aus Kradblatt 3/22, Text: Jens Riedel, Fotos: Jens Riedel / Tom Beelte
Die Kleine zeigt Größe
Dass eine Traditionsmarke wie Benelli mittlerweile eine chinesische Konzernmutter hat und auch dort produzieren lässt, ist kein Geheimnis. Und dass Grossisten wie Sima in Frankreich oder die rührige KSR Group in Österreich ihre Eigenmarken wie Mash oder Brixton ebenfalls im Reich der Mitte vom Band laufen lassen, dürfte sich ebenfalls längst herumgesprochen haben. Mittlerweile drängen verstärkt aber auch dort gegründete Motorradmarken auf den hiesigen Markt. So wie Zontes. Nach dem Debüt mit 310-Kubik-Maschinen wird seit vergangenem Jahr nun auch der 125er-Markt beackert, zum Beispiel mit der 125 G1.
Der Versuch, auf dem europäischen Markt Fuß zu fassen, ist gut gedacht. Man nutze das Händlernetz eines kleinen, aber äußerst etablierten europäischen Herstellers, um sich in Stellung zu bringen. Zontes wird über die 100-prozentige Vertriebstochter von Beta ins Land geholt. Umgekehrt profitiert die legendäre italienische Offroad- und Trial-Marke von der indirekten Erweiterung ihres Portfolios um reine Straßenmotorräder. Das klingt nach einer echten Win-win-Situation.
Gleich vier Modelle fährt Zontes in der 300-Kubik-Klasse auf, darunter auch einen für das Segment untypischen „Powercruiser“.
Im Leichtkraftradsegment haben die Kunden die Wahl zwischen zwei Maschinen: 125 U und 125 G1. Erstere ist ein expressiv gestylter Streetfighter für die Jugend, während die G1 optisch eher die etwas gesetztere B196-Kundschaft ansprechen dürfte.
Während R, X, V und T für die etwas größeren Maschinen noch einigermaßen plausibel erscheinen, sollte das Marketing bei der Typenbezeichnung der beiden Achtel-Liter-Modelle doch noch einmal etwas in sich gehen. U, das könnte man ja noch als Abkürzung für „urban“ oder als Synonym für U-18 gelten lassen, aber wie zum Teufel soll man G1 interpretieren? Eine Geländemaschine ist die so benannte 125er jedenfalls nicht, auch wenn auf dem Seitendeckel die Modellbezeichnung mit dem Zusatz „Scrambler“ garniert ist – da reichen die etwas grobstolliger profilierten Reifen nicht für aus. Und auch mit einem Plastikgitter verzierte Blinker reißen nichts raus. Die Verwirrung wird noch größer, wenn man einen Blick auf die Homepage wirft. Da ist plötzlich von einem „Café Racer“ die Rede. Für diese Schublade sprechen allerdings lediglich die Lenkerendenspiegel der Zontes. Und das ist auch noch nicht das Ende. Nur eine Zeile weiter wird im World Wide Web aus dem Café Racer plötzlich ein „Cruiser im Retro-Look“. Hoppla, hoppla, nun mal langsam, da blickt ja keiner mehr durch.
Also schauen wir uns das gute Stück doch lieber selbst aus der Nähe an.
Auf den ersten Blick beeindruckt die mächtige Statur der Zontes 125 G1. Das sieht absolut nicht nach Leichtkraftrad aus. Wer bitteschön hat in der kleinen Klasse sonst noch einen – Achtung – 20-Liter-Tank (!) zu bieten. Den wünschte sich gar mancher Besitzer einer ausgewachsenen Tausender. Die versprochenen fast 1000 Kilometer Reichweite sind allerdings der realitätsfernen Verbrauchsangabe von 1,8 Litern auf 100 Kilometer geschuldet. Aber auch bei alltagsnäheren drei bis dreieinhalb Litern darf die Zontes viele, viele Tankstellen getrost rechts liegen lassen.
Doch das üppige Benzinfass ist nicht das einzige, was der kleinen Zontes Größe verleiht. Serienmäßig ist die G1 mit weit nach oben ragenden Sturzbügeln bestückt. Noch breiter wird sie durch die dort ebenfalls standardmäßig montierten Crashpads. Sie sind extrem lang geraten. Ästhetisch sind sie allerdings kein Genuss und es dürfte sicher den einen oder anderen geben, der die Gummipropfen abnimmt und die dahinter liegende Schraube löst, um die ausladenden – wenn auch zweckmäßigen – Dinger zu entfernen. Wer sie dran lässt, kann mit der Zontes hingegen vermutlich getrost und unbedenklich umkippen: Er muss eigentlich nur die Knie an die Maschine pressen und die Schultern ein wenig nach innen ziehen, denn auch an den Lenkerenden halten Handbügel den Asphalt fern.
Die asymmetrisch gestaltete Schwinge mit nach außen zeigenden Querstreben ist bereits von der Zontes 310 bekannt. Mit einer kleinen über den LED-Frontscheinwerfer reichenden Klammer mit dem Marken-Schriftzug erlaubt sich Zontes eine einzige kleine Spielerei.
