Mit Opas Tourern in die Alpen

aus Kradblatt 8/24, Konstantin Winkler

NSU 501 T – nichts für Anfänger
NSU 501 T – nichts für Anfänger

Der Biker, das Motorrad und die Straße. Das ist eine Konstellation, die fast immer zu einem positiven Ergebnis führt: Eindrucksvolle Fahrerlebnisse. Einen ganz besonderen Reiz hat dabei das Fahren mit Vorkriegsmotorrädern, gerne auch mit Beiwagen. Schon der Weg ist das Ziel und man kann die schöne Landschaft gelassen und intensiv genießen. Die Zeit spielt eine untergeordnete Rolle. Man ist nicht nur unterwegs, um irgendwo anzukommen.

Ich war im schönen Allgäu unterwegs und nahm dort natürlich sehr gerne die Einladung meines Oldtimerfreundes Dirk an, mit zwei NSU-Gespannen das Voralpenland nebst Österreich zu erkunden. Ich durfte seine 501 T, Baujahr 1928, mit dem Original-NSU-Beiwagen fahren. Dirk fuhr seine 601 TS, Baujahr 1934, mit einem seltenen Primus-Beiwagen der Hainsberger Metallwerke, die in der Nähe von Dresden in den 1920er Jahren für damalige Verhältnisse sehr moderne Beiwagen herstellten.

NSU-Motorräder galten damals wie heute als robust und zuverlässig. Sie verkörperten das solide deutsche Gebrauchsmotorrad, das einem viel Freude und wenig Verdruss bereiten sollte.

 Die seitengesteuerten Einzylinder – die Ventile befinden sich nicht über dem Brennraum wie heute (OHV), sondern seitlich davon (SV) – stellten in den 1920er und 1930er Jahren nicht die höchste Entwicklungsstufe im Motorradbau dar. Gerade mal 12 Pferdestärken transportiert die Antriebskette der langhubigen 500er (80 mm Bohrung und 99 mm Hub) vom riesigen Blockmotor zum Hinterrad. Die 600er (87,5 mm Bohrung und ebenfalls 99 mm Hub) brachte es auf 14 PS. Dank der Kraft, die aus den Tiefen des Drehzahlkellers kommt, genug Leistung, um selbst in den Bergen einen Beiwagen zu ziehen! 

Tankschaltung der NSU 601 TS
Tankschaltung der NSU 601 TS

Das Fahrwerk bietet viele Schwächen, aber wenig Komfort (wenn man von dem wirklich gut gefederten Ledersattel und dem blattgefederten Seitenwagen absieht), passt also bestens zu den kernigen Motoren. Der aus nahtlos gezogenen Stahlrohren bestehende Rahmen ist so massiv, dass er bestens für den Beiwagenbetrieb geeignet war.

Nun soll es endlich losgehen. Die mit prähistorischer Motorradtechnik bestens vertrauten Biker beherrschen die aus vielen Handgriffen bestehende Startprozedur: Benzinhahn öffnen, Schwimmerkammer durch Betätigung eines „Tupfers“ fluten, Zündzeitpunkt auf „spät“ stellen (damit der Knöchel unversehrt bleibt, und der Kickstarter nicht zurückschlägt, was bei zu viel Frühzündung der Fall ist!) und kein Gas geben. Der Lufthebel bleibt geschlossen. Auf den zweiten Kick springen dann die Motoren unter Mithilfe des Dekompressionshebels an. Eine Rauchwolke aus dem Auspuff verkündet, dass alles wie geschmiert läuft. Wenig gedämpft gelangen die Auspuffgase ins Freie. 

Ohne Filter sind auch die Motorhalterungen. Good Vibrations! Tank, Lenker, Trittbretter, Lampe und Schutzbleche vibrieren drehzahlabhängig mit. Einen digitalen „Check-Control“ macht diese optische und akustische Bestandskon­trolle überflüssig, denn was mitklappert, ist (noch) nicht abgefallen. 

Wir starten in Rettenberg am Fuße des Grünten, einem 1.737 Meter hohen Bergrücken der Allgäuer Alpen.

Schon nach wenigen Kilometern geht es für den Flachlandtiroler recht steil – für den Bayern gemächlich – bergauf, je nach Sichtweise!

Zündkerze reinigen zählt nicht als Panne!
Zündkerze reinigen zählt nicht als Panne!

