aus bma 4/13
von Hartmuth Weyhe
Warum sollte ich heute noch über ein Motorrad, das seit 10 Jahren nicht mehr vertrieben wird, einen Bericht schreiben? Die Antwort ist wirklich nicht schwer, denn für günstiges Geld gibt es mit der Yamaha XJ 900 S Diversion ein Motorrad, das den alltäglichen Ansprüchen vollauf genügt – auf dem Arbeitsweg ebenso wie am Wochenende oder auf der Urlaubstour. Zudem ist dieses Motorrad in reichlicher Stückzahl auf dem Gebrauchtmarkt zu finden. Wahrscheinlich gibt es sie sogar in größerer Stückzahl, als manch modernere Modelle, die schon nach zwei Jahren mindestens eine Auffrischung über sich ergehen lassen müssen. Die XJ 900 S Diversion gibt sich da viel bodenständiger und nach der Grundüberholung im Jahre 1994 zum Modell „KM 4″ kam in 10 Jahren Bauzeit gerade mal eine Farbänderung, Verlegung der vorderen Bremsschläuche und ein anderer Sitzbankbezug zum Zuge. Und wie nicht anders zu erwarten in dieser langen Bauzeit sind die verkauften Einheiten doch sehr umfänglich, wovon nach Aussage des Kraftfahrtbundesamtes noch gut 20.000 in Betrieb sind. Von unverkäuflichen Sammlerstücken – ob Zustand oder Erinnerungsträger sei dahingestellt – über viele gute Sahnestücke mit um die 20.000 Kilometer auf der Uhr bis hin zu sechsstelligen Laufleistungen oder abgewirtschafteten Exemplaren findet sich bei vielen Händlern und Privatbesitzern so gut wie für jeden Geschmack etwas. Einzig kreative Umbauten jeglicher Art sucht man vergebens, dafür sind Tourenausstattungen wie Koffer, Top Case, Windabweiser, heizbare Lenkergriffe sowie Fahrwerkskomponenten Gang und Gebe.
Da ich nach nur 3.000 Kilometer im halben Jahr – zugegeben, die haben sehr viel Spaß gemacht – feststellte, dass Cruiser fahren (egal wie nobel der Hobel auch war) doch nicht ganz das Richtige für mich gewesen ist, brauchte ich ein anderes Motorrad. Einfacher gesagt als getan, denn einen günstigen (Definition eines alleinverdienenden Familienvaters mit Haus am Hacken: unter 5.000 Euro) Tourer mit Kardan, Verkleidung und Koffer zu finden, ist unter den aktuellen Modellen kaum möglich. Und so kam ich darauf, bei meinem Händler direkt vor Ort, eine komplett tourenmäßig ausgestattete, super gepflegte Diversion mit etwa 16.000 Kilometer zu kaufen. Nach weiteren zehn Monaten im Dauereinsatz sieht die XJ immer noch spitzenmäßig aus, allerdings steht der Kilometerzähler knapp vor 50.000 Kilometer. Die 33.000 Kilometer erledigte das Krad mit nur einer einzigen Beanstandung: Bei einer Tour durch das westliche Polen lief der Vierzylinder im Leerlauf wie ein Dreizylinder, starb aber nicht ab. Beim Fahren selbst merkte ich überhaupt nichts. Nach Rückkehr der Tour pustete mein Yamaha-Händler die Leerlaufdüsen der Vergaser durch und das kleine Malheur war vergessen.
Also Mängel sind auch nach 10 Jahren belanglos und belasten die Haushaltsbörse nicht. Bleiben die üblichen Kosten zu betrachten. Die Haftpflichtversicherung liegt bei meiner Einstufung unter 30 Euro im Jahr und die Steuer ist sowieso mit den neuen Fahrzeugen identisch. Bleibt der technische Unterhalt noch zu bedenken, doch auch hier zeigt sich diese Kardanmaschine ausgesprochen günstig. Die 10.000 Kilometer Wartungsintervalle sind sicherlich vernünftig und der Reifenverschleiß hielt sich sowohl mit den Dunlop Roadsmart 2 wie auch mit den Metzeler Roadtec Z 8 in Grenzen, will heißen: Für 15.000 Kilometer Laufleistung waren beide gut wie übrigens auch die montierten Bridgestone. Nach meinem subjektiven Eindruck gefiel mir die Metzeler Kombination am besten. Der einfache und gut zugängliche Aufbau des Motorrades hielt auch die Inspektionskosten niedrig; bevor bei aktuellen Großtourern die Quadratmeter großen Verkleidungsflächen demontiert sind (als Ex-BMW K 1200 LT Fahrer bin ich da ein gebranntes Kind), ist hier die eigentliche Arbeit schon erledigt. An gutem Motoröl hatte ich nur zwei Mal etwa einen halben Liter nachfüllen müssen, aber von Sonthofen nach Lübeck in siebeneinhalb Stunden hat halt seinen Preis. Der einzige Wermutstropfen ist jedoch der Umgang mit dem teuren Sprit; lediglich einmal gelang mir ein Verbrauch unter 5 ltr/100 km im absoluten Bummelmodus, dafür ohne auch nur die mögliche Höchstgeschwindigkeit von über 200 km/h auszunutzen mehrmals ein Konsum von über 9 ltr/100 km. Dennoch kam im Schnitt ein noch akzeptabler Verbrauch von 6,2 ltr/100 km heraus. Gegenüber dem Wertverfall eines aktuellen, deutlich sparsameren Tourenkrades ist dieser Umstand sicherlich eine Kleinigkeit. Tourentauglich ist die XJ 900 mit ihrem 24 Liter Tank allemal.
