aus Kradblatt 7/21 von Mo Nagel
Und läuft und läuft …
Monika „Mo“ Nagel berichtete bereits in Kradblatt-Ausgabe 6/2018 über ihre Scout Sixty, die damals 12.000 km auf der Uhr hatte. Hier kommt die Fortsetzung ihrer Erfahrungen.
Als ich im August 2016 meine Indian Scout Sixty beim Händler in Esslingen abholte, wusste ich noch nicht, wie viel Spaß ich mit der kleinen Chilaili (indianisch für Schneevogel), so wurde sie von mir getauft) haben werde. Zum Saisonende 2020 sind über 50.000 Kilometer auf der Uhr zu lesen, allesamt von mir gefahren. Viele, viele Kilometer zwischen Ostalb, Schwäbischer Alb, Hohenlohe, Mittelfranken, Allgäu und Schwarzwald. Dazu unsere jährlichen Urlaube von 10–14 Tagen in Fichtelgebirge, Tschechien, Österreich und Südtirol.
Das Magazin MOTORRAD veröffentlicht solche 50.000 km Dauertests diverser Maschinen. Allerdings reitet da die gesamte Redaktion auf dem Test-Motorrad rum und die Langstrecke ist meist nach spätestens zwei Jahren erreicht. Ich dachte, das kann ich auch und schildere euch meine Eindrücke aus den letzten vier Jahren.
Technik: Fangen wir mit den technischen „Besonderheiten“ der Indian Scout Sixty, Bj. 2016, an. Cruisertypisch haben wir eine niedrige Sitzhöhe von 64,3 cm und einen sehr tiefen Schwerpunkt. Die Geometrie lässt sich sehen: Mit 16″ x 3,5″ Rädern, einem Lenkkopfwinkel von 61°, 156 cm Radstand und einem Nachlauf von 119 mm hat die Scout schon fast sportliche Ambitionen. Ein 1.000 ccm, wassergekühlter V-Twin-Motor sorgt bei 5.600 U/min mit 89 Nm für den Vortrieb. 79 PS bringen über ein 5-Gang-Getriebe die Kleine mit ihren 256 kg auf 190 km/h.
Achtung, die neuesten Modelle weichen von diesen Daten ab! Mittlerweile ist die Scout Sixty um einen 1,5 cm größeren Radstand gewachsen, was einen um 1 cm vergrößerten Nachlauf mit sich bringt. Außerdem hat die neue Generation 8 kg abgespeckt und wiegt vollgetankt nur noch 248 kg.
Fahrgestell: Wir haben vorne eine 41 mm Teleskop-Gabel und hinten zwei Federbeine. Vorne und hinten wissen allerdings nichts voneinander und lassen sich auch nicht einstellen. Außer natürlich hinten die Federvorspannung. Die hat aber so rein gar nichts mit einer verbesserten Straßenlage zu tun.
Kupplung: Zum Bedienen der Kupplung muss man im Winter rechtzeitig wieder anfangen, die linke Hand zu trainieren. Ich habe selten so einen schwergängigen Bowdenzug erlebt, wie bei der Scout. Lange Stadtfahrten oder viele Schaltvorgänge z. B. auf Passstraßen mit vielen Serpentinen, verlangen der linken Hand schon einigen Einsatz an Muskelkraft ab. Das hätte man sicherlich eleganter lösen können.
Wie fährt sich die Indian Scout Sixty? Einiges habe ich ja bereits im Fahrbericht zu 12.000 Kilometern mit der Scout geschrieben (siehe Kradblatt 6/18 unter www.Kradblatt.de bzw. www.mosbike.blog). 50.000 Kilometer sind zusätzlich noch eine Herausforderung für das Material.
Im März 2019 musste ich den Hauptbremszylinder hinten auf Garantie wechseln lassen, da dieser bekanntermaßen Konstruktionsfehler aufwies. Ansonsten gab es keine technischen Vorkommnisse und ich bin von der Qualität überzeugt. Der Service-Intervall ist für meinen Geschmack mit 8.000 Kilometern ein wenig kurz.
