aus Kradblatt 11/19 von Ulrich Hoffmann mit Senf von Jogi & Marcus
First Strike – Begegnungen mit der Zero SR/F
Mit prüfendem Blick stehe ich im Laden von Mop ’n Roll im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach vor der neuesten technischen Errungenschaft, die die Motorradindustrie zurzeit zu bieten hat: Die Zero SR/F aus Kalifornien, dem ersten in Serie produzierten Elektro-Streetfighter der Zeitgeschichte.
Routiniert schiebt Corvin Gerhold, seines Zeichens Geschäftsführer, das Bike aus dem Verkaufsraum ins Freie und macht mich kurz darauf mit den Besonderheiten der Zero im Allgemeinen sowie im Speziellen vertraut. Ob ich schon mal ein Elektro-Bike gefahren sei, fragt er. Ich schüttle vorsichtig den Kopf. „Dafür habe ich schon 35 Jahre und über 400.000 Motorrad-Kilometer auf dem Buckel …“, versuche ich meine Unwissenheit nachhaltig zu überspielen. Vielleicht hätte ich vorher einfach mal eine der kleineren Zeros ausprobieren sollen. Doch was soll’s, nun stehe ich hier und bin bereit, mich dieser neuen Technik zu stellen und dabei gegebenenfalls auch zu blamieren.
82 kW beziehungsweise 110 PS leistet der luftgekühlte Elektromotor, der als Direktantrieb ausgelegt ist und sein Drehmoment von maximal 190 Newtonmeter via schlankem Zahnriemen ans Hinterrad schickt. Der Clou aber ist der im Schwingendrehpunkt, koaxial untergebrachte Motor samt Antriebsritzel, so dass die Riemenspannung beim Ein- und Ausfedern des Hinterrades konstant bleibt.
Das Design wirkt clean und fahraktiv durchgestylt. Es erinnert entfernt an die KTM Super Duke, der stählerne Gitterrohrrahmen an legendäre Ducati-Rahmen. Vergleichsweise zierlich wirkt die gegossene Aluminiumschwinge. Die massive 43er Showa-Gabel mit zwei Vierkolben-Radialzangen vermitteln Stabilität, der schlanke Knieschluss, das dünne Sitzkissen und die ungummierten Fußrasten suggerieren sportliche Agilität.
Zündung und Kill-Schalter auf „On“ gestellt, schon ist die Zero startbereit. Ein vorsichtiger Dreh am Gasgriff lässt die Fuhre behutsam anrollen. Es fühlt sich schon ziemlich abgefahren an, fast ohne jeglichen Sound unterwegs zu sein. Lediglich ein feines, mit zunehmendem Tempo hochfrequenteres Sirren, ist zu hören. 5000 Umdrehungen pro Minute dreht der Motor unter Volllast.
Das Anfahren geht unfassbar sanft und völlig ruckelfrei über die Bühne. Antriebsseitige Lastwechselreaktionen sind praktisch nicht vorhanden. Die Dosierbarkeit der Leistung ist frappierend und ermöglicht das Surfen auf einer gigantischen Drehmomentwelle fast vollständig über den Gasgriff. Selbst im Eco-Modus ist der Antritt noch eindrucksvoll. Bei geschlossenem Gasgriff bremst der Motor spürbar mehr ab, als in den anderen Modi und reproduziert dort Energie zurück (Rekuperation) und speist sie wieder in den Akku ein.
Im Klartext heißt das: die Restreichweite erhöht sich bei vorausschauender Fahrweise und möglichst intensiver Nutzung der Motorbremse merklich.
Ist man mit dieser Dauerleistung, die der Hersteller mit 54 PS angibt, unterwegs, sind Reichweiten von gut 250 km möglich. Und genau diese Leistung ist es auch, mit der die SR/F versicherungstechnisch eingestuft wird.
