ein gewisses Leistungsniveau gewöhnt.

Gelobt wird in vielen Kommentaren nicht nur das Design, das vertraute Merkmale gekonnt aufgreift. Auch für den Alltag können sich einige ein kleines (Zweit-)Motorrad vorstellen. Nicht nur aufgrund der Spritpreise sondern weil es einfach für vieles reicht und Spaß macht. Das mit dem Spaß kann ich bestätigen. 

Manche haben evtl. unseren Fahrbericht zur neuen 350er Royal Enfield Classic in Ausgabe 5/22 gelesen. In Indien tritt die Honda preislich in dieser Klasse an, Jawa und Benelli sind weitere Vertreter. Mir persönlich hat die 350er Enfield, trotz widriger Bedingungen, so viel Spaß gemacht, dass ich mir direkt danach eine gekauft habe. Über 1.000 km hat sie seitdem auf der Uhr und für mich kristallisiert sich der eigentliche Reiz – neben der Optik – weiter heraus: die unbedingte und alternativlose Entschleunigung des Fahrens.

Alternativlos? Ja, denn Motorräder mit denen man auch beim gemütlichen Fahren Spaß haben kann, gibt es ja einige. Mit denen kann man aber auch mal Gas geben. So eine 350er bietet einem aber gar nicht die Möglichkeit, wirklich schnell zu fahren – da kommt einfach nichts. Die Enfield kratzt mit Chance an den 120 km/h, bei Vollgas und klein gemacht. So ein kleines Motorrad zwingt einem sein Tempo auf – und das spült dann echt den Kopf frei, wenn man sich darauf einlässt. So ein angenehm entspanntes „Leckt-mich-doch-alle“ Gefühl, die erzwungene Abkopplung vom schnellen Fluss der Zeit. Eine neue Qualität im Erlebnis Motorrad. 

Klar, nicht jede/r wird sich drauf einlassen wollen und stellt sich zur Entschleunigung ein Zweitmotorrad in den Stall. Ich freue mich aber, dass Honda uns Europäern die Möglichkeit nicht länger vorenthält.

PS: Habt auch ihr ein Thema fürs Editorial schreibt uns einfach per E-Mail oder Post.