Das dicke Vorderrad (130/90) neigt bei schlechten Straßen dazu, sich seinen Weg selbst zu suchen. Da ist in manchen Situationen ein gewisses Gottvertrauen notwendig. Erst letztens hat mir eine fette Unebenheit, die nicht zu erkennen war, den Puls in die Höhe getrieben. Wenn plötzlich der Vorderbau deines Motorrads wild hin und her schlägt, schießt dir das Adrenalin in Lichtgeschwindigkeit durch den Körper. In solchen Situation sollte man trotzdem einen kühlen Kopf bewahren und nicht versuchen, den Lenker in eine Fahrtrichtung zu zwingen. Das Rad sucht sich schon seinen Weg …
Unangenehmer wird’s, wenn einem das in Kurven passiert. Da versetzt es dir die Scout, je nach Tempo, auch schon mal zum äußeren Kurvenrand. Da ich vorher eine ungelenke 1400er Intruder gefahren bin, sind mir solche Fahreigenschaften bekannt. Das bringt mich nur noch selten aus der Ruhe. Nach so vielen gemeinsamen Kilometern kennst du jede Zuckung deines fahrbaren Untersatzes. Das oben schon angesprochene Fahrwerk ist als solches nicht wirklich zu bezeichnen. Die Federbeine sind Standard: Für Fahrer ab 75 kg ausgelegt. Entsprechend liegt die Scout erst satt auf der Straße, wenn ich hinten mein Gepäck für ’nen 14-tägigen Urlaub festgeschnallt habe. Da ich weder ein Windshield noch sonst gewichtbringende Satteltaschen an meiner Scout habe (weil ich’s nicht mag), kann ich so auch kein Zusatzgewicht generieren (Anmerk. der Redaktion: wir empfehlen in solchen Fällen ein Gespräch mit eurem Fachhändler, denn leichtgewichtige (oder schwere) Fahrer/innen benötigen ggf. Federn mit einer passenden Federhärte, wenn sich die Federbasis nicht ausreichend einstellen lässt. In fast allen Fällen gibt es eine passende Lösung!).
Der geringe Einschlagwinkel des Lenkers, damit einhergehend ein riesiger Wendekreis, lässt so manches Wendemanöver an Engstellen zum Rangierhappening werden. Das wurde aber wohl in den Nachfolgemodellen geändert.
Trotz allem lässt sich die Kleine äußerst willig, in ihrem Rahmen flott, durch Serpentinen und Kurven manövrieren. Die Schräglagenfreiheit wird mit 31° angegeben. Man kratzt schon mal bei moderater Kurvendurchfahrt mit den Fußrasten auf dem Asphalt. Die Bremsen sind passend zum Motorrad und cruisertypisch etwas schwammig. Mit dem ABS lässt sich aber gerne mal beherzt der Anker werfen, ohne dass man vor einem blockierenden Rad Angst haben muss.
Bei den Reifen nutze ich seit Jahren den Metzeler Marathon Ultra 888. Seit knapp 2.500 km die Weißwand-Variante. Damit bin ich zufrieden, auch im Nassen. Der Weißwand-Reifen hat allerdings einen etwas anderen Querschnitt. Normalerweise fahre ich meinen Hinterreifen gut bis „auf Kante“, was bei der WW-Version nicht funktioniert. Ich komme eine Saison mit einem Satz Reifen aus, also zwischen 12.000–17.000 km. Dieses Jahr brauchte ich allerdings zwei Vorderreifen, ich bremse halt immer in die Kurven hinein.
Wo wir beim nächsten Punkt wären: Aufstellmoment. Das ist durch das dicke Vorderrad echt groß. Während meine Intruder mit dem 110er „Reifchen“ bei beherzten Bremsvorgängen in Kurven nicht gezuckt hat, stellt sich die Scout schon immens auf. Auch daran gewöhnt man sich im Laufe der Zeit.
Der wassergekühlte, kurzhubige V-Twin mit elektronischem Gas reagiert direkt ohne dabei giftig zu sein. Die 89 Nm entfalten sich bei einer Drehzahl von 5.600 U/min. Beim neuen Modell sogar schon bei 5.000 U/min. Das heißt allerdings auch, dass ich meine Scout Sixty sehr oft „zwiebeln“ muss. Auf vielbefahrenen Landstraßen nutze ich nur noch äußerst selten den fünften Gang. Bis kurz über 100 km/h ist der 4. Gang auch auf längerer Strecke vollkommen ausreichend. Damit erübrigt sich häufiges Herumgeschalte zum Überholen oder Kurvenfahren. Der fünfte Gang wird nur für absehbar langdauernde Strecken und die Autobahn genutzt. Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, dass ich mir einen etwas voluminöseren Motor wünschen würde. Und damit meine ich nicht die verkappte 1200er Schwester, sondern wirklich mehr Hubraum mit 1300–1400 ccm im Gewand der Scout.
