aus Kradblatt 6/18
von Monika „Mo“ Nagel
Erfahrungsbericht: Indian Scout Sixty
Im August 2016 habe ich das gute Stück bei der Bikeschmiede Süd in Esslingen abgeholt. Meine Indian Scout Sixty war eine der ersten Sixties, die es in Deutschland gab – aus der ersten Serie. Bei so Frischlingen geht man immer mit ein wenig Bauchweh an die Sache, denn wer kennt schon die Kinderkrankheiten? Aber das war mir egal. Ich hatte mich seit 2015 in die Scout verguckt.
An meiner Scout wurden vor Abholung noch ein paar Kleinigkeiten verändert: Die originale Auspuffanlage wurde gegen eine Jekill & Hyde Anlage getauscht und die Hitzebleche an den Krümmern schwarz matt gepulvert. Mein Schneevogel hat noch Euro 3 – was also den Austausch der röhrenden Rohre enorm vereinfacht hat.
Kleine Indianerin? Sicher nicht.
Ich komme ja von einer 20 Jahre alten Suzuki Intruder 1400. Da ist alles, was „neu“ ist schon mal „ungewöhnlich“ und vor allem laufruhig.
Die Scout Sixty unterscheidet sich lediglich in wenigen Punkten von ihrer „großen“ Schwester Scout: Weniger Hubraum (genau genommen 131 ccm) und weniger Chrom am Motorblock. Allerdings fällt der geringere Hubraum und damit etwas weniger Drehmoment im Solobetrieb nicht ins Gewicht. Die kleine Indianerin hat im Vergleich zur großen 9 Nm weniger. Das macht den Kohl also nicht fett. Die 79 PS zu 102 PS finde ich nicht erwähnenswert, denn niemand fährt die Kisten im Normalbetrieb längere Zeit über 160 km/h.
Man muss den wassergekühlten V2 schon mögen – so wie er sich modern und stylish in den Rahmen einfügt. Er lädt immer wieder gern zu Diskussionen ein.
Schuhwerk, Körpermaße und Körpermasse
Die Sixty hat einen enorm tiefen Schwerpunkt und der Popo schwebt lediglich 64,3 cm über dem Asphalt. Damit können auch besonders kleine Menschen in den Genuss eines attraktiven Eisenhaufens kommen. Der Lenker kommt dem Fahrer entgegen und ist mit 88 cm Breite schon ganz ordentlich. Für Damenhände sind die Griffe mit 22 mm Durchmesser allemal tauglich. Einzig die Kupplung ist unangenehm streng und verleidet einem das Stadtfahren doch etwas. Es gibt von einem Indian-Händler eine Eigenbau-Umlenkung für die Kupplung, dessen Preis-Leistungsverhältnis ich allerdings nicht nachvollziehen kann, da enorm teuer.
Das Schuhwerk der Indianerin ist vorne mit 130/90/16-72H recht breit (also 130 mm breit, 90 mm hoch, 16″ Durchmesser). Damit bekommt man etwas mehr Unebenheiten an die Steuereinheit weitergeleitet, was ich anfänglich in den Kurven nicht gewohnt war (Susi hatte einen schmalen Fuß mit 110/90/19).
Hinten kommt die Sixty mit 150 mm auf einer 16″-Felge daher. Die Gussfelgen in Schwarz gefallen mir gut und runden das Gesamtkonzept der Scout schön ab.
Sprechen wir über Körpermaße, die Scout kommt auf einem Radstand von kompakten 156,2 cm und mit einem Gewicht von vollgetankten 256 kg. Allerdings kann in der Serienausstattung nur eine Person mit der Indianerin neue Wege erkunden. Schräge Typen kommen mit einem Schräglagenwinkel von 33° auch auf ihre Kosten.
Schwachpunkt an der Sixty der ersten Generation ist der enorme Wendekreis und folglich der geringe Einschlagwinkel des Lenkers. Ich komme mir manchmal vor, als hätte ich einen 40-Tonner zu wenden, wenn wir mal unsere Streckenwahl überdenken müssen. Dieses Wende-Problem ist bei den neuen Modellen schon gelöst.
Gemeinsam unterwegs
Es war für mich am Anfang ein sehr großer Unterschied zur störrischen
Intruder, dieses kleine wendige Gefährt über die Straßen und Kurven der Alb zu treiben. Besonders engere Kurven wie am Randecker Maar oder Wiesensteig rauf haben mir oft mit der Intruder den Puls nach oben getrieben, wenn Gegenverkehr in Sicht kam. Eine Trude möchte davon überzeugt werden, den gemütlichen Geradeauslauf für eine Kurve zu unterbrechen.
Heiße Kurven
Die Scout lässt sich problem- und mühelos um enge Kurven und Kehren zirkeln – egal, ob nun langsam oder schneller in Angriff genommen. Durch den breiten Reifen vorne neigt sie beim Bremsen in der Kurve zum stärkeren Aufstellen. Einmal dran gewöhnt, weiß man, dass man dagegen drücken oder einfach hinten bremsen muss.
Apropos Bremsen: Sie tun ordentlich, wozu sie gemacht sind. Das ABS ist in Deutschland serienmäßig und funktioniert gut. Frau darf jedoch gerne beherzt in die Bremse greifen und nicht zimperlich sein. Mich stört ein wenig, dass die Hemmvorrichtung etwas lärmt – besonders, wenn man mal in den Regen gerät.
