aus Kradblatt 5/18
von Konstantin Winkler

Ein Franzose in Dänemark: Peugeot Motorrad Bj. 1904

Peugeot Motorrad Bj. 1904

Im phantastischen Motorrad-Museum im dänischen Stubbekobing kann man über 150 Zweiräder bewundern. Schwerpunktmäßig sind es amerikanische, englische und deutsche Motorräder. Fast verloren wirken dagegen die beiden Exponate aus Frankreich. Eins davon ist eine seltene 500er Peugeot aus dem Jahre 1904.

1810 gründeten die Brüder Jean-Pierre und Jean-Frederic Peugeot in einer Mühle ein Werk zur Stahlverarbeitung. Zunächst produzierten sie unter anderem Werkzeuge und Federn für Standuhren. Die Produktion von Fahrzeugen geht bis ins Jahr 1889 zurück. In diesem Jahr entstanden Dampfdreiräder. Autos folgten 1891. Noch vor der Jahrhundertwende gab es die ersten Motorräder. 

Ein Rahmen, zwei Räder und ein Motor, viel mehr brauchten die ersten Bikes nicht. Getriebe und Kupplung gab es noch nicht. Die Optik des Fahrrades blieb erhalten, da der Pedalantrieb ein unverzichtbares Hilfsmittel war. Nicht nur zum Starten, sondern auch, um an Steigungen mitzutreten, damit der Motor nicht abstirbt.

Peugeot Motorrad Bj. 1904 Der Motor sitzt dort, wo er noch heute zu finden ist und auch hingehört: am tiefsten Punkt des Rahmens. Ergonomisch günstig ist das untere Rahmenrohr um das Kurbelgehäuse gebogen. Der langhubige Einzylinder-Viertakter hat einen halben Liter Hubraum und etwa 4 PS. Für einen zuverlässigen Zündfunken sorgt ein – wie man zur Kaiserzeit sagte – Magnetelektrischer Apparat. Nahezu wartungsfrei und stromunabhängig.

Eine automatische Ölpumpe gab es noch nicht. Stattdessen muss der Fahrer regelmäßig an der rechten Tankseite von Hand dickflüssiges 50er Einbereichsöl in den Motor pumpen. Regelmäßig hieß seinerzeit etwa alle 10 Kilometer. Der Ölverbrauch beträgt dank Verlustschmierung (was zu viel im Motor ist wird verbrannt oder tropft auf die Straße) etwa einen halben Liter. Aber auf hundert Kilometer – ein Ölwechsel war noch überflüssig! 

Manuelle Ölpumpe - Peugeot Motorrad Bj. 1904 Vor dem sinnlichen Fahrerlebnis aus vergangener Zeit steht die Startprozedur. Mit diversen Hebeln wollen Gas, Luft und Zündung feinfühlig reguliert werden. Am Lenker herrscht gähnende Leere. Stattdessen sitzen jede Menge Hebel am Tank.

Solch einen prähistorischen Motor zu starten ist nicht ganz einfach. Zuerst muss die Peugeot auf den Hinterradständer gestellt werden. Dann tritt man kräftig in die Pedale. Wenn der Motor läuft, dreht sich auch permanent das Hinterrad, da Kupplung und Getriebe nicht vorhanden sind. Auf der linken Motorseite sitzt eine kleine Riemenscheibe direkt auf dem Kurbelwellenstumpf, die mittels eines Keilriemens eine große Riemenscheibe in den Speichen des Hinterrades antreibt. In der Praxis bedeutet das, dass die Peugeot fährt, sobald der Motor läuft. Deshalb werden die ersten Startversuche bei aufgebockter Maschine vollführt. Soll es dann auf große Fahrt gehen, muss der Motor wieder abgestellt, das Motorrad abgebockt werden. Dann nimmt man auf dem gut gefederten Ledersattel Platz und tritt wiederum kräftig in die Pedale. Der Motor springt an – und der wilde Ritt beginnt.

Das Fahrverhalten kann man im Vergleich zu modernen Motorrädern als abenteuerlich bezeichnen. Will man Gas oder Zündung verstellen, muss man eine Hand vom Lenker nehmen und so lange einhändig fahren bis die richtige Gemischzusammensetzung gefunden ist. Das kann unter Umständen etwas länger dauern, denn Verbrennung und Wirkungsgrad sind mit heutigen Maßstäben nicht vergleichbar.

Riemen mit Schloss - Peugeot Motorrad Bj. 1904Während das seitengesteuerte Auslassventil durch eine Nocke gesteuert wird, handelt es sich beim Einlassventil um ein sogenanntes „Schnüffelventil“, das ohne Nocke auskommen muss. Bei diesem automatischen Ventil erfolgt der Gasdurchlass, sobald der Kolben abwärts geht und seine Saugwirkung geltend macht. Durch den Unterdruck im Brennraum wird es also geöffnet. Ist der Kolben am unteren Totpunkt angelangt, sorgt die Ventilfeder dafür, dass sich das Einlassventil wieder schließt. 

Die Füllung des Zylinders mit zündfähigem Gemisch ist natürlich sehr bescheiden. Bei niedriger Drehzahl arbeitet der Motor auch schlechter, weil die Saugwirkung des Kolbens nicht mehr so kräftig ist. Auch schwache Motorkompression und schwache Federkraft der Ventilfeder sorgten schnell für technische Probleme. 

Vorausschauend fahren ist überlebenswichtig. Gebremst wird mit einer Mischung aus a) Muskelkraft und b) Gottvertrauen; a) weil man neben der Motorbremse nur die fahrradähnliche Rücktrittbremse hat. Sollte die Kette reißen, siehe b! 

Die Peugeot ist zwar für heutige Verhältnisse leistungsschwach wie ein Moped, aber nicht annähernd so langweilig, da ohne Kupplung und ohne Getriebe. Will man anhalten, muss man den Motor ausmachen und die Fuhre ausrollen lassen. Soll die Reise weitergehen, heißt es in die Pedale treten und den Startvorgang wiederholen. 

Auch der Keilriemen, der vom Motor direkt zum Hinterrad führt, sorgt oft für Verdruss. Er neigt zum Durchrutschen und muss oft nachgestellt werden. Oder gekürzt werden. Das war früher unterwegs an der Tagesordnung. Also Riemenschloss öffnen, mit einem scharfen Messer etwas abschneiden, ein Loch in das Ende bohren, und die Schraube wieder einsetzen. Dann den Riemenverbinder wieder schließen und den Keilriemen auflegen.

Das schönste am Fahren mit einem solch alten Motorrad ist das spirituelle Eintauchen in den Zeitgeist der Pionierjahre der Motorisierung. Es erregt überall viel Aufmerksamkeit. Wie wäre es zum Abschluss mit einem Besuch im Peugeot-Shop des örtlichen Händlers? Vielleicht eine Pfeffermühle oder einen Werkzeugsatz erstehen? Diese französische Firma ist schließlich mehr als nur ein Fahrzeughersteller. Und das seit über 200 Jahren.

Von Lübeck bis Stubbekobing sind es rund 170 Kilometer. Alle Infos zum Museum findet man unter
www.danmarksmotorcykelmuseum.dk