aus bma 2/13
von Klaus Herder

Yamaha FJR 1300 A Modell 2013Mal angenommen, Sie stehen mit ihrer voll beladen rund acht Zentner schweren Sporttourer-Wuchtbrumme mutterseelenallein irgendwo mitten in der Walachei und vor der durchaus sportlichen Herausforderung, die ganze Sache in eine möglichst aufrechte Parkposition zu bringen. Was wird Sie in dieser Situation wohl mehr interessieren. A: Dass die Fuhre einen total neuen, im Windkanal entwickelten und sensationelle 375 Gramm leichteren Heckbürzel hat? B: Dass das gute Stück einen neuen, mit verbessertem Hebelarm versehenen Hauptständer besitzt, mit dem Sie beim Aufbocken rund 30 Prozent weniger Kraft als bisher benötigten? Eben.

Dieses kleine Beispiel aus der Vielfahrer-Praxis zeigt exemplarisch, was es mit der „neuen“ Yamaha FJR 1300 des Modelljahrs 2013 auf sich hat: Auf den ersten Blick sieht der Sporttourer eigentlich fast so aus wie immer. Auf den zweiten Blick, nämlich beim Blick in die technischen Daten, entdeckt man, dass sich auch in Sachen Leistung und Drehmoment wenig getan hat. Und vermeintliche Technik-Gourmets werden sich darüber mokieren, dass die FJR 1300 auch weiterhin mit einem Fünfganggetriebe bestückt sein wird, wo doch angeblich allein die Sechsgang-Schaltbox der aktuelle Stand der Technik sein soll. Wer sich der FJR 1300 also etwas oberflächlich nähert und ohnehin zu der Sorte Motorradfahrer gehört, die am Stammtisch gern mit der Meute der selbst ernannten Motorrad­experten heult, für den mag die jüngste Auflage des Sporttourers eine kleine bis mittelgroße Enttäuschung sein. Wer der Yamaha und ihren Entwicklern allerdings die Chance gibt, zu zeigen, was es mit der Modellüberarbeitung wirklich auf sich hat, wird recht schnell merken, dass da ein sehr gutes Motorrad noch deutlich besser geworden ist. Und das ganz ohne revolutionäre Neukonzeption, einfach nur durch konsequente Modellpflege – das eingangs erwähnte Hauptständer-Beispiel ist nur eine von vielen Maßnahmen.

Yamaha FJR 1300 A Modell 2013Um zu verstehen, was es mit der FJR 1300 überhaupt auf sich hat, hilft aber erst einmal etwas Historie: 2001 war es, als sich die FJR 1300 anschickte, das bis dahin etwas verschnarchte Touring-Segment gehörig aufzumischen.
Yamaha benutzte das Werbe-Schlagwort „Leis­tungstourer“, welches die Sache überraschend gut umschrieb. 144 sehr gut im Futter stehende PS, kombiniert mit einem leichten und dabei grundstabilen Fahrwerk, da­zu jede Menge Platz für die Besatzung, und das bei gutem Wind- und Wetterschutz sowie einem reaktionsarmen und weitgehend wartungsfreien Endantrieb – eine solche Kombination war 2001 einmalig. Mit der FJR ließ sich stundenlang mit vollgepackten Koffern und mit deutlich über 200 km/h über die Autobahn brennen. Und genauso viel Spaß hatte man mit ihr im Winkelwerk kurvigster Landstraßen. Langstreckentauglichkeit, Komfort, Zuverlässigkeit, üppige Leistung, relativ niedriges Gewicht und viel Fahrdynamik, eine solche Kombination gab’s noch nie zuvor, entsprechend gut verkaufte sich Kilometerfressers Liebling. Wer sich bei aller Bequemlichkeit noch etwas Sportsgeist bewahrt hatte und eine schnelle Reisepartnerin suchte, kam an der FJR 1300 praktisch nicht vorbei.

