aus bma 12/98
von Klaus Herder
Rational betrachtet gibt es wohl kaum einen Grund, sich eine Buell zu kaufen. Handelsübliche 600er Sportler fahren Kreise um das Zweizylinder-Urviech. Stinknormale Enduros sind um Welten bequemer und tourentauglicher, und eine deutlich günstigere Harley Sportster macht zumindest bei Unwissenden imagemäßig weitaus mehr her. Eine Buell ist die pure Unvernunft, und das ist eigentlich ziemlich paradox.
Ihr Vater, der amerikanische Ingenieur Erik Buell (sprich Bjuhl, nicht Büll oder Buh-Ell), konstruierte das schrille Teil nämlich ausschließlich nach dem Motto „form follows function” – das Aussehen wird von der Funktion bestimmt.
Um zu verstehen, warum nun gerade ein hoffnungslos veralteter 1200er Twin als Antrieb eines als pure Fahrmaschine gedachten Bikes verbaut wird, muß man die Buell-Geschichte kennen. Aufmerksame bma -Leser erinnern sich vielleicht noch an den S3-Fahrbericht und die Geschichte des sympathischen Mittvierzigers. Für alle anderen gibt’s die Buell-Story nochmal in Kurzform: Erik Buell kam 1979 als junger Konstrukteur zu Harley-Davidson. Mit Choppern und Tourern hatte der Techniker eigentlich nicht viel am Hut, aber Milwaukee lag nun mal um die Ecke und irgendwie erlag er doch dem Harley-Bazillus. 1983 verließ der Hobby-Rennfahrer das Unternehmen wieder und baute ab 1984 Zweitakt-Straßenrennmaschinen und ab 1987 vollverkleidete Renner mit Motoren seines Ex-Arbeitgebers. 1989 gab’s die erste Kleinserie von Buells ohne Vollverkleidung, ab 1993 arbeitete er wieder offiziell mit Harley-Davidson zusammen. Die cleveren Harley-Bosse stiegen dann mit einer Minderheitenbeteiligung bei Buell ein und übernahmen den Laden vor knapp einem Jahr komplett. Die hundertprozentige Harley-Tochter Buell baut nunmehr jährlich rund 5000 Maschinen.
Um die 500 davon fanden bislang den Weg nach Deutschland. Die Motoren werden komplett im Harley-Motorenwerk am Capitol Drive in Milwaukee gebaut, die Endmontage der Fahrzeuge erfolgt im Buell-Werk im knapp eine Stunde entfernten Provinznest East Troy/Wisconsin. Seit 1997 gibt es die Buell auch in Deutschland bei einigen Harley-Händlern zu kaufen. Basismodell ist die noch einigermaßen zivil aussehende M2 Cyclone, als Sporttourer fungiert die schon deutlich schriller gezeichnete S3 Thunderbolt ( Fahrbericht in bma 8/97 ), sportliches Aushängeschild war bislang die völlig abgedrehte S1 Lightning. Das Heck des Einsitzers sah wie weggeschossen aus, an der rechten Seite klebte ein riesiger Kunststoffkasten (angeblich das Luftfiltergehäuse), der unterm Motor liegende Auspuff wirkte wie frisch vom LKW geklaut, und das daneben ebenfalls waagerecht montierte Federbein wurde ohne Umlenkung auf Zug statt auf Druck belastet. M2 und S3 sind auch weiterhin feste Programmpunkte, die S1 bleibt zumindest für die europäische Macho-Kundschaft bis auf weiteres im Angebot, doch die Rolle des Flaggschiffs übernimmt ab sofort die X1 Lightning.
Vom Brutalo-Aussehen der S1 hat sich die X1 ein ganzes Stück entfernt. Das Luftfiltergehäuse steht nicht mehr wie ein Geschwür auf der rechten Seite ab, sondern versteckt sich einigermaßen dezent unterm 17-Liter-Kunststofftank und ein Stück links und rechts davon. Dank geänderter Krümmerführung soll es keine angeschmorten Beine mehr geben, und um die Gemischaufbereitung kümmert sich zukünftig eine elektronische Einspritzanlage.
Buell-Konstruktionen folgen drei Prinzipien: 1. Zentralisierung der Massen; 2. Stabilisierung des Fahrwerks; 3. Minimierung der ungefederten Massen. Zentralisierung der Massen heißt in der Praxis, daß schwere Bauteile so dicht wie möglich am Schwerpunkt des Motorrads untergebracht werden sollten. Der Schwerpunkt einer Buell liegt irgenwo um und beim luftgekühlten 1200er Twin. Also plazierte Buell auch bei der X1 den Edelstahl-Endtopf unterm Motorgehäuse. Das voll einstellbare Federbein liegt wie gehabt daneben, stammt aber nunmehr wie die Upside-down-Gabel von Showa und nicht mehr von White Power und ist voll gekapselt. Auspuff und Federbein verstecken sich dezent hinter einem Kunststoffkiel. In Sachen Stabilisierung des Fahrwerks tat sich auch etwas. Der Motor ist an vier statt wie bisher an drei Punkten mit dem Gitterrohrrahmen verbunden. Die Uniplar-System genannte Aufhängungskonstruktion ist eine Kombination aus Silentblöcken und Gelenkstangen und sorgt dafür, daß der Motor zwar vertikal, aber nicht horizontal schwingen kann. In der Praxis funktioniert die Sache hervorragend. Vibrationen kommen so gut wie nicht durch, und trotzdem wirkt das Gebälk äußerst stabil. Anscheinend war in East Troy ein größerer Posten Guß-Aluminium im Angebot. Das Leichtmetall verbaute Buell an der X1 jedenfalls sehr großzügig. So in Form einer gewaltigen Schwinge und auch am polierten Rahmenheck.