Insgesamt stellt das Cypher III-Netzwerk vier Modi zur Verfügung: Eco, Rain, Street und Sport, die sich im Dashboard farblich voneinander unterscheiden. Hinzu kommen noch weitere, individuell programmierbare Custom-Modi. Überhaupt hat es das integrierte Bosch-Netzwerk in sich. Via App lassen sich die verschiedensten Werte auslesen, analysieren oder programmieren. Via „Find my Bike“-Funktion meldet sie auch, sobald das Bike unkontrolliert bewegt wird.
Im Street-Modus kommt der Fahrer noch nicht ganz in den Genuss des vollen Saftes. Das reicht aber locker, um selbst anspruchsvollen Big Bike-Fahrern die Stirn zu bieten. Dabei liegt die Betonung auf „locker“. Auch wenn die SR/F als Streetfighter des Hauses deklariert ist, hat sie mit der mehr oder weniger aggressiven Art und Weise der Kraftentfaltung eines Verbrenner-Pendants wenig gemein. Es ist sagenhaft, mit welcher Leichtigkeit sich die SR/F derart behände bewegen lässt.
Serpentinen-Junkies, ihr werdet es besonders lieben! Keine Gänge mehr rauf und runter durchs Getriebe jagen, keine Verschalter oder rausspringende Gänge, kein überbremstes, auskeilendes Hinterrad. Einfach den Gashahn aufdrehen und den mächtigen Drehmomentberg walten lassen.
Sollte das Hinterrad tatsächlich mal übers Limit hinausschießen, wird es von der elektronischen Stabilitäts- und Traktionskontrolle aus dem Hause Bosch wieder eingefangen.
Das Grande Finale des im serienmäßigen Elektro-Bereich für Motorräder derzeit Machbare kann derjenige erleben, der in den Sport-Modus wechselt. Als gäbe es kein morgen, stürmen unter Volllast sämtliche 110 Pferde der Vollstreckung entgegen. In 3,3 Sekunden katapultiert sie den Fahrer auf 100 km/h. Du hast Mühe, dich am Lenker festzuhalten, denn die Beschleunigung lässt in keinem Bereich eine Verschnaufspause zu. Erst bei 200 km/h ist Schluss. So unterwegs, ist die Kapazität des 14,4 kWh-Lithium-Ionen-Akkus natürlich zeitig aufgebraucht. Nach rund 130 Kilometern muss die Zero dann an die Steckdose.
Im Handumdrehen lässt sich das Drehmoment-Monster aber auch auf Cruisen umswitchen. Du musst nicht erst zwei Gänge hochschalten, um das Adrenalin aus den Adern weichen zu lassen und die Soundkulisse auf ein verträgliches Maß herunterzuschrauben. Die Zero SR/F überträgt ihre Tiefenentspanntheit via unsichtbaren Faden auf den Fahrer. Selbst wenn es richtig, richtig flott vorwärts geht.
Passend dazu findet sich der Fahrer in einer vergleichsweise entspannten, jedoch gleichzeitig angenehm konzentrierten Sitzposition auf dem nur 787 mm hohen Sitzkissen wieder. Die Hände umfassen den Lenker in vergleichsweise relaxter Sitzposition, die Füße ruhen im Fall meiner 1,83 Meter Körperlänge ergonomisch perfekt auf den Fußrasten. Das beste: sämtliche Extremitäten bleiben während der Fahrt dort, wo sie zuvor abgestellt wurden. Speziell die linke Körperhälfte erfreut sich eines ungeahnten Komfortzuwachses. Weder Kupplungs- noch Schaltvorgänge lenken vom Wesentlichen ab, so dass sich der Lenker bei sportlicher Gangart vorzüglich kontrollieren lässt. Passgenau geht’s durch den Stadtverkehr, zielgenau durch Kurven jeder Couleur. Die straff abgestimmten Federelemente sind ein Gedicht. Die 226 kg Gewicht lassen sich ausgesprochen easy bewegen. Kaum zu glauben, dass davon 80 kg allein auf das Konto des Akkus geht.
