aus bma 7/99

von Marcus Lacroix

Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star VentureDie Meinungen gehen auseinander. Während die einen entsetzt: „Was soll das denn sein? Da kannst Du Dir ja gleich ein Cabrio kaufen!” ausrufen, sehen andere eher den mutmaßlichen Komfort: „Super, das Teil sieht ja absolut bequem aus!” Keine Frage, die Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star Venture gehört zu den extremen Motorrädern, und während man der zweiten Aussage voll zustimmen muß, kann man die erste getrost verwerfen. Auch wenn die massige Erscheinung des Luxustourers manch gestandenen Motorradfahrer erschauern läßt, so hat sie immerhin zwei Räder und ist somit eindeutig ein Motorrad. Ähnliche Interpretationen des Themas Motorrad kennt man ja nicht nur von Honda und Harley, sondern inzwischen auch von BMW.
Der erste Kontakt mit der Venture ist respekteinflößend. Obwohl ich mich bemühe, dem Dickschiff möglichst unvoreingenommen gegenüber zu treten, kann ich mich einer leichten Abneigung nicht erwehren. Ganz klar, wenn das Teil umfällt bin ich aufgeschmissen. Auf einer ausladenden Seitenstütze ruhend, erwarten mich immerhin rund 400 Kilogramm Metall, Gummi und Kunststoff. Solch eine Masse hatte ich nie zuvor auf zwei Rädern bewegt. Aber was soll’s, einmal ist immer das erste Mal.

 

Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star VentureEin Gestühl im Fernsehsessel-Format lädt Fahrer und Beifahrer zum Reinfleezen ein, wobei Letzterem auch noch eine dick gepolsterte Rückenlehne zur Verfügung steht. Nach Einschalten der Zündung fängt zunächst das Radio an zu düdeln. Ok, schalten wir das Geplärre erst einmal ab und versuchen uns vor Fahrtbeginn mit den grundlegenden Bedienelementen vertraut zu machen. Alles an der Maschine wirkt irgendwie überdimensioniert. Fette Lenkergriffe nehmen die Hände auf, Kupplung und Vorderradbremse werden mit massiven – leider nicht einstellbaren – Hebeln bedient, die man zur Not auch als Hammer benutzen könnte und die Beine werden von einem voluminösen Tank gespreizt, der 22,5 Liter Treibstoff bunkert. Die lenkerfeste, riesige Cockpitverkleidung schützt den Fahrer in Verbindung mit den rahmenfesten Beinschildern und diversen durchsichtigen Windabweisern vor Witterungseinflüssen fast so gut wie eine Vollverkleidung. Die Füße werden auf Trittbrettern im Skateboard-Format abgestellt. Die Gänge im Getriebe lassen sich über eine Schaltwippe wechseln und das Bremspedal wäre auch in einem VW Polo nicht unterdimensioniert. Am Heck wird die Optik durch ein serienmäßiges Gepäcksystem dominiert, das mit 127 Litern Stauraum keine Wünsche offen läßt. Vorne und hinten sollen verchromte Sturzbügel die Venture vor größerem Schaden bewahren, falls dem Fahrer doch einmal die Kräfte schwinden.
Angetrieben wird die XVZ durch den aus der Royal Star bekannten V4-Motor. Er wurde für die Venture stark überarbeitet und leistet nun 95 PS bei 6000 U/min (vorher 74 PS bei 5000 U/min). Das Drehmoment stieg von 109,7 Nm bei 3500 U/min auf 118,8 Nm bei 4500 U/min – Zahlen, die dem Fahrer in der Praxis völlig egal sind, denn wer nicht gerade aus dem Cruiser-Lager kommt, wird seine Fahrweise eh grundlegend ändern müssen.
