aus bma 08/97

von Klaus Herder

Sieben Jahre ist das nun her, als ich meine Harley Sportster beim BMW-Händler abstellte und mit einer K 100 RS nach Hause fuhr. Vorausgegangen waren fünf Jahre Harley-Spaß. Spaß am Harley-Besitzen, SpaßBuell S3T Thunderbolt am Harley-Umbauen – aber im Nachhinein betrachtet nur wenig Spaß am Harley-Fahren. Schlappe Bremsen, ein müder Motor, das lausige Fahrwerk – fünf Jahre lang hatte ich technische Unzulänglichkeit mit Charakter verwechselt. Seitdem ist mein Verhältnis zum amerikanischen Schwermetall eher gespalten. Ich verstehe jeden, der von einer Harley träumt und sich diesen Traum auch irgendwann einmal erfüllt. Aber ich habe kein Verständnis für Schwätzer, die immer noch die alte Kraft-aus-dem-Keller-Litanei ablassen und vom einmaligen Charakter des V2-Motors faseln. Serien-Harleys sind Schlappwürste – jede Kawasaki VN 1500 hat mehr Punsh und läßt sich schaltfauler fahren.
Seit kurzem interessiere ich mich aber wieder deutlich stärker für’s amerikanische Urgestein. Schuld daran ist nicht die Midlife-crises, sondern Erik Buell. Der Mittvierziger kam 1979 als junger Ingenieur zu Harley- Davidson. 1983 verließ der aktive Rennfahrer das Unternehmen wieder und machte sich mit der Entwicklung und dem Bau von Sportmaschinen selbständig.
Ein Vierzylinder-Zweitakter war sein erstes Objekt, doch bald schon griff er wieder auf die Motoren seines ehemaligen Arbeitgebers als Antrieb zurück. Buell entlockte den Zweizylindern all das, was Harley seinen Kunden vorenthielt: Leistung, Drehmoment und Laufruhe. Die erste Buell gab’s 1985, die vom XR 1000-Motor befeuerte RR 1000 folgte zwei Jahre später als erstes Serienmodell und wurde 50 mal verkauft.

 

