aus Kradblatt 6/15 von Klaus Herder

Yamaha SR 400 Modell 2015 – Das Dampfhämmerchen

Yamaha SR400 linksNostalgische Gefühle können mächtig trügerisch sein. So entpuppt sich die „total urige“ Kneipe aus seligen Studententagen mit ein paar Jahren Abstand als das, was sie eigentlich schon immer war: eine ziemlich miese Kaschemme. Wer das „echt bezaubernde“ Ziel seines ersten Italienurlaubs ein oder zwei Jahrzehnte später besucht, wird sich womöglich ebenfalls fragen, was ihn damals ausgerechnet an diesen abgefuckten Ort getrieben hat. Mit Motorrädern verhält es sich oft nicht anders, denn das, an was sich der Mensch erinnert, ist meist nicht das Produkt (oder die Kneipe/der Urlaubsort), sondern die Geschichten drum herum: die durchdiskutierten Nächte, die schärfsten Zungenküsse. Oder eben das erste „echte“ Motorrad und vor allem die abenteuerlichen Touren damit. Womit wir bereits bei der Yamaha SR wären. Natürlich erst einmal bei der SR 500, denn wenn es dieses allein hierzulande von 1978 bis 1999 unglaubliche 38000 Mal verkaufte Motorrad nicht gegeben hätte, wäre jede Zeile über eine seit dem letzten Jahr im offiziellen Programm von Yamaha Deutschland zu findende SR 400 völlig überflüssig. Die „kleine“ SR hätte bei uns schlicht und einfach keine Daseinsberechtigung, denn mager ausgestattete, total untermotorisierte und dabei ziemlich überteuerte Uralt-Technik ist nicht unbedingt das, worauf die deutsche Motorradfahrernation händeringend gewartet hätte.

Yamaha SR400 CockpitDoch es gab ja die SR 500, und für nahezu jeden, der in den 70er oder 80er Jahren seinen Klasse-1-Lappen noch relativ frisch in der Tasche hatte, war die Yamaha SR 500 ein richtig großes und ziemlich erwachsenes Motorrad. Wer nicht selbst irgendwann mal eine besaß, hatte Kumpel, die mit dem „Dampfhammer“ unterwegs waren. Oder kannte zumindest Geschichten, in denen von zerstörten Wadenbeinen die Rede war. Jawoll, die einzylindrige 500-Kubik-Urgewalt – konkret: der Kickstarter – bestrafte jeden, der sich dem Männermotorrad nicht mit dem nötigen Respekt und Fachwissen näherte. Okay, die Wadenbein-Geschichten entpuppten sich irgendwann als eine Variante der Spinne-in-der-Yukkapalme-Story, aber an der Tatsache, dass die SR 500 ein echtes Männermotorrad war, gab es nichts zu deuteln.

Nach 15 Jahren Import-Pause ist die SR nun also zurück. Nicht als Retro-Bike, auch nicht als Neuauflage, sondern so, wie sie seit jeher und nonstop für den japanischen Markt und seine ganz speziellen Führerschein- und Steuerklassen produziert wird: als SR 400 mit exakt 399 cm³ Hubraum. Bei einer unveränderten Bohrung von 87 mm hat der Kolben in der SR 400 nur einen Arbeitsweg von 67,2 mm zurückzulegen, bei der SR 500 betrug die Distanz 84 mm. Ein Unterschied, der dem Betrachter auch beim zweiten Blick garantiert nicht auffallen wird – der Single sieht aus wie immer, lässt sich wie immer nur per Kickstarter zum Leben erwecken, ist mittlerweile aber mit so modernem Teufelszeug wie einer Einspritzanlage und einer Transistorzündung bestückt. Damit hat es sich aber auch schon mit dem neumodischen Kram. Die revolutionären Änderungen der 1984er Modellpflege (18-Zoll-Vorderrad, Sozius-Haltegriff) hat auch die aktuelle SR zu bieten, aber statt der an der SR 500 ab 1992 obligatorischen Vorderrad-Trommelbremse wird die SR 400 vorn wie in der SR-Frühzeit, also via Scheibenbremse verzögert. Die ist nun rechts statt links montiert, aber die (ungenutzten) Bremszangen-Aufnahmen auf der gegenüberliegenden Gabelseite gibt’s erstaunlicherweise immer noch. Etwas andere Spiegel, ein wenig verspielter gezeichnete Instrumente, ein überaus sinnvoller Fersenschutz am Auspuff – damit hat es sich eigentlich schon mit den äußeren Unterschieden.

