aus bma 10/96

von Klaus Herder

Diese Nummer läuft genau einmal. Das ist tröstlich. Ich suche bereits seit über fünf Minuten. Und es ist nicht abzusehen, daß ich fündig werde. Das ist weniger tröstlich. Wo zum Teufel steckt dieses verfluchte Zündschloß? Okay, Okay, – japanische Techniker packen das Ding bei Choppern und Cruisern immer Yamaha Royal Star gezielt dahin, wo es bei einem amerikanischen Fabrikat und vermeintlichem Vorbild eher zufällig hängt. Also links unten zwischen den Zylindern. Leider Fehlanzeige. Vielleicht rechts vorn in der Nähe des Lenkkopfs? Wieder nichts. Oder rechts hinten? Warm, wärmer – noch ein klein wenig weiter zurück – ganz heiß. Da ist es! Nicht etwa platt an der Seite, nein, in einer Nische zwischen Schutzblech, Sitzkissen und Rahmen, zehn Zentimeter oberhalb der Soziusfußraste. Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil es typisch ist für ein Motorrad, an dem nichts so ist, wie es Otto Normalmotorradfahrer kennt. Aber ein zweites Mal passiert mir der Auftritt mit dem Zündschloß nicht, ich habe mich daran gewöhnt. Ja, und genau das ist es – fast alles an der Royal Star ist erst einmal verwirrend, aber an fast alles kann man sich sehr schnell gewöhnen. Doch nicht nur das: Fast alles möchte man nach einer gewissen Zeit nicht mehr missen. Doch dazu später mehr.
Zurück zur Startprozedur: Der Choke verwirrt ebenfalls. Er sitzt zur Abwechslung nämlich genau dort, wo ihn viele andere auch haben – links unten, direkt an den Vergasern. Wie langweilig. Choke ziehen, Knopf drücken – vorbei mit der Langeweile, oder anders gesagt: boah ey! Was da aus einer bildschönen Vier-in-vier-Auspuffanlage lospoltert, klingt nach mindestens vier Litern Hubraum und so zirka acht Zylindern. So viele sind es aber nicht ganz. Beim königlichen Stern wird in genau vier Töpfen gekocht und die Gesamtfüllmenge beträgt gerade mal 1294 Kubikzentimeter. Der wassergekühlte Vierventil-Motor ist ein alter Bekannter, er stammt aus der legendären Vmax. Im Musclebike muß er mit rund 100 Kubikzentimetern weniger Hubraum auskommen, darf sich in der offenen Version aber mit 145 PS ordentlich austoben. In der Royal Star traben nur rund die Hälfte der Pferde. Es sind genau 74 PS, die sich bei der rekordverdächtig niedrigen Nenndrehzahl von 4.750 U/min bemühen, 330 kg Lebendgewicht plus Fahrer in Schwung zu bringen.

 

