aus bma 09/03

von Thomas Beekmann

Yamaha FJR 1300 AWenn man etwas in der ersten Version des Reisetourers Yamaha FJR 1300 vermisste oder bemängeln wollte, dann war es das fehlende Anti-Blockier-System – kurz ABS genannt. Hatten doch die übrigen Mitbewerber bei ihren Reisetourern alle das ABS-System, mindestens als Kauf-Option, im Programm, so suchte man bei Yamaha vergebens nach dem „Sicherheitspaket”. Dieses Manko wurde nun vom Hersteller für die 2003er Modelle behoben und wenn man gerade dabei war (so muss es wohl gewesen sein), dann konnte man ja gleich noch ein paar Nettigkeiten mit dazu legen. So spendierte der Motorradhersteller Yamaha seiner neuen FJR1300 neben dem jetzt serienmäßigen Anti-Blockier-System noch eine Wegfahrsperre. Dazu gab es noch eine neue Form für die elektrisch verstellbare Verkleidungsscheibe – für einen noch besseren Windschutz, die vorderen Blinker wurden aerodynamisch in der Verkleidung integriert und ein kleines Staufach fand den Platz in der Cockpitverkleidung. So wurde aus der FJR 1300 die neue FJR 1300 A.
Bei der ausgiebigen Probe- bzw. Testfahrt der neuen FJR 1300A, die uns freundlicherweise vom YamahaVertragshändler Scholly’s in Kirchlinteln zur Verfügung gestellt wurde, konnte die FJR 1300 A unter Beweis stellen, ob die Neuerungen gelungen sind.

 

Beim Starten des flüssigkeitsgekühlten Vierzylinders ist alles beim alten geblieben. Der fehlende Choke wird, wie gehabt, durch das Motormanagement ersetzt. Auf Knopfdruck dreht die Leerlaufdrehzahl auf fast schon übel klingende 2500 Touren hoch, sofern der Motor kalt genug ist. Nach einer kurzen Warmlaufphase hat dieses jedoch ein Ende und man kann mit der hydraulisch betätigten Kupplung den ersten von fünf Gängen einlegen. Der 1300er Vierzylindermotor mit 106 kW/143 PS ist eine komplette Neukonstruktion und wuchtet bei 7000 Touren ein stattliches Drehmoment von 134 Newtonmetern auf die Kurbelwelle.
Yamaha FJR 1300 ADie turbinenartige, gleichmäßige Kraftentfaltung des Reihenvierzylinders beeindruckt in allen Drehzahlbereichen – ohne den Fahrer zu überfordern. Das heisere und dezente Turbinensäuseln animiert geradezu zum Gasgeben. Schon ab Leerlaufdrehzahl nimmt das Kraftpaket mit seinen immerhin 251 Kilogramm Trockengewicht ruckfrei und fein dosierbar Gas an, um dann bis zum Drehzahlbegrenzer bei 9000 Touren gleichmäßig aber mit Nachdruck seine Pferdestärken zu präsentieren. Auch der Wechsel vom Schiebe- in den Lastbetrieb, wie etwa beim Gasgeben in Kurven oder bei bergigen Strecken, wird nicht mit abrupt einsetzender Kraftentfaltung quittiert. Je nach Fahrweise konnten wir einen Verbrauch zwischen 5,5 und 7 Litern Normalbenzin feststellen. Bei etwa 5000 Umdrehungen sind am Lenker feine Vibrationen spürbar, die aber nicht weiter stören. Einzig das Kaltstartverhalten mit anfangs sehr hoher Leerlaufdrehzahl irritiert und ist gewöhnungsbedürftig. Das Fünfganggetriebe lässt sich leicht und präzise schalten, macht aber etwas laute Schaltgeräusche. Auf längeren Autobahnetappen würde sich ein sechster Gang mit Overdrivefunktion sicherlich gut machen, der das Drehzahlniveau und den Verbrauch noch etwas senken könnte.
Der Alu-Brückenrahmen mit Zweiarmschwinge und Zentralfederbein hinten stellt das konstruktive Rückgrat dar. Der Motor ist mittragend eingebaut und die massive 48-Millimeter-Gabel vorne ist sogar dreifach verstellbar – ein ungewöhnliches Extra für eine Reisetourer. Die sehr komfortable Fahrwerksauslegung (jemand sagte da etwas von Reisesofa) ist schon ab Werk perfekt abgestimmt und ist auch für sportlichere Fahreinlagen ausreichend straff.