Der Wendekreis einer Buell lag bislang in der Größenordnung gebräuchlicher 30-Tonner. Bei der X1 sollen vier Grad mehr Lenkeinschlag das Rangieren etwas vereinfachen. Die Betonung liegt auf etwas. Für noch mehr Wartungsfreundlichkeit sorgt eine abnehmbare Rahmen-Seitenplatte. Der rund alle 40.000 Kilometer fällige Austausch des wartungsarmen Zahnriemens wird damit zum Kinderspiel. Die neue Sitzbank verdient endlich diesen Namen – das S1-Brett verlangte nach weitgehend schmerz-resistenten Piloten. Links unten fummeln ist nicht mehr. Das Zündschloß sitzt nun auch bei Buell im Cockpit.
Mit einem kräftigen Schlag erwacht der mutierte Harley-Twin per E-Starter zum Leben. Schärfere Nockenwellen (vier Stück, untenliegend), größere Ventile, höhere Verdichtung, überarbeitete Ein- und Auslaßkanäle – das macht unterm Strich echte 90 PS, 29 PS mehr als im stärksten Harley-Originalmotor und immerhin zwei mehr als beim vergaserbestückten Thunderstorm-Motor der S1 White Lightning. Kuppeln ist bei der X1 etwas für zupackende Typen, das Fünfganggetriebe verlangt nach klaren, knackigen Befehlen. Der erste Gang ist so lang übersetzt, daß sich weitere Schaltarbeit innerorts theoretisch erübrigt. In der Praxis rollt man dann doch im dritten Gang mit unter 2000 U/min durch den Großstadtdschungel.
Die Gasannahme ist tadellos, die Rüttelei unter 3000 U/min aber recht ausgeprägt. Oberhalb von 3000 U/min erinnert nichts mehr an die polternde Harley-Verwandtschaft. Der Motor ist drehfreudig und vibrationsarm und geht brutal gut ab. Wo Harley-Schrauber sich jahrelang „den Wolf tunen”, um sich im Endeffekt mit geschätzten und in der Praxis nie vorhandenen 80 PS in die Tasche zu lügen, läßt die Buell einfach mal die Muskeln spielen. Das Ding ist ein Naturereignis, der Fahrer sucht anfangs das Gummiband, von dem der 217 Kilo-Sportler nach vorn katapultiert zu werden scheint. Zwischen 4500 und 5500 U/min ist am meisten Druck vorhanden, ab 6000 Touren wird’s deutlich ruhiger, der rote Bereich ab 7000 bleibt ein eher theoretischer Wert. Der Durchzug ist heftig, aber nicht ganz so brutal, wie er in Harley-Mythen verklärt wird. Der Buell-Twin ist ein Sportmotor, und Sportler möchten bekanntlich geschaltet werden.
Zum genußvollen Gasgeben paßt auch die Bremsanlage. Womit wir bei Punkt 3, der Minimierung der ungefederten Massen wären. Die gigantische 340-Millimeter-Scheibe im Vorderrad ist nämlich Einzeltäter – das macht drei Kilo Gewichtsersparnis im Vergleich zu einer Doppelscheibenbremse. Für den nötigen Biß sorgt ein Sechskolbensattel – und wie das Teil zubeißt. Fein zu dosieren, weitgehend fadingfrei und brachial in der Wirkung. Der hinteren 230-Millimeter-Scheibe bleibt nur eine unauffällig unterstützende Funktion.
Machten mit der S1 besonders lange Geraden und ähnlich lang gezogene, extrem gut ausgebaute Kurven am meisten Spaß, darf es mit der X1 deutlich kurviger und unebener sein. Kurzer Radstand, kleiner Lenkkopfwinkel – die neue Lightning ist höllisch handlich, ungemein zielgenau und ansatzweise so etwas sie komfortabel. Für den Komfortzuwachs dürfte aber in erster Linie die neue Sitzbank verantwortlich sein. Geradeaus darf es ebenfalls mit Volldampf gehen, 225 km/h sind machbar, und selbst bei solchem Tempo läuft die mittelfett bereifte (120/70 ZR 17 und 170/60 ZR 17 Dunlop D204) Buell sauber in der Spur.
Über 5,5 Liter Superbenzin macht der Amibock auch bei flotter Fahrt nicht weg. Normales Landstraßentempo wird mit rund 4 Litern Verbrauch belohnt. Die Anschaffung haut da schon etwas mehr ins Kontor. Um 21.000 Mark wird die X1 vermutlich kosten (voraussichtlich ab Januar 1999 lieferbar). Dafür gibt es sonst schnellere Sportler, tourentauglichere Tourer, und imagemäßig bessere Imageverbesserer, also deutlich vernünftigere Motorräder. Geilere gibt’s kaum. Jawoll, so einfach kann man das sagen. Übrigens: Bei mir steht seit kurzem eine Buell in der Garage.
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