Yamaha FJR1300A CockpitWeltweit wurden von der FJR 1300 bislang rund 95.000 Exemplare verkauft, ein Riesenerfolg. Das anfangs vermisste ABS ist seit 2003 serienmäßig, Koffer gehören seit 2004 zum Lieferumfang ab Werk. Um das Genörgel am fehlenden sechsten Gang abzustellen, verlängerte Yamaha im Rahmen der ersten etwas größeren Modellpflege 2006 die Gesamtübersetzung. Seitdem sind auch Lenker und Sitzbank verstellbar, seit 2007 gibt’s serienmäßige Heizgriffe. Die Verkleidung und/oder deren elektrisch verstellbare Scheibe bekamen immer mal wieder leichte Modifikationen spendiert, und das ABS wurde im Rahmen der laufenden Modellpflege nicht vergessen. Von 2006 bis 2010 sollte die parallel zum Basismodell angebotene, mit einem halbautomatischen Getriebe und daher ohne Kupplungshebel antretende FJR 1300 AS noch mehr Bedienkomfort ins Reisevergnügen bringen, doch nur ein (zu) kleiner Teil der FJR-Kunden war bereit, dafür 2000 Euro Aufpreis zu zahlen.

Die Yamaha FJR 1300 war ein absoluter Bestseller, gebraucht ist sie immer noch sehr beliebt, nur der Neumaschinen-Verkauf lief in den letzten Jahren immer schleppender. Und – wenn überhaupt – nur noch zu Preisen, die mit dem Listenpreis nur wenig zu tun hatten. Kein Wunder, denn im letzten Jahrzehnt kamen (und gingen zum Teil bereits wieder) ähnlich angenehme Reisepartner wie die Kawasaki GTR 1400, die K 1200 und K 1300 GT von BMW und nicht zuletzt die Sechszylinder-Wuchtbrum­me BMW K 1600 GT, die auch in Sachen Dicke-Hose-Image etwas mehr zu bieten hat. Die neue Triumph Trophy hat die Gesamtsituation für Yamaha ganz sicher nicht einfacher gemacht. Ganz abgesehen davon, dass man als in der Zulassungshitparade mit Abstand Letzter der japanischen Hersteller vermutlich nicht den fettesten Etat für komplette Neuentwicklungen zu Verfügung haben wird. Ist die „neue“ FJR 1300 also nur ein fauler Modellpflege-Kompromiss mangels Neuentwicklungs-Masse? Der aufmerksame Leser ahnt die Antwort in Anbetracht der einleitenden Worte natürlich schon: nein, ganz und gar nicht. Die Yamaha FJR 1300 war noch nie so wertvoll wie heute. Und das hat viele Gründe.

Zum Beispiel die verbesserte Serienausstattung: Zum Preis von unverändert 17.395 Euro ist nun auch eine abschaltbare Traktionskontrolle (TCS = Traction Control System) an Bord, die auf rutschigem Geläuf tätig wird. Dann greift die Steuerelektronik über Zündung, Kraftstoffeinspritzung und über den Öffnungswinkel der Drosselklappen ein, um die Antriebsleistung und damit den Schlupf am Hinterrad zu reduzieren. Ab sofort ebenfalls serienmäßig ist ein Tempomat, der im 3., 4. und 5. Gang zwischen 50 und 180 km/h dem Fahrer die Arbeit erleichtern kann. Die Sache wird über zwei Schalter an der linken Lenkerarmatur bedient. Auf Knopfdruck kann die zu haltende Geschwindigkeit in Schritten von 2 km/h angehoben oder abgesenkt werden. Wer länger drückt, erledigt die Sache entsprechend zügiger, und dieser Tempomat ist dermaßen einfach zu bedienen, dass es eine wahre Freude ist.

Die üppig bestückte Lenkerarmatur mag auf den ersten Blick zwar ähnlich verwirrend wie bei Wettbewerbsmodellen aussehen, doch die Bedienung gelingt auch ohne große Theorie und schon nach kürzester Zeit spielend leicht. Wie überhaupt für die ganze FJR gilt: Praktisch alles, was verstellt, geregelt oder sonstwie manuell bedient werden kann (z.B. Windschild, Sitzhöhe, Federvorspannung), funktioniert absolut praxisgerecht und meist bedienungsfreundlicher als bei der Konkurrenz. Stichwort Windschild: Die breitere, höhere und nun anders hinterströmte sowie mit einem kräftigeren (und damit auch bei sehr hohen Geschwindigkeiten zuverlässig funktionierenden) Verstellmotor bestückte Scheibe ist jetzt mit einer Memory-Funktion ausgestattet. Damit muss die Scheibe nicht mehr nach jedem Stopp wieder neu eingestellt werden. Was aber noch viel besser ist: Die neue Scheibe und das jetzt ein- statt dreiteilige Verkleidungsoberteil sorgen nicht nur für verbesserten Windschutz, sondern auch dafür, dass der bislang bei höheren Tempi hinter der Verschalung herrschende Unterdruck der Vergangenheit angehört. Der Fahrer wird dadurch nicht mehr in Richtung Verkleidung gezogen und sitzt zwar immer noch etwas vorderradorientiert, aber dabei deutlich entspannter.