Spaß auf dem Pfad
Mit der Indianerin kann man richtig Spaß haben und flott auf den meisten Pfaden unterwegs sein. Der Motor entfaltet mit einem Dreh sein Drehmoment, so dass ich mich öfters dabei erwische, auf der Suche nach einer langsameren Blechdose vor mir zu sein, um den rechten Griff ordentlich nach hinten drehen zu können. Mit einem kleinen Hüftschwung lässt sich die Indianerin dann willig an der Dose vorbeischlenzen. Und wenn gerade keine Blechdose zum Überholen in Sicht ist, beschleunigt man eben wunderbar aus den Kurven heraus.
Da ich ein Fan von unverfälschten Motorrädern bin, gibt es an meiner Scout weder Windshield noch sonst irgendwelche Anbauteile. Deshalb ist auf der Autobahn für mich bei rund 120 km/h Schluss, es sei denn, ich muss mal schnell überholen. Bis 160 km/h zieht die Kleine auch ganz gut durch – mehr habe ich nicht ausprobiert, sonst weht es mich runter.
Das Original-Kenda-Schuhwerk habe ich nach 4.000 km gegen Metzeler Marathon Ultra 888 tauschen lassen.
Die in vielen Testberichten bemängelte Federung kann ich so nicht ganz bestätigen. Leider sind die Federn immer auf Menschen mit mindesten 75 kg Körpergewicht abgestimmt (auch bei Aftermarket-Anbietern). Das heißt im Klartext: Wenn ich meine Scout hinten mit Urlaubszeug bepacke, liegt sie viel satter auf der Straße. In Leder gepackt, habe ich irgendwas mit knapp über 60 kg und das merkt Frau an der Federung, dass sie etwas unruhiger auf holprigen Pfaden unterwegs ist.
Und die Sixty will gerne flott neue Pfade erkunden. Da mache ich doch ohne Diskussion freudig mit.
Besuche beim Freundlichen
Zur Kontrolle muss man am Anfang recht häufig: 800 km – 4.000 km – 8.000 km.
Nun gut, „häufig“ ist relativ. Ich bin nun mal viel unterwegs, fahre oft mit der kleinen Weißen ins Büro, was schon allein täglich 60 km ausmacht. In diesem Jahr war ich zweimal in Esslingen zum 4- und 8-tausender-Check. Mit Reifenwechsel haben die beiden Besuche mit rund 1.100 € zu Buche geschlagen. Beim 4-tausender ist der Fühler für die Reservetankanzeige anstandslos getauscht worden (ich bin anfangs mal irgendwo mit leerem Tank und 273 km auf dem Tageskilometerzähler stehengeblieben … eine meiner einfachsten Übungen). Jetzt stehen also nur noch 8.000 km Intervalle an. Macht dann also etwa 350 €/Jahr, wenn nicht noch anderes wie TÜV oder Reifenwechsel dazukommt.
Sonst gibt es überhaupt nichts zu beklagen. Trotz, dass ich ein Erstserienmotorrad habe, ist sie technisch einwandfrei. Begeisterung pur.
Unendliche Pfade
Die Scout Sixty eignet sich auch ohne Windshield, Packtaschen oder andere Anbauteilen bestens für weitere Strecken. Man muss nur wollen und etwas einfallsreich sein. So waren wir in diesem Jahr im Bregenzerwald, Silvretta und im Bayerischen Wald mit vielen Touren. Und es werden noch so einige Urlaube dazukommen.
Fazit
Die Scout Sixty zu kaufen war die beste Spontanentscheidung, die ich letzthin hatte. Dieses Motorrad zaubert mir bei jeder Fahrt ein Rundum-Grinsen ins Gesicht, auch wenn ich schon mal morgens bei -3° C unterwegs bin. Das ist für mich Motorradfahren pur. Ich fühle mich absolut sicher in jeder Situation – auch wenn ich schon mal Puls kriege. Das einzige Helferlein ist das ABS. Sonst nichts. Ich brauche kein Kurven-ABS, Traktionskontrolle, Kurvenlicht, Schaltassistenz oder anderen Firlefanz. Damit wiegt man sich viel zu häufig in Sicherheit, die keine ist.
Wer sein Gefährt individualisieren will, der muss allerdings etwas tiefer in die Tasche greifen: Die originalen
Indian-Parts sind nicht billig und auf Drittanbieter kann man derzeit noch nicht wirklich zurückgreifen. Guter Geschmack war noch nie billig. Indian Scout Sixty, für mich die schönste Verbindung von klassischem Ami-Bike und Moderne.
Besucht Mo auch auf ihrer Website www.mosbike.blog, auf Facebook, Instagram und Twitter.
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Indian Scout Sixty”
Hallo,
da ich die Autorin nicht direkt kontakten kann, so auf diesem Wege. Nicht das es mir irgendwie wichtig wäre, aber was falsch ist, sollte zumindest am Rande erwähnt werden.
‚Mo‘ schreibt, das ‚Schuhwerk ihrer Indianerin‘ ist vorne 130 mm breit und 90 mm hoch. Das stimmt so nicht: Die Höhe eines Reifens mit der Bezeichnung 130/90 beträgt 90 % der Breite, also 130 x 0,9= 117 mm.
Gruß, Volkmar