Yamaha Royal StarMehr Hubraum, weniger Leistung – warum ein solches? Wer sich die Modifikationen genauer anschaut, weiß, worauf es die Yamaha-Techniker anlegten. Die Änderungen im einzelnen: geringere Verdichtung, zahmere Steuerzeiten, geringerer Vergaserdurchlaß, kleinere Ventile, kleineres Luftfiltergehäuse. Macht zusammen: mehr Druck aus dem Drehzahlkeller. Das, was andere so gern herbeireden und doch nicht haben, ist bei der Royal Star Wirklichkeit. Bereits ab Standgasdrehzahl nimmt die Fuhre im vierten Gang sauber Gas an. Ist das Innerorts-Limit erreicht, darf es die fünfte und letzte Schaltstufe sein. Und zwar so lange, bis eine rote Ampel oder eine Tankstelle im Wege sind. Geschaltet wird übrigens mit einer Schaltwippe. Das ist nicht neu und auch bei Harley und Guzzi zu finden. Neu ist allerdings, daß eine Schaltwippe auch ohne Nachtreten sauber funktioniert. Nicht, daß das Yamaha-Teil etwas für kleinfüßige Weicheier wäre – auch sie verlangt nach einem selbstbewußten Auftritt – aber das Rühren im Getriebe klappt mit ihr immer auf Anhieb und ohne Hakeln. Zu einer Schaltwippe gehören zwingend Trittbretter. Die hat die Royal Star natürlich auch. Von ihrer Existenz künden sie akustisch in nahezu jeder etwas flotter gefahrenen Kurve durch frühzeitiges Aufsetzen. Macht aber nichts, schließlich sind die Dinger klappbar. Und da ein Mini-Bremspedal unmöglich zu einem Trittbrett paßt, griffen die Yamaha-Techniker ins LKW-Ersatzteilregal und zauberten ein Riesengerät hervor, das zwangsläufig nach Schuhgröße 45 oder mehr verlangt.
Yamaha Royal Star Mit zuviel Schmackes sollte allerdings nicht auf dem Trumm herumgelatscht werden, denn der hintere Einscheiben-Stopper überträgt zwar ordentlich Bremskräfte, neigt aber auch frühzeitig zum Blockieren. Seine ganze Energie darf der Fahrer dafür am Handbremshebel investieren. Die Doppelscheibenbremse im Vorderrrad tut es nämlich erst dann so richtig schön, wenn ihr ordentlich eine gelangt wird – die benötigten Handkräfte sind eindeutig zu hoch. Und sie werden oft benötigt, denn es ist schon mit etwas mehr Aufwand verbunden, wenn knapp sieben Zentner Motorrad verzögert werden müssen. Die Kupplung ist zwar hydraulisch betätigt, verlangt aber ebenfalls nach einer kräftigen Hand. Bremsen und Kuppeln sind aber auch so ziemlich die einzigen Tätigkeiten, die bei der Royal Star etwas mit Anspannung zu tun haben. Der ganz große Rest ist pure Entspannung. Die Sitzposition hat nichts von der Pseudo-Lässigkeit eines Choppers, sie ist hinter dem gigantisch breiten Lenker tatsächlich völlig relaxt. Das Fahrerkissen hat beste Sofa-Qualität, und selbst der Soziusplatz bietet ausreichend Komfort.
Mit 18 Litern Sprit im Tank kommt die Yamaha knapp 300 Kilometer weit. Noch bevor die 3,5 Liter Reserve angegriffen werden müssen, flammt eine Kontrolleuchte auf, und wenn es dann soweit ist, tut ein konventioneller Benzinhahn seinen Dienst.
Der hübsche Tacho im beliebten Küchenuhr-Format ist mittig auf dem Tank plaziert. Einen echten Stilbruch erlaubt sich Yamaha leider beim Kilometerzähler: Er ist als schnöde Digitalanzeige ausgeführt. Das wirkt billig. Der ganze Royal-Star-Rest macht dafür einen umso edleren Eindruck. Die Verarbeitung ist hervorrragend. Schöne Schweißnähte, eine Top-Lackierung, die spitzenmäßige Verchromung – alles paßt. Was am Riesenrad nach Metall aussieht, ist in 99 Prozent der Fälle auch tatsächlich ehern – inklusive Schutzbleche. Einziges Blendwerk sind die Kühlrippen. Die Gußteile sind einfach angeschraubt. Lichthupe und Lichtschalter fehlen. Das ist normal, schließlich geht der Stern überwiegend in den USA auf, und dort sind solche lichttechnischen Einrichtungen an Motorrädern weitgehend unbekannt. Die Griffe sind etwas zu wurstig und nur etwas für Riesen-Pranken, die Rückspiegel tun dafür genau das, was sie sollen. Eine nette Kleinigkeit ist, daß die Yamaha zwar mit getrenntem Zünd- und Lenkschloß leben muß, aber immerhin mit einem Schlüssel für alle Schlösser auskommt. Fahrleistungen? Jawoll, hat sie. Wer es darauf anlegt, bringt den Tacho bis zum Anschlag und der liegt bei 180 km/h. Die ganz große Freude kommt aber nur bis 130 km/h auf, darüber wird´s systembedingt etwas zugig.
Yamaha Royal StarEin nicht ganz unwichtiger Punkt in der Bewertung der Royal Star fehlt noch: das Fahrverhalten. Womit wir wieder bei den einleitenden Worten wären – Stichwort „gewöhnungsbedürftig”. Hinten trägt die Yamaha ein 150er-Gummi im 15 Zoll-Format. Das ist noch einigermaßen normal. Ganz und gar nicht normal ist, daß es das vordere Gummi auf die gleiche Breite bringt. Im Felgendurchmesser ist es gerade ein Zoll mehr. Mit einer solchen Kombination kann ein Motorrad natürlich nicht wie ein junger Gott ums Eck pfeifen. Mit der besagten mäßigen Schräglagenfreiheit erst recht nicht. Doch das Kurvenfahren mit der Royal Star hat durchaus seinen Reiz. Nur hat es rein gar nichts mit einem konventionellen Fahrstil zu tun. Wenn satte 400 Kilogramm Gesamtgewicht unbeirrt durch eine Biegung schieben und dabei erst relativ spät das tun, was der Fahrer von ihnen erwartet, wirkt das am Anfang sehr verwirrend, stellt aber mit der Zeit eine ganz eigene Herausforderung dar, die mancher vielleicht gar nicht mehr missen möchte. Kurz gesagt: Mit der Hälfte Gewicht durch Kurven schwingen kann jeder, mit der Royal Star einen sauberen Strich hinzulegen ist etwas für Fortgeschrittene. Hektische Typen bestraft die Yamaha mit einem flotten Eiertanz, in sich ruhende und abgeklärte Charaktere werden sich mit der Kardanmaschine ganz sicher arrangieren.
Um es kurz zu machen: die Royal Star ist der ideale Untersatz für alle, denen Tourer zu langweilig, Chopper zu gewöhnlich und 24.500 Mark für ein Motorrad nicht zuviel Geld sind. Sound, Elastizität und Verarbeitung sind hervorragend, an den Rest kann man sich gewöhnen.