Durch derlei vereinfachtes Fahren werden jede Menge Konzentrationsreserven frei, die der Fahrer automatisch für die Sicherheit im Straßenverkehr übrig hat. Auch der Wegfall von Vibrationen und röhrenden Akustik-Reizen stellt sich plötzlich gar nicht mehr als Verlust, sondern als Gewinn dar. Mit der Zero ist man nicht nur wegen der eindrucksvollen Kraftentfaltung betont souverän unterwegs. Es ist das Ganze, was intuitiv und unangestrengt funktioniert. Jedenfalls, nachdem man die ersten paar Kennenlern-Kilometer hinter sich gelassen hat.
Gesetzt den Fall, du könntest dir das alles gar nicht vorstellen, denn du liebst den Sound deines Verbrenners, hast seit jeher eine Schwäche für Good Vibrations, geniale Mechanik und hast gegen eine leichte Ölfahne auch nichts Grundsätzliches einzuwenden. Also genauso wie ich.
Was um Himmels Willen treibt den Autor dieser Zeilen dann zu derlei verräterischen Aussagen? Sollte das, was wir seit der legendären Hildebrandt & Wolfsmüller anno 1894 schätzen und lieben gelernt haben, etwa falsch gewesen sein?
Zugegeben, die ersten Meter mit der SR/F waren gleichzeitig meine ersten Meter mit einem Elektro-Bike und ich fuhr wie auf rohen Eiern. Wenn du nicht weißt, wann, wo und wie das Gas anspricht und du ohne Sound, Vibes und Einrückpunkt der Kupplung das erste Mal losfahren willst, versprüht das Ganze einen fast schon unheimlichen Eindruck. Es hat etwas von der ersten Fahrstunde. Schlimmer noch, warst du doch bis dahin der festen Überzeugung, zu wissen, wie man Motorrad fährt.
Langsam geht’s ans Eingemachte und wir bewegen uns auf den komplex miteinander verwobenen Synapsenbahnen in Richtung Stammhirn. Auf diesem Weg entsteht der Gesprächsstoff für turbulente Stammtischdiskussionen. Wir sind also goldrichtig unterwegs. Fakt ist, wer ein Elektro-Motorrad so bauen kann, wie es Zero mit der SR/F gemacht hat, dem kann man nur uneingeschränkten Respekt zollen. Dieses Elektro-Motorrad ist ein epochales Motorrad. Es wird den Markt, mittelfristig die Biker und langfristig auch deren Image verändern.
Die werksseitig montierten Sportpneus Diablo von Pirelli funktionieren hervorragend und verfügen über reichlich Grip und sind in den Formaten 120/70-17 und 180/55-17 aufgezogen, so dass in Zukunft mit zahlreichen Freigaben für Alternativbereifungen zu rechnen ist.
Sofort fällt das erfreulich gut ausbalancierte, handliche Chassis des 226 kg schweren Bikes auf. Besonders eindrucksvoll ist die Stabilität bis hinauf zur Höchstgeschwindigkeit von gut 200 km/h. Die Schräglagenfreiheit bietet Reserven satt. Durch den großen Lenkeinschlag lässt sich die Zero zudem problemlos wenden und rangieren.
Einen soliden Eindruck hinterließen die spanischen J.Juan-Vierkolben-Festsattel-Stopper im Vorderrad, die in Verbindung mit der straff abgestimmten Upside-down-Gabel viel Sicherheit und Komfort vermitteln. Der spärliche Einkolben-Schwimmsattel-Anker im Hinterrad ist ein klarer Vertreter der Gattung von Elefanten-Bremsen. Obacht ist beim Parken geboten: Ohne fehlende Wegrollsperre rollt sie an abschüssigen Straßen leicht vom Seitenständer.
Reichlich Lob gab’s von der Sozia, die sich in Anbetracht der augenscheinlich knapp bemessenen Platzverhältnisse über erstaunlich viel Komfort freuen durfte. Auch die Abstimmung des hinteren, komplett einstellbaren Gasdruckfederbeins mit Ausgleichsbehälter aus dem Hause Showa darf als äußerst gelungen bezeichnet werden.
