aus bma 8/10 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Yamaha XT 1200 Z SuperTénéréDie Erinnerung verklärt bekanntlich. Das führt beim Stichwort „Yamaha Super Ténéré“ dazu, dass die Augen passionierter Kilometerfresser urplötzlich ein seltsames Leuchten zeigen und Begriffe wie „Kult“, „Legende“ und „Meilenstein“ in den Raum gestellt werden. Sicher, zwischen 1991 und 1998 gewannen Stéphane Peterhansel und Edi Orioli mit den Rennablegern YZE 750 und 850 siebenmal die Rallye Dakar, doch das, was zwischen 1989 und 1996 als XTZ 750 Super Ténéré an Otto Normalwüstenfahrer verkauft wurde, war alles andere als ein Überflieger.

Der 69 PS starke 750er-Fünfventiler überzeugte zwar mit Langlebigkeit und kultiviertem Lauf, doch satter Durchzug war überhaupt nicht sein Ding. Wer flotter vorankommen wollte, musste die Kurbelwelle des Reihentwins mächtig rotieren lassen und durfte sich dann über mächtig hohen Verbrauch und dürftigen Windschutz ärgern. Unpräzises Lenkverhalten, extrem geringe Zuladung und mäßige Schräglagenfreiheit passten eigentlich auch nicht zum Image einer vermeintlichen Legende. Die erste Super Ténéré war und ist kein schlechtes Motorrad, doch zum Mythos taugt sie kaum. Die Weinerei war trotzdem groß, als das 235-Kilo-Gerät aus den Preislisten verschwunden war und Yamaha über zehn Jahre lang keine Anstalten machte, eine Nachfolgerin zu präsentieren. Am meisten weinten diejenigen, die die Urversion nie gefahren, geschweige denn länger besessen hatten. Wie gesagt: Die Erinnerung verklärt meist die Dinge.

So waren es denn wohl auch weniger nostalgische, als vielmehr monetäre Gründe, die Yamaha dazu bewegen konnten, es ein zweites Mal mit einer Super Ténéré zu versuchen. An allen Ecken und Enden verloren die Japaner Marktanteile, parallel dazu räumte BMW kräftig ab. Besonders und nahezu konkurrenzlos im Segment der großen Reise-Enduros. Die BMW R 1200 GS hatte bislang praktisch keine ernsthaften Gegner. Vermeintliche Konkurrentinnen wie Triumph Tiger oder Honda Varadero scheiterten meist an mangelnder Universalität: zu wenig Reisetauglichkeit, zu wenig Leistung, zu wenig Fahrstabilität, zu wenig Wartungsarmut – nette Motorräder, doch irgendetwas war immer zu wenig, um es der GS ernsthaft besorgen zu können. Und sei es auch nur zu wenig Image. Um den Boxer knacken zu können, besann sich Yamaha also eines eigentlich ziemlich simplen Konzepts: Den Gegner mit seinen eigenen Mitteln schlagen.

Yamaha XT 1200 Z Super TénéréHubraum, Leistung, Endantrieb, Platzangebot, Komfort-Niveau, Wind- und Wetterschutz, Zuladung, Zubehörprogramm – alles, aber auch wirklich alles an der Yamaha XT 1200 Z Super Ténéré wurde mit einem Blick auf die GS geschaffen. Das wird kein Yamaha-Verantwortlicher zugeben, aber die Parallelen sind einfach zu offensichtlich. Mit einer Ausnahme: Die Yamaha wiegt vollgetankt 267 kg (ohne Koffer) satte 20 Kilo mehr als eine vergleichbare GS. Reicht dieser ziemlich bedauernswerte Umstand bereits dafür aus, der neuen Super Ténéré alle Chancen abzusprechen? Gemach, denn entscheidend ist auf dem Platz. Oder anders gesagt, wie die Pfunde verteilt sind und wie sie sich aufs Fahrverhalten auswirken. Also der Reihe nach.

Yamaha XT 1200 Z Super TénéréBereits die erste Sitzprobe beruhigt, denn von der 870 mm hohen Bank erreichen auch normalwüchsige Fahrer locker den Boden. Wer es gern etwas tiefer mag, steckt mit wenigen Handgriffen einfach einen unterm Fahrersitz montierten Kunststoffrahmen um und reduziert damit die Sitzhöhe auf 845 mm. Der Lenker ist relativ hoch montiert, nicht zu breit und perfekt gekröpft. Die Spiegel sind an breiten Auslegern angebracht und bieten beste Rücksicht. Die Ergonomie stimmt einfach, der Sofort-Wohlfühl-Effekt fällt sogar noch etwas besser als bei der GS aus, was auch für den ebenfalls erstklassig gepolsterten und dimensionierten Soziusplatz gilt. Etwas breitbeiniger als auf der GS, mit entspanntem Kniewinkel und perfektem Knieschluss am 23-Liter-Tank harrt der Yamaha-Pilot der Dinge, die da kommen mögen.