Der bislang recht schwergängigeGasgriff gehört ebenfalls der Vergangenheit an. Die Drosselklappen werden nun nämlich elektronisch gesteuert, vulgo „Drive-by-Wire“, was das Brauseöffnen um Welten erleichtert und der Gasannahme nicht geschadet hat. Im Gegenteil: Der herrlich säuselnde Vierzylinder hängt perfekt am Gas, lässt sich auch aus dem Schiebebetrieb nicht zweimal bitten und ist ein überaus spontan antretender Geselle, der unglaublich kultiviert und ruckfrei auf Gasgriffbefehle reagiert. Neben der Drosselklappensteuerung via Servomotor ist an der neuen FJR noch ein weiteres Elektronik-Gimmick zu finden: das „Yamaha D-MODE-System“, das dem Fahrer erlaubt, über einen Schalter an der rechten Lenkerarmatur zwischen zwei Motorkennfeldern zu wechseln.

Yamaha FJR1300A KofferFür Fahrten im Stadtverkehr und beim entspannten Touren empfiehlt Yamaha den T-Modus; wenn es etwas direkter und zügiger zur Sache gehen soll, ist laut Yamaha der S-Modus die beste Wahl. Beide Mappings liefern die volle Leistung, doch wird sie im Touring-Programm deutlich zahmer abgegeben. In der Praxis passt das perfekt abgestimmte Sport-Programm immer und überall und macht den T-Modus eigentlich entbehrlich. Neben der Elektronik-Zauberei widmeten sich die Yamaha-Techniker auch der puren Mechanik. Sie modifizierten das Drosselklappengehäuse, montierten einen neuen Auspuff, der nun mit nur noch zwei statt vier Katalysatoren zusammenarbeitet (und damit Gewicht spart), und anstelle konventioneller, in die Aluzylinder eingepresster Laufbuchsen verbauten sie direkt beschichtete Aluminiumzylinder, was wiederum die Wärmeleitfähigkeit verbesserte (und noch mehr Gewicht spart…).

So ganz nebenbei und ohne große Absicht legten mit diesen Maßnahmen auch Leistung und Drehmoment etwas zu: statt 144 PS und maximal 134 Nm stehen nun bis zu 146 PS und 138 Nm bei unveränderten Drehzahlen von 8000 bzw. 7000/min zur Verfügung. Damit wurde die FJR 1300 noch etwas souveräner und vielleicht sogar auch etwas sparsamer – über sechs Liter steigt der Verbauch praktisch nie, meist sind’s um die fünf Liter, was in Verbindung mit dem für Kurzbeiner etwas breit bauenden 25 Liter-Tank ellenlange Nonstop-Etappen ermöglicht. Einen gegebenenfalls als Overdrive fungierenden und damit Drehzahl und Verbrauch senkenden sechsten Gang verkneift sich Yamaha auch bei der jüngsten FJR-Auflage. Das ist eine fast schon bewundernswerte Sturheit. Bewundernswert allein deshalb, weil das reale Drehzahlniveau dank des souveränen Motors mit all seiner Durchzugskraft auch mit „nur“ fünf Gängen absolut im Rahmen bleibt. Und bewundernswert auch deshalb, weil Yamaha damit den ganzen Schlauschnackern noch wenigstens etwas zum Dauernörgeln lässt.

