aus bma 06/98

von Bernhard Hübner

Die meisten Motorradhersteller haben gleich mehrere Eisen im Feuer, um den Mitbewerbern nicht allzuviel Terrain in den unterschiedlichen Fahrzeug-Kategorien zu überlassen. Jede noch so kleine Lücke wird unverzüglich besetzt. Trotzdem ist es Suzuki mit der GSF 600 S Bandit gelungen, über Jahre hinweg als Yamaha FZS 600 Fazer einziger japanischer Anbieter ein überaus erfolgreiches Allroundfahrzeug im Segment der Mittel-klasse-Sporttourer zu plazieren. Doch in Zukunft werden sich wohl Honda mit der Hornet und Yamaha mit der FZS 600 Fazer eine gehörige Portion von diesem Kuchen abschneiden. Das Ziel der Yamaha-Techniker war klar: Man hatte die Lücke zwischen dem biederen XJ 600 Tourer und der sportlichen YZF 600 erkannt, die es schleunigst mit einem sportlichen und tourentauglichen Gerät zu besetzen galt. Das Ergebnis dieser Überlegungen hört auf den Namen Fazer. Im Gegensatz zu den meisten Neuheiten des 98er Jahrganges, die vielfach so neu gar nicht sind, sondern nur mehr oder weniger modellgepflegt daherkommen, handelt es sich bei der Yamaha FZS 600 Fazer tatsächlich um einen Neuling, wenn auch mit einigen bereits in anderen Modellen der gleichen Marke erprobten Teilen, wie dem aus der YZF 600 R Thundercat bekannten Motor oder deren Lenkerarmaturen.
Das Herz der Fazer, der 599 ccm-Reihenvierzylinder, mußte einige Änderungen über sich ergehen lassen, um dem neuen Einsatzzweck gerecht zu werden. Eine Reduzierung der Zylinderneigung von 35° auf 25° wurde nötig, damit das Triebwerk in den neu konstruierten Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen hineinpaßt. Das wiederum erforderte einen völlig neuen Zylinderkopf, denn für die Fallstromvergaser aus der Thundercat war nun kein Platz mehr. Der von 36 auf 33 mm zurückgenommene Vergaserdurchschnitt sowie der Drosselklappensensor und geänderte Steuerzeiten sorgen für einen kräftigen Durchzug aus dem Drehzahlkeller heraus. Im Vergleich hinterläßt das Fazer-Kraftwerk einen wesentlich kultivierteren Eindruck als das im unteren Drehzahlbereich ziemlich rauh laufende Ausgangsprodukt, der Thundercat-Antrieb. Unterm Strich produziert der Motor zwar „nur” 95 PS (70 kW) und damit 3 PS weniger als der Thundercat-Motor, erfreut dafür aber mit einem sehr breiten nutzbaren Drahzahlband. Unverändert wurde das leicht zu schaltende Sechsganggetriebe übernommen.

 