Durch unwilliges Schütteln lässt mich der Motor spüren, was mit „rechtzeitig schalten“ gemeint ist. Ich habe meiner Meinung nach rechtzeitig geschaltet, nur wohl in die verkehrte Richtung. Von unten sah die Steigung gar nicht so steil aus. Beim nächsten Berg habe ich dann rechtzeitig geschaltet, allerdings in einen zu kleinen Gang. Solch eine NSU – Bauernmotorräder nannte sie der Volksmund damals wegen ihrer Robustheit – verzeiht dem ungeübten Motorradfahrer manchen Fehler. So hat es nicht lange gedauert, bis Mensch und Maschine sich arrangiert haben. 

Bequemer Einstieg in den Beiwagen
Bequemer Einstieg in den Beiwagen

Richtige Lust am Treckerfahren stellt sich ein, wenn die Straße gemächlich ansteigt und Landstriche im dritten und damit letzten Gang durchkreuzt werden können, ohne zurückzuschalten. Vorausgesetzt, man setzt die rund 10 Kilo schwere Schwungscheibe geschickt als Energiespeicher ein …

Hoch motiviert und gut vorbereitet stellen wir uns der ersten Herausforderung: Die Straße zur 1.000 Meter hoch gelegenen Schlossbergalm hat deutlich über 10% Steigung. Schon nach der ersten Kurve verlieren wir rapide an Tempo und es dauert nicht lange, bis wir uns im ersten Gang wiederfinden.

Oben angekommen, gönnen wir den Gespannen eine Abkühlpause und uns einen zünftigen Kaiserschmarren. 

Gut gestärkt fahren wir Richtung Österreich. Für die kleine Panne zwischendurch gab es ab Werk umfangreiches Bordwerkzeug, das des Schraubers Herz auch heute noch höher schlagen lässt. Improvisationstalent ist bei Unpässlichkeiten gefragt, da es in etwa so viele Motorradhändler gibt, die NSU-Teile führen wie Postämter, die die blaue Mauritius vorrätig haben. So konnte Dirk seine Schrauberkunst vor historischer Kulisse unter Beweis stellen. Direkt vor Schloss Neuschwanstein gab es ein kleines Problem am Vergaser. Der von dem bayrischen König Ludwig II. ab 1869 errichtete Prachtbau liegt bei Füssen im südöstlichen bayrischen Allgäu.

Wenig später geht es weiter nach Österreich. Wir kommen ins Tannheimer Tal, einem auf etwa 1.100 Meter Höhe gelegenen Hochtal im Bundesland Tirol.

Solide Technik, die noch heute funktioniert
Solide Technik, die noch heute funktioniert

Die nächste Station ist Grän, 1.134 Meter hoch, wunderschön von Bergen umgeben, unweit des Haldensees.

Kurz hinter der deutschen Grenze stehen wir am 1.178 Meter hohen Oberjochpass.

Durch mehr als 100 Kurven geht es bergab nach Bad Hindelang. Bewährungsprobe für die Halbnabenbremsen. Trotz ungebremsten Beiwagen geht es fast schon sportlich um die Ecken. Die Trommelbremsen verzögern hervorragend und bekommen beim Gaswegnehmen Unterstützung vom 500 bzw. 600 Kubikzentimeter großen Hauptbremszylinder“. Solche großen Einzylinder-Viertakter verkörpern eben bauartbedingt wirkungsvolle Motorbremsen! Über Sonthofen und Immenstadt kommen wir zurück nach Rettenberg.

Die Zeit verging wie im Fluge, obwohl wir uns manchmal nur im Zeitlupentempo fortbewegten. Pannenfrei absolvierten wir die 135 Kilometer lange Rundreise durch das schöne Allgäu und Österreich. Kleinigkeiten wie eine verrußte Zündkerze reinigen oder den Vergaser justieren zählen dabei natürlich nicht als Panne!

208 Knochen hat das menschliche Skelett. Nach einer Tagestour mit solch großvolumigen Einzylindern aus der Vorkriegszeit kennt man jeden einzelnen davon mit Vornamen. Außerdem kann man sich den Gang ins Fitnesscenter sparen. Alle Muskeln werden ausreichend trainiert. Man ist geschüttelt, aber auch gerührt. Dies war definitiv meine eindrucksvollste Alpentour der letzten Jahre! Dafür sage ich meinem Oldtimer-Freund Dirk nochmal herzlichen Dank, dass er mir eines seiner beiden toprestaurierten Gespanne anvertraut hat!

NSU 501 T Baujahr 1928
NSU 501 T Baujahr 1928
1928 musste man sich zum Schalten noch tiefer bücken
1928 musste man sich zum Schalten noch tiefer bücken
NSU 601 TS, Baujahr 1934, mit einem seltenen Primus-Beiwagen.
NSU 601 TS, Baujahr 1934, mit einem seltenen Primus-Beiwagen.