Zum Beispiel der sonoren Klangkulisse, die über Edelstahl-Auspuffkrümmer (Lob!) und einem großen ovalen Schalldämpfer aus schlichtem Stahlblech (Tadel!) ans Fahrerohr gelangt. Der 1200er-Reihenzweizylinder ist kein echter Paralleltwin, bei ihm gibt’s 270 Grad Hubzapfenversatz und damit den Sound (und auch die Leistungsentfaltung) eines V-Motors. Konkret: ein herrlich dumpfes Blubbern, irgendwo zwischen TDM-Bollern und Ducati-Ballern, auf jeden Fall sehr angenehm und ziemlich kernig. Bereits ab 1500/min nimmt der 110 PS starke Vierventiler ruckfrei Gas an, liefert ab 2000 Touren verwertbare Leistung und legt ab 2500/min mit einem Drehmomentschub zu, der dem ohnehin schon breit grinsenden Yamaha-Treiber die Mundwinkel noch etwas weiter nach oben zieht.

Sanft und geschmeidig geht der langhubige und mit zwei Ausgleichswellen bestückte Twin ans Gas. Zwei Motorkennfelder stehen zur Wahl: S wie Sport und T wie Touring. Den Touring-Modus braucht man zumindest auf trockener Fahrbahn eigentlich nie, das etwas direkter ansprechende Sport-Programm passt praktisch immer. Die Nennleistung liegt bei 7250/min an, bei 7800/min greift der Drehzahlbegrenzer ein. Doch soweit wird es in der Praxis nur höchst selten kommen. Das maximale Drehmoment von 114 Nm stemmt der Twin bei 6000 Touren, und das ist auch schon der Bereich, bis zu dem der Yamaha-Motor am meisten Spaß macht. Darüber fehlt der ganz große Biss, die BMW R 1200 GS hat in höheren Drehzahlregionen mehr Feuer zu bieten und holt dann deutlicher den Drehmomenthammer raus. Aber – und das ist ein ganz großes Aber: Wer sich in solchen Drehzahlregionen bewegt, ist nicht mehr ganz langsam unterwegs. Ganz im Gegenteil. Und bei besagtem hohen Tempo zückt die motormäßig vermeintlich etwas unterlegene Super Ténéré einen Trumpf, der mächtig sticht. Konkret: die Stabilitäts-Karte.

Yamaha XT 1200 Z Super TénéréWährend die GS bei mächtig Speed die Eigenart haben kann, an der Frontpartie ziemlich leicht zu werden und zu Rührbewegungen zu neigen, liegt die Yamaha stets absolut stabil. Die Super Ténéré zieht selbst bei Vollgas stoisch ihre Bahn. Und sie legt noch ein Schmankerl nach, denn ihr gänzlich ohne aufwendigen Ruckdämpfer oder Momentabstützung auskommender Kardan zeigt sehr eindrucksvoll, wie ein perfekter Wellen-Endantrieb aussehen kann. Kein Trampeln, kein Aufbäumen beim Beschleunigen, keine nervigen Lastwechselreaktionen – der in einer ellenlangen Aluschwinge rotierende Kardan arbeitet perfekt. Bei einer Blindverkostung würde vermutlich jeder Fahrer auf Kettenantrieb tippen. Die lange Schwinge geht übrigens nicht zu Lasten des Radstands und damit der Handlichkeit. Die Yamaha-Ingenieure platzierten zum Beispiel den Kühler einfach längs an der linken Seite, das Vorderrad konnte damit dicht an den Stahlrohr-Brückenrahmen rücken, moderate 1540 mm Radstand sind der Lohn dieses Kniffs.