Yamaha SR400 FrontUm den inneren Werten auf die Spur zu kommen, gilt es erst einmal, das legendäre SR-Anlass-Prozedere hinter sich zu bringen. Legendär vor allem für Nicht-SR-Fahrer und vielleicht auch einige ängstliche SR-Neulinge. Gestandene SR-Eigner haben daraus eigentlich nie einen großen Film gemacht. Wie auch immer, so geht’s garantiert (und praktisch immer auf den ersten Kick): Kickstarter ausklappen, links am Lenker Dekompressionshebel ziehen, Kickstarter so weit durchtreten, dass der Kolben so gerade eben über den oberen Totpunkt geschoben wird, Dekohebel loslassen, Zündung nicht vergessen – und energisch zutreten. Läuft! Und wer die Sache mit der richtigen Kolbenstellung noch nicht im Gefühl hat, wirft gefälligst einen Blick auf das kleine Fenster am rechten Nockenwellendeckel, das mit „KICK INDICATOR“ beschriftet ist und in dem eine silberne Markierung erscheint, wenn alles passt. In der Zeit, in der Sie diese Schilderung des Start-Prozederes gelesen haben, schaffen SR-Kenner übrigens zwei bis drei erfolgreiche Startversuche. Alles kein Hexenwerk. Und das auch nicht bei heißem Motor – den Segnungen der Einspritztechnik sei Dank.

Yamaha SR400 rechtsDer Eintopf läuft also, und nun kommen wir bereits zum ersten Mal zu den eingangs erwähnten trügerischen Nostalgie-Gefühlen. Großvolumiger Single, dazu luftgekühlt – da müsste es gemäß unser Erinnerung doch richtig lecker tönen. Pustekuchen. Da tönt mal rein gar nichts. Was dem blendend verchromten Auspuff entfleucht, klingt ziemlich traurig, vom kernigen Bollern seliger SR 500-Tage ist nichts zu hören. Scheiß Emissionsgrenzwerte, japanische! Nur gut, dass sich der Fahrer die gute Laune nicht verderben lässt, denn in einer fürs Wohlbefinden nicht ganz unwichtigen Sache trügt ihn seine Erinnerung keinesfalls: Stichwort Sitzposition. Die ist herrlich altmodisch, nämlich wunderbar bequem. Mit 780 Millimetern Sitzhöhe kommen Kürzere ganz gut klar, aber auch 1,80-Meter-Menschen sehen auf der SR nicht peinlich aus. Schalter, Armaturen, Instrumente – es ist alles so herrlich einfach und unspektakulär. Braucht an dieser Stelle irgendjemand sieben Fahr-Modi, dazu Navi, Bluetooth, ESA, ASR, RDC, ZDF, VfB? Mit zwölf Litern vollgetankt wiegt die SR 400 überschaubare 174 Kilogramm, gefühlt eher 30 Kilo weniger. Und die lassen sich vom sehr aufrecht sitzenden Fahrer dermaßen leicht um Biegungen aller Art schmeißen, dass sich das eigentlich unsägliche und x-fach überstrapazierte Bild vom „Fahrrad-Handling“ praktisch nicht vermeiden lässt. Natürlich kommt das recht weich abgestimmte Fahrwerk Lichtjahre früher an seine Grenzen als zum Beispiel eine moderne Yamaha vom Schlage einer MT-07. Und natürlich setzten die Fußrasten viel früher auf als bei allen anderen Motorrädern, die nicht gerade zur Kategorie Chopper/Cruiser gehören. Doch hat irgendjemand ernsthaft etwas anderes erwartet? Eben! Ganz abgesehen davon, dass es uns verwöhnten Fahrerassistenzsystem-Junkies vielleicht mal wieder ganz gut tut, auf den Boden der fahrdynamischen Tatsachen zurückgeholt zu werden. Während Mister Hypertech nämlich noch die Bedienungsanleitung studiert und versucht, sein elektronisches Fahrwerk zu konfigurieren, tobt der SR 400-Fahrer bereits breit grinsend über kleinste Landstraßen und weiß dabei sehr genau, dass ihm sein fahrbarer Untersatz auch ohne Elektronik rechtzeitig vermitteln wird, wann man es lieber gut sein lassen sollte.

