aus bma 05/01

von Bernhard Hübner

Yamaha TDM 850 (Mod. 2001)Was kann der Motorrad-Markt heute schon noch Neues bringen? Angesichts der herrschenden Modellvielfalt eine nicht unberechtigte Frage. Yamaha hat’s trotzdem versucht und will mit der TDM 850 eine neue Ära einläuten. Ob es gelungen ist, muss sich erst noch herausstellen.”
So lautete die Einleitung für unseren ersten TDM-Fahrbericht im Sommer 1991. Das ist zehn Jahre her – eine verdammt lange Zeit im Motorradbau. Doch die TDM 850 gibt es noch immer. In der Ur-Version existierte sie bis 1996, dann wurde sie durch die heute noch gängige, deutlich rundere Variante ersetzt. Mittlerweile ist klar, dass Yamaha mit der TDM zwar keine neue Ära auf dem Zweiradsektor eingeläutet, aber ganz sicher einen Meilenstein gesetzt hat, dem die Mitbewerber, wenn auch mit einiger Verzögerung, vergleichbare Modelle entgegen zu setzen versuchen. Als Beispiele dafür seien die verschiedenen Cagiva-Modelle wie Gran Canyon, Navigator und Raptor oder Hondas Varadero genannt, deren Ahnen ebenso wie die der TDM einmal Enduros waren. Und im Vergleich macht die Yamaha immer noch eine gute Figur.

 

