aus bma 4/11 – Fahrbericht

von Klaus Herder

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010Unter den Blinden ist der Einäugige König. Und der Blinde heißt in dieser Geschichte Yamaha. Eine Motorradmarke, die sich in den 80er Jahren mit Honda um Platz eins der Bestenliste balgte, die Legenden wie die XT 500 oder die Vmax auf zwei Räder stellte – und eine Motorradmarke, die 2010 abgeschlagen auf dem vierten und letzten Japaner-Platz der deutschen Zulassungs-Hitparade landete und mit 8385 Exemplaren im ganzen Jahr gerade mal 618 Motorräder mehr als Harley-Davidson unters Volk bringen konnte. Yamaha als Marke ist zur Zeit leider ein ziemliches Trauerspiel. Die echten Neuheiten-Knaller fehlen, mit dem vermeintlichen Hoffnungsträger Super Ténéré fährt man dem Platzhirsch BMW R 1200 GS verkaufsmäßig gnadenlos hinterher, und Yamaha ist mittlerweile schon so weit, dass in der Presse-Information zum Jahrgang 2011 als Neuheiten-Highlight herausgestellt wird, dass bestimmte Modelle jetzt auch ohne ABS zu bekommen sind.

In den Top 20 der 2010er Modell-Hitliste sind noch zwei Yamaha-Modelle vertreten. Vierter Platz: XJ 6 mit 2141 neu zugelassenen Exemplaren. Und Platz 17 für die FZ1 Fazer, die es mit 1010 Stück als letztes Motorradmodell in Deutschland auf eine vierstellige Zulassungszahl brachte. Womit wir beim besagten Einäugigen wären, denn die absoluten Yamaha-Zulassungszahlen sind bitter, im haus­internen Ranking ist die große Fazer aber das zweitbestverkaufte Modell. Eine Suzuki Bandit 1250 verkauft sich mehr als doppelt so oft, die Kawasaki Z 1000 ist ebenfalls erfolgreicher, aber vielleicht ist das markenübergreifend zu erkennende Bestreben, das Profil einzelner Modelle deutlicher zu schärfen, genau das Pfund mit dem die Yamaha FZ1 Fazer zukünftig wuchern kann.

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010Verdient hätte sie es, denn die 2006 präsentierte Halbverschalte ist sich immer treu geblieben. Eine „eierlegende Wollmilchsau“, also das nette, pflegeleichte und von jeder Torfnase kinderleicht zu bedienende Schätzchen war die Fazer-Zweitauflage nie. Ihre – vorsichtig formuliert – etwas spitze und gewöhnungsbedürftige Leistungscharakteristik war es, die ihr anfangs viel Kritik bescherte und die Verkaufszahlen übersichtlich hielt. Unten herum wenig, in der Mitte nicht viel, oben alles – damit ist nicht das Fazer-Verkleidungskonzept gemeint, es geht um die Leistungsentfaltung des Vierzylinder-Reihenmotors. Um es noch kürzer zu sagen: Die Fazer ist eine gnadenlose Drehorgel, was der Hersteller – zumindest zwischen den Zeilen – auch überhaupt nicht verschweigt. Der Yamaha-Onlineauftritt bringt es auf den Punkt: „Ein Supersport-Motor in alltagstauglicher Verpackung.“ Besagter Motor entstammt der 2005er-Ausgabe des Yamaha-Supersportlers R1. Erhöhung der Schwungmasse, Reduzierung der Verdichtung, neue Nockenwellen mit geänderten Steuerzeiten, eine geänderte Übersetzung, ein neuer Auspuff – das bescherte dem Viererpack zwar eine Leistungsreduzierung von 172 auf 150 PS, machte aus einem Rennpferd aber nun mal keinen Ackergaul.

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010Wer aber weiß, auf was er sich einlässt, kann mit der Fazer weit ab vom Sporttourer-Mainstream viel Spaß haben. Zumindest eine Vorahnung dessen, was da kommen mag, sollte man eigentlich schon bei der ersten Sitzprobe bekommen. Die kaum gekröpfte Lenkstange macht breite Schultern und sorgt für eine relativ aufrechte und dabei doch ziemlich vorderradorientierte Sitzposition. Der kurze, aber sehr breite 18-Liter-Tank und die massiven Rahmenprofile sorgen für mächtig gespreizte Beine, die hoch montierten Fußrasten verstärken den anfangs ungewohnten Spagat zusätzlich. „Angriffslustig“ beschreibt die Unterbringung vielleicht am besten, der wie auf einem Streetfighter sitzende Fahrer ist allzeit bereit, den Stier bei den Hörnern zu packen. Bei aller Dynamik ist der Arbeitsplatz durchaus vernünftig geraten. Das fängt beim übersichtlichen Cockpit an, geht beim fünffach verstellbaren Bremshebel weiter und hört bei den perfekte Rücksicht bietenden Spiegeln sowie der lang­strecken- und soziustauglichen, mit soliden Haltegriffen bestückten Sitzbank noch nicht auf. Sehr gutes Abblend- und Fernlicht, ein serienmäßiger Hauptständer, sehr ordentliche Verarbeitung an allen Ecken und Enden – das bereits erwähnte Yamaha-Versprechen „… in alltagstauglicher Verpackung“ wird souverän eingelöst.