Auch bei der Ausstattung geht klotzen vor kleckern. Das Vorderrad wird von einer Upside-down-Gabel geführt, die allerdings mit 37 Millimetern beinahe schon ein wenig verloren an der G1 wirkt. Es gibt ein Tagfahrlicht und statt eines bis 125 Kubik zulässigem Combined-Braking-Systems, kurz CBS, gibt es ein vollwertiges ABS von Bosch. Eine Anti-Hopping-Kupplung ist ebenfalls mit von der Partie. Dass auch ein Warnblinker serienmäßig an Bord ist, wundert da nicht. Und an dem doppelten USB-Anschluss, der zudem noch gut geschützt und an sinnvoller Position seitlich rechts am Rahmen liegt, können sich etliche etablierte Marken ein Beispiel nehmen (und zwar auch oberhalb der 125er-Klasse). Ebenfalls nicht selbstverständlich: Die Kontrollleuchten im digitalen Cockpit strahlen auch bei Sonnenschein taghell, und eine Kühlmitteltemperaturanzeige wurde ebenfalls nicht vergessen.
Hatten wir schon erwähnt, dass sich die Sitzbank ganz bequem vom Zündschloss aus entriegeln lässt? Vergessen wollen wir ebenso nicht, dass die wegen der montierten Lenkerendenspiegel frei gewordenen Gewinde der üblichen Aufnahmepunkte mit einem Gummipropfen verschlossen sind. Wir ziehen den Hut. Das Glück wäre perfekt, wenn auch die kleine Zontes von ihren größeren Geschwistern noch den von außen zugänglichen Anschluss zum Nachladen der Batterie vorweisen könnte. Doch wir wollen an dieser Stelle nicht übertrieben und uns am Rest der Ausstattung erfreuen. Ach, da war ja noch was: Die Schaltereinheiten am Lenker sind bei Nacht rot illuminiert. Beleuchtete Knöpfe sind ja selbst in höheren Klassen und bei etablierteren Herstellern nicht zwangsläufig an der Tagesordnung. Gleiches gilt für das bei der G1 – selbstverständlich – einstellbare Hebelwerk für Vorderadbremse und Kupplung. Da ist es dann schon verwunderlich, dass der Tankdeckel als Deckel und nicht als Klappe ausgeführt ist, von dem man nicht so recht weiß, wohin mit ihm beim Benzinfassen.
In der Zontes werkelt kein luftgekühlter Lizenzbau nach älterem japanischen Baumuster made in China, wie er vielfach auf dem Markt verwendet wird, sondern ein wassergekühlter Einzylinder, der das Leistungslimit in der kleinen Klasse voll ausschöpft. Er wirkt angesichts der übrigen Masse der 125er beinahe schon ein wenig verloren. Der Aufkleber auf dem Tank stellt klar, dass das Triebwerk doch bitte nur mit Super E5 gefüttert werden sollte. Das kennt man ja bereits von den luftgekühlten Made-in-China-Bikes. Zontes soll aber bereits den Einsatz von E10 erproben.
Der kurze Endschalldämpfer mit dem mächtigen Sammeltopf sorgt für ein in dieser Klasse durchaus akzeptables Klangvolumen. Springt die Ampel auf Grün, beschleunigt die G1 ausreichend flott auf Tempo 50. In den beiden mittleren Übersetzungsstufen des Sechs-Gang-Getriebes erfreut die Zontes mit ausreichend Durchzug. Zwischen 7000 und 8000 Umdrehungen in der Minute dürfen die Gänge im sauber arbeitenden Getriebe gewechselt werden, wenn beim unteren Wert das maximale Drehmoment von 16 Newtonmetern anliegt. Die Vibrationen des Einzylinders halten sich bis dahin mit Ausnahme der Spiegel im Rahmen. Wenig später beginnt bei 9000 Touren auch schon der rote Bereich, ehe bei 10.000 Umdrehungen weiterem Vortrieb ein Ende gesetzt wird. Mit der ausgewiesenen Höchstgeschwindigkeit von 99 km/h bewegt sich die Chinesin auf klassenüblichem Niveau. Wer an der 100-km/h-Marke kratzen will, der sollte sich aber eher auf den vorletzten Gang verlassen, der sich dann bei 8500 Kurbelwellenumdrehungen und dem Leistungsmaximum einpendelt.
Die Sitzposition auf der Zontes mit aufrechter Haltung hinter dem geraden Lenker darf als äußerst entspannt gelten, der üppige Tank sorgt für guten Knieschluss. Das Vorderrad der auf 138 Kilogramm Leergewicht taxierten Chinesin lässt sich punktgenau führen. An der Schräglagenwilligkeit gibt es ebenfalls nichts auszusetzen, in Kurven zieht es die Maschine mit den Originalpneus von CTS aus dem Reich der Mitte eher leicht nach innen. Als absolut überflüssig angesehen werden darf allerdings, dass es zwei Fahrprogramme gibt. Wie schon bei der 310 spüren wir subjektiv jedenfalls keinen Unterschied zwischen „Eco“ und „Sport“. Und warum mit einem separaten Schalter rechts das Fernlicht deaktiviert werden kann, erschließt sich uns auch nicht.
Wer auf klassisches, schnörkelloses Styling steht und gerne auch in der 125er-Klasse etwas mehr Masse zeigen möchte, der ist mit der Zontes G1 gut bedient. Man bekommt ein fast vollwertiges Motorrad mit in der kleinen Klasse beispiellos guter Ausstattung, auf dem sich auch Großgewachsene nicht verloren fühlen. Dazu kommt ein attraktiver Kurs von – inklusive Nebenkosten – 3495 Euro. Mehr Infos gibt es bei den Zontes-Vertragshändlern.
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Kommentare
Ein Kommentar zu “Zontes 125 G1, Modell 2021”
Danke, sehr gut! 🙂 Ich bin dabei!