Yamaha FZS 600 Fazer Die Yamaha erfordert vom Fahrer keine Eingewöhnungszeit. Lenker und Fußrasten sind selbst für unterschiedlich große Piloten goldrichtig plaziert, der vierfach verstellbare Bremshebel ist heutzutage Standard. Beinahe aufrecht thront der Fahrer in seiner nur 790 Millimeter hohen Sitzmulde. Die entspannte Sitzhaltung macht die Fazer zu einer Fahrmaschine par excellence.
Schaltfaulheit wird belohnt. Bereits bei 3000 U/min werden genügend Pferdchen produziert, um im 6. Gang im Ortsverkehr flott mitzuschwimmen und bei Bedarf am Ortsausgangsschild alles hinter sich zu lassen. Zügigere Fahrweise erfordert allenfalls einen Tritt nach unten. Richtig munter wird die Fazer, sobald die Nadel des Drehzahlmessers die 7000er-Marke überschreitet. Übrigens, im Zuge der Grundinspektion wurde das werksseitig aufgefüllte Motoröl SAE 20 W 40 gegen 10 W 40 ausgetauscht, was laut Yamaha-Vertragshändler geräuschärmere Schaltvorgänge zur Folge haben sollte. Mit Erfolg.
Die Landstraße mit flotten Kurvenkombinationen ist in erster Linie das Element, in dem sich der Fahrer mit seiner Fazer heimisch fühlt. Präzise und ohne jeglichen Kraftaufwand läßt sich das Motorrad um die Kehren zirkeln, wobei Kurskorrekturen keine Hürde darstellen. Unvorhergesehene Hindernisse wie Pferdeäpfel oder Gullydeckel auf der Ideallinie verlieren so ihren Schrecken. Kippeliges Fahrverhalten sowie ein Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage sind der Fazer fremd.
Yamaha FZS 600 Fazer Auch die flotte Autobahnfahrt mit über Tempo 200 bringt das Fahrwerk nicht aus der Ruhe. Nichts wackelt, nie kommt ein Gefühl von Unsicherheit auf. Die Zusammenstellung der Fahrwerkskomponenten darf somit als völlig gelungen bezeichnet werden. Die mit 41 mm Standrohrdurchmesser ausreichend bemesseneTeleskopgabel ist nicht einstellbar, während das hintere Zentralfederbein eine neunfache Verstellmöglichkeit der Federvorspannung bietet. 120 mm Federweg vorne wie hinten bilden einen gelungenen Kompromiß zwischen Sportlichkeit und Fahrkomfort. Allenfalls auf stark holperigen Streckenabschnitten kommt der Wunsch nach etwas mehr Federung auf. Anstelle von überdimensionierten Modeschlappen hat man sich in Japan bei der Bereifung zurückgehalten und Gummis der Größe 110/70-ZR17 vorne und 160/60-ZR17 hinten montiert. Der als Erstbereifung aufgezogene Dunlop D 207 gilt allgemein als erste Wahl, während sich die ebenfalls werksseitig montierten Bridgestone BT57 vergleichsweise negativ auf das Fahrverhalten in Kurven auswirken sollen. Wir werden das demnächst noch überprüfen. Die kleine Plastikverschalung schützt Hände und Helmbereich nur zum Teil, während die Knie komplett im Fahrtwind liegen. Die Fazer trägt halt nur ein Sommerkleidchen. Richtig vorteilhaft wirkt sich die Verkleidung erst jenseits von Tempo 140 aus. Bis etwa 200 km/h wird der gröbste Winddruck vom Fahrer ferngehalten, bei höherer Geschwindigkeit empfiehlt es sich, in Kauerstellung zu gehen.
Die direkt an der Verkleidung montierten Spiegel sehen zwar aus wie abstehende Ohren, ermöglichen aber einen recht ordentlichen Rückblick, wenngleich die Oberarme einen Teil des Sichtfeldes einnehmen.
Ein besonderes Sahnestück ist die auch im Supersportler YZF-R1 verbaute vordere Vierkolben-Bremsanlage mit ihren zwei 298mm-Scheiben. Bremswirkung und Dosierbarkeit sind perfekt. Der hinteren 245mm-Scheibe, verzögert von einer Doppelkolben-Zange, kommt nicht mehr als eine unterstützende Funktion zu.
Yamaha FZS 600 Fazer An der Ausstattung wurde nicht gespart. Hauptständer (spielend leicht aufzubocken) und ein großzügig dimensioniertes, aber leider nicht ganz wasserdichtes Ablagefach unter der Sitzbank, welches einen kompletten Satz Regenbekleidung faßt, sind serienmäßig vorhanden. Ebenfalls serienmäßig die Benzinuhr im Cockpit, die den Benzinhahn überflüssig macht.
Zu mäkeln muß es natürlich auch etwas geben. Im Fall der Fazer beschränken sich die Kritikpunkte allerdings auf den völlig unzureichenden Kettenschutz und die etwas ungewöhnliche Fernlichtausbeute. Dem permanenten Abblendlicht des linken Scheinwerfers wird einfach der rechte Fernlichtscheinwerfer zugeschaltet, wobei die unterschiedlich starken Lichtkegel den Eindruck eines schwachen Fernlichts erwecken. Den Soziusplatz sollte man lieber nur als Notsitz betrachten, er ist jedoch bestens geeignet für die Gepäckunterbringung. Die hoch angebrachten Soziusfußrasten eignen sich dabei hervorragend für die Befestigung von Gepäckgummis.
Das ganze Motorrad ist sauber verarbeitet, nichts an der Fazer wirkt billig. Aluminium-Kastenprofilschwinge und EdelstahlEndschalldämpfer (nicht etwa mit Zierblende versehen) gehören zu den edlen Anbauteilen. An Kleinigkeiten wie Gabeldichtring-Protektoren wurde ebenso gedacht wie an Gepäckhaken unter der Sitzbank. Alles wirkt aufgeräumt, von Improvisation oder Notlösungen keine Spur. Und das Ventilspiel muß nun erstmals auch bei einem Vierventiler aus dem Hause Yamaha erst nach 42.000 Kilometern kontrolliert werden. Diese langen Intervalle, bisher den Fünfventil-Motoren vorbehalten, lassen auf günstige Inspektionskosten hoffen.
Wie auch eine Reihe anderer Modelle ist die Fazer nach der Euro 1-Schadstoffnorm eingestuft. Damit kann in einigen Bundesländern eine Ozonplakette beantragt werden. Als eines der ersten Motorräder überhaupt ist die Fazer übrigensvöllig legal ohne die bisher in Deutschland obligatorische Schutzblechverlängerung unterwegs.
Wer möchte, kann sein gutes Stück mit Teilen aus dem Yamaha-Zubehör-Katalog wie Gepäckträger, Alarmanlage, Bügelschloß oder Bugspoiler „vervollständigen”.
18 Liter Tankvolumen und ein sparsamer Umgang mit dem Benzin setzen dem Fahrspaß kein vorzeitiges Ende. Etwa fünf Liter Normalbenzin genehmigt sich die Yamaha bei Landstraßentempo und ermöglicht so eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern.
Mit der Einführung der FZS 600 Fazer hat Yamaha ein goldenes Händchen bewiesen. Das Konzept des vielseitigen Hochleistungssportlers wird sicher viele Anhänger finden, zumal der Preis von 12.500 Mark, gemessen an dem Gegenwert, sehr günstig ausfällt.