Yamaha-Produktplaner Oliver Grill brachte das leidige Getriebethema in einem Interview sehr schön auf den Punkt: „Die FJR hat nicht aus Versehen fünf Gänge, sondern mit voller Absicht, weil weniger in dieser Hinsicht unserer Meinung nach mehr ist. Schnelles Touren, Power in jeder Lage und dabei möglichst wenig schalten – das haben unsere Ingenieure verwirklicht. Die FJR kann mit fünf Gängen das, wozu andere sechs Yamaha FJR1300A Kardanbrauchen. Was ist daran schlecht?“ Recht hat er! 245 km/h Spitze und 3,1 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h sind immer noch Topwerte, und auch in der viel praxisrelevanteren Durchzugswertung spielt die FJR im Kreise der Sporttourer immer noch sehr weit oben mit. Zum famosen, turbinengleich antretenden Motor passt der kongeniale Endantrieb: Der schnörkellose, praktisch ohne irgendwelche Hilfskonstruktionen auskommende Kardan funktioniert erstklassig.
Da mag verstehen, wer will, dass andere Anbieter schwere und meist auch hässliche Momentabstützungen benötigen, um am Ende einen Wellenantrieb zu haben, der auch nicht besser funktioniert. Praktisch reaktionsfrei benimmt sich auch das bis auf etwas straffer abgestimmte Federelemente unveränderte Fahrwerk mit seinem immer noch topaktuellen Alu-Brückenrahmen. Zwei Kilo hat die FJR abgespeckt, was aus dem vollgetankt rund 300 Kilogramm schweren Schätzchen zwar kein Handlingwunder gemacht hat, sie im Kreise der Sporttourer-Konkurrenz aber immer noch sehr gut aussehen lässt. Lässig-entspannt kann man mit ihr auch auf recht kurvigen und gar nicht mal pottebenen Landstraßen viel Fahrspaß haben. Auch wenn sie immer noch mit fester Hand in sehr schräge Schräglage geführt und gehalten werden möchte, damit sie nicht ungewollt nach außen drängt und damit weitere Radien als geplant fährt.

Der wirklich einzige Punkt, an dem man der FJR 1300 etwas anmerkt, dass sie in ihrer Grundkonzeption schon länger auf dem Markt ist, ist die Abstimmung des serienmäßigen ABS (das Teil eines tadellos funktionierenden Integral-Bremssystems ist, bei dem beim Tritt aufs Bremspedal auch zwei Kolben der vorderen rechten Bremszange aktiviert werden). Der Blockierverhinderer regelt recht grob, das ABS erlaubt zwar eine starke Verzögerung, öffnet nach dem Regelvorgang allerdings eine Spur zu lange – das gibt’s mittlerweile schon besser. Andererseits: Ein ABS ist kein alltäglich zu nutzendes und zu spürendes Ausstattungsdetail, es ist ein Nothelfer für Situationen, in denen ansonsten nichts mehr geht. Und in genau solchen Situationen erledigt auch das FJR-ABS seinen Job. Dass das modernere Systeme noch etwas eleganter können – wen interessiert’s wirklich?!

Yamaha FJR 1300 A Modell 2013Da dürfte es doch deutlich spannender sein, was sich bei der in Braun, Schwarz und Silber lieferbaren FJR 1300 sonst noch so getan hat. Bitteschön, eine kleine Auswahl: neues Verkleidungs-Unterteil mit modifizierten, einstellbaren Abweisern; neuer Doppelscheinwerfer plus LED-Positionsleuchten; neue LED-Blinker vorn; neues Rücklichtglas, neues Cockpit mit einfachst zu bedienendem Bordcomputer; neue zweiteilige Beifahrer-Fußrasten; neue Radialreifen (nicht mehr Bridgestone BT021, sondern Metzeler Roadtec Z8 oder Bridgestone BT023). Und natürlich: der neue, noch einfacher zu bedienende serienmäßige Hauptständer – aber das wussten Sie ja schon.
Die neue alte FJR 1300 ist immer noch der mit einem tollen Motor gesegnete und mit einem stabilen Fahrwerk punktende Sportler unter den Sporttourern. Jetzt aber noch besser ausgestattet, noch einfacher zu bedienen und noch etwas komfortabler. Hätte das ein komplett neues Modell auf Anhieb geschafft? Egal.

Bleibt abschließend eigentlich nur noch eine Frage: Was kann das ab voraussichtlich März lieferbare Schwestermodell FJR 1300 AS? Mit der kehrt überraschenderweise die Halbautomatik-Version ins Programm zurück. Und was noch mehr erstaunt: Nur dieser Version bleibt ein elektronisch regelbares Fahrwerk mit einer komplett neuen Upside-down-Gabel vorbehalten. Vorerst zu­min­- dest. Das Thema FJR 1300 ist und bleibt spannend. Schön, dass es sie gibt.