Harley-Davidson hatte zwischenzeitlich auch für die kleine Sportster-Baureihe den Evolution-Motor eingeführt, und so mußte sich Erik Buell nach einem neuen Antrieb umsehen. Der 1200er Evo-Motor kam ihm gerade recht, die 1988 vorgestellte RR 1200 wurde in 65 Exemplaren unter’s Volk gebracht. Ein Jahr später fertigte der in East Troy/Wisconsin – ein 30 Meilen südwestlich vom Harley-Stammsitz in Milwaukee gelegenes Provinznest – beheimatete Kleinstserienhersteller erstmalig über 100 Maschinen.
Buell S3T ThunderboltDen Kontakt zu seinem ehemaligen Brötchengeber ließ Erik Buell nie abreißen. Ganz im Gegenteil: die Geschäftbeziehungen wurden immer enger, es kam sogar soweit, daß Harley-Davidson 1993 bei Buell mit einer 49-prozentigen Beteiligung einstieg. Die Interessen waren klar: Harley brauchte ein sportliches Aushängeschild für die jüngere Kundschaft, Buell brauchte Kapital und Knowhow, um Neuentwicklungen voranzutreiben und zu vermarkten. Ein Jahr nach Beginn der wunderbaren Beziehung fanden bereits 400 Buell einen Käufer, 1997 werden es voraussichtlich um die 5000 Exemplare sein.
Seit 1997 wird das Buell-Programm über die Harley-Davidson GmbH auch in Deutschland vertrieben. Neben dem Einstiegs-Sportler M2 Cyclone und dem Streetfighter-Verschnitt S1 Lightning ist die mit einer Halbschale verkleidete S3 Thunderbolt das dritte Modell im Angebot. Mit Koffern und Beinschildern wird aus der S3 eine S3T, wobei das T für Touring und Tourensport steht.
Bis auf den Motor hat die Buell S3T nichts mehr von einer Harley. Das Triebwerk wird zwar im Harley-Motorenwerk gefertigt, muß sich dabei aber zahlreiche Veränderungen nach Buell-Vorgaben gefallen lassen. Reduzierte Schwungmassen, überarbeitete Zylinderköpfe, eine erhöhte Verdichtung, schärfere Nockenwellen und völlig neu konstruierte Ansaug- und Abgasanlagen erklären die Leistungsexplosion. Bringt die Serien-Sportster gerade mal 58 PS auf die Straße, sind es beim 97er Modell der Buell pralle 91 PS. Der Jahrgang 1998 wird sogar zehn weitere Pferdestärken aktivieren.
Der gedopte Sportster-Motor hängt in einem filigranen Gitterrohrrahmen eines amerikanischen Zulieferers. Das Vorderrad wird von einer White Power Upside-down-Gabel geführt, die Hinterradfederung übernimmt ein liegend montiertes Zentralfederbein vom gleichen Hersteller. Das voll verstellbare Federelement wird beim Einfedern nicht auf Druck, sondern auf Zug belastet. Direkt neben dem ungewöhnlich aber schwerpunktmäßig günstig plazierten Federbein ist der riesige Endschalldämpfer untergebracht, der der Buell zu einem zwar kernigen, aber umweltverträglich gedämpften Grollen verhilft. Den Endantrieb übernimmt ein wartungsarmer Zahnriemen.
Buell S3T ThunderboltFür die Verzögerung sorgt am Vorderrad eine mit 340 Millimetern Durchmesser rekordverdächtig große Einscheibenbremse mit Sechskolbensattel. Der Stopper läßt sich fein dosieren, die Wirkung entspricht gutem Japan-Standard. Die hintere Einscheibenbremse verlangt da schon nach etwas mehr Betätigungskraft, um halbwegs ordentlich zuzubeißen. Die Sitzposition in rund 80 Zentimeter Höhe ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die Doppelsitzbank fällt im vorderen Teil extrem schmal aus. Das erleichtert Kurzbeinigen zwar den Bodenkontakt beim Ampelstop, führt auf Dauer aber zu einer etwas verkrampften Haltung. Das rechte Bein wird ohnehin den Knieschluß mit dem 19 Liter-Tank vermeiden, da es ständig Gefahr läuft, am nur mäßig abgedeckten Auspuffkrümmer gebraten zu werden. Dafür liegt der breite und verhältnismäßig hoch montierte Lenker goldrichtig zur Hand. Die im Beinbereich etwas stressige Sitzposition wird durch die angenehm entspannte Oberkörperhaltung etwas ausgeglichen.
Von Entspannung wird bei sportlich ambitionierten Fahrern allerdings nicht lange die Rede sein. Nachdem der im Gegensatz zu mancher Original-Harley äußerst startwillige Motor angesprungen ist, geht’s gleich ziemlich flott zur Sache. Das Fünfganggetriebe möchte zwar mit etwas Nachdruck bedient werden und gibt dabei ab und an Laut, doch als BMW-Erfahrener fühlt man sich sofort zuhause. Der Antritt der Buell hat dann aber rein gar nichts mehr von bayerischer Boxer-Gemütlichkeit oder amerikanischer Chopper-Trägheit. Die Buell ist ein Tier, sie zieht ungemein spurtstark ab, dreht ab 3000/min locker und leicht bis zum roten Bereich bei 6800/min und gibt sich über’s gesamte Drehzahlband keine Blöße.
Der veredelte Sportster-Motor ruckelt nicht, ist mechanisch eher leise und vibriert nur mäßig. Knapp über vier Sekunden benötigt die S3T für den Sprint von Null auf 100. Die Buell geht ab wie Eriks Katze, hat alle Tugenden eines modernen Sportmotors und vermittelt dabei trotzdem den Kick, den nur ein oldfashioned V2 vermitteln kann. Wer es dem sauber am Gas hängenden Zweizylinder richtig besorgt, kann die 235 Kilogramm Lebendgewicht immerhin auf über 210 km/h Vmax treiben. Vorausgesetzt, der Fahrbahnbelag ist potteben, läuft der Ami-Renner dann auch noch sauber geradeaus. Fahrbahnabsätze und grobes Asphalt-Flickwerk mag die Buell aber bereits ab der Hälfte der Höchstgeschwindigkeit nicht so sehr. Die Federelelmente sprechen auf holprigen Straßen nur mäßig an, die brettharte Sitzbank verstärkt den Starrahmen-Eindruck zusätzlich.
Buell S3T ThunderboltWer flott ums Eck biegen will, muß ausgeprägten Körpereinsatz zeigen, von allein läuft gar nichts. Doch bei aller Sturheit bleibt die Buell immer gut berechenbar. Wer aktiv ins Geschehen eingreift, erlebt die S3T als durchaus handlich – der kurze Radstand, der geringe Nachlauf und der niedrige Schwerpunkt machen sich doch bemerkbar.
Bei aller Vitalität zeigt die Buell starke Zurückhaltung in ihren Trinkgewohnheiten. Auch wer es permanent fliegen läßt, wird selten mehr als vier Liter Superbenzin auf 100 Kilometern abfackeln.
Die S3T wird zwar als Tourensportler verkauft, doch ihre Reisetauglichkeit ist allerhöchstens mittelmäßig. Verkleidung und Beinschutz sind mehr Alibi als echter Wind- und Wetterschutz, die Sitzbank ist für zwei Personen nur sehr bedingt geeignet, und die kleinen Koffer reichen zumindest beim 97er Modell höchstens für Zahnbürste und Kreditkarte. Der 98er Jahrgang bekommt immerhin größere Boxen spendiert, dann soll auch ein Integralhelm hineinpassen. Zusätzlich gibt’s beim neuen Modell eine Zeituhr für’s Cockpit.
Die ist auch dringend nötig, denn auf der Buell läßt sich ganz schnell die Zeit vergessen. Das 23.000 Mark teure Ami-Bike ist nicht perfekt, aber es ist ungemein faszinierend. Und das nicht nur im Stand, sondern auch und gerade auf der Straße. Die Buell ist eigentlich keine Harley. Das macht sie fahrbar. Und sie ist vielleicht trotzdem eine Harley. Das macht sie so reizvoll. Bei mir hat die Buell jedenfalls dafür gesorgt, daß ich den Glauben an den amerikanischen Motorradbau zurückgewonnen habe. Vielleicht kaufe ich mir doch noch mal ’ne Harley. Auf der wird dann aber garantiert Buell stehen.