aus bma 05/05

von Klaus Herder

Yamaha MT 01Schade eigentlich. Sie werden nie mehr die Sonne sehen. Oder zumindest nur sehr kurzfristig. Nämlich genau dann, wenn Sie die A7 an den Abfahrten Waltershof und Othmarschen kurz verlassen, um blitzschnell zu wenden. Dazwischen liegen 3100 Meter Kunstlicht. Und zwei bis drei Minuten Wahnsinn, denn nichts klingt (legal!) geiler als eine im zweiten Gang bewegte Yamaha MT-01 im Elbtunnel. Gas kurz auf, Gas kurz zu – Sie werden süchtig danach. Garantiert. Für die Anfahrt aus dem bma-Verbreitungsgebiet empfiehlt sich eine Route, die den Kanaltunnel bei Rendsburg und den Hamburger Kronstiegtunnel berücksichtigt. Wundern Sie sich auf der Tunnel-Tour bitte nicht darüber, wenn Sie ein Yamaha-Vmax-Fahrer an der Ampel nicht eines Blickes würdigt. Der Junge hat Sie durchaus gesehen. Und eben das ist sein Problem, denn er weiß nur zu genau, daß seine Zeit abgelaufen ist. Okay, sein Oldie hat mehr PS, aber das war’s auch schon. Ihre MT klingt böser, drückt mehr Newtonmeter und sieht fetter aus. Es gibt einen neuen Chef im Musclebike-Ring. Und der heißt ganz klar Yamaha MT-01.
Ausgerechnet Yamaha! Nie so sportlich wie Kawasaki. Nie so technisch wie Honda. Und nie so sympathisch prollig wie Suzuki. Yamaha – der Gutmensch unter den japanischen Motorradherstellern. XJ, XT – Hauptsache, immer schön vernünftig und zuverlässig. Und dann das: 1999, 33. Tokyo Motor Show, Yamaha-Stand. MT-01 heißt der Dino bereits. Aber es ist eine Studie. Motor der 1600er-Wild Star (63 PS, nun ja), Monofederbein links seitlich vom V-Zweizylinder. Das Gerät begeistert Besucher und Fachpresse, aber Szene-Kenner sind sich einig, daß die MT – wenn überhaupt jemals – nur in stark verwässerter Form kommen wird. Die Pessimisten sehen sich Mitte 2001 bestätigt, denn Yamaha präsentiert die BT 1100, den Soft-Streetfighter für den Verwaltungsfachangestellten, quasi den Patrick Lindner unter den bösen Jungs. Formale Anklänge an die MT-01 sind mit etwas gutem Willen zu ahnen, mehr aber auch nicht.

 

Yamaha MT 01 Derweil kehren so geniale Teile wie Sachs Beast und Suzuki B-King in die ewigen Konzeptstudien-Jagdgründe ein. MT-01? Wohl auch vergessen. Oder auch nicht, denn auf der Münchener Intermot 2004 ist sie plötzlich wieder da. Und zwar als Serienmaschine für 2005. Der luftgekühlte V-Zweizylinder kommt noch üppiger. Die Organspenderin heißt jetzt Road Star Warrior statt Wild Star, 1670 anstelle von 1602 ccm mißt der amtliche Hubraum. Aus 86 Warrior-PS zaubern die Yamaha-Techniker mit Hilfe komplett neuer Kennfelder für Zündung und Einspritzung 90 MT-PS. Klingt nicht sehr eindrucksvoll? Na gut, lieber Leser. Wir kommen zum Thema Drehmoment. Bitte anschnallen und das Rauchen einstellen: Ab 1200 U/min liegen mindestens 100 Nm an. Zwischen 2000 und 5000 Touren sind immer über 130 Nm angesagt. Bei Tempo 160 rotiert die Kurbelwelle nur 3750 Mal in der Minute und wuchtet bei dieser Gelegenheit das Maximum von 150 Nm. Noch Fragen? Für die Nicht-Maschinenbauer unter den Lesern noch diese kleine Randbemerkung: Die MT-01 hat bei Leerlaufdrehzahl in etwa soviel Druck, wie die supersportlichsten der Supersportler bei der achtfachen Drehzahl. In der Praxis wirkt sich das so aus, als wenn bereits kurz nach dem Einkuppeln eine flott geschwungene Abrissbirne ins Heck kracht. Also ziemlich beeindruckend. Ob die Fuhre nun 86, 90 oder 107,32 PS hat, interessiert in solchen Momenten absolut niemanden. Das Fünfganggetriebe ist purer Luxus, zwei Gänge hätten es auch getan.