Was mich immer beeindruckt hat, ist wie berechenbar das Krad ist. Dies macht sich besonders bei schlechtem Wetter oder auf anspruchsvollen Pisten bezahlt und spart viele Nerven. Natürlich brauchte ich mich auf Schotterpässen in den Alpen nicht mit den Enduros messen, aber gewuppt habe ich solche Strecken wie die Assietta Hochalpenstraße auch ohne Schwierigkeiten. Klar brauchte ich einer RT oder GTR auf der Autobahn nicht hinterher blasen, war doch gewiss, dass die XJ im Tourenornat mit Koffern und Top Case ab 160 km/h deutlich zum Pendeln neigt. Und einer flotten Super Moto auf den Landstraßen zu folgen ist selbstverständlich auch abwegig, obwohl die Bodenfreiheit voll in Ordnung geht. Mit einem runden Fahrstil mit wenig Bremseinsatz geht es aber auch gut voran (allerdings ist der Spaß auf flott gefahrenen Passabfahrten aufgrund der originalen weichen Dämpfung doch arg eingeschränkt).
Die Bremsen leisten gute Arbeit, ein ABS gibt es jedoch auch bei dem von mir gefahrenen letzten Baujahr noch nicht. Ob es nun an meinem vorausschauenden Fahrstil oder an der Qualität der Bremsbeläge liegt, weiß ich nicht: gewechselt wurden diese jedoch nicht. Einschränkend muss ich an dieser Stelle noch hinzufügen, dass ich immer Solo unterwegs gewesen bin. Mit einem weiteren Passagier an Bord empfehle ich dringend, Gabel und Hinterradfederung mit den einschlägigen Möglichkeiten (wird auch heute noch alles angeboten) der Belastung anzupassen.
Zu dem entspannten Touren gehört auch die einfache und überschaubare Bedienung des Fahrzeugs. Diese ist vollauf gegeben. Egal ob es sich um das Aufbocken handelt, das Abnehmen der Sitzbank, die Ölkontrolle oder die Ablesbarkeit der übersichtlichen Instrumente – alles ist sehr praxisgerecht ausgeführt und oftmals praktischer als an den aktuellen Modellen ausgeführt. Auch das zehn Jahre alte Givi Gepäcksystem ließ sich bis zum letzten Tag ohne Schwierigkeiten mit einer Hand bedienen. Okay, es sieht halt angebaut aus und ist nicht in Fahrzeugfarbe lackiert, aber es schluckt etliches an Gepäck, das Top Case auch bequem den Klapphelm. Und es ist absolut wasserdicht und robust in der Ausführung – großes Lob also.
Mit einem einzigen Störfaktor kämpfe ich allerdings bis zum heutigen Zeitpunkt immer noch: den Windgeräuschen am Helm! Egal mit welchem Helm, egal mit welcher der vier Verkleidungsscheiben oder Scheibenverlängerung – die lauten Geräusche bekomme ich bisher nicht in den Griff. Aber wir wissen es alle, nobody is perfect und irgendwann in irgendeiner Kombination wird sich auch diese Nebensächlichkeit lösen.
Auf ein konkretes schönes Erlebnis in dieser Saison zurückzugreifen ist schwer, denn es waren sehr viele Highlights dabei, egal ob herrlich geschwungene Straßen an Rhein und Mosel oder in den Alpen. Ich denke, dass mich vor allem die Sorglosigkeit begeistert hat, mit der ich die unzähligen Male in den Sattel der XJ gestiegen bin. Egal ob es die täglichen Fahrten zum Arbeitsplatz oder die Touren gewesen sind; einerlei ob es Dauerregen im Sauerland oder weit über 30 °C in Meran gewesen sind – ich hatte immer die Gewissheit zuverlässig, bequem und sicher mein nächstes Ziel zu erreichen.