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010 CockpitDoch der Werbeaussage stand doch noch etwas voran: „Ein Supersport-Motor…“ lauteten die einleitenden Worte. Genau daran wird der Fahrer bereits beim ersten Griff zum leider nicht verstellbaren Kupplungshebel erinnert, denn die ganze Sache ist nur mäßig dosierbar, der Einrückpunkt versteckt sich wirksam, und die einzige Chance, die mit vollgetankt 229 Kilogramm für ihre Klasse erfreulich leichte Fuhre in Bewegung zu setzen, liegt daran, der Fazer bereits beim Einkuppeln etwas mehr Gas zu gönnen. Mit dem Grundsatz „immer etwas mehr Gas“ fährt man mit der FZ1 Fazer ohnehin besser, denn zwischen 2500 und 3000/min klafft bereits das erste Leistungsloch, welches mit beherztem Gasgriffeinsatz überwunden werden will.

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010 HauptständerDie Yamaha belohnt die ersten beherzten Gasstöße mit kehligem Grollen und einem Sound, der Lust auf mehr macht. Das gibt es, doch bis dahin benötigt der Fazer-Treiber noch etwas Geduld, denn auch oberhalb von 4000/min dümpelt der Fünfventiler eher lustlos durchs Drehzahlband. Sicher, für halbwegs landstraßengemäße Gangart reicht das schon, doch für eine 1000er ist der Druck in diesen Bereichen etwas kläglich. Also rasch an der Kordel gezogen, gegebenenfalls etwas im völlig unauffälligen Sechsganggetriebe gesteppt – und schon geht die Post sehr, sehr mächtig ab. In Zahlen ausgedrückt: Erst oberhalb von 7000/min brennt die Luft. Dann allerdings gewaltig, und der fette Schub hält nonstop bis zum Limit bei 11500 Touren an. Von „samtiger Leistungsentfaltung“, von „kultivierter Charakteristik“ kann in diesen Regionen keine Rede mehr sein, der nur mäßig domestizierte R1-Motor reagiert bei höheren Drehzahlen hart und ungestüm auf Befehle der Gashand. Rotzfrech und ungehobelt reißt der Kurzhuber an. „Los, du Sau – besorg’s mir!“ scheint der Vierzylinder zu brüllen und belohnt die harte Gas-Hand mit unbändiger Drehfreude und heftigster Leistungsabgabe. Wer das Biest artgerecht bedient, sprintet in 3,6 Sekunden aus dem Stand aufs Landstraßenlimit und erreicht mit maximal 252 km/h einen Bereich, in dem sich nicht mehr allzu viele Sporttourer tummeln.

Yamaha FZ1 Fazer Modell 2010Über das Für und Wider einer solchen Leistungs-Charakteristik zu diskutieren, ist müßig. Einem Speed Metal-Fan zu erklären, dass im Bluesrock viel schönere Harmonien zu hören sind, wäre ähnlich sinnvoll. Man mag es – oder eben auch nicht. Entscheidender und durchaus diskussionswürdig ist die Frage, ob diese Motorcharakteristik in ein stimmiges Gesamtkonzept eingebunden ist. Klare Antwort: ein eindeutiges Ja. Das sehr direkte Lenkgefühl, die straffe Federungsabstimmung, der hervorragende Geradeauslauf und die bei aller Stabilität erfreulich gute Handlichkeit passen bestens zum munteren Wesen der Fazer. Die Vierkolben-Festsättel beißen heftig und dabei fein dosierbar in die 320-mm-Bremsscheiben, das serienmäßige ABS regelt zwar nicht superfein, aber durchaus ordentlich.

Die Fazer mag keine Landstraßen dritter Ordnung, auf löchrigem Belag haben die voll einstellbare Upside-down-Gabel und das in Federbasis und Zugstufendämpfung verstellbare Federbein keine Lust mehr auf souveräne Führung, dann ist Trampeln angesagt. Völlig zu Recht, denn die FZ1 Fazer will gar nicht der lockere Gleiter und Über-alles-hinweg-Bügler sein. Wofür gibt es schließlich Enduros? Eben. Auf ebenem Geläuf spielt die Yamaha dagegen ihre ganze Stärke aus, sie ist der perfekte Untersatz für alle altgedienten Ex-Heizer, die immer noch gern die Brause ganz weit aufdrehen, mittlerweile aber „Rücken“ haben und/ oder eine Sozia, die auf die alten Tage keine Lust mehr hat, sich auf Supersportler-Notsitzen einzuklinken. Wer den aus den Tiefen des Drehzahlkellers lässig durchziehenden Allrounder haben möch­te, würde mit der FZ1 Fazer garantiert falsch kaufen und wäre mit einer 1250er Bandit besser bedient. Doch wer den Arai immer noch nicht gegen den Klapphelm getauscht hat, wer immer noch Leder statt Gore-Tex trägt und wer Bluetooth und Navis auf dem Motorrad für Teufelszeug hält, bekommt für faire 11.495 Euro den perfekten Untersatz, mit dem man auch als Gaskranker in Würde alt werden kann. Die demographische Entwicklung spielt der FZ1 Fazer eigentlich in die Hand: Die Motorradfahrer werden immer älter. Was aber nicht zwangsläufig heißen muss, dass sie auch vernünftiger werden. Die große Fazer ist ein herrlich un­vernünftiges Vernunftmotorrad, und vielleicht kann sie mit ihrer kompromisslosen Art auch weiterhin mit dafür sorgen, dass Yamaha endlich wieder dahin kommt, wo diese traditionsreiche Marke hingehört. Nämlich viel weiter nach oben.