Die Yamaha-Weißkittel sind mächtig stolz darauf, daß sie rund 90 Prozent aller relevanten Motoren-Bauteile komplett ersetzt oder zumindest stark überarbeitet haben. Um satte 20 Kilogramm konnten sie den Sehr-Langhuber (Bohrung 97 mm, Hub 113 mm) abspecken. Der mit 8,4:1 recht niedrig verdichtete, mit zwei untenliegenden Nockenwellen und wartungsfreien Hydrostößeln bestückte Landmaschinen-Antrieb bringt aber immer noch stattliche 105 Kilogramm auf die Waage. Ein paar Gimmicks legten die Techniker obendrauf. Kurz nach der Zusammenführung der beiden gigantischen Edelstahlkrümmer sorgt nun eine drehzahlabhängige Auslaßsteuerung im Auspuffsammler für passende Druckverhältnisse – Stichwort „Exup-System”. Was bislang den großen Yamaha-Vierzylinder-Sportlern vorbehalten war, bringt nun erstmalig bei einem Twin mehr Drehmoment im unteren und mittleren Drehzahlbereich. Und das mit gigantischem Erfolg – siehe oben. Einen oberen Drehzahlbereich gibt es bei der MT-01 übrigens gar nicht. Die wunderbare Mischung aus Küchenuhr und Maschinentelegraf, die über dem Totenkopf-Scheinwerfer thront, ist im Hauptjob der analog anzeigende Drehzahlmesser (Tempo, Kilometer und Uhrzeit gibt’s digital als Mini-Anzeige). Und dessen roter Bereich fängt bei 5500 an. Das ist ein Wert, den manches Turnschuh-Bike beim Einkuppeln braucht.
Yamaha MT 01 Stichwort Einkuppeln: Für die dringend anzuratende MT-01-Probefahrt (Bitte 13295 Euro in kleinen Scheinen mitbringen. Sie werden sie garantiert ausgeben wollen) empfehlen wir Ihnen eine kleine Übung, die alles über den MT-01-Charakter verrät. Lassen die den Motor einfach mit niedrigster Standgasdrehzahl werkeln. Ziehen Sie bitte am verstellbaren und mit angemessenem Kraftaufwand zu betätigenden Kupplungshebel. Drehen Sie NICHT am Gasgriff. Kuppeln Sie langsam ein. Drehen Sie bitte immer noch NICHT am Gasgriff, nehmen Sie vielleicht sogar die rechte Hand vom Lenker. Die mit 15 Litern vollgetankt immerhin 267 Kilogramm schwere MT-01 schiebt einfach an. Sie rollt völlig locker los und nimmt entspannt Fahrt auf. Das ist keine Yamaha. Das ist ein Lanz! MT steht übrigens für „Mega Torque”, auf Deutsch in etwa „Über-Drehmoment”. Nach dieser kleinen, netten Anfahrübung wissen Sie, wie das gemeint ist. Wer dann doch lieber sehr aktiv am Gasgriff arbeitet und den Hahn richtig spannt, schafft es, die Fuhre in deutlich unter vier Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 zu bringen. Und wer es unbedingt braucht: Yamaha gibt eine Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h an. Was mindestens genauso uninteressant wie die tatsächliche Leistung ist. Sie wissen schon: Mega Torque.
