aus Kradblatt 6/23 von Annika Gramlich / www.sherides.de

Nach längerer Pause will Billa wieder Motorradfahren. Ihr Mann versteht das nicht. Also schenkt sie ihm den Führerschein. Ihre Geschichte …

Mit der Royal Enfield 350 Classic startete Billa durch …
Mit der Royal Enfield 350 Classic startete Billa durch …

Kurzprofil

Name: Ute Sybille Schmitz (Billa genannt) | Alter: 63 Jahre, Heimat: Der Ruhrpott war es, Berlin ist es jetzt. Beruf: Gebärdensprachdolmetscherin und Präsidentin der „Chaos Bikers“

Wie bist du zum Motorradfahren gekommen?

Ich fahre jetzt seit über 40 Jahren Motorrad – sogar schon 45 Jahre – fällt mir gerade auf. Ich war mit 18 in einem Club („MC Bunker“), so nannten wir uns damals, weil unsere Räume in einem alten Bunker waren. Dadurch bin ich dazu gekommen. Wir haben wahnsinnig viele Ausfahrten gemacht, es war echt traumhaft. 

Dann kam die 1. Ehe, das Kind, Familie, Job … und ich bin lange nicht mehr gefahren. Vor wenigen Jahren war ich auf einem Motorradtreffen nur für Frauen, das hat den Funken in mir wieder geweckt und das Feuer zum Lodern gebracht. 

Ab nach Hause und meinem Mann davon erzählt (2. Ehe und die beste der Welt). Wobei die Begeisterung sich in zunächst in Grenzen hielt, da er mich ja kennt und ich bin nicht immer die Vernünftigste und mag es auch ein bisschen verrückt. Zudem war er selbst kein Motorradfahrer und dann ist es auch super schwierig jemandem zu erklären, welch ein geiles Gefühl es ist, auf einem Bike zu sitzen und das Leben zu genießen. 

Aber meinen neuen Traum wollte ich auf gar keinen Fall wieder in die Tasche stecken, also habe ich kurzerhand meinem Mann zum Hochzeitstag den Motorradführerschein geschenkt. Und nun? Wir nutzen jede freie Minute, um auf unsere Bikes zu steigen.

Starke Frau - starkes Bike. Billa mit ihrer Triumph
Starke Frau – starkes Bike. Billa mit ihrer Triumph

Was bedeutet Motorradfahren für dich?

Sehr, sehr viel. Ist die Strecke schön, habe ich einen guten Lauf und das Wetter ist herrlich, dann schreie ich schon mal vor Glück unter dem Helm. Hört mich ja keiner. Ich fühle mich frei, kein Stress, kein Telefon, einfach nur die Ruhe und das Fahren genießen. Ich bin Cruiserin, rase nicht. Wenn, dann drehe ich gerne mal auf einer schönen Landstraße voll auf.

Welches Motorrad fährst du? Warum hast du diese Maschine gewählt?

Triumph Bonneville Bobber in Schwarz. Ich bin eingestiegen mit der Royal Enfield Classic, aber die war mir ein Stück zu hoch. Ich hatte zwar alles ausprobiert, höhere Stiefel, Sattel etwas tiefer, aber ich habe mich trotzdem so ein paar Mal „schlafen“ gelegt. Dann wurde sie mir auch schon nach wenigen Monaten zu langsam, der Einzylinder vibrierte mir zu viel. Als ich die Bobber dann Probe gefahren bin, stand für mich die Entscheidung sofort fest. Es ist auch ein gutes Gefühl, mit den Füßen so richtig auf dem Boden stehen zu können.

Wenn Geld und Platz keine Rolle spielt, was steht in deiner Garage?

Momentan bin ich voll zufrieden. Ich fahre beruflich einen Oldtimer (Buckel Volvo) und am Wochenende mit meiner „Beauty“. So für kleine Wege in der Stadt hätte ich gerne noch eine alte MZ RT 125/2. Ich denke, die hole ich mir im Frühjahr auch noch.

Mit welcher Ausrüstung fährst du am liebsten?

Ich habe keine spezielle Ausrüstung und liebe meine uralten Stiefel (45 Jahre alt) von Vendramini. Ich habe mir noch ein paar davon geholt, allerdings haben die eine neue Form – logisch. Ansonsten trage ich verschiedene Kombinationen, je nach Wetterlage. Mein Integral- und Jethelm sind von Bell.

Was war deine bisher größte Herausforderung? Wie hast du sie gemeistert und hat das dein Motorrad-Leben beeinflusst?