Ein entspannendes Gefühl ist es auch, das Fahrzeug ohne Sorge bewegen zu können; was meine ich damit? Es spielt halt keine Rolle, ob Schmuddelwetter die Fuhre einsaut – anschließend wird sie halt gewaschen. Es spielt keine Rolle, wenn mal bei einem Parkmanöver oder einer Feldwegeinlage ein Kratzer an das Fahrzeug kommt, nach einer Politur trägt man die kleine Schmarre in Ehren. Und klauen wird ja wohl so ein älteres Fahrzeug niemand, oder? Ich muss jetzt wirklich mal nachdenken, wo sich das Lenkradschloss befindet. Na klar, praktisch von Yamaha gedacht, ist es mit dem Zündschloss kombiniert.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Wer nicht viel Geld (ca. 3.000 Euro) in die Hand nehmen möchte, gut auf modischen Schnickschnack und aktuelles Design verzichten kann und dennoch vernünftig motorisiert und ausgestattet ans Ziel kommen möchte, dem kann ich die Yamaha XJ 900 S Diversion nur empfehlen. Und wer es noch günstiger haben möchte (max. 1.500 Euro), auf etwa 30 PS Leistung verzichten und mit Kettenfett umgehen kann, empfehle ich die XJ 600, die ebenfalls als ganz braves „Bauernmotorrad“ bei mir seinen Dienst geleistet hat. Allerdings lässt sich nach Aussage meines Yamaha Händlers auch der 90 PS starke Vierzylinder der XJ 900 S auf die neue EU-Leistungsgrenze von 48 PS drosseln. Zusammenfassend: Bevor ihr Fahrrad fahrt, Leute, bedient euch der günstigen XJ Baureihe. Ihr macht nichts falsch!
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Kommentare
7 Kommentare zu “Yamaha XJ 900 S Diversion”
Sehr guter Bericht, habe mir 1998 die Diverson neu gekauft.
Bin sehr Zufrieden mit der Maschine werde sie nicht mehr hergeben, habe jetzt 88 000 km auf der Uhr noch nie ein Problem damit gehabt und mein Herz an sie verloren.
Diese Zuverlässigkeit ohne einen modernen Schnickschnack ist einfach genial, einfach draufhocken und losfahren.
Gruß Wolfgang
Es sind ja seit deinem Kommentar bereits 3Jahre vergangenen,aber was du geschrieben hast gilt für mich auch heute noch.Ist doch schön,dass viele noch so denken.Wer mag,soll gerne mit einem fahrenden Computer unterwegs sein.Unbestritten währe ein ABS System ein großer Sicherheitsgewinn.
hallo,
Dein Artikel ist zwar schon etwas älter, aber ich kann ihn unterstreichen. Habe mir im Herbst 2016 nach jahrelangerAbstinenz ein XJ900 F 4BB gekauft und es nicht bereut. Tolles Motorrad für den Alltag und für Touren. und das ganze für weniger als 1000 €
Gruß
Wolfgang
Anmerk. d. Red.: Bei Travelbikers Link bitte einfach die xxx vor der Domain entfernen. Wir haben immer wieder Spammer in den Kommentaren und machen so automatisch Links unbrauchbar. Leider unterscheidet die Automatik nicht zwischen gut und böse 😳
Hier noch ein Link der für viele XJ900 Fahrer sehr wertvolle Tipps bereit hält.
Solch eine wertvolle Zusammenstellung habe ich bisher noch nirgendwo gefunden.
Vielleicht hilft es dem einen oder anderen Leser.
Sehr großes Lob
http://www.fredis-garage.de/2010-08-24/50-Tipps-und-Tricks-an-der-900er-Diversion-Fortsetzungsbericht.html
Kann die oben stehenden Ausführungen in allen Punkten bestätigen. Habe mich aufgrund dieses Berichts erst für eine Diva (von mir liebevoll Eisenschwein genannt) entschieden (06/2015) und bin bis heute immerhin schon über 3.000 km damit gefahren.
Moin moin aus Lübeck,
ein schöner Bericht dem wir nur zustimmen können. Wir, vier Diva Treiber, sind ebenfalls begeistert und haben schon so einige andere Motorräder gefahren. Ich selbst bin 17 Jahre BMW GS 11 und 1200 gefahren aber mich haben viele Dinge gestört. Nun bin ich zu einer optisch sehr schönen und einfachen Maschine wieder zurückgekehrt. Also, allen allzeit eine gute Fahrt.
Gruß, Bernd