Ihr Übergewicht merkt man der Super Ténéré höchstens beim Rangieren an. Bereits das Auf- und Abbocken klappt dank goldrichtiger Übersetzung des serienmäßigen Hauptständers spielend leicht. Und rollt die Fuhre erst einmal, spielt es keine ernste Rolle mehr, ob da nun 20 Kilo mehr oder weniger ums Eck wuseln. Die Super Ténéré ist einfach hervorragend ausbalanciert. Einen gehörigen Anteil an dem völlig unproblematischen und herrlich stressfreien Fahrverhalten haben die gut abgestimmten Federelemente. Die Grundabstimmung geriet sehr komfortabel, aber nicht zu soft. Wer die voll einstellbare Upside-down-Gabel mit etwas erhöhter Federvorspannung versieht, beim in Federvorspannung und Zugstufendämpfung variierbaren Federbein auch so verfährt und die Dämpfung zudreht, läuft nicht Gefahr, dass die üppigen 190 mm Federweg vorn und hinten auf miesem Belag für Schaukelaktionen genutzt werden. Kurze Stöße steckt die fein ansprechende Gabel sauber weg, und heftige Bremsmanöver lassen sie ebenfalls nicht in die Knie gehen. Was nicht verwunderlich wäre, angesichts der Vehemenz, mit der die Vierkolbensättel in die 310-mm-Scheiben beißen. Und das machen sie sehr fein dosierbar – noch ein Unterschied zur BMW, deren radikale Stopper eher nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip arbeiten.

Yamaha XT 1200 Z Super TénéréEin erfreulich spät und dann mit feinen Regelintervallen eingreifendes ABS ist serienmäßig an Bord und Bestandteil einer Kombibremse, bei der ein Zug am Handhebel auch den hinteren Stopper in Aktion setzt. Wer jedoch zuerst aufs Pedal tritt, verzögert auch nur hinten – äußerst hilfreich, wenn in engen Kehren oder beim Wenden auch nur die Hinterradbremse gefragt ist. Ebenfalls serienmäßig ist eine Traktionskontrolle. Das zweistufige und zudem auch abschaltbare System verhindert in Stufe eins gänzlich, in Stufe zwei weitgehend das Durchdrehen des Hinterrads, indem das mit Sensordaten versorgte Steuergerät den Zündzeitpunkt, die Benzinzufuhr und die Drosselklappenstellung verändert. Klingt kompliziert, funktioniert in der Praxis aber ganz einfach. Wer etwas driften will, erzielt bereits in der zweiten Stufe ordentliche Ergebnisse. Wer es richtig quer treiben will (und kann!), stellt den elektronischen Helfer eben ganz aus. Alle anderen freuen sich über ein unauffällig und zuverlässig regelndes System, das den Betrieb auf rutschigem Grund noch etwas stressfreier macht.

Stressfrei – das ist eigentlich auch der Oberbegriff, unter den so ziemlich alles passt, was die neue Super Ténéré zu bieten hat. Für 14750 Euro bekommt der Kunde momentan die in Blau und Silber lieferbare „First Edition“, die alles noch etwas stressfreier macht, denn bei dieser Erstauflage gehören Alu-Koffer, (im öffentlichen Straßenverkehr nicht ganz legale) Scheinwerferprotektoren sowie ein Alu- statt Kunststoff-Motorschutz zum serienmäßigen Lieferumfang. Ab 2011 sollen diese Extras auf­preispflichtig sein. Eine zweifach verstellbare Windschutzscheibe, Handprotektoren, Bordsteckdose, schlauchlose Reifen auf Speichenrädern sowie die besagten elektronischen Helfer sind grundsätzlich ab Werk dabei. Wer eine vergleichbar ausgestattete BMW haben möchte, muss mindesten 1000 Euro mehr zahlen. Aber vielleicht ist der ständige Vergleich mit der GS auch eher müßig. Wer den 1200er-Punch in allen Lebenslagen und das vermeintlich bessere Image, verbunden mit einem möglicherweise höheren Wiederverkaufswert haben möchte und zudem den Boxer liebt, wird auch weiterhin zur BMW greifen.

Wer allerdings eine komfortable, ausgewogene und top ausgestattete Reisemaschine mit einem kräftigen, kultivierten Motor sucht, die nicht an jeder zweiten Ecke steht, sollte sich die Super Ténéré mal etwas genauer anschauen. Die hat zudem einen noch bequemeren Arbeitsplatz, einen perfekten Kardanantrieb und hervorragende Bremsen mit einem exzellenten ABS. Im Unterschied zu ihrer Vorgängerin säuft sie auch nicht – fünf Liter Landstraßenverbrauch sind eher unterdurchschnittlich, ihre Zuladung fällt mit 203 kg ebenfalls deutlich höher aus, und auch der Windschutz ist ordentlich. Es besteht also die Hoffnung, dass so in 15 bis 20 Jahren die Begriffe „Kult“, „Legende“ und „Meilenstein“ mit deutlich mehr Berechtigung als heute in den Raum gestellt werden können, wenn es um die Yamaha Super Ténéré geht.