Fahren – mein Stichwort. Ich stehe also mit dem Riesentourer in Delmenhorst beim Yamaha-Vertragshändler Natuschke und Lange auf dem Gehweg und versuche, mich in den fließenden Verkehr einzureihen. Irgendwie traue ich mich nicht so recht, obwohl sich die Maschine nach dem Aufsitzen dank des tiefen Schwerpunktes einigermaßen leicht in die Senkrechte bringen läßt. Da, eine Lücke im Verkehr, Gas und los! Das Monstrum beschleunigt erstaunlich zügig und ich hacke einen Gang nach dem anderen rein. 65 km/h, die Overdrive-Kontrolleuchte signalisiert mir das Erreichen des fünften und somit letzten Ganges – ups! Ich lasse die Geschwindigkeit auf gesetzeskonforme 50 km/h absacken ohne zu schalten. Dem Motor der Venture scheint das nichts auszumachen. Sanftes Aufziehen des Gasgriffs wird anstandslos in Vortrieb umgesetzt. Ich verlasse die Stadt, um mich auf wenig befahrenen Landstraßen mit dem Riesen vertraut zu machen.
Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star VentureHabt ihr schon mal Gold Wing-Fahrer gesehen, die mit aufgedrehtem Radio und offenem Helm an Euch vorbeizuckeln? Sicherlich ging es den meisten von Euch so wie mir: mehr als ein abwertendes Schmunzeln war nicht drin. Jetzt hab ich es selbst getan. Ja, ich bin mit eingeschaltetem Radio, offenem Helm und satten 90 km/h über die Landstraßen gezuckelt. Und ich muß zugeben, irgendwie hat diese Art des Motorradfahrens auch ihren Reiz. Lediglich das norddeutsche Radioprogramm kann einen auf Dauer ganz schön nerven. Egal welcher Sender nun gerade „den besten Mix” oder die „größten Hits der 80er und 90er” in einer langweiligen Endlosschleife runterleiert – nach einiger Zeit drückt der Venture-Fahrer auf den Stern unterhalb des Digitaltachos und schiebt eine Kassette in das sich öffnende Tapedeck. Noch lieber wäre mir allerdings der optional erhältliche CD-Wechsler gewesen. Alle Funktionen der Soundanlage, an die sich auch ein Interkom-System anschliessen läßt, lassen sich genial einfach mit der linken Hand vom Lenker aus bedienen. Über die Geheimnisse der automatischen Lautstärkeregelung und den diversen Speicher- und Einstellungsmöglichkeiten informiert das Fahrerhandbuch auf 18 Seiten!
Oha, ist das nicht die Härte? Da schreibe ich in einem Fahrbericht über das Yamaha-Tourenflaggschiff über die Musikanlage, noch bevor hier irgendwelche Fahrleistungen und -eigenschaften beschrieben werden. Ehrlich gesagt treten diese bei der XVZ 1300 TF Royal Star Venture aber auch äußerst weit in den Hintergrund. Dieses Motorrad definiert sich nicht über Fahrleistungen. Wer ein schnelles, wendiges, handliches, leichtes, spurtstarkes, geländegängiges oder was-auch-immer-Motorrad haben möchte, wird sich nicht einen 400-Kilogramm-Klotz ans Bein binden. Die Venture fährt, sie ist ausgesprochen komfortabel und ausrei- chend motorisiert. Wer es zügig angehen läßt, wird schnell durch aufsetzende Fahrer-Trittbretter gebremst. Diese sind nicht ohne Grund bereits von Yamaha zum Schutz mit austauschbaren Stahlschleifern ausgestattet. Bei Höchstgeschwindigkeit – die digitale Tachonadel hat den regulären Anzeigebereich bis 180 km/h bereits verlassen – zieht die Venture leicht pendelnd ihre Bahn. Topspeedfahrten kann man aber auch aufgrund der enormen Lärmbelästigung durch die Verwirbelungen der niedrigen (deutschen) Verkleidungsscheibe getrost vergessen. Außerdem kann man das Radio bei dieser Geschwindigkeit eh schon lange nicht mehr hören und auch der Tempomat schaltet sich vorsorglich ab. Tempomat!? Ja, richtig gelesen – die Venture verfügt über diese in Deutschland eigentlich recht überflüssige Spielerei. Trotzdem ist es irgendwie cool, sich auf der Autobahn zwischen die Brummis einzureihen, den Tempomat bei 95 km/h zu aktivieren und mit Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star Ventureeiner Hand am Lenker (egal welcher) der Musik zu lauschen.
