Die Schöne …

aus Kradblatt 1/25 von Rolf Paul

Überraschung: Yamaha XT 250 gewonnen!
Überraschung: Yamaha XT 250 gewonnen!

Januar 2022. Das Telefon klingelt – eine Nummer mit Mainzer Vorwahl? Wer kann das sein? „Hier ist die Redaktion der Zeitschrift OLDTIMER-MARKT. Sie haben bei unserer Verlosung zugunsten der Kinderkrebshilfe eine YAMAHA XT 250, Baujahr 1983, gewonnen.“

Ein paar Wochen später stand sie bei mir. (Fast) Top-Zustand – und es hat Spaß gemacht, mit ihren 17 PS bei schönem Wetter gemütlich über kleine Landstraßen zu wandern. Am Anfang jedenfalls. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass so eine Enduro nicht das Richtige für mich ist. Stummellenker sind mir doch lieber …

Im Herbst 2022 blätterte ich dann mal wieder in meinem alten YAMAHA-Bildband und wie schon einige Jahre zuvor fiel mir wieder die darin abgebildete SRX 600 auf. Komisch, dass ich die live noch nie in meinem Leben gesehen hatte … 

Das wäre vielleicht etwas für mich: ein großer Einzylinder mit etwas mehr als 600 ccm, eine schlanke, sportliche Linie, überall gebürstetes Aluminium und Chrom statt Plastikgeraffel, Stummellenker, Stummelauspuff, ein minimalistisches Cockpit – sie gefiel mir super und deswegen nenne ich sie „die Schöne“. Das Ganze bei einem Leergewicht von schlappen 160 kg, Motorleistung 45 PS, Höchstgeschwindigkeit 170 km/h. Da muss man sich keinen Retro-Caféracer kaufen oder bauen – das ist ein originaler!

Kicken statt Knöpfchen - die SRX braucht Muskellkraft
Kicken statt Knöpfchen – die SRX braucht Muskellkraft

In einer Kleinanzeigen-App wurden einige wenige SRX angeboten. Aber meine Garage war voll; also müsste ich wohl zuerst die XT 250 verkaufen. Doch dann entdeckte ich eine interessante Annonce. In Berlin wollte jemand seine SRX 600 aus dem Baujahr 1988 gegen eine Enduro für den Stadtverkehr tauschen. Und so fand ein vielleicht etwas außergewöhnlicher Deal statt: Jeder von uns mietete sich einen Transporter und dann trafen wir uns auf halber Strecke zwischen Oldenburg und Berlin in der Nähe von Mölln. Motorräder abgeladen, begutachtet, eine kleine Runde gedreht, Motorräder mit Papieren, Schlüsseln und Ersatzteilen getauscht und aufgeladen – und dann ist jeder mit einem anderen Motorrad im Transporter nach Hause gefahren.

Das ist jetzt gut zwei Jahre her. Die Maschine war technisch in einem sehr guten Zustand, aber von der Optik her doch „etwas verlebt“. Also machte ich mich an die Arbeit.

Der Lacksatz wurde von altbackenem Silber auf das originale „Yamaha Samson Blue“ geändert. So gut wie alle Aluminiumteile habe ich auf Hochglanz poliert. Der ausladende Heckkotflügel wurde samt Rücklicht durch ein kurzes Teil aus Japan ersetzt, wo es eine große SRX-Szene gibt. Blinker, Spiegel, Frontkotflügel und einige andere Kunststoffteile wurden gemäß dem Motto „Plastik? Nein danke!“ durch Metall ersetzt. Den Auspufftopf entlackte, grundierte und lackierte ich. Die Federbeine kamen neu von YSS. Die klobigen Soziusfußrastenträger wanderten in den Alteisencontainer. Neue Bremsscheiben von BREMBO, verstärkte WIRTH-Gabelfedern, eine kürzere Übersetzung, Stahlflex-Bremsleitungen und ein Ölkühler von KEDO waren weitere Optimierungen, aber noch lange nicht alles, denn dazu kamen noch viele weitere „Kleinigkeiten“ – too much to list … 

Damals verkannt, heute ein Hingucker - die Yamaha SRX 600
Damals verkannt, heute ein Hingucker – die Yamaha SRX 600

Zuletzt habe ich mir vom Sattler GRUSKA in Bad Zwischenahn noch eine Höckersitzbank nach meinen Vorstellungen bauen lassen.

Bedenken hatte ich, weil meine SRX 600 ein Import aus Kanada war. Für keines meiner Umbauteile gab es deswegen eine deutsche ABE. Aber der hilfsbereite Sachverständige vom TÜV NORD in Oldenburg ließ seinen Sachverstand walten und so konnte alles in die Zulassungsbescheinigung Teil I eingetragen werden.

Puristisches, sportlich angehauchtes SRX-Cockpit
Puristisches, sportlich angehauchtes SRX-Cockpit

Seitdem bin ich damit etwa 4.000 km gefahren. Wie man auch in den Testberichten aus den 80er Jahren nachlesen kann, bereitet die SRX dank ihres stabilen Fahrwerks, ihres niedrigen Gewichts und der damit verbundenen Handlichkeit, sowie ihres kräftigen Motors und der hervorragenden Bremsen (aus der „giftigen“ YAMAHA RD 350 YPVS) viel Fahrspaß. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass mir da, wo das Motorradfahren am meisten Spaß macht, auch mit der doppelten Motorleistung so schnell niemand wegfährt.

Man hat mit „der Schönen“ auch ein Motorrad, das nicht an jeder Ecke steht. Als die SRX 600 anno 1985 auf den Markt kam, sollte sie die erfolgreiche YAMAHA SR 500 ersetzen. Das ging aber völlig daneben. Ihre Herstellung war teuer und aufwendig und so musste sie zu einem Verkaufspreis angeboten werden, der nahe bei dem einer vierzylindrigen YAMAHA XJ 600 oder XJ 650 mit über 70 PS lag – das waren nur wenige Enthusiasten zu zahlen bereit. Kein Wunder, dass mir vorher eine SRX nie live begegnet ist.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Dieses Motorrad hat keinen Elektro­starter! Nein, es hat nur einen Kickstarter! Und knapp 610 ccm anzukicken ist für einen Ungeübten nicht so einfach. Am Anfang bin ich dabei gelegentlich fast verzweifelt, habe einige Male schweißgebadet aufgegeben und auch mal eine Tour ausfallen lassen (müssen). Dank intensiver Recherchen im Internet, insbesondere in SRX-/XT-Foren, und nach vielem Üben klappt es inzwischen aber prima. Man muss eine bestimmte „Startzeremonie“ einhalten und es ist immer wieder spannend. Springt der Motor auf den ersten oder zweiten Tritt an, ist das ein Erfolgserlebnis. Aufs Knöpfchen drücken kann doch jeder 

Ideal für den Fahrspaß auf Landstraßen
Ideal für den Fahrspaß auf Landstraßen

 

Update für das Fahrwerk …
Update für das Fahrwerk …

 

… und für die Bremsen
… und für die Bremsen