Wahlweise wird die SR/F mit aufpreispflichtigen 6 kW-Schnellladevorrichtung (ca. 2200 €) angeboten, womit sich der Akku binnen 80 Minuten vollständig aufladen lassen soll. An der heimischen 230 Volt-Steckdose und Typ 2-Stecker sind dafür rund 4,5 Stunden erforderlich.
20.490 € ruft der Hersteller für die Standard-SR/F auf, 22.690 € für die Premium-Version mit Schnellladevorrichtgung und Heizgriffen. Angesichts der gebotenen Fahrleistungen und gesparten Kosten in Sachen Unterhalt fällt der Preis keineswegs zu hoch aus. Weiter können je nach Bundesland diverse Förderungsgelder bis in den vierstelligen Bereich bei Vater Staat geltend gemacht werden.
Fazit: Dieses Bike lässt sich einfacher fahren, als so ziemlich alles was ich bisher unter meinem Hintern hatte. Das liegt zum einen an der trefflichen Fahrwerksabstimmung, die nahezu alles glattbügelt, was sich Mann und Maschine in den Weg stellt und gepaart mit einem tollen Handling für ungeahnte Transparenz sorgt. Zum anderen ist da diese superbe Dosierbarkeit des Antriebs und ein allgegenwärtiges Drehmoment sowie die eingangs erwähnte Extra-Portion Konzentrationsfreiheit, die letztendlich der Sicherheit als auch dem puren Fahrspaß zugute kommt. Die Zero SR/F wird ihren Weg machen und die Motorradwelt verändern.
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Jogis Senf zur SR/F:
Ich durfte die SR/F in Hamburg testen. Reeperbahn, Landungsbrücken, Elbchaussee und auf der A7 durch den Elbtunnel bis zur Aufhebung des Tempolimits. Ich war begeistert. Die Zero besticht durch Kraft und Handling in jeder Lage. Irre Beschleunigung fast ohne Geräusche, nur der Zahnriemen sägt und die Räder rauschen. Im Eco-Modus verzögert der E-Motor durch Rekuperation so stark, dass man, vorausschauend gefahren, nur noch auf den letzten drei Metern bremsen muss.
E-Bikes sind nicht emotionslos. Man spürt, wie sich der Anker dreht. Beim Anfahren entsteht ein Geräusch, dass mich an die ebenfalls elektrisch fahrende Hamburger U-Bahn erinnert. Nichts fährt sanfter, linearer und doch so kraftvoll.
Die Bedienung ist ähnlich der eines Variomatik-Rollers. Man hat den Kopf frei für das Wesentliche – die Straße. Die SR/F ist nichts für Weltreisende, aber der Akku reicht für den Alltag und die Tour am Wochenende. Einzig der hohe Preis der Maschine hält mich vom Kauf ab.
Marcus’ Senf zur SR/F:
Ich fahre ja seit Anfang 2019 neben meinen Verbrennern mit großer Begeisterung selbst ein elektrisches Motorrad der italienischen Marke Energica. Entsprechend war ich sehr gespannt auf die Zero SR/F, die ich bei einer Probefahrtaktion in Meppen ausprobieren konnte. Und ich muss sagen, es hat mich positiv beeindruckt, was Zero da auf die Räder gestellt hat. Nicht nur im Verlgeich zu den einfacheren Zero SR- und DSR-Modellen, die ich bereits kannte.
Manche Details gefallen mir bei meiner Energica besser (CCS-Lader), andere, wie z. B. der „Nicht-Sound“ und der Zahnriemen sowie das geringere Gewicht, bei der Zero. Spannend wäre eine Reichweiten-Vergleichsfahrt, wobei ich der Zero hier etwas mehr zutraue. Viel Spaß machen beide und ich freue mich schon auf die Harley LiveWire.
Probefahrttipp nach dem ersten Einrollen: Anhalten, Sportmodus wählen, gerade Strecke und den „Gasgriff“ auf Anschlag! Nicht einer der Probefahrt-Kandidaten stieg ohne ein fettes Grinsen von der SR/F!
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