Scheibe unten
Scheibe unten

Scheibe oben
Scheibe oben

Der links montierte Kardanantrieb liefert nur minimale Lastwechselreaktionen. So lässt sich der Tourer erstaunlich handlich bewegen. Das Einlenken und Umlegen geht gewandt von der Hand und lässt die FJR leichter erscheinen, als sie eigentlich ist. Sie folgt schnurstracks der vom Fahrer gewünschten Linie, und auch Unebenheiten in Schräglage können sie nicht aus der Ruhe bringen.
Die schwimmend gelagerte 320 mm Doppel-Bremsscheibe vorne verrichtet in Verbindung mit der hinteren 282 mm Scheibenbremse in jeder Situation ihre Arbeit anstandslos und wird auch mit den maximal 476 Kilogramm zulässigem Gesamtgewicht mühelos fertig. Verantwortlich zeigt sich hierfür das lang vermisste ABS-System, das fast unmerklich seinen Dienst verrichtet. Selbst starkes Abbremsen in Kurven mit ABS überträgt sich kaum auf die Maschine. Auch beim Sitzkomfort gibt es nichts zu bemängeln. Der rutschfeste Bezug und die Polsterung ermöglichen ein langes und ermüdungsfreies Sitzen bis zum nächsten Tankstopp. Den entspannten Fahrkomfort bietet die FJR durch ihre tourenfreundliche Ergonomie – auch noch nach dreihundert Kilometern an einem Stück. Der etwas breit ausgefallene 25-Liter-Tank mit seinen 5 Litern Reserve bietet einen guten Knieschluss und unterstreicht optisch das wuchtige Erscheinungsbild der FJR, ebenso wie die seitlich weit rausgezogene Verkleidung. Letzteres schützt den Piloten recht wirkungsvoll vor dem Fahrtwind. Der Clou daran ist die elektrisch höhenverstellbare Frontscheibe, die per Kippschalter an der linken Lenkerarmatur um zwölf Zentimeter nach oben ausgefahren werden kann – um so den Windschutz nochmals zu verbessern. In der Praxis klappt das aber nur bedingt. Die leichte Sogwirkung bei Geschwindigkeiten bis ca. 120 km/h mit hochgefahrener Scheibe war eher störend und ab 120 km/h auf der Autobahn Gemackssache, genau wie die entstehenden starken Windgeräusche. Vielleicht hätte es eine einfache etwas höhere Scheibe mit anderen Aufstellwinkel auch getan. Bei Regen bleibt der Oberkörper weitgehend trocken. Nur Schultern und Ellenbogen werden relativ schnell nass. Federung und Dämpfung können wiederum voll überzeugen und sind vielseitig und einfach einzustellen. Eine Einstellung der Zugstufendämpfung und Federvorspannung ist per Hebelumlenkung möglich. Zusätzlich lässt sich die Feder- und Dämpfereinheit durch die von außen bequem einstellbare Federvorspannung auf die unterschiedlichen Beladungszustände abstimmen. Die Ablesbarkeit der Instrumente und Armaturen ist gut, wenn auch die Gestaltung der Verkleidungsinnenschale nicht gerade sehr wertig wirkt und es zu leichten Spiegelungen auf den Amaturen kommt. Das Licht der Doppelscheinwerfer vorne ist sehr gut und leuchtet auch in Kurven gut aus.
Leider weist die FJR nur einen sehr kleinen Stauraum auf. Unter der Sitzbank hat gerade mal das mitgelieferte Bordwerkzeug Platz, das, wie bei Yamaha üblich, nur von mäßiger Qualität ist. Netterweise befindet sich auf der linken Seite der Verkleidung ein kleines Staufach, das bei unterbrochener Zündung sowie der Fahrt automatisch verriegelt wird. Der Schalter für die Warnblinkanlage befindet sich, gut erreichbar, gleich neben dem Staufach unterhalb des Lenkers. Wer noch mehr unterbringen möchte, sollte sich einen (Magnet-)Tankrucksack oder gleich die Zubehörkoffer zulegen.
Fazit: Autobahnetappen, kurvige Landstraßen jeglicher Art und der Stadtverkehr haben einen positiven Eindruck hinterlassen. Es gibt nur wenige Mitbewerber, mit denen sich die FJR1300A messen lassen muss. Ihre souveräne Art der Kraftentfaltung begeistert ungemein. Stressfrei lassen sich dank des sehr guten Zusammenspiels von Motor und Fahrwerk auch längere Reise-Etappen meistern.

Cockpit Technische Daten:
Hubraum: 1.298 ccm
Ventilsteuerung: DOHC, 4 Ventile pro Zylinder
Bohrung x Hub: 79 x 66,2 mm
Verdichtung: 10,8 : 1
Nennleistung: 105,5 kW (143,5 PS) b. 8.000 U/min
max. Drehmoment: 134,4 Nm b. 7.000 U/min
Zündung: Digitale Transistor Kennfeldzündung
Lichtmaschine / Batterie: 490 Watt / 12 V, 12 Ah
Kupplung: Mehrscheiben-Ölbadkupplung
Getriebe: 5-Gang
Gangstufen: 2,529/1,773/1,348/1,077/0,929
Primärübersetzung: 1,563
Sekundärübersetzung: 2,773
Sekundärantrieb: Kardan
Rahmenbauart: Aluminium-Brückenrohrrahmen
Federung vorn: Telegabel 135 mm
Federung hinten: Zentralfederbein 125 mm
Radstand: 1515 mm
Bremse vorn: 2 Scheiben 320 mm Ø
Bremse hinten: 1 Scheibe 282 mm Ø
Reifen vorn: 120/70 ZR17 58W
Reifen hinten: 180/55 ZR17 73W
Sitzhöhe: 805 mm
Trockengewicht: 251 kg
Tankinhalt + Reserve: 25 + 5 Liter