Natürlich verbraucht so ein Motor auch Benzin, immer das gute Super E5. Ich fahre sie zwischen 3,8 Liter und 4,3 Liter/100 km, je nach Lust und Laune. Die angegebenen 5,2 Liter habe ich noch nie angekratzt. Damit reicht der 12,5 Liter-Tank locker 230–240 km bis das orangefarbene Lämpchen im Tacho leuchtet.
Im Sommer an Ampeln bruzzelt einem schon mal der rechte innere Oberschenkel an. Der hintere Zylinder in Kombination mit den beiden Auspuffrohren auf der Seite machen das Anhalten zur Hampelmann-Nummer. Ich stehe zwischendurch mal gerne an der Ampel aufrecht, um der Hitze zu entgehen.
Ein kleiner Wermutstropfen im Sommer ist der Tacho. Der führt bei Hitze und langer Fahrt sein Eigenleben: Der Zeiger springt nur ungleichmäßig nach unten, wenn man das Gas zudreht. Manchmal zeigt er auch 20 km/h zu viel an. Letzteres lässt sich durch Anhalten, Zündung ausschalten und starten wieder beheben. Die hakelige Bewegung des Zeigers zurück stört mich nicht weiter und ich habe es deshalb auch noch nicht reparieren lassen.
Die Faktoren Anschaffung, Versicherung und Customizing habe ich bewusst ausgelassen, da diese sehr variieren können. Achtung: Für meine Vollkaskoversicherung (03–10) habe ich in den ersten drei Jahren 1.411,99 € bezahlt. Jetzt läuft sie auf Teilkasko, immer noch Saisonkennzeichen, für 61,82 € (SF 6, 39%, 150 € SB).
Meine Scout hat 79 PS eingetragen, obwohl sie überall mit 78 PS angegeben wird. In den originalen COC Papieren war sie mit 57,8 kW aufgeführt = 58 kW = 78,858 PS = 79 PS. Die 79 PS ist eine Hürde bei den Versicherungen, ab da wird’s bei VK teurer. Steuern betragen 49,- €/Jahr.
Fazit: Die Indian Scout Sixty ist ein sportlicher Mittelklasse-Cruiser. Da Endgeschwindigkeit nicht das Ziel eines solchen Motorrads ist, sind die 79 PS völlig ausreichend. So kommt man auf der Autobahn auch mal schnell auf 170 km/h, obwohl das ohne Windshield keinen Spaß macht. Sie lässt sich lässig durch alpines Gelände scheuchen, aber besonders weit geschwungene Kurven im Tempobereich um die 100 km/h machen mit ihr sehr viel Spaß. Eine Bergziege wird sie aber nicht.
Kräftigen Menschen über 180 cm würde ich dieses Gefährt allerdings nicht empfehlen. Nach meinem Empfinden sieht die Scout (egal welches Modell) dann eher wie ein Kinderfahrrad aus. Da stimmen die Proportionen nicht mehr. Mein Schatzi mit 182 cm ist eine merkwürdige Erscheinung auf ihr … (ich messe übrigens 169 cm)
Mehr Hubraum als die 1133 ccm der großen Schwester würden ihr auch ganz gut tun. Leider gibt es in den derzeitigen amerikanischen und japanischen Portfolios nirgends einen schlanken, klassischen Cruiser wie die alte 1400er Intruder.
Das mittlerweile umfangreiche Angebot an Zubehör, auch von Drittanbietern, lässt keine Wünsche für Reiseausstattung und Customzing offen. Das hat aber dann ami-typisch seinen Preis.
Alles in allem ist die Indian Scout Sixty ein Cruiser für puren Fahrspaß ohne Schnick-Schnack, ohne große elektronische Helferlein und mit ausreichend Dampf. Ich möchte sie nicht mehr missen.
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Besucht Mo auch auf ihrer Website www.mosbike.blog, auf Facebook, Instagram und Twitter. Dort gibt‘s nicht nur Neues über die Scout Sixty sondern auch zu vielen anderen Motorrad-Themen.
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Kommentare
Ein Kommentar zu “50.000 km mit Indian Scout Sixty”
Sehr cooler und ehrlicher Bericht. Danke dafür. Habe mir gerade ne Scout Sixty 2016 gekauft. Nach dem ich, aus dem Supersportler Milieu auf die Cruiser Schiene umgestiegen bin. Ich hab leider noch keine 50TKm mit ihr gefahren . Aber wenn man den Bericht liest bekommt man Lust darauf mit der Scout Sixty , alt zu werden.