Yamaha TDM 850 (Mod. 2001)Die Veränderungen im Laufe der Jahre haben sich einigermaßen in Grenzen gehalten. Meistens beschränkte man sich auf eine neue Farbpalette. Vor zwei Jahren jedoch wurde das Cockpit modernisiert. Der Tacho bekam einen zweiten Tageskilometerzähler sowie eine Zeituhr spendiert, und das Ganze natürlich, wie heute üblich, mit LCD-Anzeige. Allerdings ist die Handhabung etwas problematisch, denn um von Tripmaster auf Uhr zu wechseln, müssen gleichzeitig zwei Miniknöpfchen betätigt werden – ein nahezu unmögliches Unterfangen während der Fahrt mit Handschuhen. Wir empfehlen die Anbringung einer separaten Zeituhr (am Rohrlenker lässt sich prima ein Fahrradtacho anbringen) bzw. dem Hersteller eine Überarbeitung. Die Temperaturanzeige musste einer Benzinuhr weichen, dafür besitzt die Yamaha keinen Benzinhahn mehr. Yamaha-typisch fummelig ist das Zündschloss. Passt der Fahrer beim Abstellen nicht auf, ist schnell mal das Standlicht eingeschaltet. Das führt im Extremfall zu einer leeren Batterie. Nicht weiter schlimm, wird sich der eine oder andere nun sagen, doch bei der TDM sitzt die Batterie unterm Tank. Auch nicht weiter schlimm. Doch für die Tankdemontage muss erst einmal die Verkleidung ab…
Im Gegensatz zum ’96er-Modell ist das Cockpit jetzt nur noch zum Teil in Carbonoptik gehalten. Und mit noch einer Neuerung kann die TDM aufwarten: Yamaha hat endlich mal einem Motorrad eine serienmäßige Warnblinkanlage spendiert.
In Sachen Fahrkomfort ist die 850er ganz die Alte geblieben. Draufsetzen und wohlfühlen ist angesagt. In 800 Millimetern Höhe findet der Fahrer eine wohlgeformte und auch für längere Strecken ausreichend gepolsterte Sitzfläche vor. Der breite Lenker liegt gut in der Hand und vermittelt dem Fahrer in Verbindung mit der tiefen Sitzmulde und dem guten Knieschluss jederzeit ein sicheres Fahrgefühl. Im Falle der TDM haben die Ingenieure aber auch an den Passagier gedacht und nicht nur einen komfortablen Soziussitz geformt, sondern auch einen ordentlichen Abstand zwischen Sitzfläche und Fußrasten gelassen. Immer noch vor- bildlich ist die Betätigung des hinteren Federbeins. Für den Zweipersonenbetrieb und Fahrten mit Gepäck, oder aber auch einfach nur, weil man es gerne etwas härter mag, lässt sich beim hinteren Federbein durch Umlegen eines Hebels unter der Sitzbank eine zweite Feder zuschalten. Nicht einmal Werkzeug ist dafür erforderlich. Lob gibt es auch für die vier Gepäckhaken unter der Sitzbank.
CockpitDas alles sind Ausstattungsmerkmale, die die TDM 850 zu einem erstklassigen Tourenmotorrad machen. Folgerichtig bietet Yamaha sie auch als Tourer an. Rätselhaft ist allerdings, warum die TDM als einzige dieser Kategorie aus dem Hause Yamaha immer noch ohne Hauptständer auskommen muss. Die Zubehörindustrie freut’s ganz sicher. Unsere Redaktionsmaschine wurde mit einem Hauptständer der Firma SW-MO-Tech (Tel. 06425/820280) ausgerüstet, den wir in Ausgabe 12/2000 vorgestellt haben. Aber auch von anderen Herstellern wie etwa JF-Motorsport sind Nachrüstständer auf dem Markt.
Der Motor wurde ursprünglich als 750 ccm-Parallel-Twin konstruiert und diente als Antrieb für die nicht sonderlich weit verbreitete Großenduro XTZ 750 Super Ténéré. Seinen Siegeszug trat das auf 850 ccm erweiterte Triebwerk dann aber in der TDM an. Seit 1996 arbeitet der von 78 auf 82 PS erstarkte Motor mit einem Hubzapfenversatz von 270°. Der Leistungsabgabe ist diese Änderung nicht anzumerken, doch verbreitet der Motor nun ein erheblich angenehmeres Fahrgeräusch.
Die Bremsanlage (vorne zwei Scheiben à 298 mm Durchmesser) wusste lange Jahre zu gefallen. Doch ist sie heute natürlich nicht mehr das Maß der Dinge. Moderne Stopper (Stichwort R1-Bremse) setzen heute die Maßstäbe bei den Yamaha-Motorrädern. Ist doch klar, dass diese Universal-Bremse auch der TDM gut zu Gesicht stehen würde, oder?
Eines brachte dem großen Twin von Anfang an massenhaft Minuspunkte ein: die heftigen Lastwechselreaktionen. Ruppig einsetzende Motorleistung sowie übermäßiges Spiel im Antriebsstrang werden für diese Macke verantwortlich gemacht. Selbstverständlich hat sich Yamaha des Problems angenommen und im Laufe der Zeit auch Verbesserungen herbeigeführt. Die aktuelle Version erhielt geänderte Vergaser und eine neue Benzinpumpe sowie eine kürzere Übersetzung. Doch all diese Maßnahmen konnten das Problem nur lindern und nicht gänzlich beseitigen. Dass großvolumige, leistungsstarke Zweizylindertriebwerke sich auch wesentlich manierlicher benehmen können, beweist Honda mit der 1000er Varadero oder auch der französische Neuling Voxan mit der 1000er Roadster. Diesen Motorrädern ist solch nerviges Verhalten völlig fremd.
Ansonsten zeigt sich der Motor absolut kultiviert. Bereits im untersten Drehzahlbereich produziert er genügend Leistung für flottes Vorankommen. Den Dreh am Gasgriff setzt das Triebwerk in spontane, gleichmäßige Leistung um, bis der Fünfventiler bei 7500 Umdrehungen seine Höchstleistung von 82 PS erreicht. Über den gesamten Drehzahlbereich verhält sich der Motor absolut laufruhig. Richtig Freude bereitet auch das Getriebe. Sauber und ohne lautes Wehklagen lassen sich die fünf Gänge einlegen. Der Kupplungshebel ist übrigens nicht verstellbar. Im Gegensatz zum Handbremshebel, der nicht nur die üblichen vier Mal, sondern stufenlos einstellbar ist.
Im Fahrbertrieb macht sich für den Umsteiger erst einmal der hohe Schwerpunkt bemerkbar – nicht unbedingt negativ aber gewöhnungsbedürftig. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase jedoch verbreitet das Fahren mit der TDM nur noch Freude. Großen Anteil daran haben das stabile, komfortable Fahrwerk in Verbindung mit der angenehmen Sitzhaltung und natürlich der bärenstarke Motor.
Wer es gemütlich angehen lässt und sich auf der Landstraße noch einigermaßen im legalen Geschwindigkeitsbereich bewegt, wird mit einem Verbrauch von unter sechs Litern Normalbenzin belohnt und kann so die Tankintervalle auf deutlich über 300 Kilometer ausdehnen bis Ebbe im 20 Liter-Tank droht. Das ist kein Vergleich mehr zur ’91er-TDM, mit der man sich nach knapp über 200 Kilometern nach einer Tankstelle umsehen musste.
Yamaha TDM 850 (Mod. 2001)Richtig ärgerlich wird’s jedoch, wenn der Fahrer mal den Ölstand kontrollieren möchte. Der Öltank der Trockensumpfschmierung ist hinter den Zylindern platziert und besitzt auf der rechten Seite ein Schauglas. Ist dieses erst einmal ausfindig gemacht, muss noch jemand her, der das Motorrad gerade hält. Denn alleine das Motorrad gerade halten und gleichzeitig rechts auf die Knie gehen, um von unten die Ölpeilung vorzunehmen, ist nahezu unmöglich.
In einer Disziplin hat die TDM zu den Mitbewerbern aufgeschlossen: Der Preis wurde, begründet durch den ungünstigen Wechselkurs, im vergangenen Jahr mehrfach angehoben und liegt nun bei 17.990 Mark. Damit kostet die TDM 1800 Mark mehr als noch vor einem Jahr. Wer sich sputet, kann sicher noch das eine oder andere 2000er Modell zum günstigeren Tarif an Land ziehen. Das Motorrad ist an sich das gleiche, denn geändert haben sich nur die Farben. Das Modell 2001 ist in den Farben Schwarz, Rot/Silber und Blau/Schwarz zu haben.
Unterm Strich aber bleibt der TDM 850 immer noch ein dickes Plus. Nämlich in Sachen Fahrkomfort für Fahrer und Beifahrer ist der dicke Twin der wesentlich neueren Konkurrenz zumindest ebenbürtig.