Zu Vmax-Zeiten steckte ein Über-Motor in einem Unter-Fahrwerk, das bestenfalls die Funktion hatte, Befestigungspunkte für Sitzbank und Seitenständer zu bieten. Ohne kräftige Nacharbeit war die Fuhre ein unsäglicher Schweineeimer. Ganz anders beim flotten MT-Mix. Hier gibt’s ab Werk allerfeinste und vor allem stabile Rahmenbedingungen. Wer am MT-Rückgrat Schweißnähte sucht, wird nicht fündig werden. Der Aluminium-Brückenrahmen ist nämlich eine ziemlich clevere Konstruktion aus zwei Gußteilen, die sich schon in diversen Yamaha-Sportlern bewährt hat. Am Lenkkopf und im Bereich der Schwingenlagerung sind die Rahmenhälften miteinander verschraubt. Ein zweiteiliger, ebenfalls verschraubter Unterzug aus Aluguß sorgt für zusätzliche Stabilität. Das ganze Gebälk bringt es auf 17 Kilogramm. Nette Info am Rande: Allein die MT-Kurbelwelle wiegt zwei Kilo mehr. Im Unterschied zur 1999er-Studie sitzt das Federbein nicht mehr links neben dem Motor, sondern ist jetzt liegend unter dem Getriebe verbaut und über eine Hebelumlenkung mit der Schwinge (mit wichtigen Unterzügen) verbunden. Das mit einem Ausgleichsbehälter bestückte Federbein ist ebenso voll einstellbar wie die üppig dimensionierte Upside- down-Gabel. Die tut übrigens in sehr ähnlicher Ausführung auch in der R1 Dienst, was auch für die radial verschraubten, einteiligen Vierkolbensättel der Vorderradbremse gilt. Fällt Ihnen etwas auf? Genau, der Dino-Antrieb steckt in einem reinrassigen Supersportler-Fahrwerk, die fetten Metzeler ME Z4-Gummis (120/70 ZR 17 vorn, 190/50 ZR 17 hinten) passen da bestens ins Bild.
Yamaha MT 01 Was allerdings und glücklicherweise ganz und gar nicht supersportlich ausfällt, ist die Sitzposition auf der MT-01. Beim Erstkontakt muß man sich aber schon etwas überwinden, locker aufzusatteln, denn im Stand flößt das Urviech schon mächtig Respekt ein. Ich riskiere an dieser Stelle wieder böse Leserbriefe von der Zwergen-Fraktion (Ja, man kann auch mit Einsfünfzig ganz prima Reise-Enduro fahren. Ich hab’s kapiert…), aber es muß gesagt werden: Für Menschen unter mindestens 1,75, besser 1,80 Meter Gesamtlänge gibt es vielleicht noch bessere Motorräder als ausgerechnet die MT-01. 810 mm Sitzhöhe sind zwar nicht sooo hoch, aber die Sitzbank ist recht breit, und der leicht vornübergebeugt untergebrachte MT-Treiber muß die Beine relativ weit spreizen. Der winzige Soziusplatz hat bestenfallls Alibi-Funktion, ist aber trotzdem unverzichtbar, denn nur so konnte es zu den genialen, nahezu unsichtbar montierten Soziusrasten kommen. Die klappen mit einer fast schon erregenden Rastung ein und aus. Klingt albern? Probieren Sie es aus. Alles, was sich an der MT-01 drücken, schieben, ein- und ausklappen oder sonstwie betätigen läßt, funktioniert in einer Perfektion, die Maschinenbau-Gourmets mit der Zunge schnalzen läßt. Die Verarbeitungsqualität ist hervorragend, selbst kleine Details sind unglaublich liebevoll ausgeführt. Ich habe es schon erwähnt: Es wird Ihnen nicht wirklich weh tun, über 13 Steine dafür abzudrücken. Welches Motorrad kann Ihnen sonst schon einen Lüfter unter der Sitzbank bieten? Richtig gelesen. Die beiden Megaphon-Schalldämpfer stecken zwar in isolierenden Kunststoffhüllen, aber wenn’s ganz heiß her geht, sorgt ein Lüfterrad unter der Sitzbank für zusätzliche Kühlung. Funktioniert prima, wärmer als gut handwarm wird’s in Nähe der Titan-Tüten eigentlich nie.
Für die Leser, die nicht in unmittelbarer Tunnelnähe wohnen, ist es vielleicht auch ganz interessant zu erfahren, wie sich die MT-01 in freier, nicht überdachter Wildbahn benimmt. Kurz gesagt: völlig problemlos. Vorausgesetzt allerdings, man stellt nicht allzu hohe Komfortansprüche. Während die Gabel nämlich noch recht sensibel agiert, ist das Federbein ein ziemlich harter Hund. Das hat allerdings den Vorteil, daß sich die überraschend handliche MT-01 auf gutem Geläuf praktisch nie aus der Ruhe bringen läßt. Da rührt nichts, die Fuhre pfeilt genau da hin, wo man sie haben will – Sie wissen schon: Sportler-Fahrwerk, Sportler-Bremsen. Strecken, auf denen der Winter oder der Schwerlastverkehr deutliche Narben hinterlassen haben, mag die Yamaha nicht so gern, dann wird sie bockig. Man sollte solche Wege eigentlich nur dann nehmen, wenn sie auf direktem Weg zu einem Tunnel führen.