Yamaha SR400 Fahrt linksStichwort „kleinste Landstraßen“: Ebendieses Umfeld ist für die SR 400 und ihren Fahrer wichtig. Überlebenswichtig! Wer sich mit maximal 23 PS bei 6500/min und 27 Nm bei 3000/min nämlich auf stärker und vor allem schneller befahrenes Terrain traut, wird ernüchtert feststellen, dass sich im Verkehrsgeschehen seit 1978 eine Menge getan hat und dass 8 bzw. (ab 1984) 10 PS Unterschied im Vergleich zu einer SR 500 doch eine ganze Menge ausmachen. Erschwerend kommt hinzu, dass der SR 400-Kurzhuber zwar spürbar kultivierter und dabei drehfreudiger als seine große Schwester agiert, aber leider auch ein deutlich eingeschränkteres nutzbares Drehzahlband bespielen muss. Der Zweiventiler läuft zwar bereits ab 2000/min herrlich rund und nimmt sauber Gas an, doch sobald etwas Ähnliches wie Leistung gefordert ist, muss der Single gnadenlos ausgequetscht werde. Eifriges Drehen und Schalten sind angesagt, denn erst oberhalb von 6000 Touren ist so etwas wie Druck spürbar, aber bei knapp über 7000/min ist damit auch schon wieder Schluss.

Yamaha SR400 BremseWer also als Ü50-jähriger Eher-nur-noch-wenig-Fahrer – womöglich nostalgisch verklärt – meint, mit der Yamaha SR 400 das ideale Exit-Gefährt für den Rest seines überschaubaren Motorradfahrerlebens gefunden zu haben, sei gewarnt: Das geht mit ziemlicher Sicherheit schief! Denn auch wenn allerkleinste und allerkurvigste Landstraßen direkt vor der Haustür lauern, bleibt es nicht aus, dass sich der gemeine Motorradfahrer auch mal auf etwas stärker befahrenen Asphalt verirrt oder sogar einfach nur mal zügig von A nach B kommen möchte. Dafür ist die piekfein verarbeitete SR denkbar ungeeignet. Also, liebe Graubärte: Behaltet eure GS, eure Bandit oder eure XJR oder was immer ihr sonst als Passt-für-alles-Motorrad in der Garage habt. Und kauft euch zusätzlich die SR 400. Dafür findet sich garantiert noch ein Plätzchen im Wohn- oder Schlafzimmer. Und wenn ihr an einem sonnigen Sonntagmorgen etwas Zeit habt, holt ihr das Schätzchen raus und gondelt damit für ein, zwei Stunden durchs Revier. Das entschleunigt, bringt den Puls runter und ist gut fürs Gemüt. Natürlich sind 5795 Euro eine Menge Holz für ein ABS-loses Simpel-Motorrad, aber wer den in Grau oder Schwarz lieferbaren Hingucker als medizinisches Hilfsmittel (Stichwort Kreislauf) und als langfristige Investition für die Gesundheit betrachtet, sieht die Sache vermutlich deutlich entspannter.

Yamaha SR400 Yard buildt

Alternativ lässt sich das maximal knapp 130 km/h schnelle und in rund elf Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigende (ein in diesem Zusammenhang etwas unpassender Begriff …) Dampfhämmerchen auch als das betrachten, als was es Yamaha am liebsten sieht: als ideale Umbaubasis. Alle, die in Haus und Garten schon alles erledigt und auch ansonsten ihre Schäfchen im Trockenen haben, sollten sich mal im weltweiten Netz unter dem Stichwort „Yard Built“ schlau machen – und sich nicht vom megacoolen Hipster- und Hinterhofschrauber-Gehabe abschrecken lassen. Denn das, was einige namhafte Customizer im halboffiziellen Yamaha-Auftrag auf die SR 400-Räder gestellt haben, ist wirklich genaueres Hinschauen wert und zeigt eindrucksvoll, welch dankbare Umbaubasis der Eintopf tatsächlich ist.

Wie auch immer, ob als Zweit- oder Drittmopped oder als nette Beschäftigung für einsame Schrauberstunden: Die Yamaha SR 400 ist ein rundum sympathisches Spielzeug für große Jungs und Mädels. Die allerdings nicht den Fehler machen sollten, sie eins zu eins mit ihren SR 500-Erinnerungen zu verbinden. Die Yamaha mag sich in den letzten 20, 30 Jahren kaum verändert haben. Wir dagegen garantiert!