Das hohe Gewicht des Motorrades fällt während der Fahrt nicht negativ auf. Die Venture läßt sich – zumindest in Norddeutschland – entspannt über Straßen aller Art dirigieren. Wendemanöver auf nicht zu schmalen Strassen gelingen mit ein wenig Übung in einem Zug. Kritisch wird es höchstens beim Parken. Ähnlich dem Fahrer eines 30-Tonners muß sich der Venture-Fahrer schon vorher überlegen, wie er den Parkplatz wieder verlassen kann. Versuche, das Dickschiff rückwärts zu schieben, werden durch die unnachgiebige Erdanziehungskraft schnell zunichte gemacht. Vorsorglich sollte man den Seitenständer ausgeklappt lassen, damit man sie bei einem plötzlichen Schwächeanfall auf eben diesen – und nicht auf die Sturzbügel – fallen lassen kann. Eine Rückfahrhilfe, wie sie BMW und Honda bei ihren Luxustourern verwenden, könnte dem XVZ-Besitzer ein wenig die Angst vor der Masse nehmen.
Bei gemischter Fahrweise (Autobahn/Landstraße) ermittelten wir einen Benzinverbrauch von akzepta- blen 5,99 Litern je 100 Kilometer – für ein Motorrad mit dem Format einer Schrankwand sicher nicht zuviel. Reichweiten von über 300 Kilometer stellen somit nicht nur für die Besatzung, sondern auch für den Tank kein Problem dar.
Da der Venture-Fahrer von Natur aus wohl meist ein defensiver Biker ist, zollt Yamaha diesem mit der Bremsanlage Respekt. Richtig liebe Leser, es handelt sich hierbei um die nette Umschreibung der mäßigen Bremsleistung. Klar, man bekommt die XVZ immer zum Stehen, doch der Kraftaufwand ist recht hoch. Zieht man allerdings richtig kräftig am Bremshebel, malt man auch mit dem fetten 150er Vorderradreifen schwarze Striche auf den Asphalt. Eine bessere Bremsanlage mit einem ABS stünde dem Yamaha-Tourenflaggschiff gut zu Gesicht.
Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star VentureÜberhaupt hätte Yamaha die dicke Venture für meinen Geschmack ein bißchen liebevoller ausstatten dürfen. Die kleine Digitalanzeige rechts im Tachodisplay zeigt zwar nicht nur den Kilometerstand, zwei Tageskilometerzähler, die Uhrzeit und im Bedarfsfall sogar die gefahrenen Kilometer seit Beginn der Benzinreserve, alle Funktionen müssen aber über zwei unhandliche kleine Knöpfe abgerufen werden. Ein unter dem Tank plazierter Choke ist bei einem Luxustourer nicht witzig und eine Warnblinkanlage sollte auch selbstverständlich sein. Auf dem Wunschzettel finden sich ferner Details wie Armstützen für den Sozius, eine hohe Verkleidungsscheibe, automatische Blinkerrückstellung und ein Katalysator.
Positiv fallen dem Venture-Fahrer die zwei Helmschlösser auf, und das hintere Federbein läßt sich in der Federvorspannung per Druckluft (von der Tankstelle, nicht bordintern) einstellen. Eine Ölstandkontrolle ist ohne Hilfe nicht möglich, denn das Schauglas befindet sich rechts vorne hinter dem Trittbrett versteckt. Das Handbuch weist ausdrücklich darauf hin, daß die Maschine zum Ablesen senkrecht stehen muß. Wie man dies ohne Hauptständer bewerkstelligen soll wird jedoch nicht verraten. Fällt der Ölstand zu weit ab, wird der Fahrer aber auch von einer der zwölf Kontrolleuchten im Cockpit darüber informiert. Glücklicherweise verfügt die Venture über einen wartungsarmen Kardanantrieb, so daß dem Fahrer die Kettenschmierung erspart bleibt.
29.990 DM kostet die Yamaha XVZ 1300 TF Royal Star Venture. Das sind immerhin einige Tausender weniger als die Modelle der Mitbewerber, die dafür allerdings meist eine bessere Ausstattung bieten. Der Käufer bekommt für sein Geld ein für Fahrer wie Beifahrer gleichermaßen komfortables Fahrzeug, das allen Unkenrufen zum Trotz ein Motorrad und kein Cabrio ist. Nüchtern betrachtet gibt es für weniger Geld bessere Motorräder, doch die haben weder ein Radio noch die Option auf einen CD-Wechsler und so imposant wie die Venture sehen sie schon gar nicht aus…