Indien auf Enfield - ein echtes Abenteuer
Indien auf Enfield – ein echtes Abenteuer

Das war meine Indien-Tour im Himalaya. Als Wiederaufsteigerin hatte ich mir die Tour selbst zum Geburtstag geschenkt. Nach der Beschreibung auch geeignet für Einsteiger, Level 1 und 98 % asphaltierte Straßen – aber es war alles genau das Gegenteil. Ich habe zwischendurch gedacht: „Ach du Sch…!“ Habe an allem gezweifelt was ich je gelernt hatte. Matsch ohne Ende, tiefe Pfützen über 100 Meter lang, unbefahrene Aufstiege mit Eisschichten, Schotter – wo man nur hinschaute, keine Leitplanken und es ging 1000 Meter abwärts, und auf den Autobahnen (max. 80 km/h) lagen die Kühe zum Schlafen und in den Schlaglöchern daneben sonnten sich die Hunde. Heute bin ich eine so glückliche Frau, dieses Abenteuer erlebt zu haben. Jetzt kann mir Brandenburg nichts mehr anhaben!

Wie vereinbarst du das Familienleben mit deiner Motorradleidenschaft?

Leider kommt meine Leidenschaft oft zu kurz. Ich bin bei uns die Verdienerin, mein Mann ist Hausmann. So bin ich zwar von diesen Aufgaben „befreit“, aber die Zeit ist oft zu knapp. Als 1. Vorsitzende von 2 gemeinnützigen Vereinen ist da noch einiges mehr. 

Ich habe im letzten Jahr den gemeinnützigen Verein „Chaos Bikers“ gegründet. Wir sind ein inklusiver Verein, die meisten sind taub, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Hautfarbe – alles spielt bei uns keine Rolle. Wichtig ist uns die Gemeinsamkeit des Motorradfahrens. Wir planen und machen viele Ausfahrten, vorrangig in der Saison. Das gibt mir persönlich die Möglichkeit auch mehr zu fahren. Wir sind dann immer mit rund 10 Maschinen unterwegs – waren auch schon 17. Einer hat „den Hut auf“ – die Route vorbereitet – und die anderen folgen. Es ist ein toller Verein und jeder ist herzlich Willkommen bei uns mitzufahren oder Mitglied zu werden.

Unterwegs mit den Chaos Bikers
Unterwegs mit den Chaos Bikers

Was darf auf einer Motorradtour für dich nicht fehlen?

Mein Mann und Wasser.

Fährst du lieber allein oder in einer Gruppe Motorrad?

Das kommt auf die Strecke an. Längere Strecken gerne mit meinem Mann, da wir dann sehr symbiotisch sind und eigentlich jedes Ziel meistern. Aber sehr, sehr gerne auch mit der Gruppe, besonders den „Chaos Bikers“, sind ja auch meine Freunde. Und das Schöne ist, wir können ja an jeder Ampel plaudern, ohne die Sprache nutzen zu müssen.

Was war dein schönstes Motorrad-Erlebnis?

Davon gibt es so viele, dass ich kein einzelnes Erlebnis nennen kann. Motorradfahren an sich ist ein schönes Erlebnis. 

Von welcher Motorradtour träumst du und was reizt dich an dieser Tour?

Von unserer nächsten Tour. Ich möchte im Sommer, den südlichsten, westlichsten, nördlichsten und östlichsten Punkt Deutschlands anfahren. Das sind etwa 3000 Kilometer. Dazu wollen wir, mein Mann und ich, einen Blog in Laut- und Gebärdensprache machen und alle auffordern uns zu folgen, zu begleiten oder an einem Ort zu besuchen. Ein bisschen wollen wir damit auch darauf aufmerksam machen, dass Taube genauso tolle (wenn nicht sogar visuell bessere) Biker sind, als Hörende. Wir wollen mit dem Trugbild schlussmachen, sie könnten nicht auf zwei Rädern fahren, weil sie nichts hören. Es wird ein großer Spaß und ich vermute, wir sprechen viele Biker damit an. Die Community der tauben Motorradfahrer ist viel größer, als die Welt da draußen vielleicht ahnt.

Was würdest du dir selbst raten, wenn du heute mit dem Motorradfahren anfangen würdest?

Kleine Maschine zum Start, Trainings mitmachen, gute Klamotten.

Ist da noch etwas, was du der SHE RIDES Community gern mitgeben möchtest?

Mädels macht den Schein und kauft euch kein E-Bike (Fahrrad). Und bitte nicht: „Dafür bin ich zu alt!“. Never!


Info: Das Interview mit Billa führte Annika Gramlich für die Online-Community She Rides. Das Portal wendet sich hauptsächlich – aber nicht nur – an motorradfahrende und motorradinteressierte Frauen, Klickt mal rein: www.sherides.de oder auf Facebook und Instagram.

Die Chaos Bikers findet man Online aktuell unter: www.instagram.com/chaos.bikers sowie als Facebook-Gruppe unter Chaos Bikers e.V.